Verbändereport AUSGABE 8 / 2009

„Nur diejenigen, die das Web 2.0 kennen, können es auch mitgestalten“

Verbändereport-Interview mit Jan Haase zur Online-Strategie und Web 2.0 von Greenpeace

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Boot Camp, Social Bookmarks, Podcasts, Online-Video, Blogs oder Wikis. Begriffe aus dem Bereich „Web 2.0“. Alle diese Begriffe vereint eines: Kollaboration. Nicht der Überlauf auf die gegnerische Seite, sondern die Mitarbeit (vom Englischen to collaborate). Web 2.0 hat sich als gewissermaßen basisdemokratische, partizipative Möglichkeit durchgesetzt, Ideen zu entwickeln, Kampagnen anzuleiten und anzutreiben. Gerade Non-Profit-Organisationen (NPO) nutzen zusehends diese Möglichkeiten, um ihre Ziele zu erreichen. Wir sprachen mit Jan Haase, dem Verantwortlichen für Neue Medien bei Greenpeace, über die Online-Strategie der Umweltorganisation.

VR Herr Haase, was verstehen Sie unter Web 2.0?

Jan Haase Beim Web 2.0 sehe ich zwei große Unterschiede zum Internet der Vergangenheit. Da ist zum einen das dialogische Element: Kommunikation läuft nicht mehr klassisch nur vom Sender zum Empfänger – Web 2.0 lebt vom Rückkanal, dem Austausch zwischen allen Beteiligten. Ganz eng damit verknüpft ist die zweite Neuerung, der sogenannte User Generated Content. Inhalte werden medienunabhängig erstellt und veröffentlicht, egal ob es sich um Texte, Filme oder Podcasts handelt. Web 2.0 ist also ganz klar nicht einfach eine technische Weiterentwicklung, sondern ein ganz neuer Kommunikationsansatz.

VR Warum greifen Sie als Organisation auf die Möglichkeiten zurück?

Jan Haase Greenpeace hat es sich zur Aufgabe gemacht, Umweltprobleme in die Öffentlichkeit zu bringen, um darüber unsere Lebensgrundlagen zu erhalten. Wir haben dabei schon viel erreicht und viele Probleme gelöst. Aber die negativen Megatrends wie Klimawandel und Artenschwund bestehen weiter. Vor allem beim Klimaschutz läuft die Zeit zum Handeln ab. Um die Kampagnen zum Schutz unserer Lebensgrundlagen zu gewinnen, braucht Greenpeace in Zukunft noch mehr Menschen, die selbst aktiv werden und die auch andere zum Handeln bewegen.

Dafür ist das Internet eine hervorragende Plattform. Und im Web 2.0 kommen wir mit der Öffentlichkeit auf sehr vielen Ebenen in einen Dialog, der Grundlage für eine solche Mobilisierung ist.

VR Welchen Nutzen versprechen Sie sich kurzfristig? Oder langfristig?

Jan Haase Als Umweltorganisation reicht es ja nicht aus, die Menschen zu informieren. Wie schon gesagt, wir müssen sie auch immer stärker mobilisieren. Eine Kampagne ist erst dann erfolgreich, wenn sie Druck auf die Industrie und die Politik ausübt, wenn sie Handlungsbereitschaft erzeugt und im Ergebnis ein sichtbares Handeln bewirkt.

Eine wichtige Bezugsgruppe für unsere Kampagnenarbeit sind junge Menschen. Sie haben eine besondere Motivation, denn es geht um ihre Zukunft. Um diese Bezugsgruppe zu erreichen und für den Umweltschutz zu begeistern, muss man dorthin gehen, wo sie aktiv ist – ins Internet. Und man muss ihre Kommunikationswege im Netz nutzen. Für diese Generation ist Web 2.0 die Grundlage der Kommunikation.

VR Welche – auch konkreten – Ziele verfolgen Sie denn mit der Nutzung von Online-Strategien? Besteht der Vorteil für Sie direkt in der Einbindung verschiedener Zielgruppen?

Jan Haase Unsere verschiedenen Ansätze verfolgen ein Ziel: Wir wollen unsere Kommunikation stärker öffnen und in einen echten Dialog kommen, und zwar nicht nur mit unseren Unterstützern. Bei Greenpeace kann man Umweltkampagnen live erleben und an ihnen teilnehmen und man kann unkompliziert mit Greenpeace in Kontakt treten. Unser Ziel ist, Greenpeace in Zukunft mit all seinen Facetten im Internet zu zeigen. Unter www.greenpeace.de werde ich als Nutzer in Zukunft weiterhin aktuelle Informationen und Hintergrundwissen zu einem Thema finden. In unserem Blog gibt es aktuelle Kommentare, Meinungen und persönliche Sichtweisen zu den Themen. Da geht die Bandbreite von der Kommentierung eines Politikerstatements bis zum persönlichen Schiffstagebuch der Meereskampagnerin, der ich als User noch während der Expedition meine Fragen stellen kann. Wir wollen den Menschen damit eine unabhängige Orientierungshilfe im Dschungel der Meinungsvielfalt geben.

Wenn wir im Internet eine wirksame Gegenöffentlichkeit erzeugen und dabei medienunabhängig werden wollen, brauchen wir dafür eine integrierte Strategie.

Wir nutzen die Chance, über die unterschiedlichsten Web-2.0-Kanäle gleichzeitig die unterschiedlichsten Zielgruppen zu erreichen. So können wir über soziale Netzwerke wie Facebook, Youtube oder Twitter nicht nur unsere Unterstützer auf einen Schlag mit Texten, Fotos und Videos über Aktionen informieren. Wir erreichen dort auch zusätzliche Multiplikatoren und darüber Menschen, die unsere Arbeit noch nicht kennen. Die Vielfalt der Kommunikationswege trägt auch zu einer schnelleren Verbreitung einer Kampagnenbotschaft bei. Über die Mundpropaganda im Web oder ein Video, das sich viral verbreitet, können wir in sehr kurzer Zeit den Druck auf Unternehmen oder Politiker erhöhen.

Wir setzen aber vor allem auf eine eigene Community, GreenAction. Wer sich zu einem Thema engagieren möchte – der findet auf der Kampagnenplattform GreenAction.de eine Vielzahl von Anregungen, um sein Engagement sichtbar zu machen. GreenAction versteht sich dabei als eine Art offene Plattform: Für Greenpeace-Kampagnen entwickelt, steht sie Umweltaktivisten mit den unterschiedlichsten Interessen und Hintergründen zur Verfügung. Und mit dieser Community schaffen wir es, die Menschen nicht nur online zu aktivieren, sondern auch für Offline-Aktivitäten zu mobilisieren. GreenAction garantiert, was uns bei unserer Arbeit wichtig ist: absolute Unabhängigkeit von Unternehmen, Werbefreiheit, die Einhaltung von Greenpeace-Werten wie Gewaltfreiheit und die Konzentration auf das Thema Umweltschutz. Wir glauben, dass wir so das Internet auch ein Stück politischer machen können.

VR Was passiert eigentlich, wenn sich die Kommunikation in der Online-Community nicht in Ihrem Sinne entwickelt, sagen wir, wenn in Facebook Kritik, auch harsche, auftaucht?

Jan Haase Das Spannende am Web 2.0 ist, dass das Angebot zum Mitreden natürlich auch von unseren Unterstützern im Netz angenommen wird. Ganz häufig reagieren sie auf Kritik oder Gegenargumente mit fachlich fundierten und sehr engagierten Beiträgen – aber mit ihren eigenen Worten. Greenpeace wird in Diskussionen dadurch häufig verständlicher und lebensnaher. Und für unsere Unterstützer ist es sehr motivierend, wenn ihr Engagement für Greenpeace über ihre Beiträge öffentlich wahrgenommen wird. Bei besonders komplexen Fragen sind aber natürlich auch unsere Experten gefordert.

VR Ist der Aufwand in einem solchen Fall nicht enorm hoch?

Jan Haase Die Diskussionen mit Gegnern haben ja schon immer stattgefunden. Über das Internet sind nur mehr Menschen daran beteiligt – die meisten übrigens wie in der realen Welt nur als Zuschauer. Unsere Stärke war und ist zu argumentieren. Der Mehraufwand ist daher sehr überschaubar.

VR Welche Technik würden Sie denn gar nicht nutzen? Auf welche Tools greifen Sie gar nicht zurück?

Jan Haase In eine rein virtuelle Welt wie Second Life stecken wir keine Energie. Wir wollen Veränderungen in der echten Welt bewirken. Das Engagement im Internet ist für uns eine Möglichkeit für die Mobilisierung, es darf aber nicht zum reinen Selbstzweck werden. Ansonsten probieren wir auch vieles aus oder bekommen Hinweise von unseren Unterstützern. Grundlage bei der Auswahl unserer Tools bleiben aber immer unsere wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit und der sinnvolle Einsatz solcher Anwendungen in unserer täglichen Arbeit.

VR Welche Schlüsse ziehen Sie denn aus den bisherigen Erfahrungen?

Jan Haase Es war die richtige Entscheidung, diesen Weg der Öffnung im Netz zu gehen. Greenpeace hat zwar später als andere mit der Web-2.0-Arbeit angefangen, wir haben uns dann aber sehr intensiv damit beschäftigt und Know-how im Haus aufgebaut. Das hat uns davor bewahrt, aus Unwissenheit Geld in Modeerscheinungen wie Second Life zu versenken.

VR Also, zum Fazit: Welchen Organisationen würden Sie empfehlen, mehr im Bereich Web 2.0 zu machen?

Jan Haase Ich kann das nur jeder Organisation raten, die andere Menschen für ihre Arbeit gewinnen oder für bestimmte Ziele mobilisieren möchte oder die sich in einer öffentlichen Auseinandersetzung befindet. Denn im Netz finden die Diskussionen zu den Themen und über die Organisation schon längst statt. Nur diejenigen, die das Web 2.0 kennen, können diese Prozesse auch mitgestalten.

Herr Haase, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Greenpeace

Seit 1971 setzt sich Greenpeace weltweit für den Schutz der Lebensgrundlagen ein. Die Organisation ist unabhängig von Regierungen, politischen Parteien und wirtschaftlichen Interessengruppen. Greenpeace arbeitet international und ist in Deutschland als gemeinnütziger Verein anerkannt.

Jan Haase ist ausgebildeter Online-Redakteur und hat mehrere Jahre für verschiedene Internet­medien und als Pressesprecher bei Greenpeace gearbeitet. Gemeinsam mit zwei Kolleginnen betreut er die verschiedenen Internetaktivitäten von Greenpeace.

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