Am 27.9.2001 hat der BFH das lange erwartete, zur Veröffentlichung bestimmte Urteil zur Umsatzsteuerpflicht von Verbands-Bürogemeinschaften gesprochen (Aktenzeichen: V R 37/01; Ausgangsverfahren: Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 21.2.2001, Aktenzeichen: II 1384/98, EFG 2001, 662).
Der BFH hat sich in dieser Entscheidung erstmals mit dieser für viele Verbände interessanten Materie beschäftigt. Nehmen wir das Ergebnis vorweg: Die Beziehungen einer Bürogemeinschaft zu den in ihr zusammengeschlossenen Verbänden können im Einzelfall nach einer nicht in deutsches Recht umgesetzten Vorschrift - nämlich Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. f der 6. EG-Richtlinie - umsatzsteuerbefreit sein. Voraussetzung der Steuerbefreiung ist u.a., dass die Tätigkeit der Bürogemeinschaft nicht wettbewerbsrelevant ist. Die wenig bekannte Befreiungsvorschrift lautet:
Umsatzsteuerbefreit sind: „... die Dienstleistungen, die die selbstständigen Zusammenschlüsse von Personen, die eine Tätigkeit ausüben, die von der Steuer befreit ist, oder für die sie nicht Steuerpflichtige sind, an ihre Mitglieder für unmittelbare Zwecke der Ausübung dieser Tätigkeit erbringen, soweit diese Zusammenschlüsse von ihren Mitgliedern lediglich die genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten fordern, vorausgesetzt, dass die Befreiung nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führt ...“.
Der Sachverhalt des entschiedenen Falles
In dem vom BFH entschiedenen Fall hatten sich mehrere Berufsverbände in Form einer BGB-Gesellschaft (GbR) zusammengeschlossen. Zweck der GbR war nach dem Gesellschaftsvertrag die Wahrnehmung der Verbandsaufgaben durch eine gemeinsame Geschäftsführung. Die GbR nahm die Aufgaben der Verbände nach außen wahr. Durch die Zusammenfassung des Fachpersonals der einzelnen Verbände war es möglich, Personal einzusparen und die Einflussmöglichkeit und Durchsetzungsfähigkeit der Verbände zu steigern. Die GbR nahm für ihre Gesellschafter - d.h. die angeschlossenen Verbände - u.a. an Tagungen teil, vertrat sie bei Tarifverhandlungen und erledigte die Prozessführung.
Das Finanzamt behandelte die einzelnen Gesellschafterbeiträge, die z.T. in Form von Personalgestellung an die GbR erbracht wurden, als umsatzsteuerliche Leistungsentgelte, die als Gegenleistung dafür angesehen wurden, dass die GbR ihren Gesellschaftern gegenüber Dienstleistungen (in Form von Geschäftsführungsleistungen) erbracht habe. Einen umsatzsteuerlichen Befreiungstatbestand sah das Finanzamt nicht als gegeben an. Dies führte im Ergebnis zu Umsatzsteuerveranlagungen, die hohe USt-Nachforderungen auslösten.
Das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht gab in erster Instanz der Klage der Bürogemeinschaft statt. Es sah zwar grundsätzlich einen umsatzsteuerlichen Leistungsaustausch als gegeben an, leitete jedoch aus Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG (= 6. EG-Richtlinie) ab, dass dieser Leistungsaustausch umsatzsteuerbefreit sei. In der Revisionsinstanz hat der BFH diesem Lösungsansatz grundsätzlich zugestimmt, jedoch eine weitere Sachverhaltsaufklärung für nötig erachtet und daher den Fall an das FG zurückverwiesen.
Die Leitsätze des BFH-Urteils
Die Entscheidung des BFH lässt sich in folgenden (nicht amtlichen) Leitsätzen zusammenfassen:
- Die Bürogemeinschaft hat im vorliegenden Fall Dienstleistungen gegen Entgelt an die einzelnen Verbände ausgeführt. Für solche Dienstleistungen sieht das deutsche UStG keine USt-Befreiung vor.
- Eine USt-Befreiung kann sich aber unmittelbar aus der 6. EG-Richtlinie (hier: Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. f, 2. Alternative) ergeben.
- Ob eine solche Befreiung im konkreten Einzelfall eintritt, hängt u.a. davon ab, ob eine Befreiung zu Wettbewerbsverzerrungen führen würde.
- Zur Entscheidung, ob Wettbewerbsverzerrungen eintreten würden, ist zunächst festzustellen, welche Leistungen die Bürogemeinschaft im Einzelnen an die Verbände ausgeführt hat. Diese Feststellungen müssen durch das Finanzgericht getroffen werden.
- Die Rechtsfrage, ob der festgestellte Sachverhalt zu einer Wettbewerbsverzerrung führt, kann u.U. durch Vorlage an den EuGH zu klären sein.
Auszugsweise: Die wichtigsten Passagen des Urteils im Wortlaut:
„b) Dem FG ist auch darin zu folgen, dass die Klägerin Dienstleistungen gegen Entgelt an die ihr verbundenen Mitgliedsverbände ausgeführt hat. Aus § 2 Abs. 1 Satz 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 ergibt sich, dass eine Personenvereinigung auch dann steuerbare Leistungen gegen Entgelt im Rahmen eines Leistungsaustausches nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG ausführen kann, wenn sie nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird. Maßgebend ist, ob die Personenvereinigung dem Mitglied eine Leistung zuwendet, für die sie ein (Sonder-)Entgelt erwartet und erhält (ständige Rechtsprechung). Der Annahme eines Leistungsaustausches steht weder entgegen, dass eine Personenvereinigung für alle Mitglieder gleichartige Leistungen ausführt, noch dass sie durch ihre Tätigkeit Leistungen gleichzeitig für alle Mitglieder erbringt. Dient die Tätigkeit der Personenvereinigung jedoch ausschließlich oder teilweise dem konkreten Individualinteresse des Mitglieds, folgt das Austauschverhältnis bereits aus der Art der Leistung. Die Gegenleistung des Mitglieds hat dann nur Bedeutung für die Bemessungsgrundlage. Selbst wenn die Zahlungen sich nicht am Umfang der Inanspruchnahme der Leistungen, sondern nur an der Höhe der Beteiligung orientieren, ist der Entgeltscharakter der Zahlungen deshalb nicht zu verneinen.
c) Ob die steuerbaren Leistungen der Klägerin steuerfrei sind, kann der Senat nicht abschließend beurteilen. Eine Steuerbefreiungsvorschrift für die erbrachten Geschäftsführungsleistungen enthält das UStG 1990 nicht. Ob die Klägerin sich unmittelbar auf die Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG berufen kann, hängt von der Auslegung der Vorschrift ab. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) nach Art. 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) scheidet derzeit aus, weil der Sachverhalt nicht vollständig geklärt worden ist.
aa) Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG befreien die Mitgliedstaaten unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften, unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer: „f.) ... die Dienstleistungen, die die selbstständigen Zusammenschlüsse von Personen, die eine Tätigkeit ausüben, die von der Steuer befreit ist, oder für die sie nicht Steuerpflichtige sind, an ihre Mitglieder für unmittelbare Zwecke der Ausübung dieser Tätigkeit erbringen, soweit diese Zusammenschlüsse von ihren Mitgliedern lediglich die genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten fordern, vorausgesetzt, dass die Befreiung nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führt,“.
Nach Alternative 2 sind Dienstleistungen von selbstständigen Personenzusammenschlüssen steuerfrei, wenn die in ihnen zusammengeschlossenen Personen eine Tätigkeit ausüben, für die sie nicht Steuerpflichtige sind. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt, weil die in der Klägerin verbundenen Unternehmensverbände keine Tätigkeiten gegen Entgelt ausführen, die sie zu Steuerpflichtigen machen.
bb) Danach kann als geklärt angesehen werden, dass die Klägerin ein selbstständiger Zusammenschluss von Personen i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG ist und dass sie z.B. durch Prozess- und Verhandlungsführung Dienstleistungen für unmittelbare Zwecke der Ausübung der Tätigkeit ihrer Mitglieder erbracht hat, für die sie nicht Steuerpflichtige sind. ....
d) Die Feststellungen des FG erlauben keine endgültige Entscheidung, ob die Befreiung nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Es fehlen Feststellungen dazu, welche Leistungen die Klägerin an die einzelnen Verbände ausgeführt hat. Nur wenn dies geklärt wird, kann - u.U. nach Vorlage an den EuGH - beurteilt werden, ob und in welchem Umfang eine Wettbewerbsverzerrung durch eine Steuerbefreiung dieser Umsätze der Klägerin vorliegen könnte“.
e) Zur Prüfung einer etwaigen Wettbewerbsverzerrung aufgrund der noch zu ermittelnden Tätigkeiten, die die Klägerin als Geschäftsführungsaufgaben erledigt hat, wird die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das FG zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen“.
Bedeutung des BFH-Urteils für die Verbands-Praxis
Das BFH-Urteil betrifft einen Fall, in dem sich die Verbände zu einer Bürogemeinschaft im Sinne des § 705 BGB zusammengeschlossen hatten und diese nach außen hin gegenüber Dritten tätig wurde, z.B. durch Anstellung von Personal, Teilnahme an Tagungen oder Führen von Tarifverhandlungen. Die Bürogemeinschaft war daher eine Außengesellschaft. Der BFH geht in seinem Urteil jedoch nicht auf die Unterscheidung Außen-/Innengesellschaft ein. Stattdessen stellt der BFH ausschließlich darauf ab, ob die Tätigkeit der Bürogemeinschaft dem konkreten Individualinteresse eines angeschlossenen Verbandes dient. Daraus ist zu folgern, dass es insoweit nicht auf die Unterscheidung Außen-/Innengesellschaft ankommt.
Nach Bejahung der Frage nach der Umsatzsteuerbarkeit hatte der BFH eine eventuelle Umsatzsteuerbefreiung zu prüfen. Da es für die hier interessierende Leistungsbeziehung zwischen Bürogemeinschaft und ihren Mitgliedern keine spezifische Befreiungsvorschrift im deutschen UStG gibt, griff der BFH auf mögliche Befreiungsvorschriften innerhalb der (vorrangigen) 6. EG-Richtlinie zurück. Es entspricht nämlich gefestigter Rechtsprechung, dass sich ein Steuerzahler unmittelbar auf die Vorschriften dieser Richtlinie berufen kann, soweit sie nicht in nationales Recht umgesetzt worden ist.
Allerdings ist der Wortlaut der vom BFH herangezogenen Befreiungsvorschrift (Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe f) nur schwer verständlich. Sie regelt alternativ zwei Fälle: a) Dienstleistungen selbstständiger Personenzusammenschlüsse, wenn die in ihnen zusammengeschlossenen Personen Tätigkeiten ausüben, die umsatzsteuerbefreit sind und b) Dienstleistungen selbstständiger Personenzusammenschlüsse, wenn die in ihnen zusammengeschlossenen Personen eine Tätigkeit ausüben, für die sie nicht Steuerpflichtige sind. Der BFH sah im entschiedenen Fall die Alternative b) als gegeben an. Er behandelte die Verbände also als Nicht-Unternehmer. Damit korrespondiert die Feststellung im Tatbestand des Urteils, dass die Verbände keine unternehmerische Tätigkeit ausübten.
Daraus ist zu folgern, dass die Alternative b) der genannten Befreiungsvorschrift nicht in Betracht kommt, wenn die angeschlossenen Verbände eine - wenn auch nur geringfügige - umsatzsteuerbare Tätigkeit (z.B. umsatzsteuerbefreite Vermietung) ausübt. Wird sogar - auch nur teilweise - eine umsatzsteuerpflichtige Tätigkeit ausgeübt, greift die Befreiungsvorschrift insgesamt nicht ein. Das engt den Anwendungsbereich der Befreiungsvorschrift in der Praxis erheblich ein.
Eine weitere Einengung ergibt sich bei der Prüfung auf Wettbewerbsrelevanz der Tätigkeit der Bürogemeinschaft. Die Befreiungsvorschrift greift nicht ein, wenn eine Befreiung zu Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Die Tätigkeit muss also wettbewerbsneutral sein.
In diesem Punkt war der vom BFH entschiedene Fall problematisch, weil die Bürogemeinschaft u.a. „die Prozessführung erledigte“. Unklar war, in welchem Umfang und zu welchen Bedingungen die Bürogemeinschaft die Prozessführung für einzelne angeschlossene Verbände übernommen und für diese Tarifverhandlungen geführt hatte. Da insoweit noch Aufklärungsbedarf in tatsächlicher Hinsicht bestand, verwies der BFH die Sache zur weiteren Aufklärung an das Finanzgericht zurück. Der Fall ist damit also noch nicht endgültig entschieden.
Stellt das Finanzgericht im zweiten Rechtsgang durch neuerliches Urteil fest, dass die Bürogemeinschaft eine wettbewerbsrelevante Tätigkeit, zum Beispiel im Bereich der Prozessvertretung ausgeübt hat, wird der Bürogemeinschaft die Umsatzsteuerbefreiung versagt und die hohe Steuernachforderung bestehen bleiben. Es bleibt abzuwarten, ob gegen ein solches Urteil ein weiteres Mal der BFH oder erstmals der EuGH angerufen werden wird.
Der vorliegende Streitfall reißt - gleichsam im Vorübergehen - einen Problembereich an, der von Verbänden gemeinhin als sehr prekär angesehen wird: Die steuerliche Behandlung der Prozessführung durch Verbände. Süffisant merkt der BFH an, dass diese Tätigkeiten auch von Rechtsanwälten hätten ausgeführt werden können, und diese würden damit umsatzsteuerpflichtige Leistungen ausgeführt haben. Die klagende Bürogemeinschaft wird daher darzulegen haben, dass im Bereich der Prozessführung ihre Tätigkeit mit der eines Rechtsanwalts nicht zu vergleichen ist.