Pressemitteilung | Kassenärztliche Bundesvereinigung KdÖR (KBV)

„2001 wird ein Schicksalsjahr für die Patienten“

(Köln) - „Die Konsequenzen der Kostendämpfungspolitik der Vergangenheit bekommen die Patienten in diesem Jahr hautnah zu spüren“, prognostiziert der oberste deutsche Kassenarzt. Er kämpft für Rahmenbedingungen, die qualitativ hochwertige Medizin in Deutschland weiterhin ermöglichen.

„Das Gesundheitssystem droht den Bach runter zu gehen“. Mit klaren und bedachten Worten schildert Dr. Manfred Richter-Reichhelm dem Journalisten einer großen Berliner Tageszeitung seine Sorge um das deutsche Gesundheitssystem.

Viele Meinungsbildner klopfen in jüngster Vergangenheit an seine Tür, um die Ansichten des 58-jährigen zur Gegenwart und Zukunft der ambulanten medizinischen Versorgung in Deutschland zu erfahren und weiterzuverbreiten. Kein Wunder, der Interviewte weiß, wovon er redet. Als Urologe behandelt er in seiner Praxis im Berliner Reinickendorf Patienten mit den unterschiedlichsten Krankheiten. Außerdem ist er Erster Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Als solcher hat er einen guten Überblick darüber, wie die medizinische Versorgungssituation im gesamten Deutschland aussieht.

„Unsere Anliegen sind oft genug identisch mit denen der Menschen, die tagtäglich mit ihren Gesundheitsproblemen in unsere Sprechzimmer kommen“, erläutert der gebürtige Krefelder, warum er immer wieder auch als Anwalt der Patienten angesprochen wird. Und weiter: „Die Leute wollen gut versorgt werden, wir wollen sie gut versorgen. So einfach ist das.“ Doch: „Politische Vorgaben und die ganz andere Interessenslage der Krankenkassen machen es uns schwer, unsere Vorstellungen von qualitativ hochwertiger Medizin auch wirklich in der Praxis umsetzen zu können.“

Beispiel Arzneimittel: In der jüngsten Vergangenheit mussten die Kassenärzte in vielen Regionen Deutschlands am Ende des Jahres immer wieder sagen: „Das für die Versorgung mit Medikamenten zur Verfügung gestellte Budget ist aufgebraucht. Wir müssen in den nächsten Wochen anders verordnen, als die Patienten es von uns gewohnt sind, denn jedes jetzt noch verordnete Präparat müssen die Doktoren aus der eigenen Tasche bezahlen.“ Richter-Reichhelm hält diesen Zustand für inakzeptabel und findet einem anderen Reporter gegenüber einen anschaulichen Vergleich: „Der Feuerwehr wird ja auch nicht ein Fass Wasser zur Verfügung gestellt, mit der Maßgabe: ‚Löscht damit alle Brände des Jahres.’“

Was die Situation noch brisanter macht: Die für die Datenweitergabe zuständigen Krankenkassen haben den Kassenärzten in den vergangenen Jahren immer erst mit vielen Monaten Verspätung mitgeteilt, zu wie viel Prozent sie ihr medikamentöses Löschwasser-Kontingent schon ausgeschöpft hatten; außerdem ist der medizinische Bedarf an Medikamenten, insbesondere hochpreisigen neuen Arzneien im vergangenen Jahrzehnt erheblich mehr gestiegen als die Höhe der zur Verfügung gestellten Geldsumme. Richter-Reichhelm: „Der Arzt muss sich bei den Verschreibungen wieder ganz auf medizinische Fragestellungen konzentrieren dürfen. Dafür setze ich mich ein.“

Nach Ansicht des KBV-Chefs, der im Januar 2000 mit klarer Mehrheit zum Nachfolger des überraschend zurückgetretenen Dr. Winfried Schorre gewählt wurde, wird 2001 zum „Schicksalsjahr für die Patienten“. Es werde offen darüber geredet werden müssen, ob und wie der schleichenden Rationierung im Gesundheitswesen Einhalt geboten werden könne. „Dass diese schon Realität ist, lässt sich kaum mehr bestreiten. Die Arzneimittel-Krisen am Jahresende führen das regelmäßig vor Augen“, erläutert Richter-Reichhelm. Seine Prognose: Die Politik wird versuchen, das Problem noch eine Weile lang herunterzuspielen, schließlich wissen die Regierenden, dass eventuell aus Konsensgesprächen resultierende Beitragserhöhungen sich negativ auf ihre nächsten Wahlergebnisse auswirken können. Und auch die Krankenkassen haben von sich aus wenig Bedarf, an der derzeitigen Situation etwas zu ändern: Sie überweisen den Kassenärzten derzeit einen Gesamtbetrag, mit dem diese dann die ambulante Versorgung der Bevölkerung sicherstellen müssen. Dass die Weißkittel für das selbe Geld in der jüngsten Vergangenheit immer mehr Leistungen erbringen mussten, scherte die Kassen wenig.

Doch nun sei „Schluss mit lustig“, erklärt Richter-Reichhelm, nicht nur weil die kaum merklichen Erhöhung der ärztlichen Budgets hinter dem medizinischen Fortschritt und dem gestiegenen Versorgungsbedarf der Bevölkerung hinterherhinken, auch „weil Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer 1,2 Milliarden in der Gesundheitsversorgung dringend benötigte Mark an das Arbeitsministerium abgegeben hat und weil das Abwandern vieler Versicherten zu so genannten Billig-Kassen dem System auf Dauer einen mindestens genauso hohen Betrag pro Jahr entzieht.“ Der KBV-Chef gibt sich sowohl kampfes- als auch dialogbereit. Bereits kurz nach seiner Wahl hatte er angekündigt, durch Praxisschließungen in einzelnen Ortsteilen größerer Städte auf bestehende Missstände aufmerksam zu machen. Vielbeachtete Protestaktionen folgten.

Gleichzeitig hat er den so genannten Morbiditätsindex (MIX) auf den Weg gebracht, eine Erhebung darüber, wie krank die Bevölkerung und wie hoch ihr Versorgungsbedarf ist. „Eine solche Studie ist noch nie in Deutschland erarbeitet worden. Sie ist längst überfällig, damit diejenigen, die über die Zukunft unseres Systems und seine Finanzierbarkeit entscheiden, endlich einmal wissen, wovon sie sprechen.“

Jetzt hofft Richter-Reichhelm, der in den vergangen Monaten die Ärzteschaft einte, wie es sogar Experten nicht hatten vorhersagen können, dass er selbst mit den Ergebnissen des MIX Politiker und Krankenkassenfunktionäre von der Notwendigkeit von Reformen überzeugen kann. Am 18. März wählt ein Kassenarztparlament namens Vertreterversammlung den neuen neunköpfigen Vorstand und somit auch den neuen Ersten Vorsitzenden der Medizinerorganisation. Richter-Reichhelm: „Wie auch immer die Wahl ausgeht, ich glaube, die Ärzteschaft hat nur eine Möglichkeit, sich erfolgreich für die Belange ihrer Patienten einsetzt: indem sie geschlossen auftritt.“

Quelle und Kontaktadresse:
Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) Herbert-Lewin-Str. 3 50931 Köln Telefon: 0221/40050 Telefax: 0221/408039

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