Pressemitteilung | Arbeitgeberverband Gesamtmetall e.V.

„Missratene Lohnforderung“ der IG Metall

(Köln) - Statement von Martin Kannegiesser, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, zur aktuellen Lohndiskussion.




Meine Damen und Herren,

am 10. Dezember hat der Vorstand der IG Metall seinen Vorschlag zur Struktur und zum Volumen der Lohnforderung für 2002 gemacht. Dieser Vorschlag soll im Januar in den Bezirken beraten werden und sich dann zu einer konkreten Forderung an die Arbeitgeber für den Abschluss neuer Tarifverträge verdichten.

Schon seit vier Wochen beherrscht dieses Thema einen Teil der Schlagzeilen und vermittelt unangemessene Aufgeregtheit, die unserer wirtschaftlichen Entwicklung nur schadet. Da wird uns von einer explosiven Stimmung in den Betrieben berichtet, ausgelöst durch nachlaufende Erwartungen, wer sie auch geschürt haben mag.

Die völlig missratene Lohnforderungsempfehlung wird außerdem noch begründet mit allgemeinem Missmut über die Regierungspolitik, mit dem Profilierungsstreben einzelner Funktionäre sowie den anstehenden Betriebsratswahlen.

Wenn die Kriterien der Tarifpolitik so aussehen, wenn in der Tat diese Dinge uns leiten sollten, dann werden wir wie ein Elefant im Porzellan-Laden eine Menge von dem zertrampeln, was wir an Vertrauen in die Tarifpolitik in den letzten Jahren mühsam aufgebaut haben.

Solche Fieberstimmung in Teilen der IG Metall lässt sich möglicherweise damit erklären, dass man dort noch nicht verkraftet hat, dass der Temperatursturz unserer Konjunktur zwischen Frühjahr und Herbst dieses Jahres die Tarifspielräume 2002 objektiv verengt hat.

Genau diesem Temperatursturz müssen sich unsere Betriebe momentan stellen. Sie verheimlichen es den Belegschaften nicht, dass Auftragsmangel, Unterauslastung und Verluste im kommenden Jahr drohen.

Die deutsche Metall- und Elektro-Industrie ist mittelfristig gut aufgestellt und kann sicher sein, dass irgendwann wieder der Aufschwung kommt. Diesen Aufschwung gibt es jedoch nicht sozusagen als Himmelsgeschenk und zweitens steht die bange Frage im Raum, welche Verluste an betrieblicher Substanz an Arbeitsplätzen und an finanzieller Solidität wir während der Durststrecke zu beklagen haben.

Zunächst zur aktuellen Situation: Der Auftragseingang der M+E-Industrie liegt im Oktober um 8 ½ Prozent unter dem Stand des Vorjahres, im Inlandsgeschäft beträgt das Minus 6 Prozent, im Auslandsgeschäft sind es sogar 11 Prozent.

Wir haben eine starke Spaltung der Konjunktur sie spielt sich durchweg im Negativ-Bereich ab - zwischen minus 3 Prozent im Fahrzeugbau und minus 32 Prozent im Bereich der Rundfunk-, Fernseh- und Nachrichtentechnik.

Die Produktion der M+E-Industrie war im Oktober 3 Prozent niedriger als im Vorjahr, die Produktivität bezogen auf die Arbeitsstunde lag im 3. Quartal um 0,4 Prozent unter Vorjahr.

Unser Ziel muss in dieser Situation sein, so viel wie möglich an Unsicherheit abzubauen. Als Quellen der Unsicherheit drohen unseren Betrieben aus dem Ruder laufende Personalkosten, Drohungen mit Streiks im nächsten Frühjahr, das Schüren von betrieblichem Unfrieden und unrealistische Lohnsteigerungen - die so dringend benötigten mutigen Entscheidungen der Betriebe werden behindert und belastet.

Wem es ernst ist mit den Beschäftigungssicherung und wer nicht etwas ganz anderes im Schilde führt, der muss jetzt für Planungssicherheit sorgen und allem voran Augenmaß walten lassen.

Wir haben uns beim vergangenen Tarifabschluss für die Jahre 2000 und 2001 gemeinsam mit der Gewerkschaft für die Orientierung am gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt entschieden. Dabei wollen wir auch 2002 bleiben, obwohl wir gegenwärtig am Rande einer Rezession stehen oder vielleicht sogar schon mittendrin.

Niemand von uns weiß heute genau, wann der Aufschwung kommt, ob schon Mitte 2002 oder erst später. Wer zum gegenwärtigen Zeitpunkt über Wirtschaftsdaten für 2002 streitet, der tauscht nur Glaubensbekenntnisse aus.

Deshalb werde ich mich mit den Zahlen der IG Metall nicht dezidiert auseinandersetzen. Denn wir stochern alle im prognostischen Nebel, die Institute, Sachverständigen, die Gewerkschaften.

Deshalb schlage ich vor, dass wir Anfang März, wenn es dann so richtig um die Wurst geht, gemeinsam mit der IG Metall daran gehen, die Konjunktur zeitnah zu analysieren – bis dahin müsste die Sicht klarer geworden sein.

Ich gehe davon aus, dass wir uns dann auf eine gemeinsame Einschätzung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität verständigen – und damit wäre aus unserer Sicht der tarifpolitische Verteilungsspielraum festgelegt. Die gesamtwirtschaftliche Produktivität bildet die richtige und zugleich die einzige Orientierungsmarke für unsere Tarifpolitik, wenn uns wirklich am Herzen liegt, Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern.

Die IG Metall fordert über das Produktivitäts-Plus hinaus auch einen Ausgleich für Preissteigerungen – auf den ersten Blick erscheint das fair im Sinne einer verteilungsneutralen Tarifpolitik. Die Frage ist nur: Dürfen wir in dieser wirtschaftlichen Situation und bei diesen Arbeitsmarktperspektiven eine verteilungsneutrale Tarifpolitik wollen?

Verteilungsneutralität bedeutet im Klartext, dass im Gerüst der Volkswirtschaft alles weiter so bleiben kann, wie es ist, dass Löhne und Gewinne im Lot sind, dass Konsum und Investition zueinander passen. Und vor allem unterstellen wir dabei auch, dass Angebot und Nachfrage nach Arbeitsplätzen sich im Zustand des Gleichgewichts befinden. Von allen diesen Dingen kann leider keine Rede sein.

Mit der Einrechnung der Preise in den Tarifspielraum würden wir ohne Not den sicheren Boden der tarifpolitischen Kostenneutralität verlassen. Wir bekämen in jedem Fall steigende Lohnstückkosten – und dies bei der allergrößten Ungewissheit darüber, ob wir 2002 überhaupt irgendeine Kostensteigerung in den Marktpreisen unterbringen können.

Die Einrechnung der Verbraucherpreise wäre aber auch aus anderen Gründen riskant. Wir haben gerade ein Jahr hinter uns mit den verrücktesten Preis-Kapriolen, die man sich überhaupt denken kann. Der Preisanstieg ist auf 1,7 Prozent geschrumpft, nicht zuletzt dank der überaus stabilen Preise für die Waren aus der M+E-Industrie. Aber die Auswirkungen der höheren Öko-Steuer, der explodierten Ölpreise in Rotterdam, den Folgen von Rinderwahn und Klauenseuche – das alles ist in der Teuerungsrate 2002 enthalten. Wir sehen keinen sachlichen Grund, warum die deutschen M+E-Industrie für diese und ähnliche Dinge gerade stehen sollte, indem sie akzeptiert, dass diese Teuerungsrate in den Verteilungsspielraum eingerechnet wird.

Schon bei der Orientierung nur an der Produktivität tun sich viele unserer Unternehmen sehr schwer – was hilft schon selbst ein kostenneutraler Abschluss, wenn man sich als Zulieferer mit den Preisen sowohl kurz- als auch mittelfristig nach unten orientieren muss.

Nicht ohne Grund haben wir im Bündnis für Arbeit durch drei Unterschriften besiegelt, dass wir die gesamtwirtschaftliche Produktivität aus zwingenden wirtschaftlichen Gründen als einzige tarifpolitische Leitgröße akzeptieren.

Das ist gerade einmal 23 Monate her. Damals war die wirtschaftliche Situation gut und die Zeichen standen überall auf noch besser. Warum sollten wir ausgerechnet jetzt, angesichts einer rezessiven Entwicklung und vor ungewissen Zukunftsaussichten, den Tarifspielraum größer rechnen, als wir es im Frühjahr 2000 getan haben? Warum sollten wir eine Strategie aufgeben, deren Vorzüge gerade in der M+E-Industrie in Gestalt von über 100.000 neuen Jobs weithin sichtbar geworden sind?

Ein tarifpolitischer Paradigmenwechsel wäre nach unserer Meinung eine Riesendummheit, aber auch ein Keulenschlag gegen unsere Firmen. Sie haben in ihrer überwältigenden Mehrheit bis zuletzt Beschäftigung durchgehalten, sie haben mit allen verfügbaren Mitteln Krisenmanagement ohne Entlassungen betrieben.

Wenn wir uns aus guten Gründen auf den gesamtwirtschaftlichen Produktivitätszuwachs festlegen, dann sollte unsere Position nicht schwanken, auch wenn der Wind einmal stärker bläst. In diesem Sinne halten wir eine Nullrunde, die von einigen unserer Freunde gefordert wird, für ökonomisch einigermaßen fragwürdig, für politisch wenig überzeugend und zudem praktisch nicht machbar.

Über die Produktivität und die Preise hinaus wird uns auch noch eine Umverteilungskomponente präsentiert, die den Tarifspielraum noch weiter ausdehnt.

In der konkreten Situation des Jahres 2002 sind Umverteilungsabsichten jeder Art unverständlich. Die Netto-Renditen der M+E-Industrie sind 2001 um ein Viertel auf 2,1 Prozent geschrumpft – und niemand rechnet 2002 mit besseren Werten. Mit ein Grund für diesen Gewinnverfall ist, dass wir trotz aller konjunkturellen Turbulenzen viele Arbeitsplätze durchgehalten haben und dabei vielfach auch auf mögliche Lohnkosten-Einsparungen verzichtet haben.

Die Lohn- und Gehaltssumme unserer Branche ist 2001 um ca. 4 Prozent gestiegen, etwa je zur Hälfte bedingt durch Einstellungen und durch Lohn- und Gehaltserhöhungen. Diese 4 Prozent mehr an Lohn und Gehalt bedeuten zusätzliche Kaufkraft in Milliarden-Höhe, sie stehen für die Art der Kaufkraft-Schaffung, wie wir sie für richtig und erstrebenswert halten.

Dahinter stehen eine Lohnerhöhung mit Augenmaß und deren erfreulicher Beschäftigungseffekt – das ist eine sichere Plattform für mehr Konsum. Zu dieser soliden Form der Kaufkraftförderung sind wir immer wieder bereit, im Jahr 2002 und in der Zeit danach.

Eine ganz andere Art der Kaufkraftförderung, die in massiven Lohnerhöhungen besteht, erinnert uns dagegen verdächtig an Baron Münchhausens Methode, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Wir in der M+E-Industrie wären geradezu töricht, auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Zwei Drittel unserer Arbeitsplätze sind nach einer brandneuen DIW-Studie mittelbar oder unmittelbar vom Export abhängig. Mit einem großen Schluck aus der Lohnpulle, der unsere Wettbewerbposition schwächt, würden wir also 2,4 Millionen Arbeitsplätze ohne jedes Wenn und Aber gefährden.

Wir müssen 400 DM Kostenerhöhung hinnehmen, um 100 DM zusätzliche Nachfrage nach deutschen Konsumgütern zu erzeugen. Denn von unserer kräftigen Lohnerhöhung landet eine Menge zunächst beim Finanzamt, noch mehr fließt direkt in die Sozialkassen, neuerdings wandert sehr viel auf Sparkonten und vom verbleibenden Rest wird etliches für ausländische Waren und Dienste ausgegeben – oder an der Tankstellen in Ökosteuer umgesetzt. Jeder vernünftige Mensch wird einsehen, dass eine solche Rechnung nicht aufgehen kann.

Die IG Metall will in dieser Tarifrunde auch noch den materiellen Einstieg in den gemeinsamen Entgeltrahmentarifvertrag für Arbeiter und Angestellte, genannt ERA. Wir halten diese Reform des Flächentarifvertrags für grundsätzlich richtig und wollen das Thema konstruktiv angehen, das weiß die IG Metall aus den Regionalverhandlungen. Die prinzipielle Zustimmung bedeutet aber nicht, dass wir mit diesem überaus komplexen Thema die ohnehin schon schwierige Tarifrunde 2002 noch um Größenordnungen verkomplizieren dürfen. Wir müssen ein ganz praktisches Problem beachten – nämlich die unterschiedlichen Verhandlungsstände in den einzelnen Regionen.

Sie werden es uns im Frühjahr 2002 nicht erlauben, ERA als Komplettlösung zu verabschieden, woran wir festhalten wollen, um die tarifliche Kostenneutralität des neuen System nachprüfbar dokumentieren zu können.

Ich fasse meine Kritik an der Forderung zusammen: Sie ist nach meiner Überzeugung viel zu hoch geraten und für uns absolut unakzeptabel. Ich wiederhole, was ich am anderer Stelle auch schon gesagt habe: Mit einem Porsche-Tarif für alle fliegen wir ganz bestimmt aus der Kurve.

Wir machen der IG Metall deshalb vier Vorschläge:

Wir sollten uns erstens darauf einigen, dass wir einen Tarifabschluss anstreben, der unseren Firmen und unseren Mitarbeitern zwei Jahre Planungssicherheit bietet.

Wir sollten uns zweitens darauf einigen, dass die gesamtwirtschaftliche Produktivität nach wie vor unsere Richtmarke ist und bleiben muss, damit wir die Krise gemeinsam meistern können.

Wir sollten uns drittens darauf einigen, nach einer gewissen Zeit gemeinsam zu überprüfen ob unsere wirtschaftlichen Annahmen richtig waren und wir gegebenenfalls nachkorrigieren müssten.

Wir sollten uns viertens darauf einigen, dass wir endlich in ein Tarif-System einsteigen, das einen Teil der Einkommensentwicklung an die wirtschaftliche Lage der Betriebe koppelt und damit zwischen den Betrieben differenziert.

Wir streben diese Differenzierung seit Jahren an, weil sich die Firmenkonjunkturen innerhalb der M+E-Industrie immer stärker auseinander entwickeln. Dieser Prozess der Differenzierung macht sich in schwierigen Konjunkturphasen erfahrungsgemäß besonders stark bemerkbar – die Erwartungen unserer Unternehmen für 2002 sind zur Zeit jedenfalls ausgesprochen diffus.

Insofern ist es eine Frage der tarifpolitischen Intelligenz, aber auch eine Frage der Beschäftigungssicherung, wie wir die auseinander laufenden Firmenkonjunkturen bei unserem Tarifabschluss 2002 berücksichtigen – wir sind zu Innovationen bereit.

Quelle und Kontaktadresse:
Gesamtverband der metallindustriellen Arbeitgeberverbände e.V. (Gesamtmetall) Volksgartenstr. 54 a 50677 Köln Telefon: 0221/33990 Telefax: 0221/3399233

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