Verbändereport AUSGABE 5 / 2013

Internationalisierung als Herausforderung der Verbandsentwicklung

Potenziale einer Mitwirkung in der Entwicklungszusammenarbeit/Verbandskompetenz ist gefragt!

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Gerade in einer derart außenorientierten Volkswirtschaft wie der deutschen gilt Internationalität fast schon als Selbstverständlichkeit und Grundvoraussetzung einer erfolgreichen Tätigkeit. Auch Verbände werden mit dieser Erwartung konfrontiert. Es lohnt sich daher, einen Blick auf die Frage zu werfen, was Internationalität für Verbände überhaupt bedeutet, inwieweit sich Internationalität für einen einzelnen Verband lohnt und welche Möglichkeiten der Internationalisierung sich im Einzelnen bieten. Der vorliegende Beitrag wird sich mit diesen Fragestellungen beschäftigen und dabei insbesondere auf die Möglichkeiten eingehen, welche die sogenannte Entwicklungszusammenarbeit als Vehikel für die Internationalisierung für Verbände bietet.

Globalisierung und Internationalität sind Megatrends der vergangenen und aller Voraussicht nach auch zukünftigen Jahrzehnte. Dies allein begründet aber nicht die Notwendigkeit für Verbände zur Internationalisierung. Tatsächlich haben sich bisher weder in Deutschland noch in anderen Ländern die Strukturen oder das System der nationalen Verbandslandschaften wesentlich verändert oder einander angeglichen. Anders als für Unternehmen stellt ein ausländischer Markt für Verbände nicht automatisch die Chance auf Wachstum und Diversifizierung dar.

Verbände funktionieren anders

Verbände produzieren ihre Leistungen nicht für einen anonymen Markt, sondern für ihre Mitglieder. Die Mitglieder sind dem Verband beigetreten oder haben ihn gegründet, da sie sich durch den Verband die Deckung bestimmter Bedürfnisse erwarten, welche sie allein nicht oder nur schlechter realisieren könnten. Gleichzeitig sind es die Mitglieder, welche durch ihre Beitragszahlungen und Gebühren sowie ihre ehrenamtliche Mitarbeit den Verband mit Ressourcen ausstatten und damit erst seine Leistungsfähigkeit begründen. Die Mitglieder sind also zugleich Träger und Kunden des Verbandes.

Aus diesem Kontext bestimmt sich die Zielstellung für das Verbandsmanagement. Ziel ist nicht die Gewinnmaximierung, sondern die Erbringung von Leistungen für Mitglieder, damit diese ihre Mitgliedschaft aufrechterhalten bzw. zusätzliche Mitglieder gewonnen werden können. Die meisten Verbände bieten ihren Mitgliedern sowohl politische Leistungen (Interessenvertretung) als auch wirtschaftliche Leistungen (Angebot von direkten Dienstleistungen). Für die Entscheidung über die eigene Internationalisierung und deren Ausgestaltung sollte sich also jeder Verband die Frage stellen, ob bei aktuellen und/oder potenziellen Mitgliedern Bedarf für Interessenvertretung und/oder Dienstleistungen existieren, die – direkt oder indirekt – durch eine Internationalisierung des Verbandes realisiert werden können.

Diese Frage muss jeder Verband für sich beantworten und wird dabei zu differenzierten Ergebnissen kommen. Im politischen Bereich der Interessenvertretung stellt die zunehmende Verlagerung von rahmensetzenden Gesetzen und Regulierungen auf die internationale bzw. vor allem europäische Ebene einen wesentlichen Anstoß für die Internationalisierung dar. Verbände, die im Interesse ihrer Mitglieder Rahmenbedingungen beeinflussen oder zumindest über absehbare Änderungen informieren wollen, kommen nicht umhin, auf der entsprechenden internationalen bzw. europäischen Ebene präsent zu sein.

Im Bereich der wirtschaftlichen Dienstleistungsangebote wird die Frage der Internationalisierung wesentlich davon bestimmt, inwieweit die aktuellen und potenziellen Mitglieder des Verbandes international tätig sind bzw. tätig werden. Mit zunehmender Internationalisierung ihrer eigenen Tätigkeit werden die Mitglieder zunehmend auch internationale Services ihres Verbandes nachfragen. Das Verbandsmanagement steht vor der Aufgabe, diese Bedarfe zu antizipieren und adäquate Angebote zu entwickeln. Dabei unterscheidet sich die Entscheidungsfindung nicht grundsätzlich von derjenigen über das Angebot nationaler Dienstleistungen. Die folgenden Fragen sind zu klären: Bietet der Service einen konkreten Mehrwert für Mitglieder? Wird er dauerhaft nachgefragt? Gibt es andere Anbieter? Soll mit diesen in Konkurrenz getreten werden? Ist eine nachhaltige Finanzierung über Gebühren/Mitgliedsbeiträge gesichert? Sind weitere interne/externe Ressourcen notwendig? Wie und wo können diese gesichert werden?

Formen der Internationalisierung

Je nach Beantwortung der Fragestellung für eine Internationalisierung von politischen und/oder wirtschaftlichen Leistungsangeboten wird ein Verband unterschiedliche Formen der Internationalisierung wählen. Hierzu gehören:

  • Mitgliedschaft in internationalen Verbänden
  • Ausbau des eigenen Informationsangebotes zu internationalen Themen und Märkten
  • Angebot von Serviceleistungen zur Internationalisierung von Mitgliedern
  • Angebot von Serviceleistungen im Ausland
  • Aufbau von Arbeitsgemeinschaften mit anderen Verbänden zur gemeinsamen Bearbeiten von Auslandsmärkten
  • Aufbau einer Repräsentanz im Ausland
  • Ausweitung der Mitgliederbasis auf ausländische Mitglieder

Die Formen der Internationalisierung unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Komplexität und ihrer Anforderungen an das Verbandsmanagement. Gleiches gilt für die zu investierenden Ressourcen und damit für das potenzielle Risiko einer Fehlinvestition, falls die Leistung nicht erfolgreich aufgebaut oder nachgefragt wird. Zu Recht sind die meisten Verbände daher sehr vorsichtig mit Internationalisierungsentscheidungen und wagen keine komplexeren Formen der Internationalisierung. Hierdurch entsteht allerdings zugleich die Gefahr, dass Chancen einer Internationalisierung für die Verbandsentwicklung und Mitgliederbindung übersehen oder/und nicht ergriffen werden. In diesem Sinne kann also auch das Ausbleiben einer Entscheidung zur Internationalisierung eine Fehlinvestition darstellen.

Gerade bei der Frage nach der Internationalisierung und deren Ausgestaltung stehen Verbände also in dem Dilemma, Entscheidungen unter Unsicherheit und mit relativ hohem Risiko treffen zu müssen. Der Faktor Wissen ist in einer solchen Situation die entscheidende Ressource zur Verringerung von Risiken und Unsicherheiten und damit zur Verbesserung der Entscheidungsfindung. Verbände sollten demnach bemüht sein, die Informationsbasis ihrer Entscheidung zu verbessern. Neben externen und allgemein zugänglichen Informationen (Publikationen, Internet, Botschaften, Auslandshandelskammern etc.) sind für einen Verband vor allem die spezifisch für seine Arbeit relevanten Informationen von Bedeutung. Dabei können Verbände insbesondere auf zwei interne Gruppen von Informationsträgern und deren Wissen zurückgreifen. Zum einen die Mitglieder des Verbandes, zum anderen die Mitarbeiter.

Wichtigste Informationsquelle Mitglieder und Mitarbeiter

Erste und wichtigste Informationsquelle eines Verbandes sind seine Mitglieder. Verbände sollten sich deren Internationalisierungserfahrung erschließen. Dies gelingt z. B. durch die Förderung und Etablierung einer aktiven Ausschussarbeit. Ausschüsse, in denen sich international tätige Mitglieder ehrenamtlich engagieren, sind wichtige Informationsquellen für den Verband und ermöglichen es, typische Probleme kennenzulernen und Erwartungen der Mitglieder an den Verband zu identifizieren. Hieraus lassen sich die nachgefragten politischen und wirtschaftlichen Leistungsangebote der Internationalisierung ableiten und das Risiko einer verbandlichen Fehlentscheidung kann deutlich verringert werden.

Auch die Verbandsmitarbeiter können auf Grundlage ihrer Erfahrungen und ihres Wissens zur Entscheidungsfindung beitragen. Das Wissen und die Erfahrung der Mitarbeiter sind dabei aber nicht nur für die Phase der Entscheidungsfindung, sondern später insbesondere auch für die Umsetzung der Internationalisierung ein entscheidender Erfolgsfaktor. Dies gilt bereits für einfache Formen der Internationalisierung, wie z. B. die Mitgliedschaft des Verbandes in einer internationalen Vereinigung. Eine solche Mitgliedschaft wird ein Verband nur erfolgreich im Sinne seiner Mitglieder zur Informationssammlung und Interessenvertretung nutzen können, wenn der Verband auch über Mitarbeiter verfügt, die in der Lage sind, sich international zu bewegen, zu vernetzen, und über die relevante Sprachkompetenz verfügen. Mit komplexeren Formen der Internationalisierung steigen diese Anforderungen an die Mitarbeiter und bestimmen den Erfolg des Verbandes in der Internationalisierung.

Da die meisten Verbände allerdings ganz überwiegend im nationalen Kontext tätig sind, spiegelt sich dies auch im Profil ihrer Mitarbeiter wider. Internationalität kann daher zumeist nicht automatisch als Erfahrung und Wissen von Verbandsmitarbeitern erwartet werden, sondern muss durch Neueinstellungen hinzugekauft oder trainiert werden. Hier bietet sich die Entwicklungszusammenarbeit als kostengünstige und bisher recht wenig beachtete Möglichkeit zur Sammlung von Erfahrung und Wissen in der Internationalität an.

Der Markt der Entwicklungszusammenarbeit

Auch die Entwicklungszusammenarbeit ist ein Markt, auf dem Akteure ihre Leistungen anbieten und verkaufen. Allein das Volumen der deutschen öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit liegt bei rund zehn Milliarden Euro jährlich. Zuständig ist das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Unterschieden wird zwischen der finanziellen und technischen Zusammenarbeit (FZ und TZ). Mit der Abwicklung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit beauftragt sind im Wesentlichen die beiden bundeseigenen Unternehmen KfW-Entwicklungsbank für die FZ und GIZ-Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit für die TZ. Zusätzliche Mittel stehen auf multilateraler Ebene zur Verfügung und werden beispielsweise über die Weltbank oder den Internationalen Währungsfonds vergeben. Ein zunehmend bedeutender Akteur ist die Europäische Union (EU). Diese wickelt eigene Programme und Projekte über ihre Generaldirektion EuropeAid ab.

Allgemein ist festzustellen, dass Entwicklungszusammenarbeit heute in weiten Teilen als wirtschaftliche Zusammenarbeit verstanden wird und die enge Kooperation mit Unternehmen und Wirtschaft sucht. Eigeninteressen werden vonseiten der Financiers bzw. deren o. g. Durchführungsorganisationen nicht negiert, sondern als Grundlage eines nachhaltigen Wachstums zum beidseitigen Vorteil anerkannt. Gleichzeitig besteht ein wachsendes Interesse der Entwicklungszusammenarbeit, gerade auch getrieben durch eine entsprechende Nachfrage aus den Partnerländern, Maßnahmen nicht selbst, sondern auf Grundlage des Sachverstandes und der Erfahrung etablierter Akteure durchzuführen. Dies gilt auch für die Kompetenz von Verbänden. Deutsche Verbände können das Potenzial dieser Nachfrage zur Unterstützung ihrer eigenen Internationalisierung nutzen. Die Beteiligung an bzw. die aktive Akquise von Projekten der Entwicklungszusammenarbeit ermöglicht es, Erfahrung zu sammeln und Kompetenz in der Internationalisierung aufzubauen, bei gleichzeitiger Refinanzierung über das Projekt.

Verbandskompetenz ist gefragt!

Die Entwicklungszusammenarbeit ist an Verbandskompetenz interessiert, da Verbände als Organisationen der sogenannten Meso-Ebene wichtige gesamtwirtschaftliche und für den Entwicklungsprozess notwendige Funktionen erfüllen. Im politischen Dialog vermitteln sie zwischen Staat und Individuen. Sie aggregieren und artikulieren Interessen und können in ihrem Vertretungsbereich (selbst-)regulativ tätig werden. Beides ermöglicht eine Stabilisierung und Verbesserung von Rahmenbedingungen. Eine solche Verbesserung von Rahmenbedingungen trägt ebenso zur wirtschaftlichen Entwicklung bei wie die von Verbänden angebotenen direkten Dienstleistungen für Mitglieder. Zwar existieren in praktisch allen Ländern der Welt Verbände mit unterschiedlicher Charakteristik und Vielfalt. Gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern besitzen Verbände aber häufig keine ausreichende Leistungsfähigkeit, ihre Kernfunktionen zu erfüllen. Vor diesem Hintergrund besteht in der Entwicklungszusammenarbeit Interesse und Nachfrage nach einer Zusammenarbeit mit etablierten Verbänden aus Industrieländern.

Das nachgefragte Kompetenzportfolio bezieht sich auf alle Bereiche der Verbandsarbeit. Die Entwicklungszusammenarbeit sucht nach Beratungsleistungen zugunsten der Verbesserung von internen Strukturen und des Managements von Verbänden (z. B. für den Aufbau nationaler Strukturen, die strategische Planung, die Ausschussarbeit, die Finanzierung, die Öffentlichkeitsarbeit, die Mitgliederentwicklung oder die Qualifizierung von Haupt- und Ehrenamt) ebenso wie nach Expertise für eine professionelle Interessenvertretung sowie die Verbesserung existierender und den Aufbau neuer Dienstleistungsangebote bei Verbänden in Entwicklungs- und Schwellenländern.

Deutsche Verbände können hierbei in verschiedener Form ihren Sachverstand anbieten:

  • Entsendung von eigenen Mitarbeitern als sog. Kurzzeitexperten für Beratung und Training
  • Etablierung einer Partnerschaft mit ausländischen Verbänden (Twinning)
  • Empfang und Durchführung von Delegationsreisen
  • Organisation von Messeteilnahmen und Matchmaking-Veranstaltungen
  • Teilnahme an Konferenzen und Workshops
  • Bereitstellung und Adaption eigener Materialien und Konzepte

Verbände, die sich auf diese Art und Weise engagieren, können für sich und ihre Mitarbeiter Internationalisierungserfahrung erschließen und Synergien für ihr Kerngeschäft erwirtschaften.

Ein Fallbeispiel hierfür sind die Baugewerblichen Verbände Nordrhein-Westfalen (BGV-NRW) (siehe Fallbeispiel Seite 8). Weitere Beispiele für ein internationales Engagement von Verbänden sind der Gesamtverband der Deutschen Textil- und Modeindustrie und der Bundesverband Biogene und Regenerative Kraft- und Treibstoffe (BBK). Ersterer stellt u. a. Berater und Trainingsinhalte in einem im Januar 2013 begonnenes EU-SWITCH-Asia-Projekt zur Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und nachhaltiger Produktion von Bekleidung in Myanmar zur Verfügung; Letzterer ist als Konsortialpartner am Aufbau eines internationalen Trainings- und Kompetenzzentrums für Biogas und Biomasse in Tansania beteiligt, welches im Rahmen des BMZ-develoPPP.de-Programms kofinanziert wird.

Die Beispiele zeigen, dass die Möglichkeit der Entwicklungszusammenarbeit von deutschen Verbänden bereits aktiv für eine Unterstützung und Begleitung ihrer Internationalisierung genutzt wird. Offenbar kann die gewünschte Win-win-Situation zwischen dem Eigeninteresse eines Verbandes und der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit erfolgreich hergestellt werden. Gleichzeitig zeigen die Beispiele die Vielfalt der offenbar infrage kommenden Institutionen, Programme und Projekte. Diese Unübersichtlichkeit mag auf den ersten Blick abschrecken, ist aber typisch für ein neu zu bearbeitendes Feld. Durch ein schrittweises Vorgehen und die Zusammenarbeit mit spezialisierten Partnern kann der Einstieg deutlich erleichtert werden.

Unter den beschriebenen Bedingungen der Chancen, aber auch der Risiken und Unsicherheiten der eigenen Internationalisierung sollten Verbände die Entwicklungszusammenarbeit unter diesen Voraussetzungen als eine strategische Option der eigenen Weiterentwicklung berücksichtigen und ihre Beteiligung daran prüfen.

Fallbeispiel: Die Baugewerblichen Verbände Nordrhein-Westfalen (BGV-NRW) in internationalen Infrastrukturprojekten

Ein Fallbeispiel hierfür sind die Baugewerblichen Verbände Nordrhein-Westfalen (BGV-NRW). Der BGV-NRW ist eine Arbeitsgemeinschaft von fünf nordrhein-westfälischen Fachverbänden mit insgesamt 4.200 mittelständischen Mitgliedsbetrieben. Der BGV-NRW hat sich für eine Unterstützung seiner Mitglieder im Bereich Auslandsbau entschieden. Viele Mitgliedsbetriebe arbeiten bereits in Europa. Unterstützt durch den BGV-NRW werden von ihnen aber inzwischen auch
Infrastrukturprojekte in Afrika realisiert, beispielsweise in Nigeria, Kamerun und Madagaskar. Die Umsetzung erfolgt dabei immer in Joint Ventures mit lokalen Partnern. Der BGV-NRW begleitet die Mitglieder, vermittelt Kontakte, informiert über Rahmenbedingungen und Risiken.
Parallel zu seiner Entscheidung für die Unterstützung des Auslandsbaus hat sich der BGV-NRW zielgerichtet mit der Entwicklungszusammenarbeit für Afrika beschäftigt und erfolgreich Projekte akquiriert: Im Rahmen des EU-finanzierten ProInvest-Programms hat der BGV-NRW ostafrikanische Verbände unterstützt und konnte so direkte Kontakte mit diesen aufbauen. Für die GIZ führte der BGV-NRW ein Projekt mit der Bauwirtschaft in Namibia durch und im Auftrag des europäischen Center for the Development of Enterprise (CDE) organisierte der BGV-NRW Training-Workshops in Burkina Faso, Madagaskar und Tansania. Aktuell führt der BGV-NRW im Rahmen des vom BMZ geförderten Kammer- und Verbandspartnerschaftsprogramms über die sequa gGmbH ein mehrjähriges Projekt in Äthiopien, Uganda, Kenia und dem Südsudan durch. Dabei sind nicht nur Maßnahmen zur Organisationsentwicklung der ausländischen Partnerverbände, sondern ebenso die Förderung der Kooperation zwischen deutschen und ostafrikanischen Bauunternehmen vorgesehen.

 

Interview mit dem Geschäftsführer der sequa gGmbH Gebhard Weiss

Das Interview führte Dr. Henning von Vieregge
 

VR: Was ist die Gründungsidee von sequa?

Weiss: Die Gründungsvision war, staatliche Entwicklungszusammenarbeit mit der Privatwirtschaft zu verbinden. Dr. Franz Schoser, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammerstages – DIHK, und Hanns-Eberhard Schleyer, Generalsekretär des Zentralverbands des deutschen Handwerks – ZDH, und diskutierten 1991 über die Frage, wie man das Know-how der deutschen Kammern für die Entwicklungszusammenarbeit erschließen könnte. In Deutschland gibt es 80 Industrie- und Handelskammern, 53 Handwerkskammern sowie eine Vielzahl von Einrichtungen und Organisationen, die mit den Kammern verbunden sind. Man denke allein an die 575 Bildungszentren des Handwerks.

Bei einer solchen Vielzahl von Einrichtungen, die aktiv werden wollen, braucht es eine Anlaufstelle, die weiß, wie man eine Idee von einer auf Know-how-Transfer angelegten Partnerschaft zwischen einer deutschen Kammer und einer ähnlichen Einrichtung im Entwicklungsland in ein durchführbares Projekt verwandelt und wie man ein solches Vorhaben finanziert. Auch unser nach wie vor wichtigster Geldgeber, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – BMZ, verlangte nach wenigen Kontaktstellen und übersichtlichen Strukturen. Das BMZ sah sich verständlicherweise nicht in der Lage, das Kommunikationsproblem zu lösen, das sich stellt, wenn man sich dem bundesweiten Kammernetzwerk gegenübersieht. Darüber hinaus gibt es noch ein Sprachproblem. Wie jede Branche hat auch die Entwicklungszusammenarbeit einen eigenen „Sprech“. Das BMZ erwartet, dass jeder Antragsteller der Fachbegriffe kundig ist und sich der Fachsprache bedient, was aber von den deutschen Kammern und Verbänden nicht erwartet werden kann. Deshalb wurde sequa als kleine administrative, gemeinnützige Einheit mit einer Scharnierfunktion zwischen dem öffentlichen Geldgeber, damals vor allem dem BMZ, einerseits und dem Know-how-Geber andererseits, also den Kammern und den zu ihnen gehörenden Einrichtungen und später auch den Verbänden in Deutschland, gegründet. sequa selbst wird ausschließlich über Projekte finanziert.

Die sequa fand ihre Gesellschafter also in Etappen?

1994 stießen die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und im Jahr 2006 der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) zum Kreis der Gesellschafter, womit sich die Know-how-Basis von sequa um zahlreiche deutsche Verbände, also des BDI und BDA, sowie deren Mitglieder erweiterte. Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit – GIZ, also die Durchführungsorganisation des Bundes im Bereich der technischen Zusammenarbeit, wurde im Jahr 2010 unser 5. Gesellschafter. Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft haben die Mehrheit der Gesellschaftsanteile behalten. Durch diese Konstruktion bildet sich die sequa zugedachte Scharnierfunktion zwischen staatlicher Entwicklungszusammenarbeit und Privatwirtschaft auch auf der Ebene der Gesellschafter ab.

Man kann den Wert intelligenter Strukturen gar nicht hoch genug einschätzen! Mit der Gründung der sequa nahm man den Kammern und Verbänden administrativen Aufwand ab und sorgte für die Finanzierung?

Genau! Um die neue Gesellschaft operativ werden zu lassen, hat man in einem ersten Schritt das damals bereits existierende Kammer- und Verbands-Partnerschafts-Programm von der damaligen GTZ, der Gesellschaft für Technischen Zusammenarbeit, heute GIZ, zu sequa verlagert. Das Kammer- und Verbands-Partnerschafts-Programm ist seitdem ein Angebot an die verfasste deutsche Wirtschaft. Das Programm fördert und finanziert Initiativen, die von den Selbstverwaltungseinrichtungen der deutschen Wirtschaft ausgehen, von ihnen durchgeführt werden und die Kammern und Verbände in Entwicklungs- und Schwellenländern mit einem partnerschaftlichen Know-how-Transfer und Coaching-Ansatz unterstützen.

Wie entsteht eigentlich eine Projektidee?

Ideen für solche Initiativen entstehen, sobald Kontakte zwischen einer deutschen Kammer bzw. einem deutschen Verband und einem Verband oder einer Kammer in einem Entwicklungsland entstehen, also z. B. bei Besuchen ausländischer Delegationen. Vom Kontakt zur Anfrage ist es dann nicht mehr weit: Schnell kommen Fragen nach Unterstützung beim Ausbau des Dienstleistungsangebots eines Verbandes oder bei der Professionalisierung der Interessenvertretung oder bei der Verbesserung der Berufsbildung. Der Wille, Unterstützung zu leisten, ist auf der deutschen Seite meist vorhanden, jedoch haben die deutschen Kammern und Verbände grundsätzlich sehr begrenzte finanzielle Mittel, sind aber vor allem dem Mitgliederinteresse verpflichtet. Daher können aus Anfragen aus Partnerländern entstehende Ideen nur realisiert werden, wenn sie auch finanziert werden – und zwar von Dritten. Unser wichtigster Geldgeber ist das BMZ, gefolgt von der Europäischen Kommission.

Wie kommt eine Projektfinanzierung zustande?

Am Anfang steht eine Idee, welche die deutsche Einrichtung schriftlich, aber formlos zu uns schickt. Wir nehmen Kontakt auf und klären Verständnisfragen. Wir klären ab, ob es ähnliche Projekte im Zielland bereits gab oder gibt, ob das geplante Vorhaben andere Projekte möglicherweise ergänzt und dadurch nachhaltiger macht, welche Akteure dort tätig sind, welche politischen Schwerpunkte das BMZ im Partnerland verfolgt und wie die deutsche Botschaft die Projektidee beurteilt. Letztlich entscheidet das BMZ, für welche Vorhaben eine Fact Finding Mission vor Ort durchgeführt werden soll. An der Findungsmission, die meist eine Woche dauert, nehmen wir, ein von uns beauftragter Gutachter und ein Vertreter der deutschen Einrichtung teil. Im letzten Schritt erarbeiten wir einen technisch-kommerziellen Projektantrag, der den vom BMZ festgelegten Regeln folgt. Wir stellen z. B. in dem Antrag dar, welche Wirkungen das Projekt auf verschiedenen Ebenen haben soll. In der Entwicklungszusammenarbeit geht es immer –und das ist häufig außerhalb der Branche nicht bekannt – um messbare, sehr konkrete Wirkungen bei der Verfolgung von entwicklungspolitischen Zielen. Den Antrag legen wir dem BMZ zur Entscheidung vor, wobei die wichtigste Vorentscheidung bereits gefallen ist, wenn das BMZ der Findungsmission zugestimmt hat. Dann kann das Projekt beginnen. Projektträger ist der Verband oder die Kammer, die die Idee vorgelegt hat. Ein Projekt im Kammer- und Verbands-Partnerschaftsprogramm wird meist in 2 bis 3 Phasen à 3 Jahre und einer einjährigen Konsolidierungsphase durchgeführt. Der Mittelbedarf liegt typischerweise bei ca. 300 TEUR pro Jahr und wird vom BMZ vollfinanziert. Nach dem Projektbeginn verwaltet sequa die Projektmittel, übt eine Monitoring-Funktion aus und ist für die Berichte an den Geldgeber verantwortlich.

Kann man sagen: Mit diesem Programm haben sich  die Auslandserfahrungen der Kammern und Verbände ausgeweitet und systematisiert?

Ein erstes Projekt läuft immer holpriger als ein zweites Projekt, das ist normal. Wir versuchen deshalb, Lerneffekte aus anderen Ländern bzw. anderen Projekten in jedes neue Projekt einfließen zu lassen. Für den Verband ist es vielleicht das erste internationale Projekt, wir haben aber mittlerweile 750 Projekte in über 100 Ländern begleitet bzw. teilweise auch selbst durchgeführt oder daran mitgewirkt. Wir wollen, dass der Projektträger von dieser Erfahrung profitiert und dadurch „weiter oben in der Lernkurve“ starten kann.

Wir unterstützen bei der Gestaltung eines Projekts, bei der Planung, bei der Zusammenstellung lokaler Partner und beim Risikomanagement. Wir überlegen gemeinsam, was die Zielsetzungen sind und wie der Erfolg gemessen werden soll. Die Entwicklungszusammenarbeit verfügt über viele wertvolle Instrumentarien und Methoden, die auch außerhalb der EZ in ganz anderen Kontexten sehr sinnvoll eingesetzt werden können. Das Wirkungsmonitoring, zu dem die Formulierung sinnvoller und zugleich messbarer Indikatoren gehört, ist eine solche Methodik. Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen, sagte einst der Dichter Matthias Claudius. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass die Durchführung eines internationalen Projekts auf jeden Fall den Horizont, aber auch die Fähigkeiten und Kompetenzen des durchführenden Verbandes erweitert. Das gilt auch für einen Verband, dessen „eigentliches“ Betätigungsfeld nur ein nationales ist.

Wie viele solcher Projekte finden üblicherweise im Jahr statt? Gibt es zu viele oder zu wenige Anträge?

Aktuell führen wir 26 Projekte im Kammer- und Verbands-Partnerschaftsprogramm parallel durch. Dazu kommen noch 11 Projekte im Schwesterprogramm, dem Berufsbildungs-Partnerschafts-Programm, in dem es nur um Berufsbildungsmaßnahmen geht. In der Tat ist die Nachfrage seitens der deutschen Kammern und Verbände größer als die vom BMZ bereitgestellten Mittel.

Was wird eigentlich an diesem Programm bei den deutschen Projektträgern vor allem geschätzt?

Dass es ein Programm ist, welches Initiativen der verfassten Wirtschaft aufgreift und fördert und dabei vergleichsweise unbürokratisch und pragmatisch funktioniert. Meines Wissens ist das Kammer- und Verbands-Partnerschaftsprogramm genauso einzigartig wie die sequa. Es gibt keine Organisation weltweit, die Erfahrung mit so vielen derartigen Capacity-Building-Projekten gesammelt hat, wie die unsrige. Deutsche Kammern und Verbände haben in 22 Jahren über 200 Projekte in über 80 Ländern durchgeführt und dabei mehr als 400 Verbänden in Entwicklungsländern geholfen, sich weiterzuentwickeln.

Mit anderen Worten: Im Ausland schätzt man die Deutschen als gute Organisatoren ein. Genau dies kann sequa auch für sich beanspruchen - Herzlichen Dank für das Gespräch. 

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