Verbände können in vielfältiger Weise mit dem deutschen und europäischen Kartellrecht in Konflikt geraten. Ihre Haftung in diesen Fällen hat sich durch einige Rechtsänderungen aus jüngerer Zeit deutlich verschärft (Beitrag von RA Jens Uhlendorf in VR 4/2004). Dies hat zu zahlreichen Nachfragen im Leserkreis zu den Auslösern und dem Umfang dieser Haftung geführt. Hierzu nachstehend einige ergänzende Hinweise.
Auslöser der kartellrechtlichen Haftung
Jede Haftung nach dem deutschen und europäischen Kartellrecht setzt einen Verstoß gegen kartellrechtliche Vorschriften voraus.
Typisch kartellrechtlich relevante Tätigkeiten von Verbänden, die nicht unbedingt bereits einen Verstoß gegen kartellrechtliche Normen darstellen müssen, sind beispielsweise:
- Meinungs- und Erfahrungsaustausch zwischen Verbandsmitgliedern über sensible Marktgegebenheiten (Kapazitäten, Konditionen, Preise und Preisentwicklungen)
- Statistische Marktinformationssysteme (Mengen, Preise, Absatzkanäle)
- Verbandsempfehlungen zu wettbewerbsrelevanten Tatbeständen
- Verbandsmitteilungen zu erwarteten Preiserhöhungen in der Branche
Aus der Presseberichterstattung sind noch weitere Fälle von Wettbewerbsbeschränkenden oder verhaltenskoordinierenden Aktivitäten bekannt geworden, zu denen Verbände oft zumindest ein „Forum“ geboten haben, was nach Ansicht des Europäischen Gerichts 1. Instanz bereits eine eigene Haftung des Verbandes begründen kann.
Neue Haftungsrisiken
Bußgelder bei Verstößen gegen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten
Die EG-Verordnung Nr. 1/2003 vom 16. Dezember 2002 sieht vor, dass die EG-Kommission als europäische Wettbewerbsbehörde bei kartellrechtlichen Untersuchungen auch gegen "Unternehmensvereinigungen“ (Wirtschaftsverbände) Geldbußen bis zu einem Höchstbetrag von 1 Prozent des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes festsetzen kann (Artikel 23). Bei Verbänden ist dies das Vorjahresbudget. Auslöser für die Festsetzung eines solchen Bußgeldes sind unter anderem die folgenden Handlungen, sofern sie vorsätzlich oder fahrlässig begangen wurden:
- Unrichtige oder irreführende Auskunftserteilung von Unternehmensvereinigungen, die sich auf sämtliche Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen einzelner Wirtschaftszweige beziehen. Nach Artikel 17 sind Unternehmensvereinigungen verpflichtet, entsprechende Auskunftsverlangen der Europäischen Kommission vollständig und zutreffend zu beantworten.
- Nicht vollständige Vorlage der von der Kommission angeforderten Bücher und Geschäftsunterlagen. Die Kommission ist insoweit auch berechtigt, Räumlichkeiten und Grundstücke von Unternehmensvereinigungen zu betreten und Kopien und Auszüge, gleich welcher Art, dort anzufertigen.
Sie hat ferner das Recht, von den „Mitgliedern der Belegschaft“ der Unternehmensvereinigung Erläuterungen zu Tatsachen oder Unterlagen zu verlangen, die mit dem Gegenstand und Zweck der Nachprüfung in Zusammenhang stehen und die Antworten zu Protokoll zu nehmen.
Die vorstehend genannte Geldbuße bezieht sich also nur auf die Verletzung von Auskunfts- und Mitwirkungspflichten.
Bußgelder gegen Verbände bei Mitwirkung oder Duldung von Kartellverstößen
Wird bei den Untersuchungen der Kommission festgestellt, dass Verstöße gegen kartellrechtlich relevante Tatbestände tatsächlich vorliegen, dann kann sie eine Geldbuße bis zu 10 Prozent der Gesamtumsätze derjenigen Mitglieder, die auf dem Markt tätig waren, auf dem sich der Verstoß der Vereinigung auswirkt, festsetzen. Die 10 Prozent beziehen sich also nicht auf die Höhe des Verbandsetats, sondern auf die Höhe des „kartellierten Umsatzes“.
Beispiel: Bei einem „kartellierten Umsatz“ von beispielsweise 5 Milliarden Euro können Bußgelder bis zu 500 Millionen Euro gegen die Unternehmensvereinigung verhängt werden. Hinzu kommen die Bußgelder, die gegen die beteiligten Unternehmen festgesetzt werden.
Gesetzliche Umlagepflicht bei Zahlungsunfähigkeit des Verbandes
Da solche Größenordnungen die Finanzkraft der Wirtschaftsverbände bei weitem übersteigt, sieht Artikel 24 Abs. 4 vor, dass Unternehmensvereinigungen, die das Bußgeldes nicht zahlen können, gesetzlich verpflichtet werden, von ihren Mitgliedern Beiträge zur Deckung der Geldbuße zu fordern.
Werden diese Beiträge nicht innerhalb einer von der Kommission gesetzten Frist geleistet, so kann die Kommission die Zahlung der gegen den Verband festgesetzten Geldbuße unmittelbar von dem Unternehmen verlangen, dessen Vertreter Mitglieder in den Entscheidungsgremien der Vereinigung waren. Diese Unternehmen haften gesamtschuldnerisch, was bedeutet, dass die Kommission von jedem betroffenen Mitglied des Verbandes den vollen Betrag der Geldbuße verlangen kann. Allerdings gilt hier auch die 10-Prozent-Grenze: Die finanzielle Haftung eines Mitgliedsunternehmens für die gegen den Verband festgesetzte Geldbuße wird auf 10 Prozent seines letztjährigen Gesamtumsatzes begrenzt.
Ungeschoren kommen nur diejenigen Firmen davon, die nachweisen können, dass sie die rechtswidrigen Beschlüsse des Verbandes nicht umgesetzt hatten, weil sie von deren Existenz nichts wussten oder sich davon aktiv distanziert hatten, bevor die Kommission mit der Untersuchung des Falles begonnen hat.
Verhängung von Zwangsgeldern
Zur Erzwingung der Beseitigung der Kartellverstöße oder zur Erzwingung der Einhaltung von Verpflichtungszusagen durch die Beteiligten kann die Kommission darüber hinaus Zwangsgelder bis zur Höhe von 5 Prozent des jeweiligen Vorjahresumsatzes verhängen.
Verfolgungsverjährung
Die Verfolgungsverjährung setzt bei Verstößen gegen Auskunft- und Mitwirkungshandlungen nach drei Jahren, bei allen anderen Verstößen gegen das Kartellrecht nach fünf Jahren ein. Bei fortgesetzten Zuwiderhandlungen beginnt die Verjährungsfrist erst mit dem Tag, an dem die Zuwiderhandlung beendet worden ist.
7. GWB-Novelle
Im Rahmen der Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB — Kartellgesetz) wird das deutsche Kartellrecht an das EG-Recht angepasst. Das deutsche Kartellrecht sieht bereits jetzt eine persönliche Haftung von Verbandsgeschäftsführern bei schuldhaften Kartellverstößen vor. (HM)