Verbändereport AUSGABE 1 / 2004

Mitgliedermarketing in schwierigen Zeiten

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Viele Verbände befinden sich heute in einer mehrfach schwierigen Situation: stagnierende oder sinkende Mitgliederzahlen durch wenig beeinflussbare strukturelle Entwicklungen im Mitgliederbereich (Fusionen, Insolvenzen, Aufgabe von Betrieben etc.) stehen immer kritischer und anspruchsvoller werdenden Mitgliedern bei gleichzeitig sinkenden finanziellen Mitteln gegenüber.

Verbände wurden bisher von einer verhältnismäßig stark ausgeprägten Solidarität getragen, die (im Generationswechsel) beinahe automatisch zum Verbandsbeitritt führte. Dieses Gefühl der Zugehörigkeit hat vor allem in der jüngeren Generation deutlich nachgelassen. Der Entschluss, einem Verband/einer Innung beizutreten erfolgt heute in vielen Fällen nach einer sorgfältigen Abwägung von Kosten und Nutzen. Der geldwerte Vorteil ist wichtiger geworden als die Solidarität.

In dieser Situation darf Mitgliedermarketing nicht isoliert oder eingeschränkt betrachtet werden, sondern ist notwendigerweise Teil eines umfassenden Konzeptes, mit dem der Verband/ die Innung primär folgende Aufgaben bewältigen muss:

  • die Gestaltung eines für seine (Neu) Mitglieder attraktiven bedarfs- und marktgerechten Dienstleistungsangebots
  • die Etablierung der Mitgliedermarketing als systematische, kontinuierliche Führungsaufgabe mit einer klaren Rollenteilung zwischen Hauptamt und Ehrenamt
  • das gemeinsame Verständnis von Mitgliedermarketing als einer permanenten Kommunikations- und Informationsaufgabe aller Verbandsangehörigen
  • die Schaffung einer gerade auch für neue Mitglieder einladenden offenen Kultur in den Versammlungen und Veranstaltungen sowie einer überzeugenden Professionalität ihrer Durchführung.

Die operative Planung im Mitgliedermarketing

Mitgliedermarketing ist eine Führungsaufgabe, die der Analyse, Zielsetzung, Planung, Entscheidung, Ausführung und Kontrolle bedarf. Sie kann demnach nicht nur nebenbei betrieben werden oder von Spontanideen getragen sein.

Im Folgenden werden die einzelnen Planungsschritte eines Mitgliedermarketing ausführlicher behandelt:

Analyse zur Beschaffung der notwendigen Planungsinformationen

In der Analysephase sind folgende Fragen zu beantworten:

  • Wie hoch ist der Organisationsgrad generell?
  • Welches sind relevante Mitgliedersegmente und ist der Organisationsgrad in all diesen Mitgliedersegmenten gleich hoch oder unterschiedlich?
  • Ist der Organisationsgrad im Zeitablauf zu- oder abnehmend? Wie hoch sind die jährlichen Zu- oder Abnahmequoten?
  • Wie hoch ist der Bekanntheitsgrad der verbandlichen Leistungen?
  • Wie wird das Dienstleistungsangebot beurteilt?
  • Welches sind die hauptsächlichen Anreize für einen Eintritt?
  • Welches sind die Gründe für Austritte bzw. für nicht erfolgte Beitritte?
  • Gibt es Konkurrenzorganisationen bei denen sich potentielle Mitglieder angeschlossen haben?

Marketing-Ziele

Aufgrund der Analyseergebnisse gilt es, segmentweise Ziele für das Mitgliedermarketing zu setzen. Dies kann beispielsweise durch die Beantwortung folgender Fragen erfolgen:

  • Wie viel neue Mitglieder wollen wir absolut werben?
  • Wie viel Prozent des aktuellen Mitgliederbestandes sind das?
  • In welchem Zeitraum soll dieses quantitative Ziel erreicht werden?
  • In welchen Mitgliedersegmenten wollen wir insbesondere Neumitglieder gewinnen?
  • In allen oder ganz besonders in einigen wenigen (wichtigen)?
  • Welche unserer Dienstleistungen sind bei der Werbung in dieser Untergruppe von besonderer Bedeutung (was können wir Ihnen Attraktives bieten?)

Mitglieder-Segmentierung

Gerade auch bei der Gewinnung von Neumitgliedern kommt einer Segmentierung der verschiedenen Zielgruppen besondere Bedeutung zu. Je präziser sich Zielgruppen-Segmente beschreiben lassen, desto besser können die Zielgruppen angesprochen werden.

Wir müssen also wissen, in welchen Punkten sich unsere möglichen Adressaten unterscheiden (z.B. Anzahl der Beschäftigten, Dauer der Selbstständigkeit, Branche, Handwerk ...) und ob sich daraus unterschiedliche Bedürfnisse ableiten lassen.

Mitgliederrollen

Jedes (potentielle) Mitglied hat in seinem Verband/Innung unterschiedliche Rollen, die wiederum mit unterschiedlichen Anreizen für seine Mitgliedschaft verbunden sind. Die nebenstehende Tabelle zeigt, welche Rollen ein Mitglied im Verband ausüben kann und welche Anreize diese Rollen für seinen Eintritt spielen.

Positionierung

Potentielle Mitglieder nehmen weder die Angebote an Einzelleistungen noch den Verband isoliert wahr.

Jede Organisationseinheit wird immer umfassend mit den anderen Organisationseinheiten des Verbandes (Innung, Landesverband, Bundesverband...) und im Vergleich zu anderen Organisationen wahrgenommen.

Für das Mitgliedermarketing ist daher das in der Öffentlichkeit wahrnehmbare Bild des gemeinsamen Auftretens und der Zusammenarbeit zwischen allen Organisationsteilen sowie die Positionierung des Verbandes über ein gemeinsames Leitbild von entscheidender Bedeutung.

Gleichzeitig muss für das potentielle Mitglied transparent sein, wie das Zusammenspiel der Organisationseinheiten im Erbringen der einzelnen Dienstleistungen erfolgt und was der konkrete, daraus resultierende eigene Nutzen ist.

Organisation/Verantwortlichkeit

Mitgliedermarketing ist eine elementare Aufgabe. Grundsatzentscheidungen hierzu sollten deshalb durch die ehrenamtlichen Führungsorgane getroffen oder zumindest bestätigt werden. Den Geschäftsführungen kommt in der Planung und Entscheidungsvorbereitung die zentrale Rolle zu. In der Umsetzung müssen sich Hauptamtliche und Ehrenamtliche in ihren je verschiedenen Rollen ergänzen.

Budget

Wie bei allen größeren Aufgaben gilt es auch für das Mitgliedermarketing, ein entsprechendes Budget bereit zu stellen. Dabei geht es neben den finanziellen Kosten hier vor allem auch um die Bereitstellung eines entsprechenden Zeitbudgets für die beteiligten hauptamtlichen Mitarbeiter.

Kontrolle

Schließlich geht es in einem letzten Schritt darum, durch Ist-/Soll-Vergleiche eine Erfolgskontrolle durchzuführen und mögliche Abweichungen sorgfältig zu analysieren. Nur so können weitere Aktionen erfolgreich sein, wenn Erfolgs- und Misserfolgsgründe auch bekannt sind.

Marketing-Mix im Mitglieder-Marketing

Nutzerorientierter Leistungskatalog: Im Zentrum des Marketing-Mix steht das Ziel, mit einem potentiellen Mitglied Kontakt auf zu nehmen, Ihn vom Verband und seinen Leistungen zu überzeugen und dadurch die Bereitschaft für eine Mitgliedschaft zu wecken.

Mitgliedermarketing ist zunächst eine Aufgabe des objektiven Informierens und Kommunizierens von persönlichen Mitgliedschafts-Vorteilen. Sehr viele Nicht-Mitglieder haben keine oder falsche Vorstellungen davon, was ein Verband tut. Hier gilt es primär anzusetzen und über Struktur, Leistungen, Mitgliedschaft, Kosten u.a.m. aufzuklären.

Es ist daher für das Mitgliedermarketing unverzichtbar, dass der Verband einen aktuellen, nutzerorientierten Leistungskatalog erstellt, in dem seine Kernkompetenzen, seine kollektiven wie individuellen Dienstleistungen, die persönlichen Ansprechpartner und deren Erreichbarkeit, die verschiedenen „Anreize“ zur Mitgliedschaft.aus der Perspektive der (Neu-)Mitglieder dargestellt werden.

Gestaltung des Prozessablaufs zur Mitgliedergewinnung

Wichtigstes Instrument im Marketing-Mix ist und bleibt das persönliche Gespräch. Neben dem langfristigen Beziehungsaufbau zu potentiellen Neu-Mitgliedern muss im Falle einer zeitlich befristeten Kampagne zur Mitgliedergewinnung besonders genau geplant werden, wie der Prozessablauf aussehen soll und wer die entsprechenden Aufgaben übernimmt.

Folgende Phasen lassen sich unterscheiden:

  • Erstkontakt herstellen (Werbebrief, eMail Versand)
  • Kontaktvertiefung über Telefon (MA der Geschäftsstelle/Call-Center?)
  • Besuch im Betrieb vor Ort
  • Nachfassaktivitäten ( Versand zusätzlicher Unterlagen)
  • Beitritt

Ergänzende Instrumente zur „Schwellensenkung“

  • Kostenloser Bezug der Mitgliederzeitschrift für 1 Jahr
  • Beitragsfreie Schnuppermitgliedschaft
  • Kostenlose Teilnahme an bestimmten Veranstaltungen
  • Angebot spezieller Seminare für einzelne Zielgruppen

Mitglieder-Marketing als Aufgabe aller Verbandsmitglieder

Mitgliedermarketing ist eine Aufgabe, die alle Verbandsangehörigen, ob mit oder ohne Ehrenamtsfunktion etwas angeht. Diese „Botschaft“ ist permanent zu kommunizieren und nach Möglichkeit durch entsprechende Prämiensysteme zu unterstützen. Zufriedene Mitglieder können für ihre eigeneZielgruppe am besten werben.

Mögliche Prämien könnten z.B. Geschenke, Gutscheine oder die Publikation des Werbeerfolges einzelner Personen sein.

Integration der Neu-Mitglieder

Neben den genannten Instrumenten zur Mitgliedermarketing sind unbedingt auch Instrumente zur Integration der neuen Mitglieder zu entwickeln.

Zum einen muss unter den Mitgliedern des Verbandes die Bereitschaft zur Integration der Neuen sowie Möglichkeiten zur einladenden Kontaktaufnahme und der Chance der Mitgestaltung vorhanden sein.

Zum anderen ist natürlich eine gut „professionelle“ Durchführung und Gestaltung von Veranstaltungen z.B. auf Innungsebene für den ersten Eindruck eines Neuen – und seine Schlussfolgerungen für die Qualität des gesamten Verbandes – entscheidend.

Insofern müssen Ehrenamt und Hauptamt auf allen Ebenen und in allen organisatorischen Einheiten eng zusammen wirken, um auch in schwierigen Zeiten Erfolge beim Mitgliedermarketing zu haben.

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Autor/in

Claus Philippi

war Partner der B’VM|Beratergruppe für Verbandsmanagement. Bern. Linz. Stuttgart. Berlin. Als langjähriger Experte in der Verbandsberatung waren seine Schwerpunkte Mitgliederbefragungen, Leitbild- und Strategieentwicklung, Schnittstelle von Haupt- und Ehrenamt, Konfliktmanagement und die Begleitung bei komplexen Reorganisationsprozessen. Ende 2018 ist er aus dem aktiven Berufsleben ausgeschieden.

http://www.bvmberatung.net

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