Pressemitteilung | Reporter ohne Grenzen e.V. (RSF)

Serbien: Der Staat schafft keine Gerechtigkeit

(Berlin) - Das Berufungsgericht in Belgrad hat die erstinstanzliche Verurteilung der Personen aufgehoben, die angeklagt waren, im Jahr 2018 das Haus von Milan Jovanovic in Brand gesetzt zu haben. Reporter ohne Grenzen (RSF) fordert die serbischen Behörden auf, das neue Verfahren mit der gebotenen Dringlichkeit anzugehen und den Polizeischutz für den Investigativjournalisten zu erneuern.

"Nachdem Milan Jovanovic Ziel eines feigen Angriffs geworden ist, leidet er nun ein zweites Mal, nämlich unter der Unfähigkeit des Staates, für Gerechtigkeit zu sorgen", sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. "Weil sich das Strafverfahren so in die Länge zieht und die Entschädigungszahlungen an Jovanovic herauszögert, fordern wir die Regierung auf, ihn finanziell zu unterstützen."

Angeklagt und in erster Instanz verurteilt sind der mutmaßliche Anstifter und die beiden Täter des Molotowcocktail-Anschlags auf das Haus von Milan Jovanovic im Dezember 2018. Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist jedoch eine Wiederaufnahme des Prozesses aus verfahrenstechnischen Gründen notwendig - die erste Instanz habe ihr Urteil nicht angemessen begründet. Das Berufungsgericht verkündete diese Entscheidung an Heiligabend (24.12.) nach Ende der üblichen Arbeitszeit. Getroffen wurde sie laut Veran Matic, dem Leiter eines Beratungsgremiums für die Sicherheit von Medienschaffenden, allerdings bereits im November.

Der serbische Präsident Aleksandar Vucic hatte persönlich versprochen, dass der Anschlag vor Gericht verhandelt werden würde. Die Staatsanwaltschaft ist der Ansicht, dass die Tat von Dragoljub Simonovic angeordnet wurde, dem ehemaligen Bürgermeister eines Belgrader Vororts und hochrangigen Funktionär der SNS-Partei von Präsident Vucic. Milan Jovanovic hatte über das finanzielle Management während Simonovic' Amtszeit berichtet.

Die fragwürdigen Methoden der Behörden ließen allerdings Zweifel an ihrer Absicht aufkommen, die Verantwortlichen tatsächlich zu bestrafen. Zunächst zogen sie den mit der Strafverfolgung beauftragten Staatsanwalt im April 2021 gegen seinen und Jovanovics Willen von dem Fall ab. Im August entzogen sie dem Journalisten den Polizeischutz. Für beide Entscheidungen bleiben die Behörden Erklärungen schuldig.Weil es noch kein endgültiges Urteil gibt, erhält Jovanovic vorerst keine Entschädigung, mit deren Hilfe er sein zerstörtes Haus wieder aufbauen könnte. Inzwischen ist der Herausgeber der lokalen Nachrichtenseite Zig Info über 70, muss aber noch immer um eine angemessene Unterkunft kämpfen und ist weiterhin Ziel von Einschüchterungsversuchen.

"Aufgeschobene Gerechtigkeit ist aufgehobene Gerechtigkeit", sagte RSF-Geschäftsführer Mihr bei einem Treffen mit Jovanovic Anfang November in Belgrad. "Die Täter müssen verurteilt werden, damit die Straflosigkeit für solche Angriffe kritische Journalistinnen und Reporter nicht davon abbringt, ihre wichtige Arbeit zu machen."

Nach dem Brandanschlag zogen Milan Jovanovic und seine Frau in eine von den Behörden bereitgestellte Ausweichunterkunft. In diese wurde eingebrochen, die Tat wurde bislang nicht aufgeklärt. Während des Prozesses nahmen ihn die Anwälte des mutmaßlichen Auftraggebers Simonovic in ein demütigendes Kreuzverhör. Simonovic selbst fühlte sich so sicher, dass er den Staatsanwalt bedrohte und behauptete, er würde entlassen werden.

Serbien ist Beitrittskandidat zur Europäischen Union. Reporter ohne Grenzen wird die Institutionen der EU auf die Unfähigkeit des serbischen Staates aufmerksam machen, die Pressefreiheit im Fall Milan Jovanovic zu verteidigen - einem Fall, der sinnbildlich für die Straflosigkeit von Gewaltverbrechen gegen Medienschaffende auf dem westlichen Balkan steht.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit belegt Serbien Platz 93 von 180 Staaten.

Quelle und Kontaktadresse:
Reporter ohne Grenzen e.V. (RSF) Jennifer Braunschweig, Pressereferentin Friedrichstr. 231, 10969 Berlin Telefon: (030) 609 895 33 - 0, Fax: (030) 202 15 10 - 29

(sf)

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