Pressemitteilung | BÄK Bundesärztekammer (Arbeitsgemeinschaft der deutschen Ärztekammern) e.V.

Verstaatlichung des Gesundheitswesens?

(Köln) - Statement des Präsidenten der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages, Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, zum gemeinsamen Auftritt von Bündnis Gesundheit 2000 und Deutscher Krankenhausgesellschaft vor der Bundespressekonferenz am 7. November 2002.



Sehr geehrte Damen und Herren,

nach der Wahl kann man wohl endlich das sagen, was vor der Wahl als Polemik gegolten hätte: das deutsche Gesundheitswesen ist in Lebensgefahr. Das ist keine neue Erkenntnis. Die Situation, in der wir uns jetzt befinden, war schon vor den Wahlen absehbar. Wir haben deshalb als Bündnis Gesundheit 2000 noch zwei Wochen vor der Bundestagswahl an die verantwortlichen Politiker appelliert, in ihrem Aktionismus inne zu halten und zu überlegen, was wirklich wichtig für eine gute Versorgung ist und wie dies solidarisch finanziert werden kann. Die Regierung hat unsere Warnungen ignoriert und setzt nun mit ihren Sparplänen bewusst auf Konfrontation. Aber es soll nicht nur kaputtgespart werden, auf der Tagesordnung dieser Regierung steht auch die Verstaatlichung des Gesundheitswesens. Ich habe das Gefühl, wir sollen fertig gemacht werden!

Das Spardiktat soll den einen Luft verschaffen, indem die anderen in den Würgegriff genommen werden. Dabei ist sicher, dass der so genannte Kostenstopp unweigerlich einen Leistungsstopp nach sich ziehen wird. Gerade das leugnet Ministerin Schmidt, doch wir haben dafür zahlreiche Beispiele aufgezeigt. Trotzdem wurden unsere Einwände als "Gejammere" und "Lobby-Geschrei" abgetan. Aber weiß der Kanzler wirklich, wovon er redet, wenn er auf diese Art und Weise Millionen Beschäftigte im Gesundheitswesen zutiefst verletzt und demotiviert?

Ärzte und Pflegekräfte arbeiten bereits jetzt bis zu 30 Stunden und mehr am Stück, es wird erwartet, dass sie gegen das Arbeitszeit-Gesetz verstoßen und es wird vorausgesetzt, dass sie Millionen unbezahlter Überstunden erbringen. Aber kein Wort des Dankes, im Gegenteil: die Schraube wird weiter angedreht. Denn was bedeutet die Nullrunde für die Krankenhäuser? Personalabbau, noch mehr Überstunden, noch weniger Zuwendung für die Patienten.

Die, die sich ohnehin schon solidarisch gezeigt haben, werden weiter zur Ader gelassen! Und wenn wir nicht mehr wollen, weil wir nicht mehr können, kommt der flammende Appell an die Ethik. Aber irgendwann ist Schluss, irgendwann sitzen wir in der Ethikfalle fest!

Der Kanzler weiß offensichtlich auch nichts von den Sorgen und Nöten gerade vieler niedergelassener Ärzte im Osten Deutschlands, die nicht mehr wissen, ob sie den Praxisbetrieb in den nächsten Monaten noch aufrechterhalten können. Vielleicht will es der Kanzler auch gar nicht wissen. Dennoch geht es nicht an, dass seine Gesundheitsministerin von den niedergelassenen Ärzten Honorarverluste als Solidarbeitrag der Leistungserbringer einfordert. Ein Minus von 160 Euro bedeutet einen erheblichen (nach KBV-Angaben im Durchschnitt 10 prozentigen) Verlust des Nettolohns – diesen Vorschlag sollte einmal ein Politiker wagen, den Gewerkschaften zu unterbreiten. Wenn dann auch noch die Gewerbesteuer ab 2003 greift, dann ist die ambulante Versorgung am Ende.

Einige Praxen stehen bereits jetzt am wirtschaftlichen Abgrund. Im Frühjahr werden zahlreiche niedergelassene Mediziner ihre Praxen immer wieder wochenweise schließen müssen, weil sie ihr Budget ausgeschöpft haben und die finanziellen Belastungen, die sich aus der „Nullrunde“ und der Rentenanpassung ergeben, nicht mehr verkraften können.

Das Spardiktat der Regierung ist keine Nullrunde, sondern in Wirklichkeit eine Minusrunde und wird zwangsläufig zu weiterer Destabilisierung des Gesundheitswesens, zu Demotivation und Deprofessionalisierung der Beschäftigten führen. Vor allem aber kommen diese Sparpläne einem Kahlschlag mit weit reichenden Folgen für die Qualität der Patienten-versorgung gleich. Menschlichkeit und medizinischer Fortschritt werden zum Luxus in einer Zwei-Klassen-Medizin.

Die Nullrunde gefährdet viele Arztpraxen und damit auch Arbeitsplätze von Tausenden Arzt- und Zahnarzthelferinnen. Ausbildungsplätze werden abgebaut, Tarifgehälter können nicht mehr bezahlt werden. In den Krankenhäusern stehen Zehntausende von Arbeitsplätzen auf dem Spiel. Das Versprechen der rot-grünen Koalition, für mehr Beschäftigung sorgen zu wollen und 'unzumutbare Belastungen' in Kliniken und Praxen abzubauen, erweist sich nun als bittere Täuschung.

Die miserablen Arbeitsbedingungen von Pflegepersonal und Ärzten werden sich weiter verschlechtern. Frustration und Berufsflucht im Gesundheitswesen werden zunehmen. Eine humane Patientenversorgung aber ist unter diesen Bedingungen einer knallharten Durchökonomisierung nicht mehr möglich.

Qualitätseinbrüche, Unterversorgung und Zuteilungsmedizin sind der Preis, den die Patienten zu zahlen haben, wenn die Pläne der Regierung Realität werden. Die hehren Worte von einer Stärkung der Patientenrechte, wie sie Frau Ministerin Schmidt immer wieder gerne anführt, müssen den Patienten wie Hohn vorkommen. Denn was ist eine Patientencharta wert, wenn die versprochenen Leistungen nicht erbracht werden können? Wenn diese Regierung englische Verhältnisse haben will, dann soll sie das allen, auch den Patienten, offen sagen.

Schon jetzt gibt es in vielen Bereichen Unterversorgung, z.B. in der Behandlung von Aids-Patienten und Demenzkranken, weil es an den notwendigen finanziellen Mitteln fehlt. Mit dem Vorschaltgesetz werden diese Zustände zementiert und weitere Rationierungen bewusst in Kauf genommen.

Dabei ist die Regierung selbst schuld an der prekären Finanzlage der Gesetzlichen Krankenversicherung. Nach wie vor wird die GKV ausgeplündert, um den Staat und andere Bereiche der Sozialversicherung zu entlasten. Es gäbe kein Defizit, wenn die politischen Manipulationen, der milliardenschwere Missbrauch von Versichertengeldern, endlich aufhören würde.

Wir brauchen Ehrlichkeit in der Diskussion und endlich eine Anerkennung derer, die mit ihrem Engagement das Gesundheitswesen trotz desaströser Finanzierung noch aufrecht-erhalten! Wir brauchen Arbeitsbedingungen, die Zuwendung und Qualität ermöglichen, und keine Durchökonomisierung und Listenmedizin. Wir treten ein für mehr Menschlichkeit in der Gesundheitspolitik.

Deshalb rufen das Bündnis Gesundheit 2000 und die Deutsche Krankenhausgesellschaft gemeinsam zum Protest gegen den geplanten Kahlschlag im Gesundheitswesen auf und werden am 12. November um 12 Uhr vor dem Brandenburger Tor demonstrieren.

Zu der Kundgebung erwarten wir Beschäftigte aus allen Teilen des Landes. Aber das ist erst der Auftakt. Wenn diese Regierung den Sozialfrieden kündigt und die Konfrontation sucht, dann wird sie die auch finden.

Quelle und Kontaktadresse:
Bundesärztekammer (Arbeitsgemeinschaft der deutschen Ärztekammern) e.V. Herbert-Lewin-Str. 1 50931 Köln Telefon: 0221/40040 Telefax: 0221/4004388

NEWS TEILEN: