Pressemitteilung | Bund der Versicherten e.V. (BdV)

22. BdV-Wissenschaftstagung in Hamburg / Gewinnbeteiligung in der Lebensversicherung: angemessen oder unzureichend?

(Henstedt-Ulzburg) - Die Frage, ob Verbraucher angemessen an den Gewinnen beteiligt werden, die Versicherungsunternehmen mit ihren Beiträgen erwirtschaften, war das Hauptdiskussionsthema auf der diesjährigen Wissenschaftstagung des Bundes der Versicherten (BdV). Im Fokus der Diskussion stand dabei die 2008 verabschiedete "Verordnung über die Mindestbeitragsrückerstattung in der Lebensversicherung". Sie regelt verbindlich, in welcher Höhe Versicherungsnehmer an den verschiedenen Gewinntöpfen eines Versicherers mindestens zu beteiligen sind - und wurde sowohl aus ökonomischer als auch aus versicherungsmathematischer und juristischer Perspektive betrachtet. Axel Kleinlein, Vorstandsvorsitzender des BdV übernahm den mathematischen Part: "Mit der neuen Verordnung sollte der Verbraucher stärker als bislang an den Rohüberschüssen beteiligt werden. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Intransparenz der Überschussbeteiligung sowie Buchungs-Spielräume führen zu Benachteiligungen der Verbraucher. Der BdV wird hier weiter um mehr Gerechtigkeit kämpfen."

Die im April 2008 erlassene Verordnung regelt, wie viel ein Lebensversicherer von den erwirtschafteten Gewinnen seinen Kunden im Minimum gutschreiben muss. Sie sieht einheitliche Regeln für alle Versicherten vor. Vormals existierten unterschiedliche Vorschriften für den Altbestand (Tarife und Versicherungsbedingungen vor 1994) und den Neubestand. Die vormalige Regelung für den Neubestand, wonach mindestens 90 Prozent der Kapitalerträge abzüglich der rechnungsmäßigen Zinsen den Kunden zustehen, wurde auch auf den Altbestand erweitert. Zudem müssen die Unternehmen nun ausdrücklich mindestens 75 Prozent der Risikogewinne und 50 Prozent des übrigen Gewinns, insbesondere Kostengewinne, als Überschussbeteiligung gewähren. Bislang war hier nur eine "angemessene" Beteiligung der Kunden notwendig. Es ist nicht klar, ob "Angemessenheit" nur eine Beteiligung von 50 Prozent erzwang oder aber sogar 90 Prozent. In der Vergangenheit äußerte sich die Aufsichtsbehörde nicht einheitlich. Heute kommt nach neuem Recht unterm Strich oft jedoch weniger Gewinn bei den Kunden an als früher.

Prof. Dr. Jochen Zimmermann, Universität Bremen, durchleuchtete daher aus ökonomischer Sicht die Frage, ob die neuen Vorschriften zu einer "Enteignung der Versicherten durch die Hintertür?" führen. Pauschal konnte er das aber nicht feststellen. Bei Altverträgen können die neuen Vorschriften zwar bedeuten, dass die Kunden geringer an den Rohüberschüssen beteiligt werden. Bei Neuverträgen könnten sie unter Umständen aber auch zu einer höheren Beteiligung führen - aber nur, wenn man bereits früher bei einer "angemessenen" Beteiligung der Kunden die Überweisung der Hälfte der Gewinne als genügend ansieht. Diese These führte zu einer lebhaften Debatte unter den Beteiligten der Tagung.

Prof. Dr. Astrid Wallrabenstein, Goethe-Universität Frankfurt, beleuchtete das Thema aus juristischer Sicht. Sie stellte unter anderem fest, dass die Kontrolle der Angemessenheit der Überschussbeteiligung weiterhin unvollständig ist, das vom BdV vor dem Bundesverfassungsgericht erstrittene Urteil nicht genügend umsetzt und somit immer noch eine verfassungswidrige Rechtslage besteht. Ihr Fazit: "Die Versicherungsaufsichtspraxis ist rechtswidrig, weil sie die verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht umsetzt." Sie fordert daher von der Versicherungsaufsicht und dem Gesetzgeber, geeignete Maßnahmen für eine effiziente Kontrolle der Angemessenheit der Überschussbeteiligung zu entwickeln.

Versicherungsombudsmann Prof. Dr. Günter Hirsch beleuchtete dagegen die in den letzten Jahren immer häufiger beobachtete Praxis, dass Versicherungsunternehmen ihre Revisionsanträge vor Gericht zurücknehmen, wenn die Gefahr besteht, dass die Verbraucher und nicht das Unternehmen Recht bekommen. Das sei zwar völlig legal, führe aber leider zu keiner Rechtssicherheit für die Verbraucher. Mit den Worten "Schießen Sie nicht auf den Pianisten" warnte er jedoch davor, nur die Versicherer zu kritisieren. Hier sei letztlich der Gesetzgeber gefordert, möglicherweise auch eine Revision "im Interesse des Rechts" zuzulassen. Hartmuth Wrocklage, stellvertretender Vorsitzender des BdV-Aufsichtsrats, sicherte zu, der BdV werde sich dieses Problems weiter annehmen und den Gesetzgeber damit konfrontieren. "Wir hoffen, so mehr Gerechtigkeit für die Verbraucher zu erreichen."

Ebenfalls einen Appell an den Gesetzgeber richtete Rechtsanwalt Jürgen Hennemann. Er beschäftigte sich mit der Frage, wie Unfallopfer - insbesondere Schwerstverletzte - am besten zu entschädigen sind. Anhand des Falles Sarah T. beschrieb er, welche Probleme auftreten können, wenn Geschädigte eine Kapitalzahlung anstatt der üblichen Rentenleistung vom Versicherer fordern. Laut § 843 BGB steht ihnen das aus "wichtigem Grund" zwar zu. Doch in der Praxis wird regelmäßig erbittert darüber gestritten, was denn als "wichtiger Grund" in Frage kommt. Hennemann schlug deshalb eine Abänderung des § 843 BGB vor: Das Unfallopfer selbst sollte ein Wahlrecht haben, ob es eine Kapital- oder Rentenzahlung wünscht, es sei denn, ein wichtiger Grund steht dagegen.

Axel Kleinlein zog ein positives Resümee der Tagung: "Die Tagung war wieder ein voller Erfolg und erwies sich als wichtiger Ort, um sich über aktuelle Trends in Wissenschaft und Praxis auszutauschen."

Quelle und Kontaktadresse:
Bund der Versicherten e.V. (BdV) Pressestelle Tiedenkamp 2, 24558 Henstedt-Ulzburg Telefon: (04193) 99040, Telefax: (04193) 94221

(tr)

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