Verbändereport AUSGABE 4 / 2009

Die Wirtschaftsverbände vor den Herausforderungen der globalen Wirtschaftskrise

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Ohne Zweifel gilt: Die Wirtschaftskrise bleibt nicht ohne Folgen für die Branchen- und Berufsverbände. Welcher Art diese sein werden, wird aber weitgehend davon bestimmt sein, wie die Verbandsverantwortlichen kurzfristig damit umgehen, vor allem aber, ob sie die Krise als Chance nutzen, den Verband neu zu positionieren und für die Zukunft zu rüsten.

Mancher Verbandsführung steht der Schrecken ins Gesicht geschrieben, wenn sie die Folgen der Krise für das Verbandsbudget und damit für ihren Handlungsspielraum antizipiert. Die Bemessungsbasis fürs Budget droht wegzubrechen: sinkende Umsätze, zunehmende Insolvenzen, sinkende Lohn- und Gehaltsvolumina bei den Mitgliedern — kurz: immer weniger Mitglieder, die den Verband tragen.

Nicht wenige Verbände reagieren auf die krisenhaften Entwicklungen mit alten Verhaltensmustern. Sie fragen: Wie können wir die drohenden Löcher in den Etats stopfen? Sollen wir Serviceaktivitäten gegen Geld anbieten? Können wir Aufgaben outsourcen? Sollen wir stärker auf Freunde (Fundraising) statt auf Mitglieder setzen?

Das ist Denken und Handeln aus der Defensive. Der Blick durch die Brille des Mitglieds unter Einschaltung des Radars, das die Umfeldveränderungen permanent scannt, würde demgegenüber lehren, dass das, was im Augenblick zu tun ist, zugleich die Türe für Zukünftiges öffnen muss. Viele Verbände können hierbei durchaus auf Bewährtes bauen.

Arbeitgeberverbände als Akteure in der Krise

Arbeitgeberverbände als die tarif- und sozialpolitischen Akteure sind in der Krise durch ihre Mitglieder besonders gefordert. Beratung in der Anwendung der vorhandenen tarif- und sozialpolitischen Instrumente steht im Mittelpunkt, wie die Nutzung von Arbeitszeitkonten, Arbeitszeitreduktion in Verbindung mit Lohnverzicht zur Sicherung der Arbeitsplätze, Inanspruchnahme von Kurzarbeit, aber auch die arbeitsrechtliche Vertretung der Mitglieder in Auseinandersetzungen.

Besonders gefragt ist die kreative Verknüpfung tarif- und arbeitsmarktpolitischer Regelungen. Beispiele sind die Verbindung von Kurzarbeit und Qualifizierung, die Einrichtung besonderer Organisationseinheiten (sog. Transfergesellschaften), um zu entlassende oder bereits entlassene Arbeitnehmer auf neue Stellen vorzubereiten.

Arbeitgeberverbänden eröffnet sich die Chance, ihre spezifische Beratungskompetenz nicht nur zu demonstrieren, sondern sie weiterzuentwickeln und somit eine nächste Stufe der Professionalität zu erreichen. Nach all unseren Untersuchungen und Erfahrungen erwarten Mitglieder von ihren Verbänden gerade eine hochprofessionelle Beratungskompetenz. Sie ist, nebenbei bemerkt, ein wesentliches Element der Mitgliederbindung.

Weiterentwickeln der Beratungskompetenz bedeutet Vorausdenken. Wir alle wissen, dass Krisenbewältigung ein hohes Maß an Flexibilität von allen Beteiligten und Betroffenen verlangt. Krisenbewältigung lässt aber auch den Wunsch nach mehr Sicherheit in der Zukunft wachsen.

Dies in Verbindung mit einer hochprofessionellen Beratungskompetenz der Arbeitgeberverbände führt etwa zu folgenden Ansätzen:

- Organisationen, die bisher der reinen Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt dienten, zu Reservoiren und Puffern von Arbeitskräften entwickeln, die einerseits staatlich geregelt, andererseits privatwirtschaftlich geführt sind.

- Die betriebsbezogene Beratungskompetenz so weiterentwickeln, dass betriebliche und tarifliche Instrumente neu verknüpft werden können. Hier sind immer mehr Fähigkeiten zu Moderation und Mediation gefordert.

Krisen der aktuellen Qualität bergen, wie zu beobachten, Risiken zu dauerhaften Machtverschiebungen in sich. Einzelne einflussreiche gesellschaftliche Gruppen fordern wachsende Regulierung zwecks Risikominimierung, in Wirklichkeit meinen sie aber Rücknahme von Flexibilisierung auf Kosten der Freiheit.

Hier sind gerade auch die Arbeitgeberverbände als gesellschaftliche Akteure gefordert, den Weg einer betriebsnahen Tarifpolitik vehement weiterzuverfolgen.

Wirtschaftsverbände als Akteure in der Krise

Wirtschaftsverbände haben in der Krise gute Argumente auf ihrer Seite, kurzfristig wirkende steuer- und fiskalpolitische Instrumente einzufordern zur Abmilderung der Belastungen, die auf die Unternehmen zukommen.

Nicht selten aber geraten sie dabei in gefährliche Zwickmühlen, weil ein und dieselbe Maßnahme bei ihren Mitgliedern unterschiedlich wirkt. Ein Beispiel ist die sogenannte Abwrackprämie, also ein Zuschuss beim Kauf eines Neuwagens, wenn zugleich ein Altauto, das mindestens neun Jahre auf dem Buckel hat, verschrottet wird. Produzenten von Kleinwagen profitieren, Produzenten von Mittel- und Oberklasse PKW gehen leer aus, ja, müssen fürchten, dass dieses einmal vom Staat bereitgestellte Geld bei anderen Aktivitäten, die auch diesen Produzenten zugutekämen, fehlt.

Wegen dieser Dilemmata, die Verbände in der Regel zum Schweigen verurteilen, sind Wirtschaftsverbände gut beraten, sich auf solche Maßnahmen zu konzentrieren, die nachhaltige Lösungen erlauben. Ein Beispiel hierfür sind die jüngsten Positionsbezeugungen von Spitzenverbänden zur gründlichen Renovierung der internationalen Finanzarchitektur.

Die Krise als Innovator für Verbände

Zugegeben, Verbände sind ebenso wenig wie ihre Mitglieder auf eine solch tief greifende Krise, wie wir sie jetzt gerade erleben, vorbereitet. Gerade deshalb sollte sie für jeden Verband Anlass sein, kritisch auf Distanz zu sich selbst zu gehen und zu fragen, was erhaltenswürdig und vor allem was renovierungsbedürftig ist.

Hierbei gilt es vor allem, die liebste Form der Selbstbeschäftigung, nämlich die immer wieder aufflammende, aber selten gelöste Strukturdebatte beiseitezulegen. Dem steht zwar das vorherrschende Prinzip entgegen, die Organisation nach vorgegebenen Fachgebieten wie Steuerrecht, Außenhandel, Tarifrecht, Energiepolitik unter anderem zu gliedern sowie Dach- und Fachverbände oder Dach- und Regionalverbände zum Strukturprinzip zu erheben.

Gleichwohl ist die Frage nach dem zukünftig tragfähigen Leistungsprofil für die gesamte Verbandsorganisation zu beantworten, unabhängig von der zurzeit geltenden organisatorischen Gliederung.

Die Krise lehrt: Zu ihrer Bewältigung ist Professionalität mit Schnelligkeit und Präzision zu vereinen. Strukturen sind retardierende Elemente, Prozesse dynamische. Strukturen sind als Ordnungselemente notwendig, zielverpflichtende Prozesse als Träger der Aktionen überlebenswichtig. Hieraus folgt: Struktur durch Prozess als organisatorisches Leitprinzip zu ersetzen!

Was ist gemeint? Nach unserer Erfahrung reicht die Konzentration auf vier Kernprozesse aus. Wir nennen sie:

  1. Prozess der politischen Beeinflussung (Lobbying)
  2. Prozess der Image-Entwicklung (Status/Prestige der Branche/Berufsgruppe im politischen und wirtschaftlichen Kontext)
  3. 3-F-Programme (Fit for future, Verband als Konzeptentwickler, Wissensmanager, Sparringspartner)
  4. Effizienzprogramme (Schaffung von Synergievoraussetzungen, Dienstleistungen)

Welche Elemente tragen wesentlich dazu bei, den Verband von der Strukturperspektive auf die Prozessperspektive zu lenken? Ich konzentriere mich auf wenige.

1. Systematisches Monitoring:

Zwar werden in jedem Verband in irgendeiner Weise das politische und wirtschaftliche Umfeld, die Entwicklung der Mitgliedschaft, das Begehren aus der Mitgliedschaft, deren Interessenartikulation wahrgenommen, aber meist nicht wie auf einem Radarschirm systematisch gescannt. Zusammenhänge, gegenseitige Beeinflussungen und Bewegungen hin zum Zentrum des Radarschirms werden so nicht rechtzeitig und mit der richtigen Präzision wahrgenommen. Zeitverzögerung und geminderte Qualität der Problembearbeitung sind die Folge.

2. Prozessumfeldanalysen:

Jedes Thema, jedes Problem, jede Frage lässt sich auf einer Landkarte, sei es eine politische, sei es eine technische oder wissenschaftliche, positionieren. Solche Landkarten sind selten konsequent aufgezeigt. Damit verliert die Themen- und Problembewältigung die Chance der richtigen Einordnung im Umfeld und damit an Nachhaltigkeit der Wirkung.

3. Zielprofil/Strategie:

Wegen der Defizite des Monitorings und der Prozessumfeldanalysen entwickeln sich meist Defensivstrategien im Sinne von Verhindern, Vermeiden, Ablehnen. Dabei erfordern Krisenbewältigung und prophylaktische Krisenbewältigung stets Offensivstrategien im Sinne von Aufklärung, Prävention, Nachhaltigkeit.

4. Kommunikation:

Kommunikation — häufig verengt auf Information — folgt meist eingeübten Mustern. Charakteristisch ist das Einspeisen in Verteiler all der Dinge, die von außen kommen oder die intern erarbeitet werden, meist ohne geforderte oder gelebte Feedbackprozesse. Die stärkere Orientierung an Prozessen, an einer Prozessorganisation, führt notwendigerweise dazu, dass auch Kommunikationsinhalte und Kommunikationswege enger an Prozesse angedockt werden. Sie gewinnen dadurch Zielgenauigkeit und fordern stärker die Partizipation der Prozessbeteiligten heraus.

5. Kooperations- und Netzwerkmanagement

So wenig, wie die Themen, Probleme und Fragen in „normalen“ Situationen nur branchenspezifisch oder nur berufsgruppenbezogen sind, so gilt dies umso weniger in krisenhaften Situationen. Mittlerweile gehört es zum Ausweis von Professionalität, wenn Verbände je nach Themen- und Problemlage Netzwerke bilden, die deren Bewältigung erleichtern. Weniger ausgeprägt ist die Bereitschaft, mit anderen Verbänden — seien sie Repräsentanten konkurrierender Branchen oder Berufsgruppen — zu kooperieren, obwohl die Lösung von Problemen, vor allem im politischen Raum, dies zwingend erfordert. Hier fehlt der Kompass, der die Richtung solcher Kooperationen angibt. Eine funktionierende Prozessorganisation würde ihn liefern.

Resümee unserer Überlegungen ist:

Verbände sind in der Krise durch ihre Mitglieder akut und stark gefordert. In Kernfeldern sind viele von ihnen durchaus handlungsfähig. Nicht zu übersehen ist aber, dass die Krise manche Verbände überfordert. Sie sind aufgefordert, nicht in Defensivmuster zu verfallen, sondern die Chance zur Renovierung zu nutzen. Ein Weg ist die konsequente Umstellung vom Struktur- zum Prozessprinzip. Wir haben es kurz begründet und skizziert.

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Autor/in

Hans Werner Busch

ist Gründer und Geschäftsführer des Instituts für Verbandsmanagement Potsdam. Von 2000 bis 2005 führte er als Hauptgeschäftsführer den Arbeitgeberverband Gesamtmetall. Dr. Busch kommt ursprünglich aus dem Krupp-Konzern, in dem er personalpolitische Gesamtverantwortung für den Konzern wahrgenommen hat.

http://www.ivm-busch.de

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