Verbändereport AUSGABE 4 / 2010

Lobbying bei den Institutionen der Europäischen Union

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Mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon haben sich auch die Rahmenbedingungen für Lobbying in Brüssel und Straßburg verändert, da die Aufgabenstellungen, Kompetenzen und Einflussmöglichkeiten der drei Institutionen Europäische Kommission, Europäisches Parlament und Ministerrat neu definiert wurden. Die wichtigste Änderung betrifft die Einführung des sogenannten Mitentscheidungs¬verfahrens als Standardverfahren der Gesetzgebung in deutlich mehr Politikbereichen, beispielsweise auch in der Agrar-, Justiz- und Innenpolitik. In diesem Verfahren ist das Europäische Parlament gleichberechtigt mit dem Ministerrat. Auch die nationalen Parlamente haben neue, wenn auch geringe Einflussmöglichkeiten bekommen.

Für die (nationalen) Verbände ist es aufgrund der Änderungen durch den Vertrag von Lissabon noch wichtiger als zuvor geworden, alle drei Institutionen im eigenen Monitoring zu beobachten und dreifache Netzwerke aufzubauen, zu pflegen und im Lobbying zu adressieren, ebenso wie, wenn auch in geringerem Maße, die Parlamente der Nationalstaaten.

Rechtsakte der Europäischen Union: Verordnungen und Richtlinien

Die beiden wichtigsten Rechtsakte, mit denen die EU in die Politik der Mitgliedsstaaten eingreift, sind Richtlinien und Verordnungen. Die Unterschiede liegen in den Auswirkungen auf die Gesetzgebung in den Mitgliedsstaaten. Richtlinien binden nur die Mitgliedsstaaten, die diese innerhalb einer angemessenen Frist in nationales Recht überführen müssen, damit sie Rechtskraft erlangen und damit auch für die Bürger gelten. Verordnungen wirken hingegen direkt und unmittelbar, nachdem sie in Brüssel verabschiedet sind, binden also sowohl die Mitgliedsstaaten als auch die einzelnen Bürger.

Bei der Umsetzung von Richtlinien in nationales Recht sind die Mitgliedsstaaten an die Ziele und Mindeststandards der Richtlinien gebunden, haben aber gewisse Spielräume bei der konkreten Ausgestaltung. Dies führt bei Verbänden manchmal zu der irrigen Meinung, man könne mit dem Lobbying warten, bis diese Umsetzung ansteht, und dann in Berlin aktiv werden. Dies ist in keinem Fall angeraten, da eben die Mitgliedsstaaten zwar über die Regelungen einer Richtlinie hinausgehen können, aber nicht hinter die Mindeststandards zurückfallen dürfen. Der Spielraum in der Umsetzung ist also sehr begrenzt.

Das Mitentscheidungs­verfahren

Das Standardverfahren für Richtlinien und Verordnungen ist nunmehr das sogenannte Mitentscheidungsverfahren. In diesem wirken die drei Institutionen, also die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und der Ministerrat, nach einem klar definierten Prozedere zusammen. Die Verfahrensregeln bestimmen auch die Möglichkeit für die Verbände, im Lobbying auf die Prozesse und Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Dabei ist es wichtig, alle drei Institutionen, wie oben beschrieben, einzubeziehen. Auch wenn es von außen so scheinen mag, als liefen die Diskussionen und Entscheidungsprozesse sukzessiv ab, gibt es in der Praxis meist eine große Parallelität. Manchmal formal, immer aber informell reden die Repräsentanten der drei Institutionen permanent miteinander. Für alle gilt auch die Regel, mit dem Lobbying früh zu beginnen und dieses während des gesamten Entscheidungsprozesses weiterzuführen.

Rolle und Bedeutung der Europäischen Kommission

Selbstverständnis

Fast alle Initiativen für neue Richtlinien und Verordnungen kommen von der Europäischen Kommission. Diese versteht sich als Garant und als Motor der europäischen Integration und ist von dem Bestreben geprägt, möglichst viele Lebensbereiche in Europa zu harmonisieren, was zu immer neuen Regelungsvorschlägen führt. Ihr muss deshalb zunächst die größte Aufmerksamkeit im Verbandslobbying gelten.

Stärken und Schwächen

Die Stärke der Kommission ergibt sich aus ihrer zentralen Stellung im Mitentscheidungsverfahren und dem Zeitvorlauf, den sie in der Regel bei der Entwicklung neuer Initiativen hat. Ihre Schwäche liegt in der trotz scheinbarer Größe knappen Personalausstattung. Daraus ergibt sich eine nur eingeschränkte Kompetenz und Erfahrung der Mitarbeiter in einzelnen Fachgebieten.

Arbeitsweise

Dies ist einer der Gründe dafür, warum die Kommission neue Initiativen in der Regel langfristig entwickelt und die einzelnen Stufen transparent macht. Der klassische Weg dazu ist mit dem Dreiklang „Kommunikation“, „Grünbuch“ und „Weißbuch“ beschrieben. Mit einer „Kommunikation“ macht die Kommission -ihre Überlegungen zu einem Sachgebiet -öffentlich. Mit einem „Grünbuch“ stellt sie für eine Themenstellung unterschiedliche Handlungsoptionen vor und zur Diskussion. Ein „Grünbuch“ enthält immer die Beschreibung eines Themas, eine Analyse der Situation und eine Begründung, warum sich die Kommission damit beschäftigen möchte. Abgeleitet daraus stellt sie verschiedene mögliche Vorgehensweisen vor und bittet die Mitgliedsstaaten, Organisationen und Verbände sowie Industrie, Handwerk, Handel und die Bürger um kritische Beurteilung. Ein „Weißbuch“ geht über ein Grünbuch hinaus. Es enthält bereits eine konkrete Beschreibung des geplanten Vorgehens der Kommission und ist somit direkter Vorläufer von Richtlinien und Verordnungen.

In den letzten Jahren sind, vor allem durch die Weiterentwicklung des Internets, zu dem beschriebenen klassischen Dreiklang neue Instrumente hinzugekommen. Dazu zählen insbesondere sogenannte Stakeholderkonsultationen, mit denen die Kommission entweder über das Internet oder über direkte Befragungen im Rahmen von Stakeholdertreffen Meinungen zu von ihr geplanten Vorhaben einholt.

Intern werden Entwürfe für Richtlinien und Verordnungen von der Kommission arbeitsteilig erstellt. Dabei hat immer eine Generaldirektion die Federführung, erarbeitet also die Entwürfe. Diese werden in einem formalisierten Verfahren auf den verschiedenen Hierarchieebenen mit den anderen Generaldirektionen abgestimmt. Bevor ein Entwurf von der Kommission offiziell publiziert wird, muss er nach Durchlaufen der Hierarchie vom Referenten über den Referatsleiter, Direktor und Generaldirektor sowie die Chefs der Kabinette vom Gremium der Kommissare, also auf höchster politischer Ebene, verabschiedet werden.

Politikfolgenabschätzung (Impact Assessment)

Mit jedem Entwurf einer Richtlinie oder einer Verordnung legt die Kommission ein ausführliches Dokument vor, das die möglichen Folgen der geplanten Rechtssetzung beleuchtet. Hierfür hat sich der englische Begriff „Impact Assessment“ eingebürgert, der in der Praxis nicht mehr übersetzt wird. Basis des Impact Assessments sind in der Regel empirische Studien, die die Kommission von externen Dienstleistern durchführen lässt. Der eigentliche Bericht wird dann jedoch von einem Kommissionsmitarbeiter aus der verantwortlichen Generaldirektion geschrieben. Vor der Veröffentlichung wird dieser in einem formalen Verfahren von einer eigens geschaffenen Dienststelle, dem sogenannten Impact Assessment Board geprüft und freigegeben.

Das Impact Assessment spielt in der politischen Diskussion von Richtlinien- und Verordnungsentwürfen im Parlament und im Ministerrat eine wichtige Rolle.

Konsequenzen für das Verbands­lobbying

Unabhängig davon, ob die Kommission den formalen oder den informellen Weg wählt, ist es Pflicht für die Verbände, die einzelnen Entwicklungen zu beobachten und sich möglichst aktiv an den Diskussionen zu beteiligen. Dabei können sich Verbände die oben beschriebene Schwäche der Kommission zunutze machen, etwa durch Ausgleich der Wissensdefizite der Beamten durch die Bereitstellung von Informationen. Die Kommission ist hierfür grundsätzlich dankbar und insofern für Kontaktgespräche und fachliche Ausarbeitungen offen.

Wie immer im Lobbying gilt auch hier: Je früher man sich in die Diskussion einbringt, umso größer sind die Erfolgsaussichten. Unsinnige oder für die Mitglieder schädliche Vorschläge, die nicht mehr im Entwurf der Kommission stehen, weil man diese überzeugt hat, müssen später nicht mühsam im Parlament oder im Ministerrat bekämpft werden.

Bei den Lobbygesprächen mit der Kommission ist es wichtig, nicht nur mit der federführenden Generaldirektion zu verhandeln. Da diese gezwungen ist, ihre Arbeitsentwürfe mit den anderen Generaldirektionen abzustimmen, die Schnittstellen mit dem jeweiligen Thema haben, sollten diese ebenfalls berücksichtigt werden. Manchmal ist es möglich, darüber mehr Einfluss auf die federführende Generaldirektion zu gewinnen, als man es selber schaffen könnte. Auch ist es wichtig, die Entstehung eines Richtlinienentwurfs auf den verschiedenen Hierarchieebenen zu begleiten. Natürlich beginnen Lobbygespräche mit Referenten oder Referatsleitern, sollten aber auf der Beamtenebene bis zum Generaldirektor und auf der politischen Ebene über die Kabinette der Kommissare fortgesetzt werden. Dabei müssen die Argumentationen angepasst werden. Sind sie zunächst eher fachlich, müssen sie später immer politischer werden. Daneben muss auch das sogenannte Impact Assessment intensiv studiert und ausgewertet werden. Zum einen, weil sich hieraus wichtige Lobbyargumente ableiten lassen, zum anderen, weil Fehler im Impact Assessment genutzt werden können, einen Entwurf fundamental zu kritisieren und gegebenenfalls auszuhebeln.

Unabdingbare Voraussetzung für frühzeitige Interventionsmöglichkeiten, nicht nur auf die Kommission bezogen, ist in jedem Fall ein professionelles und systematisches Monitoring der Entwicklungen in Brüssel. Dazu gehört die regelmäßige Auswertung aller verfügbaren Quellen wie Internetseiten, Newsletter, RSS-Feeds, aber auch der Besuch von Veranstaltungen und der direkte persönliche Dialog mit Entscheidungsträgern. Bezüglich des politischen Monitorings in Europa gilt der Satz von Henry Kissinger uneingeschränkt: „An issue ignored is a crisis invited.“

Rolle und Bedeutung des Europäischen Parlaments

Selbstverständnis

Das Europäische Parlament ist, de facto und vom Selbstverständnis her, die Vertretung der Bürgerinteressen in Europa. Dies gilt insbesondere, weil das Parlament die einzige Institution in Brüssel ist, die eine unmittelbare demokratische Legitimation hat. Schließlich sind alle Abgeordneten in direkten, freien und geheimen Wahlen bestimmt worden. Was Bürgerinteressen im Einzelnen sind, definiert natürlich jeder Abgeordnete individuell. Insofern muss die Beurteilung bei den einzelnen Abgeordneten differenzierter ausfallen. Schließlich fühlen sich Mandatsträger unterschiedlich in der Pflicht: für ihren Wahlkreis, die Partei, die sie nominiert hat, die Berufsgruppe oder den Verband, dem sie angehören, und nicht zuletzt ihrem Heimatland.

Stärken und Schwächen

Die Stärke des Parlaments liegt in der unmittelbaren demokratischen Legitimation. Eine weitere Stärke ergibt sich aus dem fehlenden Gegensatz von Regierungsfraktionen und Oppositionsfraktionen, wie er in nationalen Parlamenten üblich ist. Deshalb sind die Abgeordneten freier darin, sich eigene Meinungen zu bilden. Dies führt nicht selten zu sehr unterschiedlichen und in der Zusammensetzung wechselnden themenbezogenen „Koalitionen“.

Die Schwäche des Parlaments ergibt sich aus der heterogenen Zusammensetzung und dem vielfältigen Interessenspektrum. So sind etwa die Fraktionen deutlich weniger homogen als in nationalen Parlamenten, was auch die Steuerungsmöglichkeit für die Fraktionsführungen einschränkt.

Um die enorme Themenfülle bearbeiten zu können, ist das Parlament, das derzeit aus etwa 750 Abgeordneten besteht, wie nationale Parlamente auch, in Ausschüsse gegliedert. In den Ausschüssen findet die eigentliche Sacharbeit statt. Ebenfalls vergleichbar mit nationalen Parlamenten ist die Verantwortungsverteilung. So wird eine Richtlinie oder Verordnung nach der ersten Lesung im Plenum des EU-Parlaments an einen Ausschuss federführend und andere Ausschüsse zur Mitberatung überwiesen.

Innerhalb der Ausschüsse gibt es eine weitere Arbeitsteilung. So wird für jede Richtlinie oder Verordnung ein „Berichterstatter“ ernannt, dem jeweils je ein Koberichterstatter aus den übrigen Fraktionen zugeordnet wird. Die Rolle des Berichterstatters unterscheidet sich jedoch fundamental von der gleichnamigen Funktion in nationalen Parlamenten. Der Berichterstatter nämlich ist für die gesamte Meinungsbildung im Parlament verantwortlich und vertritt das Parlament bei den Verhandlungen mit dem EU-Ministerrat und der Europäischen Kommission. Dazu erstellt er zunächst einen „Berichtsentwurf“. In diesem Berichtsentwurf reflektiert er das gesamte zur Diskussion anstehende Politikfeld, referiert über die Beweggründe der Europäischen Kommission, die den Entwurf vorgelegt hat, und gibt seine persönliche Bewertung ab. Dann macht er den Parlamentskollegen Vorschläge in Form von Änderungsanträgen („Amendments“), welche Teile des Entwurfs der Europäischen Kommission übernommen, welche abgelehnt und welche neuen Regelungen stattdessen oder ergänzend eingebracht werden sollten.

Diesen „Berichtsentwurf“ legt der Hauptberichterstatter dem federführenden Ausschuss vor (in jedem mitberatenden Ausschuss gibt es ebenfalls einen Berichterstatter und mehrere Koberichterstatter), der ihn diskutiert, wobei die Koberichterstatter die Meinungsbildung innerhalb der Fraktionen vorbereiten und steuern. Nach der ersten Diskussion im Ausschuss erhalten alle Mitglieder des Ausschusses (ordentliche und stellvertretende) die Möglichkeit, innerhalb einer bestimmten Frist ergänzende Änderungsanträge einzureichen.

Der Berichterstatter wiederum übernimmt diese Änderungsanträge — je einzeln oder gebündelt — in seinen Berichtsentwurf und stellt diesen erneut zur Diskussion und zur Abstimmung. Dabei kann es Abstimmungen nach Clustern geben, wobei ähnliche oder gleichlautende Änderungsvorschläge gebündelt werden, es kann aber auch über jeden Änderungsvorschlag einzeln abgestimmt werden. Erst auf Basis dieser Abstimmungen fertigt der Berichterstatter die endgültige Fassung seines Berichtes. Diese ist dann die Basis für die Diskussionen mit dem Ministerrat und die finale Abstimmung im Plenum des Parlaments. Anders als bei nationalen Gesetzgebungen berät das Plenum nicht über den Entwurf der Kommission — und stimmt auch nicht darüber ab —, sondern über den Bericht des Berichterstatters.

Konsequenzen für das Verbands­lobbying

Für das Lobbying ergeben sich aus diesem Verfahren vielfältige Konsequenzen. Zunächst ist es wichtig, bei jeder neuen Richtlinie oder Verordnung zu ermitteln, welcher Ausschuss sich federführend damit beschäftigt. Sodann sollte man sich über das Sekretariat des Ausschusses den vorgesehenen Zeitplan besorgen. Es wird nämlich jeweils schon ganz zu Anfang festgelegt, bis wann der Berichterstatter seinen Berichtsentwurf vorlegen muss, wann die Ausschussdiskussionen stattfinden, bis zu welchem Zeitpunkt die Änderungsanträge vorliegen müssen, wann der Ausschuss darüber abstimmt und wann schließlich die Plenarabstimmung angesetzt ist. An diesem Zeitplan sind die gesamten Lobbyaktivitäten auszurichten.

Der wichtigste Ansprechpartner für jedes Lobbying ist natürlich der Berichterstatter im federführenden Ausschuss, nachrangig sind es die Koberichterstatter. Mit diesen sollten die ersten Lobbygespräche geführt werden, wobei die Rangfolge der Koberichterstatter sich nach der Stärke der jeweiligen Fraktion richtet. Wegen dieser klar geregelten fachlichen Zuständigkeit innerhalb des Ausschusses, woraus sich der Grad an Einflussmöglichkeiten der Abgeordneten ergibt, ist es nicht ausreichend, sich hauptsächlich an die Abgeordneten der eigenen Nationalität zu richten. Dies ist aber, so zeigt die Erfahrung in Brüssel, in den weitaus meisten Fällen die Praxis.

Änderungen am Berichtsentwurf des Berichterstatters lassen sich grundsätzlich auf zwei Wegen erreichen: einmal durch Überzeugung des Berichterstatters, der seinen Berichtsentwurf im Laufe der Diskussionen verändern kann, oder durch die Überzeugung von Abgeordneten, die ihrerseits Änderungsanträge einbringen. In der Praxis hat es sich bewährt, Abgeordneten, die auf Verbandswünsche positiv reagieren, Formulierungsvorschläge für Änderungsanträge — nebst Begründung — an die Hand zu geben. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese aktiv werden, ist umso größer, je geringer für den einzelnen Parlamentarier der Aufwand ist. In dieser Phase bewähren sich mitunter Kontakte zu den nationalen Abgeordneten.

Ist die Frist der Änderungsanträge verstrichen und der Berichtsentwurf im Ausschuss verabschiedet, sinken die Möglichkeiten der Einflussnahme deutlich. Zwar lässt sich auch vor der finalen Abstimmung im Plenum grundsätzlich noch etwas tun, die Bereitschaft der Parlamentarier, insbesondere der Fraktionsführungen, in dieser Phase noch etwas zu ändern, ist allerdings in der Regel gering, wenn es sich nicht gerade um sehr grundsätzliche, allgemein politische Themen handelt. Ansonsten verlässt sich die Parlamentsmehrheit auf die Vorarbeit der Kollegen in den Ausschüssen.

Rolle und Bedeutung des Ministerrates

Selbstverständnis

Der Ministerrat vertritt die Interessen der Mitgliedstaaten. Diese werden im Ministerrat durch die nationalen Regierungen vertreten. Eine Kontrolle der Regierungen durch die nationalen Parlamente findet kaum statt.

Stärken und Schwächen

Die Stärke des Ministerrates ergibt sich aus der zentralen Position im Entscheidungsprozess und der hohen Motivation der Mitgliedsstaaten, die Regelungen im eigenen Interesse mitzugestalten und ungeliebte Regelungen zu verhindern.

Die Schwäche ergibt sich aus der stark heterogenen Struktur der Arbeitsgruppen und der Räte und der unterschiedlichen Einflussmöglichkeiten der Mitgliedsstaaten je nach Größe und politischem Gewicht.

Arbeitsweise

Die Diskussionen über die Entwürfe der Kommission beginnen in den sogenannten Ratsarbeitsgruppen auf Beamtenebene. Hierbei treffen sich entweder Vertreter der fachlich zuständigen nationalen Ministerien oder aber der „Ständigen Vertretungen“ der Mitgliedsstaaten in Brüssel. Gesteuert wird der gesamte Diskussionsprozess auf allen Hierarchieebenen von Vertretern des Landes, das die Ratspräsidentschaft innehat. Die Ratspräsidentschaft definiert, welche Richtlinienentwürfe sie in der Zeit ihrer Präsidentschaft behandelt, wie sie diese priorisiert und wann sie diese auf die Tagesordnungen der einzelnen Gremien setzt.

Auch leitet ein Vertreter der Ratspräsidentschaft die Diskussionen und legt Formulierungsvorschläge für die Meinungsbildung und die Beschlussfassungen vor.

Konsequenzen für das Verbands­lobbying

Für das Lobbying ergibt sich das optimale Vorgehen auch hier aus der Struktur des Rates und der Aufgabenverteilung. Erster Ansprechpartner sollte immer die Ratspräsidentschaft sein, in der Regel über die „Ständige Vertretung“ des jeweiligen Landes in Brüssel. Man sollte den zuständigen Fachbeamten ermitteln und sich möglichst früh mit diesem treffen, zum einen, um die politische Grundeinstellung zur anstehenden Richtlinie oder Verordnung zu erfahren, und zum anderen, um die interne Arbeits- und Zeitplanung kennenzulernen. Wie beim Parlament ergibt sich hieraus zwingend der eigene Zeitplan für die Lobbyarbeit.

Haben die ersten Diskussionen in den Ratsarbeitsgruppen stattgefunden, gilt es, die Positionen der Mitgliedsstaaten zu erfassen und abzuschätzen, wie wohl die Mehrheitsverhältnisse sind. Weiß man dies, kann man mit der eigenen nationalen Regierung sprechen, aber auch mit den Mitgliedsstaaten, die eine abweichende Position von der Verbandsmeinung einnehmen und die man vielleicht überzeugen kann. Zwar ist das internationale Agieren für nationale Verbände nicht leicht, da natürlich Rücksicht genommen werden muss auf europäische beziehungsweise nationale Verbände in den anderen Mitgliedsstaaten, ein Fehler wäre es jedoch in jedem Fall, nur mit der eigenen Regierung zu sprechen. Auch dies ist aber nicht selten der Fall.

Organisation des Entscheidungsprozesses

Zustimmungspflicht von Parlament und Ministerrat

Europäische Richtlinien und Verordnungen können nur gemeinsam von EU-Parlament und vom Ministerrat verabschiedet werden. Dies erfolgt nach dem bereits erwähnten Mitbestimmungsverfahren. Damit aber beide Gremien nicht nur für sich und aneinander vorbei diskutieren, gibt es verschiedene standardisierte Verfahren, nach denen der Dialog und die Abstimmungsprozesse organisiert werden.

Der Trilog

Das wichtigste hiervon wird mit „Trilog“ bezeichnet. Im Trilog wirken das Parlament, vertreten durch den Berichterstatter, der Ministerrat, vertreten durch die Ratspräsidentschaft, und die Europäische Kommission, vertreten durch die Generaldirektion, die den Richtlinien- oder Verordnungsvorschlag eingebracht hat, zusammen. Der Trilog beginnt in der Regel, nachdem der Parlamentsausschuss und die Ratsarbeitsgruppe eine erste Position zum Entwurf der Kommission gebildet haben. Ziel ist es, aus dem Ursprungstext der Kommission, dem Bericht des Berichterstatters und dem „gemeinsamen Standpunkt“ der Mitgliedsstaaten einen Kompromiss zu entwickeln, der von allen drei Institutionen akzeptiert werden kann.

Steht als Ergebnis der Trilogverhandlungen ein Kompromiss fest, muss dieser neuerlich im Parlament in den zuständigen Ausschüssen diskutiert und gebilligt werden. Im Anschluss verabschiedet der federführende Ausschuss eine Beschluss-empfehlung, die dem Plenum des Parlaments zur Abstimmung vorgelegt wird. Beim Ministerrat müssen die Ratsarbeitsgruppen entscheiden, dann die Ausschüsse der ständigen Vertreter und schließlich die Minister bei ihren halbjährlichen Treffen.

Konsequenzen für das Verbands­lobbying

Schon aus der nur skizzenhaft beschriebenen Organisation des Entscheidungsprozesses ergeben sich einige wichtige Konsequenzen für das Lobbying. So müssen die verantwortlichen Verbandsmanager immer alle drei Institutionen im Fokus haben, den gesamten Lobbyingprozess, der sich durchaus über Jahre hinziehen kann, beobachten und zum richtigen Zeitpunkt jeweils in geeigneter Weise intervenieren. Professionelle Lobbyisten mit genügend Erfahrung in Brüssel und Straßburg können einen Mehrwert schaffen, indem sie nicht nur auf die drei Institutionen je für sich einwirken, sondern versuchen, den Diskussions- und Entscheidungsprozess aktiv zu begleiten, etwa durch Informa-tionstransfers oder durch Vorschläge für geeignete Kompromisse. Dies alles muss selbstverständlich im Rahmen der gesetzlich gegebenen Möglichkeiten und unter Wahrung der Souveränität der beteiligten Institutionen erfolgen.

Verbandliches Handeln ist umso erfolgreicher, je stärker es „europäisiert“ geschieht, entweder durch einen europäischen Dachverband oder durch einen (auch losen) Zusammenschluss von nationalen Verbänden. Zwar können auch nationale Verbände durchaus in Brüssel agieren, sie stoßen aber schneller an Grenzen als Dachverbände oder Verbands-allianzen. Dies gilt insbesondere bei der Europäischen Kommission.

Praxistipps

Auf politische Entscheidungen in Europa Einfluss zu nehmen, also europäisches Lobbying zu betreiben, wird für Verbände immer wichtiger, um die Interessen der Mitglieder zu wahren und deren Erwartungen zu erfüllen. Lobbying in Brüssel und Straßburg unterscheidet sich jedoch erheblich von nationalem Lobbying. Erfolgreich agieren kann hier nur, wer die spezifischen Bedingungen kennt und die Prozesse versteht, weil nur dann die Stellschrauben erkennbar werden, an denen erfolgreich gedreht werden kann. Na-tionale Verbände, die es sich leisten können, haben deshalb in den letzten Jahren eigene Büros in Brüssel eröffnet. Das ist eine gute, aber nicht unbedingt notwendige Lösung. Möglich wird erfolgreiches Lobbying auch, wenn man innerhalb des Verbandes entsprechende fachliche Kompetenzen aufbaut. Wegen der nötigen Kontinuität und Langfristigkeit des europäischen Lobbyings sollte dies innerhalb der Geschäftsstelle geschehen, nicht auf der Ebene des Ehrenamtes. Kann oder will man keine eigenen Ressourcen schaffen, sollten für das europäische Lobbying externe Berater, also freie Lobbyisten oder Public-Affairs-Agenturen, verpflichtet werden. Dies kann, beispielsweise für ein professionelles Monitoring, dauerhaft geschehen, aber auch zeitlich befristet, etwa für konkrete Lobbyprojekte, also die Beeinflussung einer bestimmten Richtlinie oder Verordnung.

Die Entscheidung über das beste Vorgehen muss jeder Verband selbst treffen. Jede Entscheidung muss sich an den Prämissen „Dauerhaftigkeit, Langfristigkeit und Professionalität“ orientieren. Die Zeiten, in denen Europapolitik und europäisches Lobbying „nebenbei“ erledigt werden konnten, sind definitiv vorbei.

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Autor/in

Hubert Koch

ist Public-Affairs-Experte und Lobbyist.  Dr. Koch war selbst zehn Jahre Hauptgeschäftsführer und Mitglied des Präsidiums eines Industrieverbandes. Mit der Dr. Koch Consulting e.K. unterstützte er viele Jahre Verbände bei der Entwicklung und Durchführung von Lobbyprojekten auf nationaler und europäischer Ebene.

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