Die ganze Welt scheint im Umbruch, da ist es nicht erstaunlich, dass das Thema Veränderung auch in den deutschen Verbänden Hochkonjunktur hat. Es gibt wohl keinen Verband, der heute noch so arbeitet wie vor fünf Jahren. Manche verändern sich sehr bewusst, andere eher notgedrungen. Auffällig ist, dass es zu keinem Stillstand mehr kommt. Eine Art permanente Transformation scheint sich zu verstetigen. Wesentlicher Treiber ist die Zukunftsfähigkeit.

Verbände zwischen Stabilität und Wandel
Ein sich veränderndes politisches Umfeld, der digitale Strukturwandel und die sich wandelnden Mitgliedererwartungen sind nur drei Aspekte, die dafür sorgen, dass sich Organisationen sehr konkret mit der Frage auseinandersetzen, wie es gelingen kann, sich für die Zukunft aufzustellen und auf diesem Weg Veränderungsprozesse aktiv und vor allem erfolgreich zu gestalten.
Innovation und Partizipation sind Begriffe, die in diesem Zusammenhang oft fallen. Doch wie innovativ kann man sein, ohne alle Beteiligten zu verschrecken, und wie partizipativ können Veränderungsprozesse aufgesetzt werden, wo doch gerade Verbände und ihre Mitglieder oft in Traditionen verhaftet sind? Funktioniert das Thema Zukunft im Konsens?
Ist in Unternehmen bei Zukunftsfragen vor allem das Management gefragt, so ist in Verbänden die Gemengelage an Stakeholdern weitaus größer: Die Mitglieder und das Ehrenamt müssen jeden Schritt auf dem Weg in Richtung Zukunft aktiv mitgehen. Partizipation ist eine wichtige Grundlage für die gemeinsam gelebte Organisation.
Im Gegensatz zu früher ist Innovation kein abgeschlossener Akt mehr. Noch vor wenigen Jahren sprach man von einem fertigen Innovationsvorhaben, wenn man zum Beispiel ein CRM im Verband einführte. Heute weiß man, dass damit die Arbeit erst anfängt. Innovation ist ein fortlaufender, oft mühsamer, aber stets lohnenswerter Prozess. Stillstand ist keine Option in der sich immer schneller drehenden Welt.
Für die Verbandsarbeit bedeutet das, alte Strukturen zu hinterfragen, Veränderungsbereitschaft zu fördern und neue Formen des Miteinanders zu entwickeln – intern wie extern. Wie kann ein Verband innovativ sein?
1. Die Organisation nach innen – Wandel beginnt im Hauptamt
Wenn ein Verband innovativ sein will, muss er bei sich selbst anfangen. Das bedeutet nicht nur moderne Technik oder agile Arbeitsweisen einzuführen, sondern vor allem ein Klima zu schaffen, in dem Neues ausprobiert werden darf – und in dem Veränderung nicht als Störung, sondern als Chance verstanden wird.
Aktuell zeigt sich das beim Thema KI. Es gibt Verbände, die die Verwendung kategorisch ablehnen, bei anderen sind es einzelne Mitarbeitende, die KI für ihre Aufgaben einsetzen. Aber es sind nur wenige Organisationen, die ihre Mitarbeitenden in diesem Bereich gezielt fördern und fordern, sodass sie sich konkret mit dem sinnvollen Einsatz dieser Zukunftstechnologie auseinandersetzen.
Das Hauptamt spielt dabei eine Schlüsselrolle. Schon in der Verbands-Jahresumfrage 2025 zeigte sich, dass viele auf eine systematische Weiterentwicklung ihrer internen Strukturen setzen, um Innovation überhaupt zu ermöglichen. Dabei stehen Kommunikation, Weiterbildung und eine klare strategische Ausrichtung im Vordergrund:
„Die Beteiligung an der Planung von Neuerungen und Schulungen von Beginn an, führen zu einer positiven Einstellung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegenüber Innovationen und Veränderungen.“
Stefan Hennewig, Geschäftsführer Personal und Finanzen, Verband der forschenden Pharma-Unternehmen vfa e. V.
„Das haben wir doch immer so gemacht!“ – Diese Antwort kennen wohl die meisten aus ihrem Verbandsalltag. Die gezielte Förderung von Veränderungskompetenz ist notwendig, damit tradierte Abläufe und Silodenken dem Neuen nicht im Weg stehen.
Wichtig ist aber auch, dass alle Beteiligten mitgenommen werden. Eine gute Kommunikationskultur und der kontinuierliche Austausch im Team sowie mit Mitgliedern und Ehrenamtlichen sind die Basis für gemeinsame Zukunftsgestaltung.
„Innovation gelingt nur zusammen mit allen Kolleginnen und Kollegen. Es ist ein stetiger Prozess, an dem wir alle vehement arbeiten.“
Bianca Boss, Vorständin Bund der Versicherten e. V.
Als Treiber für Innovation gilt der Mut, Dinge einfach mal auszuprobieren. Es muss allerdings in der Organisation allen bewusst sein, dass das erwünscht ist. Um neue Herangehensweisen und kreative Umsetzungen zu fördern, ist aber auch ein gewisses Budget durchaus hilfreich. Vor allen Dingen erfordert es Zeit, damit man sich mit Neuem beschäftigen kann, jenseits des Tagesgeschäfts – auch wenn die tägliche Arbeit dafür mal liegen bleibt. Innovation braucht zudem eine offene Fehlerkultur – und konstruktive Feedbackschleifen.
„Gemeinsam in verschiedenen Austauschformaten diskutieren wir offen und auch kontrovers, leiten Ideen und entsprechende Maßnahmen ab und tracken diese auch.“
Ina Hundhausen, Hauptgeschäftsführerin Deutsche Bauchemie e. V.
Fünf Handlungsempfehlungen für zukunftsfähige Verbände:
1. Partizipation braucht Struktur und Haltung.
2. Innovation beginnt mit der Einladung zur Mitgestaltung.
3. Ehrenamt und Hauptamt müssen auf Augenhöhe agieren.
4. Mitglieder sind Partner, keine Kunden.
5. Der Verband ist eine lebendige Plattform, kein Verwaltungsapparat.
2. Das Ehrenamt – Gestaltungs- und Resonanzraum
Das Ehrenamt ist das Rückgrat vieler Verbände. Wenn es um Innovation, Veränderungsbereitschaft und Partizipation geht, ist diese Gruppe besonders bedeutend: einerseits, weil sie den Verband repräsentiert und inhaltlich prägt – andererseits, weil Ehrenamtliche mit hohem persönlichen Einsatz, aber in begrenzter Zeit agieren.
Gerade die Babyboomer, die jetzt nach und nach aus den Verbandsorganisationen ausscheiden, hinterlassen hier große Lücken. Sie sind zum einen sehr zahlreich und haben zum anderen oftmals eine selbstverständliche, positive Einstellung zur Verbandsarbeit und zur Übernahme von Verantwortung.
In den nachrückenden Generationen finden sich schon per Geburt weniger potenzielle Mitglieder und Ehrenamtliche, und die hinterfragen auch ihr Engagement und die dafür aufzuwendende Zeit sehr offen. Purpose ist hier ein Schlagwort. Ihnen geht es nicht um ein großes Amt und einen Titel, sondern um die Sache, die man gemeinsam verwirklichen will.
Wer diese Menschen für den Verband gewinnen und einbeziehen will, muss motivierende, wirksame und praktikable Beteiligungsformate bieten. Dazu gehören auch der kommunikative Gesamtauftritt des Verbandes und eine entsprechende Willkommenskultur.
Damit das Ehrenamt in solchen neuen Formaten wirksam werden kann, braucht es einen gut organisierten, unterstützenden Rahmen im Hauptamt, der das organisiert.
„Durch eine professionelle Aufstellung des Hauptamtes bieten wir den ehrenamtlichen Gremien den erforderlichen Rahmen für eine starke politische Verbands-Positionierung.“
Christopher Jürgens (Geschäftsführer), ADKA – Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker e. V.
Aktive Teilhabe wird gewünscht und diese Partizipation muss sichtbare Folgen haben, um nachhaltig angenommen zu werden. Ein zentraler Erfolgsfaktor ist für den Verband hierbei auch die aktive Kontaktaufnahme zu neuen Ehrenamtlichen – verbunden mit Wertschätzung und Integration: „Wir suchen früh den Kontakt, indem wir unsere Neumitglieder gleich zu Beginn auf unsere große Jahrestagung einladen und dort auch spezielle Programmpunkte für sie vorbereiten“. berichtet Michael Steinmetz, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Aktuarvereinigung e. V. (DAV).
Viele Verbände betonen, dass Ehrenamtliche sich nur dann dauerhaft einbringen, wenn ihre Beteiligung sichtbare Konsequenzen hat. Partizipation darf kein Feigenblatt sein – sie muss in Entscheidungen, Umsetzungen und am besten in sichtbaren Erfolgen münden.
Das bedeutet auch, die klassische Gremienarbeit weiterzuentwickeln und solche projektbezogenen, zeitlich befristeten Engagement-Formate überhaupt anzubieten.
„Es gibt ein niedrigschwelliges Angebot für die Mitarbeit in Gremien, den sogenannten Pool. Dabei verpflichtet man sich lediglich projektbezogen und temporär.“
Michael Steinmetz, Hauptgeschäftsführer Deutsche Aktuarvereinigung e. V. (DAV)
Klar ist, Innovation und Zukunft gestalten Haupt- und Ehrenamt nur zusammen. Um Menschen zu begeistern, ist der gemeinsame Wille, Veränderungen zu bewerten und Innovation zu leben, ein ganz entscheidender Schlüssel. Verbände müssen sich zukunftswillig, offen und lebendig zeigen.
„Besonders wichtig war die gemeinsam mit dem Ehrenamt entwickelte Strategie 2030, die nun als Leitplanke für alle unsere Aktivitäten dient.“
Nora Schmidt-Kesseler, Hauptgeschäftsführerin Verband der Chemischen Industrie Nordost
3. Die Mitgliedschaft – Aktivierung der Basis
Das Ehrenamt ist das Rückgrat, die Mitglieder sind das Fundament jedes Verbandes. Ihre Bedarfe, Impulse und ihr Engagement entscheiden darüber, wie relevant, lebendig und wandlungsfähig ein Verband bleibt.
In den vergangenen Jahren standen zur Gewinnung neuer Mitglieder bei vielen Verbänden insbesondere Serviceangebote im Vordergrund, oft verbunden mit Preisvorteilen. Dass in diesem Zusammenhang der „Nutzen“ einer Mitgliedschaft besonders hinterfragt wird, ist kaum verwunderlich. Hier ist man im Selbstverständnis wohl eher Kunde statt Mitglied und fragt Leistungen ab, sodass auch das persönliche Engagement für den Verband in dieser Gruppe nicht sehr ausgeprägt ist.
„Innovation und Partizipation schaffen wir durch vielfältige Beteiligungsformate und umfangreiche Kommunikation.“
Lisa Broß, Sprecherin der Bundesgeschäftsführung Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA)
Mitgliederbeteiligung ist kein Selbstläufer – sie muss bewusst gestaltet werden: durch niedrigschwellige Zugänge, vielfältige Beteiligungsformate und eine Kommunikation, die auf Augenhöhe stattfindet.
Viele Verbände arbeiten daran, Barrieren für Beteiligung abzubauen – insbesondere bei neuen oder bisher wenig aktiven Mitgliedern. Formate wie digitale Mitmach-Angebote, Umfragen, thematische Workshops oder temporäre Beteiligung in Projekten sind hierfür besonders geeignet.
„Wir versuchen den Mitgliedern eine möglichst breite Basis der Mitarbeit und des Engagements zu bieten – sowohl auf örtlicher Ebene als auch im fachlichen Austausch.“
Michael Stechert, Geschäftsstellenleiter Dachgesellschaft Deutsches Interim Management e. V. (DDIM)
Ganz wichtig ist dafür eine intensive, transparente Kommunikation – nicht nur zur Information, sondern um Interesse zu schaffen, mit dem klaren Ziel der Einbindung. „Wir wollen Partizipation steigern, indem wir verstärkt kommunizieren, was wir tun“. sagt Jens Schließmann vom Verband Deutsches Reisemanagement (VDR). Aber das sollte keine Einbahnstraße sein. Der regelmäßige Austausch in beide Richtungen, ob digital oder physisch, bringt neue Ideen, Perspektiven und Anforderungen ins System.
„Innovation entsteht durch intensiven Austausch, durch neue Perspektiven und den Blick nach außen.“
Jens Schließmann, Geschäftsführung Verband Deutsches Reisemanagement (VDR)
4. Die Außenwelt – Impulse und Relevanz im Dialog mit Gesellschaft, Politik und Wirtschaft
Verbände stehen im Austausch mit einer Vielzahl externer Akteure: Politik, Medien, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Gerade hier zeigt sich, ob ein Verband als innovationsfähig wahrgenommen wird – denn im Dialog mit der Außenwelt entstehen neue Impulse, Netzwerke und Perspektiven. Und die Außenwelt schaut immer genauer hin, wie innovativ sich ein Verband präsentiert.
Relevanz ist in diesem Zusammenhang ganz entscheidend. Und zwar nicht die Relevanz, die man als Sprachrohr für sein Thema und seine Branche tatsächlich hat, sondern es geht darum, ob die Außenwelt diese Relevanz auch tatsächlich so empfindet. Das ist ein fundamentaler Unterschied. Gerade die jungen Politikerinnen und Politiker bis hin zur Ministerriege tun sich mitunter schwer, die in Verbänden bestehende Expertise aktiv in Anspruch zu nehmen. Man fremdelt nicht nur mit linearem TV, man will Gesprächspartner, die sichtbar im Jetzt sind und lebendige Organisationen vertreten.
Nicht wenige Verbände haben sich in der letzten Zeit neu aufgestellt – neue Website, neues Logo bis hin zur neuen Geschäftsstelle. Ganz wichtig ist dabei aber die Authentizität. Man muss echt sein und auch so rüberkommen. Wer offen kommuniziert, zuhört und externes Know-how integriert, bleibt anschlussfähig – und relevant.
„Pharma Deutschland kann seine volle Wirkung entfalten, wenn Themen gemeinsam mit den Mitgliedern aktiv vorangetrieben werden. Durch den engen Austausch und die Bündelung von Expertise und Ressourcen gelingt es, wichtige Anliegen mit Nachdruck zu vertreten.“
Dorothee Brakmann, Hauptgeschäftsführerin Pharma Deutschland e. V.
5. Das Mindset – Innovation ermöglichen, Partizipation gestalten
Partizipation und Innovation sind kein Widerspruch zur Tradition, sondern ihre identitätswahrende Weiterentwicklung. Der Verband von morgen ist nicht der lauteste, der größte oder der schnellste – sondern der, der gemeinsam mit seinen Mitgliedern, Engagierten und Partnern wächst. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabenstellung und eher ein Ultra-Marathon, der Mut, Ressourcen – und Führung erfordert. Die Verbände von morgen verharren nicht in statischen Strukturen, sondern fördern Veränderungsbereitschaft von innen heraus, gestalten die Beteiligung des Ehrenamts neu, aktivieren ihre Mitgliedschaft – und sie öffnen sich nach außen.
Die Zukunft gehört diesen agilen Organisationen mit hoher Dialog- und Veränderungsbereitschaft. Innovation und Partizipation sind dabei zentrale Wirkprinzipien, die voneinander profitieren und sich auch gegenseitig bedingen.
(JG)
Hinweis: Alle Zitate stammen aus der Verbändeumfrage 2025 des Verbändereport.