Verbändereport AUSGABE 2 / 2012

Die Kraft der Vielen (II): Open Space – Inspiration statt Routine

Teil 2 der Artikelserie zu „Großgruppenveranstaltungen”

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In der Ausgabe 9/2011 haben wir einen ersten Überblick über die vielfältigen Chancen und Einsatzmöglichkeiten von Großgruppenkonferenztechniken gegeben. Nun wollen wir, wie angekündigt, drei Techniken genauer vorstellen und mit der „Open Space“-Methode beginnen. Was ist das Besondere daran, wie läuft sie ab, welche positiven Wirkungen hat sie auf die Teilnehmer und was muss bei ihrer Anwendung beachtet werden?

Jeder kennt diese Situation aus eigener Erfahrung: Man ist Teilnehmer einer Tagung, das Interesse an den Referaten ist recht unterschiedlich ausgeprägt und am spannendsten war im Rückblick eigentlich der Austausch mit den Kollegen in den Kaffeepausen. Wie viele von uns hat auch Harrison Owen diese Erfahrung gemacht und festgestellt, dass häufig der nachhaltigste Informationsaustausch während der Pausen stattfindet. Darauf aufbauend hat er die Methode Open Space entwickelt.

Das Besondere von Open Space sind 3 Elemente:

Der Veranstalter legt ein Rahmenthema für die Veranstaltung fest, zu dem in Untergruppen Teilaspekte diskutiert und konkrete Lösungsvorschläge erarbeitet werden sollen. Das kann und soll durchaus ein komplexes Thema sein, zu dem unterschiedliche Meinungen in der angestrebten Teilnehmerschaft existieren. Auch kann das Thema Konfliktstoff enthalten und für die Organisation dringlich sein. Entscheidend ist es, mit der Themenauswahl und -formulierung die Veranstaltung für die Teilnehmer attraktiv zu machen und vor allem während des Open Space ihre Kreativität zu beflügeln.

Es werden alle Personen zur Open-Space-Veranstaltung eingeladen, die zur Klärung des  Sachverhaltes oder zur Lösung des Problems aufgrund ihres Wissens, ihrer Erfahrung oder ihrer Möglichkeiten zur direkten Umsetzung der Lösungsvorschläge einen Beitrag leisten können. Alle Personen meint hier wirklich alle Personen, die in einem weiteren Sinn zum System gehören und einen Bezug zum Thema haben, also je nach Situation Mitglieder, Mitarbeitende, Austauschpartner, Kunden, Experten, Lieferanten, …

Das Element, das Open Space am deutlichsten von allen anderen Veranstaltungsformaten unterscheidet, ist jedoch die Art der Durchführung. Der Veranstalter verzichtet nämlich in seiner Vorbereitung darauf, das Generalthema wie üblich in Teilthemen zu untergliedern und diese dann bestimmten Untergruppen zur Bearbeitung zuzuordnen; er verlässt sich vielmehr auf die Selbstorganisation der Teilnehmer. Das heißt konkret, er gibt nur den organisatorischen Rahmen und das Zeitraster für die Gruppenphasen vor, für die die Teilnehmer dann erst in der Veranstaltung ihre eigenen Themenvorschläge sammeln, um sich dann anschließend einer dieser Untergruppen zuzuordnen.

Ablauf einer Open-Space-Veranstaltung

Am Veranstaltungsbeginn finden sich alle Teilnehmer in einer Kreisformation ein, bei einer großen Teilnehmerzahl kann dieser Kreis auch mehrere Stuhlreihen gestaffelt umfassen. Open-Space-Veranstaltungen sind von der Teilnehmerzahl sehr flexibel, es können ein paar Dutzend Teilnehmer sein, aber auch mehrere Hundert.

Der Moderator stellt das Rahmenthema vor und erläutert seine Relevanz für den Verband sowie die Regeln der Open-Space-Methode. Er macht den Teilnehmern deutlich, dass der Erfolg dieses Tages für den Verband und auch für sie selbst entscheidend davon abhängt, ob sie sich aktiv mit ihren Fragen, ihren Wünschen, ihrem Wissen und ihren Erfahrungen beteiligen und mit den anderen in Austausch treten. Er bittet sie dann, ihren Vorschlag für ein Teilthema, das sie diskutieren möchten, auf eine Karte zu schreiben, in die Mitte zu kommen und es vorzulesen.

Und so gehen in jedem Open Space – vielleicht nach einer kurzen Schrecksekunde – nach und nach Teilnehmer in die Mitte, stellen in kurzen Worten ihren Themenwunsch vor und hängen ihre Karte anschließend auf vorbereitete Stellwände. Auf diesen sind Raum- und Zeitraster für die einzelnen Diskussionsrunden vorgemerkt.

Als Nächstes starten die Diskussionsrunden zu jedem Thema in den jeweils dafür vorgesehenen Räumen. Die einzelnen Themen werden also in separaten Untergruppen diskutiert und die Ergebnisse auf Flipchart oder im Laptop festgehalten. Meist fungiert derjenige, der das Thema vorgeschlagen hat, auch als Moderator und/oder als Protokollant.

Doch welcher Teilnehmer geht nun in welchen Raum und diskutiert welches Thema? Auch dies ist, entsprechend dem Geist des Open Space, völlig offen und in die Hände jedes Teilnehmers gelegt – es gilt das Motto: Wer auch immer (in die Untergruppe) kommt, es ist die richtige Person. So macht es nichts, wenn in einem Raum vier Personen sind und im anderen 20. Es zeigt sich dabei nur, welche Wichtigkeit einzelne Fragestellungen für die Teilnehmer haben und wo sie etwas beitragen können und wollen. Wenn eine Gruppe früher als geplant fertig ist, hört sie einfach auf und ihre Teilnehmer verteilen sich wieder neu. Auch Einzelne können zwischendurch je nach Bedarf die Gruppe wechseln.

In der Regel finden mindestens zwei bis vier solcher Diskussionsrunden hintereinander statt, zu denen sich die Teilnehmer jeweils neu aufteilen. Ihre Dauer und Reihenfolge oder auch Parallelität hängt von der Teilnehmerzahl und Dauer der Gesamtveranstaltung ab, die von einem halben bis eineinhalb Tage gehen kann.

Die Gruppenergebnisse werden am Schluss wieder im gemeinsamen Plenum aller Teilnehmer des Open Space entweder über eine Galerie der Ergebnisflips oder über die Ausdrucke der Protokolle veröffentlicht. Immer schließt sich eine gemeinsame Priorisierung der Ergebnisse aus den verschiedenen Gruppen an, um Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden zu können. Im Idealfall bekommt dann jeder Teilnehmer das Fotoprotokoll oder den Ausdruck aller Ergebnisse mit für seine Unterlagen.

Umsetzungsmöglichkeiten im Verband

Es gibt wohl keine vergleichbare Veranstaltungsart, die die inhaltliche Kreativität der Teilnehmer durch die Möglichkeiten des „offenen Raums“ so fordert und fördert wie diese. Das selbst gestaltete Diskutieren und Arbeiten entwickelt genauso wie die Selbstorganisation eine produktive Eigendynamik, die der Alltag mit seinen Vorgaben im Rahmen herkömmlicher Gremiensitzungen oft nicht bieten kann. Geeignet ist diese Veranstaltungsform daher immer dann, wenn Sie als Verbandsmanager etwas nachhaltig in Bewegung setzen wollen und Sie viele Ideen und praktische Lösungsvorschläge zu einem komplexen Rahmenthema suchen. Der Vorstand kann sich natürlich bei den Diskussionen beteiligen. Er profitiert vor allem durch den Ideenreichtum der konkreten Diskussionsergebnisse, die hohe Identifikation mit den Ergebnissen und die Bereitschaft der Teilnehmer, an der Umsetzung mitzuarbeiten.

Beispiele für Rahmenthemen könnten sein:

  • Wie können wir das neu erarbeitete Leitbild am besten in die Praxis umsetzen?
  • Wie können wir die Bindung und Identifikation unserer Mitglieder mit dem Verband erhöhen?
  • Wie lässt sich das Leistungsangebot des Verbandes optimieren?
  • Wie lässt sich die beschlossene Strukturreform am besten umsetzen?

Unabdingbar ist es, die Veranstaltung in einen umfassenderen Prozess einzubinden und die Verantwortung für die spätere Aufarbeitung der Ergebnisse, das Herbeiführen notwendiger Beschlüsse und die Planung der Weiterarbeit schon vorher genau festzulegen. Anlässe für ein Open Space gibt es in jedem Verband ausreichend, so lassen sich zum Beispiel auch Teile von Delegierten- oder Fachversammlungen gut damit gestalten.

Erfolgsfaktoren

Der wichtigste Erfolgsfaktor einer Open-Space-Veranstaltung ist die konsequente Umsetzung der oben beschriebenen drei Elemente dieser Methode. Da sie sich durch ein hohes Maß an Selbstorganisation während der Veranstaltung auszeichnet, verlangt sie darüber hinaus eine sehr sorgfältige Vorplanung zur Ausgestaltung optimaler Rahmenbedingungen. Auf was ist besonders zu achten?

Moderation: Hilfreich ist in jedem Fall ein externer Moderator, der mit Open Space vertraut ist und den Teilnehmern die Methodik und vor allem den Freiraum und die damit verbundenen Chancen lebendig vermitteln kann.

Räume: Der ideale Raum ist so groß, dass in ihm nicht nur das Plenum aller Teilnehmer und die Präsentation der Gruppenergebnisse, sondern auch die Untergruppen in (optisch abgetrennten) Diskussionskojen stattfinden können. Alternativ wird eine entsprechend große Zahl von Gruppenräumen nötig.

Ausstattung: Im Plenumsraum sowie für jede Untergruppe werden ausreichend Dokumentationsmöglichkeiten (Flip, Stellwand, Laptop) benötigt und auch das Catering muss in den Pausenzeiten eine schnelle und gute Versorgung gewährleisten.

Es gilt der Grundsatz, je größer die Teilnehmerzahl und je ungewöhnlicher die Methode für den Verband, desto genauer müssen Vor- und Nachbereitung sein. Dann wird das Open Space zum Erfolg für jeden Teilnehmer und für den ganzen Verband.            

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Autor/in

Claus Philippi

war Partner der B’VM|Beratergruppe für Verbandsmanagement. Bern. Linz. Stuttgart. Berlin. Als langjähriger Experte in der Verbandsberatung waren seine Schwerpunkte Mitgliederbefragungen, Leitbild- und Strategieentwicklung, Schnittstelle von Haupt- und Ehrenamt, Konfliktmanagement und die Begleitung bei komplexen Reorganisationsprozessen. Ende 2018 ist er aus dem aktiven Berufsleben ausgeschieden.

http://www.bvmberatung.net

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