Verbändereport AUSGABE 9 / 2009

Finanzmanagement mit Augenmaß – Lehren aus der Finanzkrise

Ein „schwarzer Schwan“ * ist in der Realität häufiger anzutreffen, als man denkt

Logo Verbaendereport

Auch die Anlageportfolios traditionell konservativ ausgerichteter institutioneller Anleger wie Verbände haben durch die Finanzkrise gelitten. Was können Verbände für das kommende Jahr erwarten und welche Lehren sind aus der aktuellen Finanzkrise zu ziehen?

Die Finanzkrise, die 2007 eingesetzt und sich 2008 verschärft hat, erschütterte die Weltwirtschaft in ihren Grundfesten. Unter Verbrauchern, Unternehmern und Anlegern löste sie eine Vertrauenskrise aus, die fast alle Formen des globalen Handels zu lähmen drohte. Mittlerweile geht die Weltwirtschaft wieder von der Stabilisierungs- in die Erholungsphase über, wie volkswirtschaftliche Indikatoren und zum Teil bereits wieder positive Wachstumsraten dokumentieren.

Steigende Exporte in Asien und eine auflebende Produktionstätigkeit in den Volkswirtschaften der westlichen Welt deuten darauf hin, dass die globale Konjunkturerholung an Breite gewinnt. Über die nächsten Quartale sollten die Konjunkturpakete und die Aufstockung der Lagerbestände die konjunkturelle Erholung stützen. Insgesamt dürfte der Aufschwung eher verhalten ausfallen, wenn diese Effekte auslaufen. Zudem ist die Instabilität der Konsumnachfrage ein Risiko, da die Situation an den Arbeitsmärkten und bei den Kreditvergabebedingungen schwierig bleibt. Die westliche Welt dürfte tendenziell auf einen niedrigen Wachstumstrend einschwenken, während in den Schwellenländern deutlich bessere Wachstumsbedingungen vorherrschen.

Historisch niedrige Zinsen dürften steigen

Für die Zinsmärkte, die für Verbände aufgrund der in der Regel bestehenden Dominanz der Anlageform in den Portfolios von besonderer Bedeutung sind, erwarten die Experten der UBS folgende Entwicklung im kommenden Jahr: Auf Basis eines weiterhin noch moderaten Inflationsumfeldes dürften die Zinsen für unterjährige Anlagen auf Sicht der nächsten Monate auf einem sehr niedrigen Niveau verharren und dann sukzessive ansteigen. Bei langfristigen Kapitalmarktzinsen erwarten sie weltweit im Zuge einer Rückkehr zu leicht wachsenden Volkswirtschaften einen Zinsanstieg. Daraus entsteht ein Anlagedilemma, da ein Risiko besteht, dass der Anleihemarkt schlechter rentiert als der heimische Geldmarkt und somit Investitionen in kürzere Laufzeiten attraktiver erscheinen als lange Laufzeiten, die höhere Risiken bei steigenden Zinsen haben. Gerade im kurzfristigen Bereich ergeben sich aber bei einem Blick auf die Zinsstrukturkurve besonders niedrige Renditen. Hier gilt es für den institutionellen Investor die geeignete Kombination aus Länge der Anlage und Höhe der notwendigen oder gewünschten Rendite unter Berücksichtigung der Risiken zu finden.

Retrospektive Wirtschafts­zyklusbetrachtung — „Zeit der großen Beruhigung“

Die 25 Jahre vor Beginn der Krise waren insofern bemerkenswert, als sie durch geringere Schwankungen (Volatilität) des Wirtschaftswachstums und der Inflation sowie durch einen gedämpften Konjunkturzyklus mit wenigen rezessiven Phasen von kurzer Dauer geprägt waren. Darum wird diese Periode gemeinhin als „große Beruhigung“ bezeichnet. Der Ausdruck geht auf eine Rede des damaligen Fed-Governeurs und heutigen Notenbankchefs Ben Bernanke im Jahr 2004 unter dem Titel „The Great Moderation“ zurück. Ob es der Wirtschaftspolitik, der Marktliberalisierung, Privatisierung, Globalisierung und der Desinflation, purem Glück oder einer Kombination aus allen diesen Elementen zu verdanken sei, wird von Ökonomen heftig debattiert. In jedem Fall brachte die große Beruhigung für Finanzanlagen einen der beständigsten Bullenmärkte der Geschichte hervor.

Insbesondere in den globalen Anleihemärkten hat dies zu historischen jährlichen Renditen geführt, die in bestimmten, auch langen Zeiträumen bei geringerem Risiko deutlich höher lagen als beispielsweise auf der Aktienseite. Hiervon konnten traditionell konservativ ausgerichtete institutionelle Anleger wie Verbände profitieren. Trotzdem haben speziell die Finanzmarktkrisen der Jahre 2001, 2002 und 2008 aufgrund der Schärfe der Einbrüche zu erheblichen negativen Spuren in den institutionellen Portfolios geführt.

Für die nahe und mittlere Zukunft ist davon auszugehen, dass auf Basis des historisch niedrigen Zinsumfelds jährliche Renditen von deutlich über 6 Prozent p. a. im Rentenbereich erst einmal der Vergangenheit angehören dürften. Hieraus ergeben sich neue Herausforderungen für Verbände, um adäquate Renditen bei einer konservativen Grundausrichtung der Anlagen zu erzielen.

Lehren aus der Finanzkrise

Eine der wichtigsten Lehren aus der Finanzkrise lautet, die Unsicherheit über die Zukunft stets ernst zu nehmen. Nur wenige haben den Markteinbruch des Jahres 2008 vorhergesehen. Die Finanzerträge lassen sich selbst in den besten Zeiten von Natur aus schwer prognostizieren. Extreme Ereignisse sind möglich und können dramatischer und häufiger sein, als man bei der ausschließlichen Betrachtung der normalen Ereignisse annehmen könnte.

Moderne Anlagemodelle und Portfolioprinzipien gehen im Großen und Ganzen von einer Normalverteilung der Ereignisse aus, wobei Faktoren mit Einfluss auf den Wert oder den Kurs eines Vermögenswerts statistische Regelmäßigkeiten aufweisen. Die Realität kann jedoch ganz anders aussehen, wie die Finanzkrise uns lehrte. Extreme Ereignisse an den Finanzmärkten sind aber häufiger, als die Normalverteilung andeutet. Oder mit anderen Worten: Ein „schwarzer Schwan“ * ist in der Realität häufiger anzutreffen, als man denkt. Aus dieser Erkenntnis ergeben sich für Anleger und insbesondere für institutionelle Anleger nachhaltige Konsequenzen bei der Kapitalanlage.

Die Bedeutung von Diversifikation, Asset Allocation & Risiko­tragfähigkeit wird sich ändern

Hinzu kommt, dass Diversifikation im Krisenjahr 2008 nicht wie gewünscht funktioniert hat. Zwar hat die Finanz- und Wirtschaftskrise die Grenzen der Diversifikation aufgezeigt. Allerdings sind Investoren weiterhin gut beraten, diversifizierte Portfolios beizubehalten. Die Alternative, das heißt eine mangelnde Diversifikation, würde noch größere Risiken mit sich bringen. Es wird betont, dass die Diversifikation auf den jeweiligen Risikorahmen der investierenden Institution abgestimmt sein muss, damit dieser von den Vorteilen profitiert.

An den Finanzmärkten beginnt nach unserer Meinung ein neues Zeitalter. Daher befürworten wir eine regelmäßige Überprüfung der strategischen Asset Allocation (SAA) und einen dynamischeren Ansatz bei der taktischen Asset Allocation (TAA). Für die Erstellung der strategischen Asset Allocation ist die Risikotoleranz von Bedeutung. Die Risikotoleranz ist nicht nur viel nuancierter als bisher angenommen, sondern kann sich im Laufe der Zeit auch verändern. Sie nimmt tendenziell zu, wenn die Märkte steigen und die Wirtschaft robust ist, und wird geringer, wenn die Märkte fallen und sich die Wirtschaft in einer Abschwungsphase befindet. Andere Faktoren, die den einzelnen Anleger betreffen, können den Grad der echten Risikobereitschaft sowie die Einschätzung beziehungsweise Fehleinschätzung der Bereitschaft, Anlagerisiken zu tragen, ebenfalls beeinflussen. Dies gilt insbesondere für institutionelle Anleger, die bei der Risikotragfähigkeitsbetrachtung zu berücksichtigen haben, dass sie sich in der Regel in einem umfassenden regulatorischen Umfeld befinden, und bei denen Gremiumsvorbehalte eine große Rolle spielen.

Die Einschätzung von Risiken in der Verhaltenspsychologie

Verhaltenspsychologen haben festgestellt, dass unsere negative Reaktion auf Verluste viel stärker ist als unsere Freude über Gewinne. Dies ist keine Frage der Vorliebe, sondern eine fest verankerte physiologische Reaktion der meisten Menschen. Infolge der Krise ist es unserer Meinung nach notwendig geworden, dass Anleger und ihre Portfoliomanager ihre Einstellung zu Risiken und ihr Risikoprofil überprüfen. Der Fokus sollte dabei nicht nur auf der Bereitschaft, sondern auch auf der Fähigkeit des Anlegers liegen, Risiken über längere Zeiträume hinweg in Kauf zu nehmen. Dies erfordert unseres Erachtens ein breiteres und tieferes Verständnis dessen, was Risiko bedeutet. Für viele Anleger ist Risiko ein Konzept, das sich nur schwer beschreiben oder absehen lässt, zumindest bis ein unwillkommenes Ereignis eintrifft und das Portfolio belastet. Wenn man noch keine Verluste erlitten hat, denkt man oft, dass man höhere Verluste verkraften kann, als dies tatsächlich der Fall ist. Die außerordentlich hohen Erträge der 1980er- und 1990er-Jahre im Zuge der längsten und steilsten Hausse der Geschichte haben die Anleger gegenüber den tatsächlichen Abwärtsrisiken von Anlagen in Aktien und Anleihen sehr wahrscheinlich desensibilisiert. Dies führte zu einer höheren Risikobereitschaft. Besonders nach einem traumatischen Anlageverlust ist es wichtig zu wissen, dass der Verlust nicht das einzige relevante Risikomaß ist. Das Risiko, nach einem Markteinbruch die Erholungsphase zu verpassen, kann das Erreichen der langfristigen Anlageziele genauso gefährden.

Die periodische Überprüfung des eigenen Risikoprofils und der damit verbundenen Asset Allocation ist sehr wichtig. Die strategische Asset Allocation sollte dem Großteil der Vermögenswerte des Anlegers ein hohes Maß an Stabilität verleihen, jedoch auch eine gewisse Flexibilität ermöglichen. Selbst wenn sich die Risikoneigung eines Anlegers nicht verändert, könnten Änderungen an der strategischen Asset Allocation aufgrund von veränderten Umständen bei der Institution oder einem strukturellen Wandel des Marktumfelds weiterhin notwendig sein. Timing-Aspekte können einen bedeutenden Einfluss auf den Erfolg von Asset-Allocation-Ansätzen haben. Daher sollten im Rahmen einer aktiven taktischen Asset Allocation (TAA) zeitlich veränderbare Schwerpunkte im Portfolio gesetzt werden. Mit den taktischen Ausrichtungen kann ein Anleger Marktchancen nutzen und das Engagement des Portfolios in einer überbewerteten Anlageklasse oder anfälligen Märkten begrenzen. Ein gut strukturierter Investmentprozess sollte regelmäßige Neugewichtungen des Portfolios beinhalten, um sicherzustellen, dass die Gewichtungen der Anlagen weiterhin mit der längerfristigen strategischen Ausrichtung des Anlegers übereinstimmen.

Ansätze zur Vermögensanlage für Verbände im Zeichen der Finanzmarktkrise:

Bei institutionellen Anlegern kommen Determinanten wie die Bedeutung des regulatorischen Umfelds, Liquiditäts- und Leistungsversprechen an Mitglieder oder bilanzielle Überlegungen etc. bei der Definition des Risikobegriffs und Ausrichtung der Asset Allocation hinzu.

Für Verbände ist dabei der Kapitalerhalt und demzufolge die Risikovermeidung bei der Anlage ein wesentliches Kriterium. Häufig geht es auch um das Erreichen einer hohen Bilanzkontinuität, also einer geringen Schwankungsanfälligkeit der Anlagen. Auch das Beachten von strikten Anlagerichtlinien z. B. in Bezug auf die Auswahl von Assetklassen bzw. Liquiditäts- und Bonitätsanforderungen steht im Fokus.

Vorstellung verschiedener Vermögensanlagekonzepte

Hierbei stellt sich die Frage, ob die häufig angewandten, traditionellen Asset-Management-Konzepte im Sinne der Orientierung der Anlagen an einer an Marktindizes gekoppelten Referenzgröße (Benchmark) den Bedürfnissen entsprechen, die Verbände tatsächlich haben. Ein Mischungsverhältnis von 20 Prozent bis 30 Prozent Aktien und 70 Prozent bis 80 Prozent Renten hat sich im Rahmen der strategischen Asset Allocation über die letzten Jahrzehnte als Marktstandard bei vielen Institutionen etabliert. Erfahrungsgemäß schwanken Portfolios, die gemäß einer solchen Maßgabe betreut werden, entlang der definierten Benchmark und reflektieren dabei die Bewegung der zugrunde liegenden Marktindizes wie beispielsweise des DAX oder EuroStoxx 50 für Aktien oder REX P für Rentenanlagen.

Der Ansatz hat den Vorteil, dass man gemäß der klassischen Portfoliotheorie auf lange Sicht von den höheren Renditen des Aktienanteils in einem solchen gemischten Portfolio profitiert. In Krisenzeiten hat dieser Ansatz jedoch häufig zur Folge, dass die Portfolios eine signifikant negative Entwicklung zeigen können und somit — zumindest für den Betrachtungszeitraum auf Jahressicht — die Ziele Kapitalerhalt und niedrige Schwankungsanfälligkeit verletzen. Gerade die Krise des Jahres 2008 hat zudem gezeigt, dass diese Stresszeit im Portfolio zeitlich mit einer kapitalmarktbedingten Einschränkung der Liquidierbarkeit von Positionen zusammengetroffen ist. Langjährig aufgebaute stille Reserven wurden mit einem Schlag aufgebraucht. Hier stellt sich für die Institution die Frage, ob sie solche Schwankungen in Kauf nehmen und im Sinne der eigenen Risikotragfähigkeit zumindest temporär verkraften kann.

Für die zukünftige Ausrichtung der Vermögensanlage ist es somit wichtig, sich über die Realitäten an den Kapitalmärkten im Sinne des Phänomens der „schwarzen Schwäne“, des Zinsszenarios und der Risikodefinition bewusst zu sein.

Basierend darauf lässt sich eine individuelle, verbandsspezifische Zielstellung bezogen auf notwendige Renditen, das Risikobudget und Anforderungen an die Liquidität definieren, die in eine strategische Asset Allocation eingearbeitet wird und den Rahmen für dynamische Anpassungen der taktischen Asset Allocation bietet. Wie erwähnt ist es wichtig, dass die Diversifikation der Anlageklassen dabei auf den jeweiligen Risikorahmen der anlegenden Institution abgestimmt wird.

Eine Alternative zur „klassischen“, an Marktindizes gekoppelten Ausrichtung des Portfolios könnte hierbei ein auf die individuelle bedarfsorientierte Zielstellung des Verbandes ausgerichteter Portfoliomanagementansatz sein. Die Aufgaben des Portfoliomanagers wären dann nicht mehr in erster Linie die Erreichung und das Übertreffen einer relativen Benchmark. Der Fondsmanager würde somit auch nicht mehr im Sinne der Risikodefinition an der Abweichung zu dieser relativen Benchmark gemessen. Vielmehr würde die Aufgabe darin bestehen, das definierte Ziel, beispielsweise Kapitalerhalt plus X, zu erreichen.

Durch eine konsequente Ausrichtung des Investment Managements auf dieses Ziel bei vorgegebener strategischer Asset Allocation und unter Nutzung von Diversifikation und aktiven taktischen Veränderungen würde sich die Zielstellung des Portfoliomanagers (im Sinne der Risikomessung) und der Institution angleichen. Eine enge Kommunikation zwischen der Institution und dem Portfoliomanager über sich möglicherweise ändernde Zielstellungen bzw. Markt- und Risikoeinschätzungen ist bei einem solchen Ansatz sehr wichtig. Zudem ist zu beachten, dass ein so gesteuertes Portfolio möglicherweise gute Chancen bietet, „zielgenauere“ Renditen zu liefern, andererseits in Zeiten stark steigender Märkte jedoch in der Regel hinter einem „relativen Benchmarkportfolio“ zurückbleiben wird.

Eine weitere Alternative könnte eine Kombination der Vorzüge eines klassischen Anlagekonzepts (mit relativer Benchmark) mit einem vordefinierten Risikobudget sein. In einem solchen Konzept würde man eine aktive taktische Asset Allocation eines gemischten Portfolios mit einem dynamischen Wertsicherungskonzept kombinieren. Dabei würde der Verband ein individuelles Risikobudget definieren, beispielsweise maximaler Verlust fünf Prozent. In Stresszeiten an den Finanzmärkten würde die Wertsicherung wie eine Art „Fallschirm“ greifen. In „normalen“ Zeiten hingegen würde ein freies aktives Management des Portfolios erfolgen. Durch das Risikobudget wird der Portfoliomanager diszipliniert, in Krisen zeitnah aus den risikotragenden Assetklassen herauszugehen.

Fazit

Die zukünftigen Herausforderungen für die Kapitalanlage haben sich auf Basis der Lehren aus der Finanzkrise und des aktuellen Niedrigzinsumfeldes verstärkt. Eine umsichtige Definition der genauen Zielstellung im Vorfeld der Kapitalanlage ist wichtiger denn je. Es gibt jedoch verschiedene Anlagekonzepte, die je nach Bedürfnis und Aufgabenstellung des Verbandes helfen können, eine zukunftsweisende Ausrichtung der Kapitalanlage zu ermöglichen.

*Buch von Nassim Nicholas Taleb „Der schwarze Schwan. Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse“, 1.10.2008 erschienen bei Hanser Wirtschaft

Artikel teilen:

Das könnte Sie auch interessieren: