Pressemitteilung | Deutscher Schwerhörigenbund e.V. (DSB)

AOK-Studie über Hörgeräte sehr fragwürdig

(Essen) - In einer Presseinformation vom 8. März 2001 stellte das WIdO unter dem Titel „Untersuchung zur Hörgeräteversorgung“ Ergebnisse einer Befragung von Hörgeräteträgern vor und stellt „massive Preisunterschiede bei der Versorgung mit Hörgeräten“ fest.

Es wurden die verschiedenen Versorgungswege (traditionelle Versorgung durch den Hörgeräteakustiker nach Verordnung eines Hörgerätes durch den HNO-Arzt; direkte Versorgung durch den Versandhandel; direkte Online-Versorgung) sowie unterschiedliche Gerätetypen (analog bzw. digital) im Urteil der Hörgeräteträger im Hinblick auf Zufriedenheit sowie auf die Höhe der Zuzahlungen untersucht.

Das WIdO kommt nach Befragung von 400 Hörgeräteträgern, von denen je 200 auf dem traditionellen und auf dem verkürzten Weg versorgt wurden, im wesentlichen zu folgenden Ergebnissen:

- Die Zufriedenheit der Befragten ist bei der durch den HNO-Arzt vorgenommenen Direktversorgung über Versandhandel bzw. Online nicht schlechter als bei der traditionellen Versorgung durch den Hörgeräte-Akustiker.

- Bei der finanziellen Belastung (bezogen auf einohrige Versorgung) der Hörgerä-teträger (der AOK-Versicherten) ergeben sich erhebliche Unterschiede.

Bei der traditionellen Versorgung werden nur 15% ohne Zuzahlung versorgt. Für eine einohrige Versorgung zahlen aus eigener Tasche dazu:

- 50,8% bis zu 1000.- DM
- 17.1% zwischen 1000.- und 2000.-DM
- 11,9% zwischen 2000.- und 3000.- DM
- 6.0% über 3000.- DM

Im direkten Versorgungsweg werden über den Versandhandel 51,3%, bei der
Online-Versorgung sogar 81,1% der Hörgeräte ohne Zuzahlung abgegeben. Evtl.
Zuzahlungen liegen hier immer unter 1000.- DM

- Technisch unterschiedliche Geräte (mit analoger bzw. mit digitaler Technik ausgestattet) weisen in der subjektiven Beurteilung nur geringe Unterschiede auf.

Die logische Schlussfolgerung des WIdO lautet daher auch: Es gibt die Möglichkeit einer hochwertigen und zuzahlungsfreien Versorgung mit Hörgeräten. Die Versicherten müssen sich nur über die verschiedenen Versorgungsmöglichkeiten informieren und die Preise vergleichen.

Nach SGB V § 12 sind die Krankenkassen verpflichtet, Leistungen zu erstatten (hier Kosten für Hörgeräte), die „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ sind. Über das Notwendige hinausgehende Leistungen hat der Versicherte selbst zu bezahlen. Wenn für eine Leistung ein Festbetrag festgesetzt ist, erfüllt die Krankenkasse ihre Leistungspflicht mit dem Festbetrag. Für Hörgeräte gibt es drei Festbetragsgruppen je nach eingesetzter Technik (Gruppe 1 relativ einfache Geräte; Gruppe 3 Mehrkanalgeräte). Bei der Befragung ergab sich, dass über den Versandhandel fast ausschließlich (96,2%) Geräte der Festbetragsgruppe 3 abgegeben wurden.

Wenn die Aussage des WIdO die Allgemeingültigkeit hat, mit der sie auf S. 3 der Presseinformation zum Ausdruck gebracht wird, so ist es wirklich die eigene Schuld des Hörgeräteträgers, wenn er bis zu 7200,- DM (S. 17) für eine einohrige Hörgeräteversorgung aus eigener Tasche zahlt.

Aber sind die Aussagen des Wissenschaftlichen Instituts der AOK haltbar?
Die Studie lässt statistische Seriosität in hohem Maße vermissen.

400 Hörgeräteträger wurden befragt. Über deren Auswahlkriterien wird – abgesehen vom Versorgungsweg – nichts gesagt. Eine solche statistische Teilmenge kann nie zu repräsentativen Aussagen führen. Nun wird zwar nirgends in der Studie behauptet, dass sie repräsentativ sei; dann dürfen aber auch die Ergebnisse nicht verallgemeinert werden. (Zu weiteren kritischen Fragen vgl. die Anmerkungen.)

Insbesondere fehlt eine Aufteilung nach Hörverlust. Es liegt auf der Hand, dass es schwieriger und teurer ist, einen hochgradig Schwerhörigen, der nur noch Hörreste hat, so zu versorgen, so dass er nicht nur Geräusche hört, sondern Sprache versteht, als einen mittelgradig Schwerhörigen. Ein Sprachverstehen ist für einen hochgradig Schwerhörigen nur mit einem hochwertigen digital programmierbaren oder digitalen Gerät möglich.

Beim Versandhandel werden – lt. Studie – 96% Hörgeräte der Gruppe 3 abgegeben (S. 14). Andererseits gibt der Versandhandel 51,3% der Geräte ohne Zuzahlung ab (S. 15). Das bedeutet, dass auch in dieser Gruppe von Hörgeräteträgern nur jeder 2. zuzahlen muss, und zwar weniger als 1000.- DM (S. 15). Demgegenüber liegen für diese Problemgruppe beim traditionellen Versorgungsweg die Zuzahlungen im Extremfall bei 7000.- DM. Leider wird in der Studie auf Details nicht eingegangen. Es wäre interessant, Hörgeräteträger mit vergleichbarem Hörstatus auf unterschiedlichen Wegen zu versorgen und die Zufriedenheit zu prüfen.

Die für Hörgeräteträger außerordentlich wichtigen individuellen Leistungen der Hörgeräte-Akustiker werden nicht betrachtet. Zwar wird auf S. 27 dargestellt, dass beim Akustiker 65% der Betroffenen zwei und mehr Hörgeräte zum Vergleich angeboten werden; immerhin noch 20% werden ein zweites Modell vorgestellt. Eine analoge Information zum Versandhandel fehlt. Es ist davon auszugehen, dass beim Versandhandel eine vergleichende Anpassung nicht vorgenommen wird.

Ebenso fehlen Informationen über Nachstellen einmal ausgegebener Hörgeräte (gleitende Anpassung); für den Akustiker eine Selbstverständlichkeit. In den seltensten Fällen passt ein Hörgerät „auf Anhieb“. Ob sich ein HNO-Arzt im Praxisalltag für derartige Nacharbeiten die Zeit nimmt? Allerdings hat die Arbeit des Akustikers ihren Preis.

Besonders auffallend sind in der Studie die Entscheidungsgründe für das aktuelle Hörgerät. Während bei der traditionellen Versorgung (S. 11) an 1. Stelle (27,1% bei möglichen Mehrfachnennungen) der Hörgewinn steht, neben einer Reihe anderer Faktoren (Preis, Komfort etc.), ist es beim verkürzten Versorgungsweg (S. 12) mit 60,2% die Empfehlung des HNO-Arztes. Erst mit 9,5% ist Hörgewinn wichtig. Verständlich wird diese Sichtweise, wenn man bedenkt, dass das Durchschnittsalter der Befragten (nicht der Hörgeräte-Träger in Deutschland!) bei 71 Jahren liegt (S. 6). Im höheren Alter vertraut man eben dem Arzt, ohne selbst allzu viele Informationen einzuholen. Ob bei der Empfehlung des Arztes für den direkten Versorgungsweg sein eigenes finan-zielles Interesse eine Rolle spielt (250.- DM pro Hörgerät), lässt sich aus der Untersuchung nicht ersehen.

Die Studie erweckt den Eindruck, an den Interessen der AOK ausgerichtet zu sein zu Lasten der Interessen der Versicherten.

Kritische Anmerkungen zur Durchführung der Studie:

- Handelt es sich um eine bezüglich der drei Vertriebswege geschichtete Stichprobe? Nach welchen Kriterien wurde der Gesamtstichprobenumfang auf die drei Schichten verteilt? Erfolgte die Ziehung innerhalb der drei Schichten gemäß dem Prinzip der einfachen Zufallsstichprobe?

- Aus einer Gleichheit der mittleren Zufriedenheit in der Gruppe der „Zuzahler“ und der „Nichtzuzahler“ (S. 22) kann nicht auf die Unabhängigkeit der Merkmale „Zufriedenheit“ und „Zuzahlung“ geschlossen werden!

- Bei der Präsentation von Mittelwerten ist eine gleichzeitige Angabe der Streuung der Merkmalswerte um diese Mittelwerte zur Einschätzung ihrer Aussagefähigkeit dringend erforderlich.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher Schwerhörigenbund e.V. Bundesverband der Schwerhörigen und Ertaubten Breite Str. 3 13187 Berlin Telefon: 030/47541114 Telefax: 030/47541116

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