Verbändereport AUSGABE 5 / 2011

Der kommunikative GAU: Was ist, wenn Ihre Informationen nicht mehr ankommen?

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Das Internet hat auch die Rezeption der Verbandskommunikation revolutioniert. Verbände, die mit ihren Mitgliedern gewohnt multimedial kommunizieren und etwas bewirken wollen, müssen reagieren. Nur wie?

„Wer als Verband erfolgreich sein will, muss erklären, vermitteln, diskutieren.“1 Sagt sich so einfach – was ist aber, wenn das, was wir schreiben, gar nicht verstanden wird? Weil unsere Leser es verlernt haben, einen Magazintext wie diesen hier zu lesen? Weil die Blicke bereits nach wenigen Sekunden irritiert über die Zeitschriftenseite fliegen, um Neues zu ergattern? Denn ihr Leseverhalten ist dank Internet schon auf die modulare Rezeption programmiert: Sie lesen nicht, sie überfliegen. Und das hektisch!

Beobachten Sie sich bitte selbst, wenn Sie z. B. Ihre Post öffnen. Dank der Augenkamera weiß man seit Jahren, dass der Adressat Briefe und Broschüren selektiv liest. Zunächst greift er nach dem Brief. Er sucht nach Reizworten, die ihn interessieren, nach grafischen Hervorhebungen, nach Vertrautem - z. B. seine Namen – , nach gelernt Wichtigem – so wird z. B. meistens das PS eines Briefes gelesen – , um dann zu entscheiden, ob die Nachricht relevant und lesenswert ist. Sieht er es positiv, liest er das Werbemittel intensiver. Wenn nicht, kommt es in die große runde Ablage unterm Tisch.

Das Dialogmarketing nutzt diese Erkenntnisse schon lange und baut die Medien entsprechend auf. Das Auge des Lesers wird manipuliert, ge- und verführt. Durch Hervorhebungen, signifikante Stich- und Reizworte, grafische Zeichen, offene und unterschwellige Versprechen, Aufzeigen von Vorteilen, pseudoindividuelle Ansprachen, haptische Stimulierungen, Personalisierungen, You-Appeal ...

Erfahrungen aus dem CRM nutzen: In Sekundenschnelle ani- und informieren!

Eine Botschaft muss innerhalb Sekunden über die Vermittlung von Bild und Text verstanden werden. Das ist die Kunst des Dialogmarketing-Kreativen. Deshalb ist eine sehr wichtige Grundregel in der Kommunikation: die Einfachheit. Doch „Simplicity“ darf nicht mit Banalität verwechselt werden.

Jeder, der schon einmal getextet hat, der vielleicht schon in irgendeiner Form moderiert und unterrichtet hat, weiß, wie schwierig die „didaktische Reduktion“ ist. Aussagen auf den Punkt zu bringen und zu unterhalten, das ist die hohe Schule der Kommunikation.

Und das Internet hat den Anspruch an schnelle, effiziente, abwechslungsreiche Kommunikation nochmals potenziert! Das Web 2.0 eröffnet eine neue Dimension der Information. Zugegeben: Diese Aussage ist nicht neu. Weder im Zusammenhang mit dem Internet noch in der Geschichte der Kommunikation. Es gab, seitdem unsere Vorfahren Bilder an die Wände von Höhlen malten, schon immer Zäsuren in der Kontinuität der Übermittlungstechniken.

Die Nutzung von Holz, Steinen, Papyrus, Wachs, Pergament und Papier als Transporteure der Botschaften optimierte in Kombination mit der Schriftentwicklung sukzessive die Komplexität und das Verständnis der Botschaften. Und jeder neue Schritt ängstigte die Zeitgenossen: Philosophen fast aller Epochen warnten vor einer Wissensüberflutung und / oder einem Gedächtnisverlust durch externe Fixierung des geistigen Kapitals. Ob in Büchern oder Digital spielt dabei keine Rolle.

Gutenbergs Buchdruckerkunst demokratisierte das Lesen. Jetzt wurde Wissen Schritt für Schritt jedermann zugänglich. Aber auch die Informationsmasse schwoll an. Die Erfindung der elektronischen Medien wie Telefon, Video und Fernsehen gaben dem Prozess eine noch größere Dynamik.

Was also ist am Internet so neu und aufregend? Ist das Web 2.0 nur die konsequente Fortführung der permanenten Kommunikationsrevolution? Ja und Nein. Je näher die Innovationen unserer Zeit kommen, desto radikaler werden sie. Es dauerte nahezu 150 Jahre, bis fast jeder Deutsche zu Hause ein Telefon hatte. TV wurde 1952 eingeführt und es gab 1964 erst 7 Millionen Geräte. 1997 waren 4,1 Mio. Deutsche online, 2009 schon 43,5 Millionen. Und das Smartphone startete mit dem iPhone einen Siegeszug ohnegleichen, iPads sind der Renner, übertroffen durch die Faszination für Facebook, Twitter und andere Social-Media-Instrumente.

2009 verbrachten erwachsene US-Bürger durchschnittlich zwölf Stunden pro Woche im Internet, etwa doppelt so viel wie noch 2005. In einer internationalen Erhebung wurde ermittelt, dass Erwachsene mittlerweile 30 Prozent ihrer Freizeit im Web 2.0 aktiv sind. Das prägt! Vor allem die Rezeption.2

Information wird quantitativ und nicht qualitativ verarbeitet: geht Ihre Botschaft unter?

Das Internet verbindet bisherige Kommunikationswege: Sprache, Ton, Musik, Schrift, Bild, Zeichen, Bewegtbild/Film, Animation, Grafiken – alles auf einer Site vereint – lassen eine Konzentration nicht zu. Der User wartet permanent auf Signale, die Neues versprechen. Ein geübter Internetnutzer entscheidet in Sekunden, ob eine Botschaft für ihn relevant und lesenswert ist. Im Durchschnitt pendelt ein Büroarbeiter zwischen zwölf Projekten auf seinem Monitor hin und her, dabei „hält er es ungefähr 20 Sekunden vor einem geöffneten Bildschirmfenster aus“.3

Die Masse an Information führt dazu, dass Wissen quantitativ und nicht mehr qualitativ konsumiert wird. Es landet primär im Kurzzeitgedächtnis; der PC wird als externer Gedächtnisspeicher angesehen, aus dem man auf Knopfdruck abgelegtes Wissen abrufen kann.

Beobachten Sie bitte sich selbst, Kollegen und Freunde vor dem Monitor: wie der Blick unruhig über den Bildschirm schweift, wie mit der Maus parallel schon die nächste Information aktiviert wird, wie Gefundenes fix kopiert und abgespeichert ( Schlagwort: copy & paste ) wird. Es ist ein effizientes Aufnehmen und Verarbeiten von Nachrichten.

Selbst in Meetings ist ein Auge zumeist auf den BlackBerry oder das Smartphone gerichtet: die 24/7-Akzeptanzbereitschaft für SMS und E-Mails ist Statussache. Studenten erzählten mir, dass ihre erste Aktion des Tages, kaum dass die Augen geöffnet sind, das Checken von E-Mails und SMS-Botschaften ist.

Und das macht eine weitere, bisher nicht bekannte Dimension des World Wide Web in der Kommunikation aus: Informationen und Nachrichten müssen sich dauernd verändern; sie werden upgedatet, angereichert, verifiziert. Und es ist eine ständige Interaktion zwischen Informationsanbieter und Nutzer sowie den Rezipienten untereinander.

Durch das kompakte Smartphone kommt die lokale Mobilität hinzu: Mich irritieren immer noch die vielen, vor sich hinbrabbelnden Geschäftsmänner auf dem Flughafen, erkenntlich am Knopf im Ohr. Oder das Paar im Restaurant, das, jeder für sich auf ein elektronisches Gerät konzentriert, schweigsam, aber wohl doch interaktiv sein Essen genießt.

Die Internetrezeption prägt das Lesen aller Medien: Wenn Sie nicht reagieren, geht Ihre Botschaft unter

Nach wie vor ist die Verbandskommunikation primär offline. Mit einer monatlichen Gesamtauflage von 300 bis 500 Millionen steht das Magazin immer noch an der ersten Stelle der Kommunikationsmittel. Und auch wenn schon viele Organisationen im Internet aktiv sind, Druckerzeugnisse werden auch in absehbarer Zeit ihren Platz im Medienmix behalten.

Dies enthebt uns aber nicht darüber nachzudenken, wie wir Mailings, Broschüren, Kataloge, Zeitungen und Magazine kommunikativ so aufbereiten, dass den typischen Internetleser unsere Botschaft erreicht. Gerade die jungen Mitglieder der Verbände sind ja Web-2.0-geprägt. Und sie gilt es zu aktivieren.

Fassen wir die wissenschaftlichen Erkenntnisse von Neurologen, Soziologen, Linguisten etc. zusammen: der typische Internetrezipient

  • überfliegt die Informationen, liest selektiv
  • entscheidet schnell, wählt gezielt „Interessantes“, verweigert „vertieftes Lesen“
  • sucht aktiv über Keywords Problemlösungen
  • liest modular statt linear
  • bevorzugt kurze, kompakte, gut verpackte Informationen
  • mag Einfaches, weil schnell Erfassbares
  • erwartet Abwechslung, Unterhaltung, z. B. Filme, Animationen, Aktionen
  • hat eine kurze Aufmerksamkeits- und Konzentrationsspanne
  • speichert Informationen primär im Kurzzeitgedächtnis ab
  • nutzt das Web 2.0 als Ersatzgedächtnis
  • zeigt im Wortsinn „Neugier“ – will permanentes Update-Wissen
  • erwartet „Unabhängigkeit“ von Zeit, Ort, Inhalt, Betrachtungs- und Sichtweise
  • will Interaktion

Leser gewinnen und aktivieren: Übertragen Sie Online-Methoden in Offline-Medien

Wie kann der durch das Internet konditionierte Leser gefangen werden? Wie gelingt es, das Wissen über das „neue“ Rezeptionsverhalten so zu nutzen, dass unsere Off- wie Online-Maßnahmen wirken?

  • Unsere Botschaften müssen generell kürzer, konzentrierter und einfacher sein. Wobei – wie oben erwähnt – das Verfassen von einfachen Texten und Botschaften einiges an Erfahrung und Wissen erfordert. Und wenn komplexe Inhalte durch längere Berichte zu vermitteln sind, dann müssen diese textlich und grafisch sinnvoll dosiert präsentiert werden. Die didaktische Reduktion gewinnt an Bedeutung und muss gelehrt und gelernt werden.
  • Der Aufbau muss faktisch so sein, dass prägnante Inhalte mit Zusammenfassungen und / oder Highlights der Aussagen am Anfang oder an besonders gekennzeichnete Stellen platziert werden. Sie sind Navigationshilfen und Keyword-Ersatz, um den schnellen Leser zu binden.
  • Der erste Abschnitt muss Kernaussagen verdeutlichen und Spannung aufbauen. Er entscheidet mit, ob weitergelesen wird.
  • Erst danach kommen ausführliche Texte, die aber wiederum den „Überflieger-Aufbau“ nutzen, um den Adressaten die Entscheidung zum vertiefenden Lesen zu erleichtern.
  • Die Texte und Bilder müssen dem Weltbild der Zielgruppen noch stärker angepasst werden: Fachkompetenz und Kreativität alleine reichen nicht mehr aus, um die overloadbedingte Blockade im Kopf zu durchbrechen. Es gilt eine kognitive und emotionale Ansprache zu finden, die – je nach Inhalt – auf das soziale Milieu, den Bildungsstand, den Beruf und das kulturelle Umfeld des Rezipienten eingeht. Dies wurde in der Kommunikation zwar schon immer gefordert, jedoch selten realisiert. Jetzt wird es zur Pflicht!
  • „Schnelle“ Texte, möglichst mit Zusammenfassungen, die die gesuchten Stichworte enthalten, grafische Hervorhebungen, um den Blick auf die Schlüsselbegriffe zu lenken, sind die äußeren Merkmale. Sie ersetzen quasi die gewohnten Navigations- und Keywordhilfen.
  • Die Inhalte müssen algorithmisch aufgebaut sein, ohne an Unterhaltungswert zu verlieren. Viele Leser übernehmen das „Scrollen“ vom On- zum Offline-Medien und überschauen zunächst den Gesamtbeitrag, suchen in den Abschnittsüberschriften nach Interessen, um dann nochmals vom Anfang an in den Text einzusteigen. Kurze, punktgenaue Übersichten am Rande erfüllen denselben Zweck.
  • Die Story macht einen großen Teil des Unterhaltungswertes aus. Welche passt zum Inhalt und zu meiner Zielgruppe? Welche ist glaubwürdig, welche erzeugt Neugierde? Wo ist die Wiedererkennung meiner Adressaten in der Geschichte?
  • Das Layout ist kein schmückendes Beiwerk, sondern integrierter Teil der Botschaft. Mit welchem Layout bekomme ich eine visuelle Abwechslung und wecke ich zudem Neugierde? Das Seitenlayout soll das Thema unterstützen; Infografiken transportieren komplexe Sachverhalte schnell und unterhaltsam.
  • Haptische Eindrücke unterstützen die Aufnahme von Kommunikation. Unterschiedliche Papiersorten oder andere Materialien reizen Sinne.
  • Jedes Medium sollte die Möglichkeit einer Vertiefung der Information durch Links und / oder Abrufung weiterer Materialien bieten. Dialogofferten und Diskussionsforen für Mitglieder werden eigentlich als Selbstverständlichkeit angesehen.

Und bitte denken Sie daran: Im Internet wird i. d. R. aktiv nach einer Problemlösung und/oder einer Information gesucht. Deshalb wird gegoogelt, werden Links verfolgt, Sites aufgerufen, Blogs angelesen ... Die Verbands-Magazine, -Broschüren, -Mailings, -Newsletter, -Zeitungen flattern den Mitgliedern, Interessenten, Partnern meist unangefordert auf den Tisch und wir wissen nicht, ob wir deren aktuelles Problem streifen oder gar eine Lösung anbieten können.

Wir müssen sie also zur Aktivität, zum Lesen verführen, ihnen ihre Vorteile verdeutlichen. Das erfordert eine größere Anstrengung bei der Entwicklung, Konzeption und Realisierung der Offline-Kommunikationsmittel. Denn die Leser sind durch das Internet verwöhnt, was Präsentation und Inhalte angeht. Sie bestrafen Unbeweglichkeit mit einem kurzen Klick auf „Löschen“. 

Weiterführende Literatur

  • Schirrmacher, Frank, PAYBACK, München 1/2009
  • Carr, Nicholas, Wer bin ich, wenn ich
  • online bin ... München 1/2010
  • Watzlawick, Paul u. a., Menschliche
  • Kommunikation, Bern 11/2007
  • Scott, David M., Die neuen Marketing und PR-Regeln im Web 2.0, Heidelberg 1/2009
  • Chaffey, D. u. a., Internet Marketing,
  • Harlow, England 3/2006    
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