Verbändereport AUSGABE 1 / 2011

Marketing als „unternehmerische Denkhaltung“ für Verbände

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Der Grundgedanke des Marketings – die konsequente Ausrichtung sämtlicher Unternehmensaktivitäten nach den Bedürfnissen des Marktes bzw. der Kunden – hat sich in den meisten Branchen und Unternehmen als Erfolgsfaktor durchgesetzt. Dennoch wird das Marketing traditionell als ein Aufgabengebiet von Wirtschaftsunternehmen, die explizit Gewinnziele verfolgen, wahrgenommen. Für Non-Profit-Organisationen, darunter fallen auch Vereine und Verbände, erst recht solche mit sozialem Auftrag, gehört das Marketing hingegen (noch) nicht zu den selbstverständlichen Aufgaben der Führung ihrer Institution. Vielmehr stoßen der Begriff des Marketings und die damit verbundene Vorstellung, Prinzipien der kommerziellen Vermarktung auf die eigenen Leistungsbereiche zu übertragen, auf Bedenken, Ängste oder gar Ablehnung.

Sprache schreckt

Alleine die Marketingsprache ist dabei bereits Grund zum Anstoß. Zentrale Begriffe, die mit dem Marketing assoziiert werden – wie Verkauf, Produkt, Markt, Kunde oder Werbung –, passen vielfach nicht in die Denkwelten dieser Organisationen bzw. sind durch die Erfahrungen mit dem kommerziellen Marketing bereits negativ belegt. Vereine und Verbände agieren häufig nicht in einem freien Markt und unterliegen damit nicht ausschließlich den Marktgesetzen. Statt des Verkaufs von Produkten stehen der gemeinnützige Auftrag sowie das Umsetzen allgemeiner Ideen, Aufgaben für ihre Mitglieder und deren Interessenvertretung im Mittelpunkt. Auch wenn der absolute Marktbegriff, bei dem sich Anbieter und Nachfrager aufgrund von Preis und Qualität einigen, für den Non-Profit-Bereich vielfach nicht gilt, müssen Vereine und Verbände dennoch „ihren Markt“ erkennen und Veränderungen von Rahmenbedingungen und das Verhalten aller Marktbeteiligten in ihrem eigenen Handeln berücksichtigen.

Wer ist Kunde?

Anstoß bietet weiterhin auch der Kundenbegriff. Im Bereich von Non-Profit-Leistungen geht es nicht um Kunden, die für ein Produkt zahlen und damit Marktmacht innehaben. Diese Sichtweise des Kunden greift für Vereine und Verbände nicht, da teilweise eine Vielzahl Betroffener und Beteiligter in den Leistungsaustauschprozess einbezogen sind. Kunden im erweiterten Sinne können hier u. a. Mitglieder, Spender oder staatliche Institutionen sein, da sie alle am Leistungserstellungsprozess beteiligt sein können bzw. unterschiedliche Ansprüche an die Leistungserbringung stellen. Wer Marketing für Vereine und Verbände betreiben möchte, muss daher mit einem erweiterten Begriff des Kunden und des Marktes agieren.
Die aus der Sprache erwachsenden Schwierigkeiten und Vorbehalte in der Diskussion über den Stellenwert, die Notwendigkeit und die Sinnhaftigkeit des Marketings für Vereine und Verbände sind nachvollziehbar. Auch die Unterschiede in den Markt- und Wettbewerbsbedingungen zwischen kommerziellen und nichtkommerziellen Anbietern, die bei einer Übertragung von Marketingprinzipien Berücksichtigung finden müssten, führen zu Zweifeln an der Sinnhaftigkeit des Marketingkonzeptes für den Non-Profit-Bereich.

Dennoch stehen heute auch Vereine und Verbände vor veränderten Rahmenbedingungen wie gesetzlichen Änderungen, knapperen Haushalten, schwindendem Solidaritätsprinzip in der Gesellschaft und vermehrt kommerziellen Wettbewerbern. Diese Veränderungen stellen neue Herausforderungen an das Management von Non-Profit-Organisationen und machen eine intensivere und offenere Auseinandersetzung mit den Inhalten und Aufgaben des Marketings erforderlich.

Marketing als Führungsphilosophie

Marketing ist heute nicht mehr nur als eine betriebliche Funktion neben Controlling, Beschaffung oder Personalwesen zu sehen, sondern als eine Leitidee der markt- und kundenorientierten Führung von Institutionen, die von allen Mitarbeitern getragen werden muss. In den letzten Jahren wurde diese stark kundenorientierte Perspektive des Marketings zugunsten einer breiten, weitere Anspruchsgruppen einbeziehenden Betrachtungsweise erweitert.

Diese erweiterte Sichtweise des Marketings, die sich als Führungsphilosophie versteht, sich auf sämtliche Anspruchsgruppen bezieht und abhängig ist von der Wettbewerbssituation, bietet auch für Non-Profit-Unternehmen vielfältige Berührungspunkte. Denn es kann beim Marketing für nichtkommerzielle Anbieter nicht alleine um die Vermarktung bestehender Leistungen gehen, indem im Sinne eines adaptiven Marketings die Leistungen an die jeweiligen Kundenbedürfnisse anzupassen sind. Vielmehr muss die Markt- und Kundenorientierung als unternehmerische Denkhaltung implementiert werden, indem sämtlichen Mitarbeitern bewusst wird, dass differierende Erwartungen bei den vielfältigen Bezugsgruppen bestehen, auch nichtkommerzielle Institutionen heute im Wettbewerb stehen und sich daher am Markt und den dort vorherrschenden Wettbewerbsregeln und politischen Rahmenbedingungen orientieren müssen. Der Wettbewerb wird dabei nicht nur um den „Kunden“ ausgetragen, sondern auch um Mitglieder, Finanzen und Mitarbeiter.

Zentrale Zielsetzung des Marketings für Vereine und Verbände ist es daher nicht, vordergründig Werte, Inhalte und die Art der Leistungserstellung zu verändern. Vielmehr soll durch das Marketing eine Hilfestellung gegeben werden, die eigene Leistungsfähigkeit besser zu gestalten, darzustellen und vor allem auch gegenüber dem Markt zu kommunizieren. Vereine und Verbände sind daher aufgerufen, kritisch zu prüfen, inwieweit sie vom professionellen Marketing kommerzieller Anbieter lernen können und wollen. Trotz des sich bietenden Potenzials der organisatorischen Entwicklung durch einen vorbehaltlosen Umgang mit dem Thema scheitern die Marketinganstrengungen vielfach an bestehenden internen Barrieren. Solange in vielen Non-Profit-Organisationen Begriffe wie Management und Marketing suspekt erscheinen und die Ängste vor der Kommerzialisierung und dem Ausverkauf der eigenen Werte größer sind als die wahrgenommenen Chancen, die eine Marktorientierung bietet, kann eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit den notwendigen Marketingfragestellungen nicht gelingen.

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Autor/in

Marcus Stumpf

ist Professor für Betriebswirtschaft an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management sowie Vorstandsmitglied des Deutschen Institutes für Vereine und Verbände e. V. (DIVV). Der Verbandsexperte verantwortete u. a. jahrelang als Geschäftsführer die Markenführung und Vermarktung des zweitgrößten deutschen Sportverbandes. Heute ist er zudem als geschäftsführender Gesellschafter der Verbandsberatung relatio GmbH tätig.

https://www.divv.de

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