Pressemitteilung | Bundesverband deutscher Banken e.V. (BdB)

Standpunkt: Wie arm ist Deutschland?

(Berlin) - Seit fast zwanzig Jahren haben Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände einen nationalen Armutsbericht gefordert. Diese Forderung verhallte lange ungehört und wurde erst von der rot-grünen Regierung in Angriff genommen. Ende April 2001 wurde nun der erste Armuts- und Reichtumsbericht für Deutschland vorgelegt. Seine Ergebnisse wurden von denen, die ihn über viele Jahre gefordert hatten in der Öffentlichkeit als Beleg ihrer Vermutung gewertet, dass in Deutschland die Armut kontinuierlich zunehme. Sogleich wurde die Forderung nach einer Ausweitung sozialpolitischer Maßnahmen erhoben.

Der Bericht kann allerdings seinem Anspruch aus zwei Gründen nicht gerecht werden. Trotz der Vielzahl an statistischen Daten, die in einem umfangreichen Materialband dokumentiert sind, reicht das Material nicht aus, um zu qualifizierten Aussagen über Ursachen und Umfang von Armut in Deutschland zu gelangen, weil die entscheidenden Daten fehlen, die die Entwicklung einkommensschwacher Haushalte im Zeitablauf dokumentieren.

Fast unmöglich ist es gar, verlässliche Aussagen über die nichtmonetären Faktoren, wie Zugang zu Bildung und Wohnsituation zu machen.

Der zweite und eigentliche Grund, warum der Versuch eines Armutsberichts scheitern muss, ist der Umgang mit der Frage: "Wer ist in Deutschland eigentlich arm?" Der Brockhaus definiert Armut als eine Lebenslage, in der es Einzelnen oder ganzen Bevölkerungsgruppen nicht möglich ist, sich ihren Lebensbedarf (Existenzminimum) aus eigenen Kräften zu beschaffen. Die Bestimmung des Existenzminimums ist eine normative Aufgabe.

In der Armutsdiskussionen, die in den Industrieländern geführt werden, wird dieses Problem in der Regel nicht durch die Festlegung eines festen Schwellenwertes gelöst, sondern durch ein Maß für relative Armut, d.h. es wird ein Schwellenwert in Relation zum Durchschnitt der nationalen Einkommensverteilung definiert. Letztlich mussten jedoch die Gutachter vor den Schwierigkeiten, diese Schwelle zu definieren, kapitulieren.

Im Armutsbericht werden folglich gleich vier Schwellenwerte definiert, mit dem Ergebnis, dass in Deutschland zwischen 5,7% und 19,6% der Haushalte als "arm" eingestuft werden können.

Der relative Armutsbegriff verhindert zudem, dass sich an diesem Zustand jemals Wesentliches ändern könnte. Denn solange Einkommen ungleich verteilt sind, kann nach dieser Definition Armut selbst dann nicht beseitigt werden, wenn sich das Einkommensniveau verdoppelt. Die Armut bleibt erhalten, allerdings sind die Armen dann auf einem höheren Niveau ärmer. Dies verdeutlicht nachdrücklich, dass mit Hilfe des relativen Armutsbegriffs allenfalls Aussagen über den Abstand zwischen den oberen und unteren Einkommensgruppen getroffen werden können, also über die Einkommensungleichheit in Deutschland. Diese ist aber nicht mit Armut gleichzusetzen.

Am stärksten fand in der Öffentlichkeit die Aussage des Armutsberichts Beachtung, dass die Einkommensungleichheit in Deutschland seit den frühen siebziger Jahren zugenommen habe. Gleichzeitig wurde jedoch verdrängt, dass diese Zunahme überwiegend zu Beginn des Untersuchungszeitraums in den siebziger Jahren stattgefunden hat, einer Periode, in der es unter der sozial-liberalen Koalition zu einer Ausweitung der Umverteilungspolitik kam.

Bei der Suche nach den Ursachen für die gewachsene Einkommensungleichheit kommt der Bericht jedoch zu einer eindeutigen Aussage.

Arbeitslosigkeit ist bei weitem die wichtigste Ursache für Einkommensarmut. Dies ist unmittelbar einsichtig, stieg doch die Arbeitslosenquote in Deutschland von 1973 bis 1998 von 1,5% auf 10,5%. Allerdings ist im gleichen Zeitraum der Anteil der Haushalte mit niedrigem Einkommen wesentlich geringer, nämlich nur um 3 bis 4 Prozentpunkte gestiegen. Dies lag wohl vor allem daran, dass auch die Bezieher niedriger Einkommen erhebliche Einkommenszuwächse verbuchen konnten.

So sind die unteren 10% der Nettoeinkommen seit 1973 mit 20% fast gleichstark wie der Durchschnitt aller Einkommen mit 20,5% gestiegen. Gemäß der Definition sind diese Einkommensbezieher jedoch arm geblieben. Ganz offensichtlich haben Einkommenstransfers und steuerliche Verbesserungen für Familien in den unteren Einkommensgruppen zu dieser Entwicklung beigetragen.

Es wäre jedoch voreilig, dies als einen Erfolg der Sozialpolitik in Deutschland zu erachten. Eine Gesamtbeurteilung der Sozialpolitik bei der Bekämpfung der Einkommensungleichheit, setzt nämlich auch voraus, dass eine Aussage zu möglichen Reibungsverlusten der Umverteilungspolitik gemacht werden kann. Aber bislang existieren keine Daten, mit deren Hilfe analysiert werden könnte, wie viel gerade im mittleren Einkommensbereich lediglich von "der linken Tasche in die rechte Tasche" umverteilt wird.

Des Weiteren finden sich in dem Bericht keine Angaben darüber, in welchem Umfang Wachstums- und Beschäftigungschancen in den vergangenen Jahrzehnten durch eine zu hohe Steuer- und Abgabenlast vernichtet worden sind. Wachstumspolitik und nicht Sozialpolitik ist nach wie vor das beste Mittel zur Bekämpfung der Armut, zumindest solange, wie Arbeitslosigkeit als ihre Hauptursache gelten kann.

Allerdings lässt sich in Deutschland der Eindruck nicht vermeiden, dass es den meisten Armutsbekämpfern vor allem darum geht, den Reichen etwas wegzunehmen, und nicht darum, dass die Armen mehr bekommen. F.A. v. Hayek hat die Folgen einer so gearteten Politik in einem Interview in der Neuen Zürcher Zeitung 1981 wie folgt skizziert: "Wenn man erst mal damit anfängt, die zehn Prozent der Bevölkerung mit dem jeweils niedrigsten Einkommen 'die Armen' zu nennen, dann wird es immer Arme geben, weil einige immer diese zehn Prozent sein müssen. Jede Handlungsweise der Regierung aber, die sich dauerhaft als direktes Ziel die Wohlfahrt der Armen vornimmt, muss letztlich zur Zerstörung des Marktes führen und damit zur Zerstörung des Wachstums des Gesamteinkommens, von welchem die Hoffnungen der Armen wirklich abhängen." F.A. v. Hayek hat damit auf einen wichtigen Punkt hingewiesen. Nämlich die Tatsache, dass ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung, insbesondere aber die Chance auf höhere Einkommen in der Zukunft eine wichtige Triebfeder der auf Wettbewerb ausgerichteten Marktwirtschaft ist. Die Spreizung der Einkommen ist demnach eine wichtige Vorbedingung für das Wirtschaftswachstum in marktwirtschaftlichen Systemen.

Eine Wirtschaftspolitik die durch niedrige Ansprüche des Staates an das Sozialprodukt und die Schaffung flexibler Güter- und Faktormärkte ( insbesondere eines flexiblen Arbeitsmarktes) Raum für unternehmerische Betätigung und damit Beschäftigungs- und Wirtschaftswachstum schafft, ist unter diesen Umständen die beste Form der Sozialpolitik. Sie wird aber nicht verhindern können, dass es immer 10% Haushalte gibt die - relativ gesehen - die Ärmsten sind.

Falsch wäre es auch die Armutsdiskussion in statischer Betrachtungsweise zu führen. Einkommen verändern sich mit der Größe des Haushaltes und dem Alter der Erwerbstätigen. Die relative Einkommenshöhe ist deshalb auch eine demographisches Phänomen. Junge Erwerbstätige und Rentner finden sich, das weist der Bericht auch aus, relativ häufiger in den unteren Einkommensgruppen. Entscheidend ist deshalb die Frage der Einkommensmobilität. Der Armutsbericht liefert auch hier einige Fakten, die die Bedeutung einer erfolgreichen Beschäftigungs- und Wachstumspolitik unterstreichen. So ist im Bereich der Niedrigeinkommen, die Wahrscheinlichkeit durch einen Einkommensanstieg diesen Bereich zu verlassen, deutlich höher, als die Wahrscheinlichkeit einen Einkommensverlust zu erzielen. Der größte Motor zum Verlassen des Niedrigeinkommensbereichs ist dabei die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit.

Wie die Einkommen, so sind auch die Privatvermögensbestände, die Vermögenseinkommen und die Vermögensbildung ungleichmäßig verteilt. So verfügten 1998 in Westdeutschland die vermögendsten 10% der Haushalte über 42% des Privatvermögens, während den unteren 50% nur 4,5% gehörten. Seit Beginn der sechziger Jahre ist die Vermögensverteilung in Deutschland aber gleichmäßiger geworden. Dies ist in erster Linie auf den im Zeitablauf erheblich gewachsenen Immobilienbesitz der privaten Haushalte zurückzuführen.

Wirtschaftspolitische Maßnahmen, die auf eine weitere Verringerung der Vermögensungleichheit zielen, sollten auf die Quellen der Vermögensbildung gerichtet sein, Neben Wertzuwächsen und Erbschaften ist dies in erster Linie das Sparen. Die Wirtschaftspolitik kann sowohl die Sparneigung als auch die Sparfähigkeit beeinflussen. Letzteres vor allem durch Maßnahmen, die die realen Nettoeinkommen erhöhen, ersteres durch die Stärkung der Sparanreize. Die Entscheidung die gesetzliche Altersvorsorge durch eine kapitalgedeckte private Altersvorsorge zu ergänzen, wird in diese Richtung wirken und in Zukunft auch zu einer Verringerung der Vermögensungleichheit beitragen.

Quelle und Kontaktadresse:
Bundesverband deutscher Banken e.V. (BdB) Burgstr. 28 10178 Berlin Telefon: 030/16630 Telefax: 030/16631399

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