Verbändereport AUSGABE 8 / 2003

Ein Verband braucht Visionen als Führungsinstrument

Interview mit Dietmar Harting, Präsident des ZVEI

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Herr Harting, mit Ihrer Initiative hat sich der ZVEI als erster Wirtschaftsverband eine Vision, ein Leitbild und eine Mission gegeben. Aus der Politik hören wir die Empfehlung, dass alle, die Visionen haben, sich unmittelbar in ärztliche Behandlung begeben sollten. Herr Harting, geht es Ihnen gut?

Harting: Der Sommer ist gerade vorbei, mein Urlaub im norddeutschen Raum auch. Danke der Nachfrage, mir geht es ausgezeichnet. Um auf Ihre Frage zu kommen: Wir erleben gerade in der Politik was passiert, wenn offenbar niemand da ist, der eine generelle, eine langfristige Linie bestimmt, für eine Vision steht.

Aber lassen Sie mich den Umgang mit einer Vision erläutern. Eine Vision ist ein Führungswerkzeug. Visionen sind immer dann nützlich und zielführend, wenn Sie Organisationen gestalten und ausrichten müssen, die hochgradig heterogen und damit komplex sind. Der ZVEI bündelt die Interessen von über 1.400 Mitgliedsunternehmen. Das Spektrum dieser Mitgliedsunternehmen reicht vom Unternehmen der Unterhaltungselektronik bis hin zu Mikrosystemtechnikherstellern und von unseren großen Mitgliedern, wie der Siemens AG, Bosch ABB und anderen namhaften Unternehmen, bis hin zum kleinen nur regional arbeitenden Unternehmen des Mittelstands.

Eine gemeinsame Ausrichtung, eine Vision ist das geeignete Gestaltungsmittel, um dieser Komplexität gleichwohl eine gemeinsame Plattform zu geben. Die Entwicklung unserer „Vision für den ZVEI“ hat deutlich gemacht, wie anspruchsvoll dieses Werkzeug ist. Wir haben über 2 Jahre darüber diskutiert – mit externen und internen Stakeholdern. Entstanden ist eine Formulierung, die zumindest mittelfristig dem ZVEI Inspiration und Ausrichtung geben wird. Die Vision wirkt vor allem proaktiv, also motivierend.

In der Präambel der Visionsformulierung des ZVEI sprechen Sie von Querschnittstechnologien und erheben den Anspruch, dass die Elektroindustrie die führende Innovationsbranche sei. Ist das nicht ein bisschen vollmundig?

Harting: Die Ausprägung von Selbstbewusstsein ist eine wichtige Funktion einer Vision. Die Tatsache, dass Sie diese Frage überhaupt stellen, macht deutlich, dass wir mit der Visionsformulierung die Elektro- und Elektronikindustrie im allgemeinen Bewusstsein anders verankern müssen. Die Fakten zeigen, dass wir hier keinen Anspruch erheben, sondern das aufnehmen, was z.B. das Mannheimer Europäische Forschungsinstitut empirisch nachweist: wir sind in der Tat die Branche mit der lebhaftesten Innovationstätigkeit. Es sind die elektrotechnischen Innovationen, denken Sie z.B. an das Automobil oder an den Maschinenbau, die ein wesentlicher Treiber der Innovationen sind.

Sie sprechen in ihrer Vision von einer verbandspolitischen Heimat – dies in einer Zeit, in der Verbände erheblich unter Druck geraten. Ist das nicht eher ein Blick nach hinten, denn nach vorne?

Harting: Der Trend zur Globalisierung bedeutet nicht die Auflösung des Begriffs der „Heimat“. Wir haben absichtsvoll diesen scheinbar unmodernen Begriff gewählt. Egal wie Sie als Unternehmen weltweit agieren, sie brauchen eine Heimat in der Technologie, aber ebenso in einer Branche und schließlich auch in einer Region, in einem Land. Es gibt keine Globalität ohne Heimat. So einfach ist das. Der ZVEI bildet in diesem Sinne die Heimat, die Plattform für seine Mitgliedsunternehmen. Gerade in einer Zeit, in der es wirtschaftlich nicht sehr gut läuft, ist der Verband auch ein Ort der Stabilität und der Orientierung.Das mag für ein großindustrielles Unternehmen weniger wichtig sein, für die mittelständischen Mitglieder ist dies ein wichtiger Punkt.

Sie sprechen in Ihrem Verbandsstatement über Werte und der zentralen Rolle unternehmerischen Handelns. Muss man das heute nicht als Ökonomismus bezeichnen, dass Sie versuchen die Welt rein aus ökonomischer Sicht zu interpretieren?

Harting: In der aktuellen politischen Diskussion geht oft der Zusammenhang zwischen dem Gesellschaftssystem und seinen ökonomischen Bedingungen verloren. Jede Wirtschaftsordnung hat eine Gesellschaftsordnung zur Voraussetzung und umgekehrt. Die Entfaltung der unternehmerischen Energie ist die zentrale Bedingung, um gerade in marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaftssystemen für die Mehrung von Beschäftigung und Wohlstand zu sorgen. Dies einzufordern, ist schon fast ein Stück aus dem Geschichtsunterricht, gleichwohl zeigt die gesetzgeberische Wirklichkeit, dass man nicht müde werden darf, diese Grundlage für das Wohlergehen eines Gemeinwesens einzufordern.

Aktuell wird das Bild in der mittelständischen Wirtschaft von Investitionen im Ausland geprägt. Es findet ein Abfluss von Investitionen und in der direkten Folge von Beschäftigung statt. Das Lamento über den Kostenfaktor Arbeit hilft wenig, proaktive Maßnahmen zur Entlastung der Arbeitskosten sind das Gebot der Stunde. Die aktuelle Entwicklung, die die politischen Akteure tief besorgen muss, ist umso erstaun-licher, als dass die Politik darauf reagiert, indem sie die Rahmenbedingungen erneut verschlechtert. Direkte oder auch indirekte Steuererhöhungen, aber auch der weitere Ausbau staatlicher Bürokratie sind falsche Signale, die den Trend nicht umkehren werden.

Gerade Eigentümerunternehmen, wie auch mein eigenes Unternehmen, haben ein Interesse an einem attraktiven Standort, wir können aber beispielsweise unsere Produktionsstätten nicht zu jedem Preis hier in Deutschland halten. Kurzum: Es geht nicht um Ökonomismus, sondern es geht um die ökonomischen Voraussetzungen für den Wohlstand von Vielen.

Sie behaupten, dass der Verband zum Erfolg der Unternehmen beitragen würde. Ist nicht das Gegenteil richtig, dass der Verband ein Kostenfaktor der Unternehmen ist, und der Nutzen nur wenigen großen Mitgliedern wirklich verdeut-licht werden kann?

Harting: Ich könnte mir die Antwort auf diese Frage einfach machen und auf die Lobbying Erfolge des ZVEI im Bereich bleifreies Löten oder beim Aufbau eines Rücknahmesystems bei Elektroaltgeräten verweisen. Die Wirklichkeit verbandlicher Arbeit ist weit komplexer und verlangt eine kontinuierliche Arbeit. Die Verbandstätigkeit umfasst grundlegende, kontinuierliche Arbeiten, wie die Klärung von Rechts- und Steuerfragen, Fragen der Außenwirtschaft, oder die Teilnahme am Normungsgeschehen.

Das sind, wenn man so will, die „basics“, das Tagesgeschäft. Viel entscheidender aber ist der Aufbau einer national und international wirkenden community, die uns als export-abhängiger Nation hilft, deutsche Technologie erfolgreich zu vermarkten. Die Arbeit in Fachverbänden leistet hier einen wichtigen Beitrag, denn unsere technologischen „road-maps“ zeigen jedem einzelnen Unternehmen die Entwicklungsrichtung von Technologien, ein ganz wesentlicher Nutzen, wenn es um Fragen der Investitionssicherheit geht.

Sie können heute keine direkte Korrelation zwischen Verbandsmitgliedsbeitrag und individuellen Nutzen für das einzelne Unternehmen aufbauen, auch wenn dies hin und wieder gelingen könnte. Das ist auch nicht die Ebene, auf der eine Mitgliedschaft verstanden werden sollte. Die Teilnahme an der Branchenentwicklung, die kontinuierliche Abstimmung der eigenen Interessen mit den großen Playern in jeder Branche, aber auch der Aufbau einer intensiven Vernetzung, das sind die Kernpunkte, die einen Verband leben lassen. Zugleich entsteht für jedes Mitglied ein individueller Nutzen.

Der ZVEI lebt, wie andere Verbände auch, im Wesentlichen durch das Engagement seiner über 5.000 Ehrenamtsträger, sie haben einen entscheidenden Anteil an der Dynamik des Verbandes.

Territorial bekennen Sie sich zu einer europäischen Basis. Muss nicht der globale Aspekt sehr viel deutlicher betont werden?

Harting: Mit Blick auf die Beitrittsländer zur EU stehen wir vor einer Neubewertung des europäischen Binnenmarktes. Über 500 Millionen Konsumenten, die in der Perspektive mit einer Währung bezahlen und die ein gemeinsames politisches System teilen, sind auch industriepolitisch kein Nullsummenspiel. Europa steht erst am Beginn eines weltweiten Bedeutungszuwachses. Eine unglaubliche Herausforderung für alle.

Ich denke, dass der ZVEI gut daran tut, eine europäische Perspektive im engeren Sinne zu beziehen. Hier gibt es erheblichen Handlungsbedarf. Zugleich schafft diese eigene Position auch den Raum für europäische Vernetzungen, die dann ihrerseits den weltweiten Bedarf an Strukturbildungen gestalten können und sollen.

Die Abbildung der Dimension „global“ ist keine Aufgabe, die sie im Vorbeigehen erledigen können. Dazu braucht es gewachsene Strukturen und bezogen auf die politischen Einflussmöglichkeiten auch die demokratische Legitimation der eigenen Organisation. Vor diesem Hintergrund konzentriert sich der ZVEI auf das Gestaltbare, ohne das Notwendige aus dem Blick zu verlieren.

Wir bedanken uns für dieses Gespräch.

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