Verbändereport AUSGABE 4 / 2011

Erfolgreiches Lobbying in Brüssel: Praxistipps für Verbände

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In Beratungsmandaten für deutsche Verbände und bei Seminaren für Verbandsvertreter ist in letzter Zeit häufig die Frage an mich herangetragen worden, was denn die wichtigsten Erfolgsfaktoren für das Lobbying nationaler Verbände auf Brüsseler und Straßburger Ebene seien. Auch wenn eine für alle Verbände gleichermaßen gültige Antwort schwerfällt, versuche ich mit diesem Text, einige grundlegende Erfolgsfaktoren zu beschreiben.

In meinem Aufsatz „Lobbying bei den Institutionen der Europäischen Union" im Verbändereport Heft 4/2010 habe ich bereits die Rolle und Bedeutung sowie das Selbstverständnis der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments und des Ministerrats im Gesetzgebungsprozess beschrieben. Die Kenntnis und das Verständnis sowohl der formalen als auch der informellen Prozesse, auf die ich hier nicht weiter eingehen will, bilden die erste Grundlage für erfolgreiches Lobbying in Brüssel.

Notwendigkeit europäischen Handelns

Alle Bürger, Unternehmen und Organisationen sind in zunehmendem Maße von Entscheidungen auf europäischer Ebene betroffen. Je mehr Gesetzgebungskompetenz auf die EU übergeht, desto stärker rückt die europäische Politik in den Fokus von Verbänden, auch auf nationaler Ebene. Die Vertretung von Mitgliederinteressen auf der europäischen Ebene ist für nationale Verbände jedoch nicht immer leicht. Besonders die Europäische Kommission bevorzugt europaweit organisierte Verbände als Gesprächspartner deutlich. Trotzdem ist das eigenständige Auftreten auch für Präsidenten und Hauptgeschäftsführer nationaler Verbände in Brüssel häufig erforderlich, meistens, weil:

der Organisationsgrad auf europäischer Ebene zu schwach ist der zuständige Europaverband nur wenige Mitgliedsstaaten repräsentiert keine oder nur eine schwache Brüsseler Repräsentanz besteht ein nationaler Verband das Europabüro nebenbei „mitbetreut“ die Interessen der nationalen Mitglieder sehr heterogen sind manche Nationalverbände über ihre nationalen Abgeordneten, die ständige Vertretung ihres Landes und ihr Netzwerk an Kontakten mit Landsleuten in der Europäischen Kommission (unter dem Deckmantel europäischer Interessen) ihr eigenes Lobbying betreiben. Deutsche Verbände sind demgegenüber in der Regel sehr zurückhaltend und haben insofern nur einen relativ geringen Einfluss.

Verankerung in Organisation und Satzung

Um sich eine europapolitische Legitimation zu schaffen, kann es sinnvoll sein, europäische Aufgabenstellungen in die Satzung zu integrieren. Dies ist unter bestimmten Bedingungen auch über die Integration der Begriffe „Europa“ oder „europäisch“ in die Namensgebung möglich.

Wissen, was kommt

Erste Grundlage des erfolgreichen politischen Handelns auf europäischer Ebene ist das Wissen um aktuell laufende politische Prozesse, mehr aber noch das Wissen um kommende Gesetzgebungen. Dazu ist ein eigenes Monitoring unverzichtbar. Dies kann man mit den modernen Tools, die das Internet bietet, selbst organisieren oder aber an professionelle Dienstleister auslagern. Beide Wege haben ihre Vor- und Nachteile, die jeder Verband für sich abwägen muss. Einen Verzicht auf Monitoring kann sich jedoch kein Verband leisten, da er gegenüber den Mitgliedern eine Informationspflicht hat.

Kontaktnetzwerk aufbauen und pflegen

Neben dem Desktop-Monitoring brauchen Verbände ein eigenes, belastbares Kontaktnetzwerk in der europäischen Politik. Dies sollte alle drei EU-Institutionen (Kommission, Parlament, Rat) ebenso einbeziehen wie Landesvertretungen, Brüsseler Büros anderer Verbände, Büros von Mitgliedsunternehmen und andere Akteure. Da viele neue Gesetzgebungen in Brüssel lange informell diskutiert werden, bevor sie in Schriftform vorliegen, schafft ein gutes Netzwerk erhebliche Zeitvorteile und erhöht so die Einflussmöglichkeiten im Interesse der eigenen Mitglieder.

Präsenz zeigen

Persönliche Kontakte erleichtern vieles in Brüssel und Straßburg. Verbände, die über ihre Geschäftsführung bzw. über ihr Ehrenamt (Präsidenten, Vizepräsidenten) ein Mindestmaß an persönlicher Präsenz in Brüssel haben, sind deshalb deutlich im Vorteil. Veranstaltungen, die von Interessengruppen, aber auch der Europäischen Kommission oder Landesvertretungen durchgeführt werden, sind eine perfekte Plattform, um (informelle) Informationen zu bekommen und sein Netzwerk zu entwickeln.

Europäisch argumentieren

Seine Interessen durchsetzen kann man in Brüssel nur, wenn man sich argumentativ innerhalb der Leitideen und der Prinzipien europäischer Politik und europäischer Integration bewegt. Dies bedeutet vordergründig, dass man seine Interessen in einem europäischen Kontext formulieren muss. Wichtig ist darüber hinaus, nicht gegen den Grundkonsens zu verstoßen, der mit den folgenden Begriffen umrissen werden kann: europäische Integration, Entwicklung des Binnenmarktes, fairer Wettbewerb, Wettbewerbsfähigkeit Europas im Weltmaßstab, Freizügigkeit für Personen und Güter, Verbraucherschutz, Klimaschutz.

Allianzen bilden

Kaum ein nationaler Verband wird stark genug sein, die Interessen seiner Mitglieder auf europäischer Ebene allein durchzusetzen. Deshalb ist es klug, frühzeitig Allianzpartner zu suchen und sich mit diesen zusammenzuschließen. Dabei können Themen- oder strategische Allianzen gebildet werden, die sehr heterogen strukturiert sein können. Als Allianzpartner bieten sich andere (nationale oder europäische) Verbände, Nichtregierungsorganisationen, Landesvertretungen, die ständigen Vertretungen anderer Mitgliedsstaaten, Unternehmensrepräsentanzen etc. an. Der Kreativität sind hierbei zunächst keine Grenzen gesetzt. Wichtig ist es, gemeinsame politische Interessen zu finden, gemeinsame Positionen sauber zu formulieren und das Vorgehen zu
koordinieren.

Früh beginnen und den gesamten Entscheidungsprozess begleiten

Mehr noch als beim nationalen Lobbying sind das frühzeitige Erkennen politischer Entwicklungen und die frühzeitige Intervention in Brüssel wichtig. Dies setzt, wie oben gezeigt, frühzeitige Informationen durch das eigene Monitoring, ein gutes Kontaktnetzwerk und die Fähigkeit zu politischer Analyse und konzeptioneller Positions- und Allianzenbildung voraus. Aufgrund der langwierigen und komplexen Prozesse im Mitentscheidungsverfahren, an dem die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und – über den Ministerrat – die Regierungen (und teilweise Parlamente) der 27 Mitgliedsstaaten beteiligt sind, führt punktuelles Lobbying (zum Beispiel ein einmaliger parlamentarischer Abend) nicht zum Erfolg. Vielmehr ist es wichtig, dauerhaft, d. h. manchmal über Jahre, mit allen Entscheidungsgremien im aktiven Dialog zu bleiben.

Geben und nehmen

Wie auf anderen Ebenen auch gilt im europäischen Lobbying, dass man als Verband nicht nur mit Forderungen an die Entscheidungsträger herantreten darf. Um nachhaltig als seriös und nützlich akzeptiert zu werden, muss man seinen Gesprächspartnern auch einen Mehrwert bieten, und zwar am besten über das jeweilige einzelne Lobbyprojekt hinaus.

Sowohl Mitarbeiter der Kommission als auch Abgeordnete im Parlament (und ihre Assistenten) benötigen regelmäßig Sachinformationen wie Marktdaten, Statistiken, Ergebnisse wissenschaftlicher Studien, technische Auskünfte etc. Verbände sind als Informationslieferanten besonders geschätzt, können sie doch neben dem eigenen Datenfundus in der Regel auf das Know-how ihrer Mitglieder zurückgreifen. Sie können besonders punkten, wenn ihre politisch relevanten Informationen möglichst regelmäßig und kontinuierlich bereitstehen.

Lösungsorientiert argumentieren

Weil politische Prozesse in Brüssel in der Regel komplex sind und viele unterschiedliche Interessen berühren, sind die Gesprächspartner besonders geschätzt, die nicht nur ihre eigenen Forderungen vortragen, sondern sich konstruktiv an der Problemlösung beteiligen. Dies gilt schon im individuellen Dialog mit den Institutionen, besonders aber in der Phase des sogenannten Trilogs (vergl. Verbändereport 4/2010, Seite 15/16), wenn das Europäische Parlament mit dem Ministerrat, in Abstimmung mit der Europäischen Kommission, um Kompromisse ringt. Lösungsorientiert zu argumentieren ist anspruchsvoll und verlangt eine hohe politische Kompetenz, bietet Verbänden aber enorme Chancen der Durchsetzung ihrer Interessen, völlig unabhängig von der Größe und finanziellenPotenz.

Kulturelle Differenzen und unterschiedliche Sprachen einbeziehen

Häufig unterschätzt wird von Lobbyisten in Brüssel die Bedeutung kultureller (nationaler) Besonderheiten und der verschiedenen Sprachen. Diese sind aber vorhanden und haben einen großen Einfluss auf Entscheidungen. Auch wenn es beim Einsatz der vermeintlichen Weltsprache Englisch nicht so scheinen mag, denkt und fühlt beispielsweise ein Bulgare anders als ein Schotte, ein Franzose anders als ein Malteser. Diese ethnisch und historisch bedingten Unterschiede in Wahrnehmung und Auffassung zu erkennen und sich darauf einzustellen, stellt besonders hohe Anforderungen an die Lobbyarbeit. Hier erfolgreich zu operieren, erfordert ein hohes Maß an sozialer und interkultureller Kompetenz. Die Beteiligung eines Delegierten an der eigenen Verhandlungsdelegation, der die Muttersprache des Gesprächspartners gut beherrscht,  kann Hürden überwinden, Reserviertheit abbauen und fruchtbare Kommunikation erleichtern. Dies gilt auch für die Herstellung von Bezügen zum Heimatland. Es ist lohnenswert, sich vor einem Gespräch mit der Geschichte, der Geografie sowie der aktuellen politischen Lage des Landes, aus dem der Gesprächspartner stammt, zu beschäftigen; und wenn es nur das Einstreuen von Urlaubserfahrungen ist.

Politische Unterschiede ernst nehmen und differenziert argumentieren

Auch die Zugehörigkeit von Gesprächspartnern zu unterschiedlichen politischen Parteien und Gruppierungen kann eine bedeutende Rolle spielen. Ein (rechts-)nationaler Abgeordneter wird viele europäische Fragen anders einschätzen und beurteilen als ein Delegierter, der sich der sozialistischen Internationale zugehörig fühlt. Genauso herrschen in Fachfragen unterschiedliche Bewertungen beispielsweise zwischen liberalen und sozialdemokratischen Abgeordneten.

Zusammenfassung und Resümee

Das Agieren nationaler Verbände auf Brüsseler Parkett ist nicht einfach, aber auch nicht unmöglich. Neben der Betonung des Europäischen in der Vorstellung des eigenen Verbandes und in der Argumentation ist die Kenntnis der Prozesse, insbesondere das Zusammenspiel zwischen Europäischer Kommission, Europäischem Parlament und Ministerrat, von großer Bedeutung. Ein umfassendes Monitoring sowie ein belastbares Kontaktnetzwerk sind weitere Erfolgsfaktoren. Daneben gilt es, Grundregeln der politischen Kommunikation wie das lösungsorientierte Argumentieren zu beachten sowie die EU-spezifische Überschneidung der national-kulturellen sowie der politisch-ideologischen Dimension zu berücksichtigen. All dies unterscheidet Lobbying in Brüssel erheblich von nationaler politischer Interessenvertretung.

Für Verbände, die nur selten oder erstmals in Brüssel agieren, empfiehlt sich deshalb in der Regel die Beschäftigung eines externen Lobbyisten (Public-Affairs-Agentur, Berater).

Um die grundlegenden Prozesse und Systemzusammenhänge besser zu verstehen, kann es darüber hinaus angeraten sein, an einem speziellen Lobbyseminar teilzunehmen. Dies gilt auch für Verbandsrepräsentanten, die in Berlin sicher und souverän auftreten und über Erfahrungen im Lobbying auf nationaler Ebene verfügen.

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Autor/in

Hubert Koch

ist Public-Affairs-Experte und Lobbyist.  Dr. Koch war selbst zehn Jahre Hauptgeschäftsführer und Mitglied des Präsidiums eines Industrieverbandes. Mit der Dr. Koch Consulting e.K. unterstützte er viele Jahre Verbände bei der Entwicklung und Durchführung von Lobbyprojekten auf nationaler und europäischer Ebene.

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