Pressemitteilung | Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) - Hauptgeschäftsstelle

Muss jeder fünfte Zug im Nahverkehr gestrichen werden ? / VDV fordert: Paket muss nachverhandelt werden

(Köln/Berlin) - “Den Fahrgästen des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in Deutschland droht: Künftig werden rund 20 Prozent weniger Züge fahren“, erklärte Prof. Dr.-Ing. Adolf Müller-Hellmann, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Im Entwurf eines am 22. Februar von der Bundesregierung beschlossenen Haushaltsbegleitgesetzes 2006 sei geplant, die vom Bund den Ländern für den ÖPNV nach dem Regionalisierungsgesetz zu zahlenden Mittel im Jahr 2006 um 106 Millionen Euro, im Jahr 2007 um 556 Millionen, im Jahr 2008 um 765 Millionen Euro und im Jahr 2009 um 876 Millionen Euro zu kürzen. Dies bedeute insgesamt 2,303 Milliarden Euro zweckgebundene Mittel weniger für den ÖPNV in dieser Legislaturperiode, erläuterte Müller-Hellmann. Im Schnitt würden so in den Jahren 2007 bis 2009 die Mittel um zehn Prozent reduziert, die den Ländern vor allem für die Bestellung von Eisenbahnnahverkehrsleistungen zur Verfügung gestellt würden.

„Zehn Prozent weniger Mittel haben aber Angebotskürzungen von bis zu 20 Prozent zur Folge“, erläuterte Müller-Hellmann. Erste Rechnungen hätten ergeben, dass wegen des hohen Fixkostenanteils das Angebot für die Kunden überproportional reduziert werden müsse. So blieben, wenn die Leistungen zurückgefahren würden, insbesondere die Kosten für die Infrastruktur, die gerade im Schienenverkehr eine große Rolle spielen, erhalten. Eine Kürzung bei den leicht anzupassenden Kostenkomponenten wie etwa beim Servicepersonal in den Zügen und den Ansprechpartnern vor Ort würde wiederum der Qualität des Angebotes für die Fahrgäste schaden.

Klar sei auch, so der VDV-Hauptgeschäftsführer, dass Investitionen auf die lange Bank geschoben oder ausfallen müssten. Gutachterlicher Untersuchungen hätten ergeben, dass heute schon ein enormer Investitions- und Grunderneuerungsbedarf im ÖPNV bestehe.

Eine Reduzierung der Mittel würden, betonte Müller-Hellmann, auch die Kunden bei den Fahrpreisen merken. Bereits in den letzten Jahren seien die Ausgleichszahlungen für rabattierte Ausbildungsverkehre um 120 Millionen Euro pro Jahr und die Ausgleichszahlungen für die unentgeltliche Beförderung schwerbehinderter Menschen um 90 Millionen Euro pro Jahr gekürzt worden. Nach Berechnungen des Verbandes seien jährliche Preissteigerungen von sechs Prozent erforderlich, um allein dies auszugleichen. Wenn jetzt die Kürzungen bei den Regionalisierungsmitteln hinzu kämen, seien Fahrpreis-Anhebungen im zweistelligen Prozentbereich notwendig. Dies mache den ÖPNV weniger attraktiv. Abwanderung von Fahrgästen wäre die Folge. Die Erfolge der Verkehrsunternehmen bei der Werbung neuer Kunden würden auf diese Weise verspielt. „Im Jahr 2005 ist die Zahl der Fahrgäste erneut um 1,5 Prozent auf inzwischen 9,37 Milliarden gestiegen“, so Müller-Hellmann.

Eine solche Entwicklung würde auch erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben, betonte Müller-Hellmann. Bereits ein Prozent weniger Fahrten im ÖPNV würden etwa 400 Millionen Fahrzeugkilometer mehr im ohnehin hoch belasteten Straßennetz bedeuten, was die Umweltbilanz des Verkehrs erheblich verschlechtern würde.

Von den Bürgerinnen und Bürgern werde immer mehr Flexibilität erwartet, etwa indem sie längere Anfahrten zum Arbeitsplatz in Kauf nehmen müssten. Busse und Bahnen trügen dazu bei, diese Flexibilität zu ermöglichen. Arbeitgeber würden von der guten Erreichbarkeit ihrer Arbeitsstätten mit öffentlichen Verkehrsmitteln profitieren. Dass der ÖPNV ein nicht zu unterschätzender Standortfaktor sei, hebe eine Untersuchung im Auftrag des VDV ergeben: Guter ÖPNV wurde sogar höher bewertet als die Nähe zu einem Verkehrsflughafen. Es mache gerade finanzpolitisch überhaupt keinen Sinn, betonte Müller-Hellmann, an der für eine moderne, arbeitsteilige Gesellschaft unerlässlichen Mobilität zu sparen.

Hinzu komme, dass die zu befürchtenden Angebotskürzungen im personalintensiven Nahverkehr auch einen Rückgang der Arbeitsplätze in der Branche zur Folge hätte. „Ersten Schätzungen zufolge werden mindestens 10.000 Stellen verloren gehen“, unterstrich Müller-Hellmann.

Dies alles zeige, dass eine Kürzung der Regionalisierungsmittel nach dem Rasenmäherprinzip kontraproduktiv sei. Die Erfolgsgeschichte von Bahnreform und Regionalisierung seit 1994 mit 27 Prozent mehr Verkehrsleistung und 35 Prozent mehr Fahrgästen bei einem Anstieg der Finanzmittel um weniger als 15 Prozent würde damit grundsätzlich in Frage gestellt. Kürzungen in diesem Umfang würden zu irreparablen Schäden führen, betonte Müller-Hellmann. Der VDV fordere, dass das Haushaltsbegleitgesetz in diesem Punkt dringend nachverhandelt werden müsse. Jetzt komme es darauf an, dass Bund und Länder bei der jetzt anstehenden Vereinbarung über die Höhe der für den ÖPNV zur Verfügung stehenden Mittel letztlich eine Antwort auf die Frage geben, welche Qualität des ÖPNV sie für erforderlich halten und wie sie diese Qualität dauerhaft finanzieren wollen.

Quelle und Kontaktadresse:
Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) Pressestelle Kamekestr. 37-39, 50672 Köln Telefon: (0221) 57979-0, Telefax: (0221) 514272

(tr)

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