Verbändereport AUSGABE 5 / 2004

Die Kommission als Wettbewerbsbehörde

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Das Funktionieren des Binnenmarktes setzt bestimmte Spielregeln voraus, die den freien Wettbewerb vor staatlichen und nichtstaatlichen Eingriffen schützen. Die Wettbewerbsregeln der Europäischen Union werden im folgenden Überblick dargestellt.

Die Wettbewerbsregeln sind in den Artikeln 81 bis 89 EGV sowie in einigen EG-Verordnungen festgelegt. Soweit es sich um die Produktion und den Handel mit bestimmten landwirtschaftlichen Erzeugnissen handelt, gelten Sondervorschriften (Artikel 36 und 37 EGV sowie vor allem die Verordnung (EWG) Nr. 26, ABl. EG 1962 L Nr. 30, Seite 993).

Struktur des EU-Wettbewerbsrechts

Das EU-Wettbewerbsrecht lässt sich thematisch in drei Gruppen gliedern:

  1. Bestimmungen für Unternehmen, denen bestimmte Verhaltensweisen wie den Wettbewerb beschränkende Absprachen oder die Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung untersagt wird (Art. 81 bis 86 EGV). Bestimmte Wettbewerbsformen, die tendenziell eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung ausüben können (Alleinvertriebsvereinbarungen, Alleinbezugsvereinbarungen, Franchise-Vereinbarungen), sind in Form von Gruppenfreistellungsverordnungen unter bestimmten Kautelen von dem Abspracheverbot freigestellt. Dies kann auch in Form einer Einzelfreistellung geschehen.
  2. Mit der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 vom 21.12.1989 in der Fassung des ABl. L160/10997 sind Regeln über die Fusionskontrolle aufgestellt worden, die die Ausschaltung des Wettbewerbs durch bestimmte Unternehmenszusammenschlüsse verhindern sollen.
  3. Die Artikel 87 bis 89 EGV regeln die Voraussetzungen für die Gewährung staatlicher Beihilfen. Diese dürfen nicht zu Wettbewerbsvorteilen durch die Gewährung staatlicher Unterstützung an Unternehmen oder Branchen führen (Zuschüsse, Darlehen, Bürgschaften, Steuervorteile).

Eine Sonderrolle nimmt die Herstellung und der Handel mit denjenigen landwirtschaftlichen Erzeugnissen ein, die im Anhang 2 des Vertrages aufgeführt sind. Für diese Erzeugnisse können die allgemeinen Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft nur angewendet werden, wenn der Rat dies nach Art. 37 EGV beschließt. Für zahlreiche landwirtschaftliche Erzeugnisse hat die EG Marktorganisationen verabschiedet, die die Herstellung, Produktionsmengen, Qualitätsnormen, staatliche Interventionsmechanismen und ähnliches regeln.

Das allgemeine Kartellverbot (Art. 81 EGV)

Die Generalklausel in Art. 81 Abs. 1 EGV untersagt "alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken."

Das EU-rechtliche Kartellverbot umfasst also folgende Tatbestandsmerkmale:

  • Unternehmen als Normadressaten
  • Existenz einer Vereinbarung, eines Beschlusses oder einer abgestimmten Verhaltensweise
  • Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs
  • Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels ("commerce intra-communautaire")
  • Spürbarkeit (ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, das von der Kommission und dem EuGH angewendet wird)

EU-rechtlicher Unternehmensbegriff

Von der EU-Kommission wird ein weiter Unternehmensbegriff zugrunde gelegt. Darunter fallen auch die Angehörigen der Freien Berufe, die Erbringer von Band-, Finanz- und Versicherungsdienstleistungen, Erfinder, Künstler oder Sportler, die ihre Leistungen gewerblich verwerten. Erfasst werden nicht nur Unternehmen in einer privaten Rechtsform, sondern auch öffentliche Einrichtungen wie die frühere Bundesanstalt für Arbeit oder Rundfunkanstalten. Auch der Staat ist als Unternehmen im Sinne des EU-Kartellrechts anzusehen, soweit er wirtschaftlich (fiskalisch) tätig wird. Abgrenzungsschwierigkeiten kann die Einordnung von "verbundenen Unternehmen" bereiten. Eine Muttergesellschaft muss sich das Verhalten einer Tochtergesellschaft zurechnen lassen, wenn die Tochter "trotz eigener Rechtspersönlichkeit ihr Marktverhalten nicht autonom bestimmt, sondern im wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt" (EuGH Rs. 48/69 "ICI", Slg. 1972, 619).

‚Vereinbarungen’ und ‚abgestimmte Verhaltensweisen’

Während der Begriff "Vereinbarung" meist keine Schwierigkeiten bietet, kann der Terminus "abstimmte Verhaltensweise" im Einzelfall problematisch sein. Für die aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen ist charakteristisch, dass sie auf einer bewussten Willensübereinstimmung beruhen (innere Seite) und nach außen als einheitliches Verhalten sich darstellen (äußere Seite), ohne dass jedoch bereits die Schwelle einer vertraglichen Vereinbarung überschritten wäre (EuGH Rs. 48/69, Slg. 1972, S. 619 Rn. 64 ff.).

Ein Parallelverhalten kann ein Indiz für abgestimmtes Verhalten darstellen, muss es aber nicht, weil die Forderung nach autonomer Bestimmung des Marktverhaltens den Unternehmen nicht verbietet, "sich im festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Konkurrenten mit wachem Sinn anzupassen; sie steht jedoch streng jeder mittelbaren oder unmittelbaren Fühlungnahme zwischen Unternehmen entgegen, die bezweckt oder bewirkt, entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potentiellen Konkurrenten zu beeinflussen oder einen solchen Konkurrenten über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen ist oder in Erwägung zieht" (ständige Rechtsprechung seit EuGH Rs. 40 bis 48/73 "Suiker Unie", Slg. 1974 S. 1965 ff.; EuG Rs. T-2/91 "Petrofina" Slg. 1991, II-1087).

Das herkömmliche Mittel zur Verhaltensabstimmung ist der Austausch wettbewerbsrelevanter Informationen, an denen oft auch Verbände beteiligt sind. Solche Informationen können sich auf Preise oder Mengen beziehen. Ob ein solcher Informationsaustausch ein abgestimmtes Verhalten nahe legt, hängt weitgehend von den Einzelheiten ab. In einem hochkonzentrierten Markt kann der Austausch vertraulicher Informationen zu einem Nachlassen des Wettbewerbs führen (EuG Rs. T-34/92 "Fiatagri", Slg. 1994, II-905 und Folgerechtsprechung).

Die Zuständigkeit der Kommission als europäischer Kartellbehörde ist nur begründet, wenn die wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Dieses Tatbestandsmerkmal wird von der Kommission und dem EuGH weit ausgelegt. Demnach kommt es darauf an, ob unter Berücksichtigung "der Gesamtheit der objektiven rechtlichen und tatsächlichen Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit" zu erwarten ist, dass eine wettbewerbsbeschränkende Maßnahme "unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder der Möglichkeit nach den Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten in einer Weise beeinflusst, die der Verwirklichung der Ziele eines einheitlichen zwischenstaatlichen Marktes nachteilig sein könnte (EuGH Rs. C-219/95 "Ferriere Nord", Slg. 1997, I-4411 und Folgerechtsprechung).

In diesem Sinne sind für den innergemeinschaftlichen Handel immer bedeutsam Absprachen zwischen Unternehmen in verschiedenen Mitgliedstaaten. Sofern die abgestimmten Verhaltensweisen nur Unternehmen aus einem Mitgliedstaat betreffen, kommt es darauf an, ob die abgestimmten Verhaltensweisen die Ein- oder Ausfuhr von Waren oder Dienstleistungen betreffen, die eine Aufteilung von Auslandsmärkten zum Gegenstand haben oder etwa durch Ausschließlichkeitsverträge den Zugang von Lieferanten oder Abnehmern aus anderen Mitgliedstaaten beschränken oder verhindern (EuGH Rs. C-70/93 "BMW", Slg. 1995, I-343). Aber auch abgestimmte Verhaltensweisen in Bezug auf Drittlandsmärkte können die Kommission auf den Plan rufen, wenn dadurch zum Beispiel die Exportchancen anderer Unternehmen beeinträchtigt werden (EuGH Rs. 40-48, 50, 54-56, 111, 113, 114/73 "Suiker Unie", Slg. 1995, S. 1663).

Damit die Kommission als EU-Wettbewerbsbehörde tatsächlich tätig wird, muss die wettbewerbsbeschränkende Maßnahme noch von einigem Gewicht, also "spürbar" sein. Hierbei handelt es sich um ein einschränkendes ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, das übereinstimmend von der Kommission und dem Europäischen Gerichtshof angewandt wird. Die Kommission hat hierzu eine Verwaltungspraxis entwickelt, die sie zuletzt in ihrer „Bekanntmachung über Vereinbarungen von geringer Bedeutung ("de minimis") gemäß Art. 81 Abs. 1“ veröffentlicht hat (ABl. 2001 C368/13).

Das Spürbarkeits-Erfordernis entfällt demnach, wenn die an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen entweder aktuelle oder potentielle Wettbewerber sind, deren Marktanteil insgesamt weniger als 10 Prozent beträgt, oder Nichtwettbewerber und jedes beteiligte Unternehmen auf jedem von der Vereinbarung betroffenen Markt einen Marktanteil von weniger als 15 Prozent besitzt.

Bei Märkten mit kumulativen Behinderungseffekten gilt eine Marktanteilschwelle von 5 Prozent. Allerdings werden Vereinbarungen, die so genannte "Hardcore-Klauseln" enthalten, unabhängig vom Marktanteil der Beteiligten verfolgt. Für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) wird vermutet, dass kein Gemeinschaftsinteresse am Tätigwerden der Kartellbehörde besteht. Insoweit können aber die nationalen Kartellbehörden tätig werden.

Freistellungen vom Kartellverbot (Art. 81 Abs. 3 EGV)

In bestimmten Fällen kann die Kommission auf Antrag Vereinbarungen, die an sich geeignet sind, den Wettbewerb einzuschränken, vom Kartellverbot freistellen. Solche Freistellungen sind dann auch von den nationalen Kartellbehörden zu beachten. Die Freistellung kann in Form einer Einzelfreistellung oder in Form von Gruppenfreistellungen erfolgen.

Einzelfreistellung
Hierzu müssen die beteiligten Unternehmen ihre Vereinbarung auf einem besonderen Formblatt bei der Kommission anmelden. Die Anmeldung hat zur Folge, dass für den Zeitraum zwischen Anmeldung und Entscheidung der Kommission über die Freistellung keine Geldbußen verhängt werden können.

Gruppenfreistellung
Für bestimmte Vertragstypen hat die Kommission in Abwägung zwischen unabweisbaren Interessen der Wirtschaft und dem Gebot, den Wettbewerb zu sichern, eine generelle Freistellung vom Kartellverbot erteilt. Allerdings müssen diese Verträge dann bestimmte Anforderungen erfüllen, um von der Freistellung profitieren zu können. Hierzu enthalten zahlreiche Gruppenfreistellungsverordnungen so genannte "Tabu-Kataloge", die verbotene Vertragsklauseln enthalten.

Folgende Gruppenfreistellungsverordnungen hat die Kommission in der Vergangenheit erlassen:

  • Festlegung allgemeiner Regeln zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EGV auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und auf abgestimmte Verhaltensweisen (Verordnung (EG) Nr. 2790/1999, ABl. EG 1999 Nr. 334, S. 21; Verordnung (EWG) Nr. 19/65 des Rates, ABl. EG 1965 Nr. 36, S. 533, zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1215/1999 ABl. EG 1990 Nr. L148, S. 1).
  • Alleinvertriebsvereinbarungen (Verordnung (EWG) Nr. 1983/83, Abl. EG 1983 Nr. L173, S. 1, zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1582/97, ABl. EG 1997 Nr. L214, S. 27)
  • Alleinbezugsvereinbarungen (Verordnung (EWG) Nr. 1984/83, ABl. EG 1983 Nr. L173, S. 5, zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1582/97, ABl. EG 1997 Nr. 11214, S. 27)
  • Gruppenfreistellung für Technologietransfer-Vereinbarungen (Verordnung (EG) Nr. 240/96, ABl. EG 1996, ABl. EG 1996 Nr. L31, S. 2)
  • Spezialisierungsvereinbarungen (Verordnung (EG) Nr. 2658/2000, ABl. EG 2000 Nr. L301, S. 3 vgl. hierzu auch die Leitlinien der Kommission vom 06.01.2001 zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EGV auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. EG 2001 Nr. C3, S. 2)
  • Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen (Verordnung (EWG) Nr. 2659/2000, ABl. EG 2000 Nr. L301, S. 7)
  • Franchisevereinbarungen (Verordnung (EWG) Nr. 4087/88, ABl. 1988 Nr. L359, S. 46, Verordnung (EG) 2790/1999, ABl. 1999 Nr. L336, S. 21)
  • Vereinbarungen in der Versicherungswirtschaft (Verordnung (EWG) Nr. 1534/91, ABl. EG 1991 Nr. L143, S. 1 und Verordnung (EWG) Nr. 3932/92, ABl. EG 1992 Nr. L389, S. 7)

Rechtsfolgen der Freistellung

Die Freistellung bewirkt die Rechtmäßigkeit des Kartells. Daher dürfen Bußgelder gegen das Kartell nicht verhängt werden. Die Freistellung bindet auch Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten im Rahmen des Anwendungsbereichs der Freistellung, so dass Verstöße wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung (Art: 82) nach wie vor geahndet werden können.

Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung (Art. 82 EGV)

Artikel 82 EGV verbietet die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung, soweit dies den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen kann. Hierbei sind potentielle Auswirkungen ausreichend (EuGH Rechtssache T-69/89, Slg. 1991, II-485 Rn. 77). Artikel 82 EGV sanktioniert die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Marktstellung, nicht den Erwerb derselben (EuGH Rechtssache 311/84 " CBEM", Slg. 1985, S 3261 sowie Folgerechtsprechung). Es liegt auf der Hand, dass eine Freistellung vom Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung nicht möglich ist (EuGH Rechtssache 66/86 "Ahmed Saded Flugreisen", Slg. 1989, S. 803).

Marktbeherrschende Stellung

Für die Beurteilung, wann eine marktbeherrschende Stellung eines Unternehmens vorliegt, ist auf den relevanten Markt und den Marktanteil in diesem Markt abzustellen.

Der relevante Markt

Der relevante Markt ist in dreifacher Hinsicht, nämlich sachlich, räumlich und zeitlich abzugrenzen. Die Einzelheiten hierzu hat die Kommission in einer Bekanntmachung näher dargelegt (ABl. EG 1997 Nr. C372, S. 5).

  • In sachlicher Hinsicht besteht der relevante Markt aus gleichartigen Erzeugnissen, die nicht durch eine beliebige Austauschbarkeit gekennzeichnet sind (mangelnde Substituierbarkeit). In dem Verfahren "Hoffmann-La Roche" hat der Europäische Gerichtshof bei der Marktabgrenzung für Vitaminerzeugnisse bspw. jede Vitamingruppe als gesonderten Markt betrachtet (EuGH Rechtssache 85/76, Slg. 1979, S. 461).
  • In räumlicher Hinsicht beschränkt sich der relevante Markt auf dasjenige Gebiet, in dem der Wettbewerb tatsächlich stattfindet oder in dem sich die Maßnahmen auswirken, "in dem die Wettbewerbsbedingungen (also) hinreichend homogen sind, um eine Einschätzung der wirtschaftlichen Macht des betroffenen Unternehmen zu ermöglichen" (EuGH Rechtssache 27/76 "United Brands", Slg. 1978, S. 207). Bei der Bestimmung des räumlich relevanten Marktes sind unter anderem Transportkosten, Verbrauchergewohnheiten, Anbieterstruktur und ähnliche Faktoren zu berücksichtigen.
  • Unter Umständen kann auch eine zeitliche Abgrenzung des relevanten Marktes nötig sein. Dies kann etwa bei Erzeugnissen, deren Nachfrage und Austauschbarkeit saisonalen Schwankungen unterliegen, der Fall sein (EuGH Rechtssache 27/76 "United Brands", Slg. 1978, S. 207).

Der Marktanteil

Der Europäische Gerichtshof hat die "marktbeherrschende Stellung" als "die wirtschaftliche Machtstellung eines Unternehmens, die dieses in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf den relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und letztlich den Verbrauchern gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu verhalten" definiert (EuGH Rechtssache 272/86 "Alcatel", Slg. 1988, S. 5987). Die marktbeherrschende Stellung wird also durch zwei sich ergänzende Merkmale charakterisiert:

  • als positives Merkmal die Fähigkeit zu unabhängigem Verhalten und
  • als negatives Merkmal die Möglichkeit zu Verhinderung eines wirksamen Wettbewerbs.

Ob eine solche doppelte Verhaltensmacht vorliegt, hängt entscheidend vom Marktanteil des jeweiligen Unternehmens ab. Der Europäische Gerichtshof hat in dem Verfahren "Hoffmann-La Roche" festgestellt, dass besonders hohe Marktanteile im allgemeinen den Beweis für das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung erbringen. Er hat das in dem vorliegenden Fall bei einem Marktanteil von über 80 Prozent bejaht. In anderen Fällen hat er die Auffassung vertreten, dass ein über mehrere Jahre bestehender Marktanteil von 50 Prozent bereits eine marktbeherrschende Stellung begründen kann, insbesondere dann, wenn die Marktanteile von Wettbewerbern wesentlich geringer sind (EuGH Rechtssache C-62/86, Slg. 1991, I-3359).

Missbräuchliche Ausnutzung der Marktstellung

Generell liegt ein Missbrauch im Sinne des Art. 82 EGV vor, wenn das marktbeherrschende Unternehmen ohne sachliche Rechtfertigung seine Wettbewerber behindert mit dem Ziel, seine vorherrschende Position zu sichern oder zu erweitern. Die Kommission und die Rechtsprechung hat hierzu eine Reihe von Fallgruppen entwickelt, die sich unter den Stichworten "Ausbeutungsmissbrauch" und "Behinderungsmissbrauch" zusammenfassen lassen.

  • Zum Ausbeutungsmissbrauch zählt man unter anderem den Preis- und Konditionenmissbrauch, zu denen auch unangemessene Vertragskonditionen gerechnet werden.
  • Zum Behinderungsmissbrauch gehören gezielte Preisunterbietungen "ohne Rücksicht auf Verluste", extensive Nutzung gewerblicher Schutzrechte (zum Beispiel zur Verhinderung von Parallelimporten), während die bloße Ausübung von gewerblichen Schutzrechten dagegen nicht Art. 82 verstößt. Desgleichen werden Ausschließlichkeitsbindungen und die Fälle der Lieferungsverweigerung zu den Begriff "Behinderungsmissbrauch" gerechnet.

Rechtsfolgen des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung

Ein Verstoß gegen Art. 82 EGV ist ipse jure verboten, ohne dass es einer ausdrücklichen Entscheidung der Kommission bedürfte. Als Rechtsfolgen kann die Kommission die Unterlassung anordnen und Bußgelder bis zu einer Million €oder bis zu 10 Prozent des Jahresumsatzes des betreffenden Unternehmens festsetzen. Ferner können vor den nationalen Gerichten Ansprüche auf Unterlassung und auf Ersatz des entstandenen Schadens geltend gemacht werden.

Verträge, die gegen das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung zustande gekommen sind, können gemäß § 138 BGB sittenwidrig oder gemäß § 134 BGB wegen eines Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig sein.

Fusionskontrolle

Anders als der Vertrag der Europäischen Gemeinschaft über Kohle und Stahl (Art. 66) enthält der EG-Vertrag keine expliziten Vorschriften zur Fusionskontrolle. Aufgrund der Konzentrationsentwicklung in der Wirtschaft hat die Kommission daher im Anschluss an die Rechtssache "Continental Can" im Jahre 1973 den Entwurf einer Fusionskontrollverordnung vorgelegt, der nach zähen Verhandlungen im Jahre 1989 als Verordnung des Rates zur Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen verabschiedet worden ist (EWG Nr. 4064/89, ABl. EG 1989 Nr. L395, S. 1; berichtigte Fassung im ABl. EG 1990 Nr. L257, S. 14).

Anwendungsbereich

Auch hier werden nur solche Unternehmenszusammenschlüsse erfasst, die von gemeinschaftsweiter Bedeutung sind. Die Tatbestandsmerkmale sind im einzelnen:

Zusammenschluss von Unternehmen

Rein interne Reorganisationsmaßnahmen innerhalb eines Unternehmens oder einer Unternehmensgruppe bleiben im allgemeinen außer Betracht. Dagegen kann die Bildung einer gemeinsamen Tochter mehrerer Muttergesellschaften die Fusionskontrolle auslösen, wenn die neue Tochter auf Dauer eine selbständige wirtschaftliche Einheit bildet (Art. 3 Abs. 2 der Verordnung zur Fusionskontrolle).

Gemeinschaftsrelevanz des Zusammenschlusses

Hierzu sieht die Verordnung zwei Umsatzschwellen vor, die umsatzbezogen bezogen sind. Werden die Umsatzschwellen erreicht oder überschritten, wird eine Gemeinschaftsrelevanz vermutet.

Untersagungsmerkmale

Unternehmenszusammenschlüsse sind auf ihre Vereinbarkeit mit dem gemeinsamen Markt zu überprüfen. Entscheidend ist, ob der Zusammenschluss zu einer den Markt beherrschenden Stellung führt oder diese verstärkt und dadurch den wirksamen Wettbewerb im gemeinsamen Markt oder einen erheblichen Teile des Wettbewerbs erheblich behindert. Kann dies nicht festgestellt werden, so ist der Zusammenschluss erlaubt (Art. 2 Abs. 2 der Fusionskontrollverordnung).

Regeln zu staatlichen Beihilfen (Art. 87 bis 89 EGV)

Der Wettbewerb kann auch durch protektionistische Maßnahmen des Staates in Form von direkten oder indirekten Beihilfen verfälscht werden. Die Artikel 87 bis 89 EGV verbieten staatliche Maßnahmen, die die Chancengleichheit im Wettbewerb für Unternehmen oder Wirtschaftszweige in verschiedenen Mitgliedstaaten behindern. Solche Beihilfen können direkter oder indirekter Art sein. Wichtig ist, dass der damit verbundene Vorteil bestimmten Unternehmen oder bestimmten Wirtschaftszweigen gewährt werden muss und hierdurch zu einer Wettbewerbsverfälschung und einer Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten führt.

Von dem Beihilfeverbot sieht Art. 87 eine Reihe von Ausnahmen vor, zu denen unter anderem zählen:

  • Beihilfen sozialer Art an einzelne Verbraucher, wenn sie ohne Diskriminierung nach der Herkunft der Ware gewährt werden,
  • Beilhilfen zur Beseitigung von Schäden, die durch Naturkatastrophen oder sonstige außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind,
  • Beihilfen für die Wirtschaft bestimmter, durch die Teilung Deutschlands betroffener Gebiete der Bundesrepublik Deutschland, soweit sie zum Ausgleich der durch die Teilung verursachten wirtschaftlichen Nachteile erforderlich sind.

Ferner können als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werden:

  • Beihilfen zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung von Gebieten, in denen die Lebenshaltung außergewöhnlich niedrig oder eine erhebliche Unterbeschäftigung herrscht;
  • Beihilfen zur Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse oder zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaates;
  • Beihilfen zur Förderung der Entwicklung bestimmter Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete, soweit sie die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verfälschen, die dem gemeinsamen Interesse zuwider läuft;
  • Beilhilfen zur Förderung der Kultur und zur Erhaltung des kulturellen Erbes, soweit sie die Handels- und Wettbewerbsbedingungen in der Gemeinschaft nicht in einem Maße beeinträchtigen, das dem gemeinsamen Interesse zuwider läuft.

Die Kriterien zur Bewertung von Beihilfen hat die Kommission in den "Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung" (ABl. EG 1998 Nr. C74, S. 9, zuletzt geändert am 09.09.2000 ABl. EG 2000 Nr. C258, S. 5) und dem "Multisektoralen Regionalbeihilferahmen für große Investitionsvorhaben" (ABl. EG 1998 Nr. C107, S. 7) beschrieben. Daneben hat sie für bestimmte Beihilfearten (zum Beispiel Forschungs- und Entwicklungsbeihilfen, Umweltschutzbeihilfen, Risikokapital, Umstrukturierungsbeihilfen, Beschäftigungsbeihilfen) weitere horizontale Vorschriften erlassen.

Verhältnis von nationalem zu EU-Kartellrecht

Es gilt der Grundsatz paralleler Rechtsanwendung mit Gemeinschaftsvorrang. Dies bedeutet im Einzelnen:

Wenn eine Maßnahme sowohl nach EG-Kartellrecht als auch nach dem nationalen Kartellrecht verboten ist, ergeben sich im Allgemeinen keine Zuständigkeitskonflikte. Allerdings fordert der Europäische Gerichtshof, dass die zuerst verhängte Geldbuße bei der Bemessung der zweiten berücksichtigt werden muss, um eine "Doppelbestrafung" zu vermeiden.

Wenn eine Maßnahme nach EG-Kartellrecht verboten, aber nach dem nationalen Kartellrecht erlaubt ist, dann geht das Gemeinschaftsrecht mit seinem Verbot vor.

Wenn die Kommission eine Maßnahme nach Art. 81 Abs. 3 EGV freigestellt hat (zum Beispiel durch eine Gruppenfreistellungsverordnung), dann dürfen Mitgliedstaaten diese Entscheidung nicht durch Anwendung des nationalen Kartellrechts entgegenwirken. Ob dies auch für Gruppenfreistellung gilt, ist streitig.

EU-Kartellverfahren

Zuständigkeit
Zuständig für die Ausübung des EG-Kartellrechts ist allein die Kommission. Hierzu sind eine Reihe von Verordnungen erlassen worden, die das Verfahren näher regeln. Dies ist in der Kartellverordnung (EG-Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, ABl. EG 1962 Nr. 13, S. 204, zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1216/1999, ABl. EG 1999 Nr. L148, S. 5) erfolgt. In ihr sind im wesentlichen drei verschiedene Verfahrensarten geregelt:

Negativattest

Auf Antrag kann die Kommission nach Art. 2 der Verordnung Nr. 17 feststellen, dass nach den ihr bekannten Tatsachen kein Anlass besteht, gegen eine Vereinbarung, einen Beschluss oder eine Verhaltensweise aufgrund von Art. 81 Abs. 1 oder Art. 82 EGV vorzugehen. Der Antrag bezweckt also keine Freistellung, sondern nur eine Feststellung, dass die Verbotsvoraussetzungen nicht erfüllt sind. Sie bewirkt damit eine Selbstbindung der Kommission. Die nationalen Gericht sind an das Negativattest nicht gebunden.

Verbotsverfahren und Geldbußen

Wenn die Kommission ein Verhalten feststellt, das gegen die Art. 81 oder 82 EGV verstößt, so kann sie die Beteiligten Unternehmen verpflichten, die Zuwiderhandlung abzustellen (Art. 3 Verordnung Nr. 17). Die Kommission wird hier auf Antrag oder von Amts wegen tätig. Antragsberichtigt sind die Mitgliedstaaten sowie Personen oder Vereinigungen, die ein berechtigtes Interesse darlegen (Art. 3 Abs. 2 Verordnung Nr. 17).

Die Kommission greift nicht ein, wenn sie kein Gemeinschaftsinteresse feststellen kann oder dem Verstoß nur eine geringe Bedeutung für den Binnenmarkt beimisst. Sie kann von einer eigenen Initiative ferner absehen, wenn bereits die nationalen Behörden den Sachverhalt aufgegriffen haben.

Bei vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstößen gegen die genannten Vorschriften kann die Kommission Geldbußen bis zu der Höhe von einer Million €oder bis zu 10 Prozent des letzten Jahresumsatzes festsetzen. Es gelten die allgemeinen Zumessungskriterien für die Festsetzung von Geldbußen (Schwere und Dauer des Verstoßes, generalpräventive Wirkung).

Auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts besitzt die Kommission umfangreiche Ermittlungsbefugnisse. Sie kann insbesondere alle erforderlichen Auskünfte einholen. Die Behörden der Mitgliedstaaten sind zur Amtshilfe verpflichtet. Der Auskunftspflicht unterliegen auch die beteiligten Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen. Die Befolgung der Auskunftspflichten kann gegenüber Unternehmen und Unternehmensvereinigungen mit Zwangsgeldern durchgesetzt werden.

Anmeldeverfahren

Wenn für bestimmte Kartelle eine Einzelfreistellung erwirkt werden soll, müssen die Beteiligten das geplante Kartell bei der Kommission anmelden. Die Einzelheiten zur Form und den Inhalt der entsprechenden Anträge sind in der Verordnung (EG) Nr. 3385/94, ABl. 1994 Nr. L377, S. 28 näher geregelt.

Nicht angemeldete Kartelle sind verboten und nichtig. Dies gilt auch, wenn eine Erlaubnis nach Art. 81 Abs. 3 EGV möglich gewesen wäre. Sofern Vereinbarungen einer Gruppenfreistellung unterliegen, sind sie im Rahmen dieser Gruppenfreistellung zulässig und müssen nicht angemeldet werden.

Verfahren bei Fusionskontrolle

Das Verfahren bei einer Fusionskontrolle gliedert sich in drei Phasen:

  • Vorabprüfungsverfahren
  • Hauptprüfungsverfahren
  • Vereinbarkeits- oder Unvereinbarkeitsentscheidung

Es findet zunächst ein Vorabprüfverfahren statt, dem sich gegebenenfalls das Hauptprüfverfahren anschließt.

Das Hauptprüfverfahren wird eingeleitet, wenn ernsthafte Bedenken gegen den geplanten Zusammenschluss bestehen. Am Ende des Hauptprüfungsverfahrens ergeht entweder eine Vereinbarkeits- oder eine Unvereinbarkeitsentscheidung (Art. 8 Abs. 2 und 3 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 3 der Fusionskontrollverordnung).

Eine Vereinbarkeitsentscheidung kann mit Auflagen und Bedingungen versehen werden. Im Falle einer Unvereinbarkeitsentscheidung ist das Rechtsgeschäft, das dem Zusammenschluss zugrunde liegt, nichtig (Art. 7 Abs. 5 Fusionskontrollverordnung). Sofern der Zusammenschluss bereits vollzogen ist, kann die Kommission alle notwendigen Anweisungen zur Entflechtung geben.

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