Das rechtliche Verhältnis eines Berufsverbandes zu einem von ihm unterhaltenen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb war bisher gesetzlich nicht definiert. Zu einer solchen Definition bestand auch keine Veranlassung, denn der Verband und „sein“ wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb waren eine rechtliche Einheit. Es fehlte an der Existenz eines zweiten Rechtssubjekts, also an einem Gegenpol, zu dem rechtliche Beziehungen hätten bestehen können. Es gab lediglich eine gedankliche Aufteilung in mehrere Betätigungssphären des als Einheit verstandenen Berufsverbandes.
Selbständigkeit des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs gesetzlich fingiert
Mit dem Steuersenkungsgesetz vom 23.10.2000 (BGBl. I 2000, S. 1433) hat sich hier Entscheidendes geändert. Für Zwecke der Erhebung von Kapitalertragsteuer wird nun grundsätzlich eine (steuerrechtliche) Verselbständigung des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs gegenüber dem ideellen Verbandsbereich fingiert. Dieser Kunstgriff des Gesetzgebers war steuertechnisch nötig, um auf Gewinne des (bilanzierenden) wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs eine zehnprozentige Kapitalertragsteuer erheben zu können. Gegen diese fundamentale Gesetzesänderung, die aus heiterem Himmel kam, scheint es keinen nennenswerten Widerstand aus Verbandskreisen gegeben zu haben.
Die neue gesetzliche Fiktion bewirkt, dass der Berufsverband als Gläubiger des Kapitalertrags und sein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb als Schuldner gilt (§ 44 Abs. 6 S. 1 EStG). Beide Verbandssphären stehen sich daher bei der Kapitalertragsteuer wie fremde Dritte gegenüber - eine für Berufsverbände gänzlich ungewohnte Vorstellung.
Ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel?
Es fragt sich, ob dieses neue Trennungs-Dogma des Gesetzgebers nur ein isolierter Ausrutscher ist oder ob sich hier ein Paradigmenwechsel auf breiter Front anbahnt. Diese Frage ist keineswegs abwegig, denn bei der in mancher Hinsicht rechtlich vergleichbaren Problematik der Betriebe gewerblicher Art der öffentlichen Hand (§ 4 KStG) ist eine steuerrechtliche Verselbständigung der Betriebe schon lange geltendes Recht. So sind zum Beispiel Verträge zwischen der Körperschaft und ihrem Betrieb gewerblicher Art möglich, die dem Fremdvergleichsgrundsatz genügen müssen. Der Betrieb gewerblicher Art wird gegenüber seiner öffentlichen Trägerkörperschaft wie eine rechtlich verselbständigte Kapitalgesellschaft behandelt. Daher sind auch verdeckte Gewinnausschüttungen und verdeckte Einlagen möglich. Umsatzsteuerlich werden Leistungsbeziehungen zwischen der Öffentlich-rechtlichen Körperschaft und ihrem Betrieb gewerblicher Art als möglich angesehen.
Wachsamkeit angebracht
Die neue Regelung des Steuersenkungsgesetzes könnte ein Hinweis darauf sein, dass dem Gesetzgeber auch ähnliches für das Verhältnis eines Berufsverbandes zu seinem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb vorschwebt. Ein konkreter Hinweis auf eine solche Tendenz ist darin zu sehen, dass die Einführung der neuen Kapitalertragsteuerpflicht einheitlich in einer für öffentlich-rechtliche Körperschaften und Berufsverbände geltenden Gesetzesregelung erfolgt ist (§ 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG in der Fassung des Steuersenkungsgesetzes). Mehr noch: Die Regelung ist in erster Linie für Körperschaften des öffentlichen Rechts gemacht und wird für Berufsverbände lediglich per gesetzlicher Verweisung entsprechend angewandt.
Die Berufsverbände sind daher aufgerufen, die weitere Entwicklung der gesetzgeberischen Tendenzen aufmerksam zu verfolgen. Möglicherweise wären solche Tendenzen für Berufsverbände sogar in Teilbereichen nützlich. Körperschaften des öffentlichen Rechts werden nämlich hinsichtlich ihrer Betriebe gewerblicher Art in mancher Hinsicht günstiger behandelt als Berufsverbände in der Beziehung zu ihren wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben.