Pressemitteilung | Deutsche Kinderhilfe - Die ständige Kindervertretung e.V.

Deutsche Kinderhilfe: Debatte um Beschneidungsurteil erhält bedenkliche Schieflage

(Berlin) - Mit wachsender Sorge sieht die Deutsche Kinderhilfe den Verlauf der Debatte um das Urteil des Landgerichts Köln, das in einem für den Schutz und die Rechte von Kindern bahnbrechenden Urteil die medizinisch nicht indizierte Beschneidung von Jungen als Körperverletzung qualifiziert hat.

In teilweise überzogenen und polemischen Reaktionen von Vertretern verschiedener Religionsgemeinschaften werden ausschließlich das elterliche Erziehungsrecht und die Religionsfreiheit in den Vordergrund gestellt. Die Auswirkungen der Beschneidung auf Jungen werden nicht nur verharmlost, sondern entgegen wissenschaftlichen Erkenntnissen als Präventionsmaßnahme gepriesen. Die Deutsche Kinderhilfe hat Prof. Dr. Bernd Tillig, Ärztlicher Leiter des Vivantes MVZ Prenzlauer Berg, Chefarzt und Direktor der Klinik für Kinder- und Neugeborenenchirurgie und Kinderurologie Vivantes Klinkum Neukölln, um eine Stellungnahme aus medizinischer Sicht gebeten. Diese ist als Anlage beigefügt.

Prof. Dr. Tillig führt u.a aus: "Die Entfernung der Vorhaut aus religiösen Gründen und ohne medizinische Indikation ist aus medizinischer Sicht bei nicht einwilligungsfähigen Kindern prinzipiell abzulehnen. Es existieren zahlreiche Studien zu diesem Thema, die zudem keine Evidenz für eine Gesundheitsdienlichkeit als mögliche Rechtfertigung dieses Eingriffs im Sinne des Kindeswohls zeigen konnten." Diese Aussage unterstützt auch die Kinderchirurgin Dr. Stefanie Märzheuser, Oberärztin in der Klinik für Kinderchirurgie der Charité Universitätsmedizin Berlin und Mitglied des Sachverständigenrates der Deutschen Kinderhilfe.

Prof. Dr. Tillig führt ausführlich die möglichen Komplikationen bei Beschneidungen aus und begrüßt die Klarheit des Urteils, weist aber auf den problematischen Aspekt der Durchführung von Beschneidungen durch Nichtmediziner hin.

Die Tatsache, dass ein die körperliche Integrität von Kindern erheblich verletzendes Ritual eine jahrtausendalte Tradition ist, rechtfertigt für sich nicht deren Beibehaltung. Aus dieser Erkenntnis heraus hat sich Deutschland im Jahr 2000 dazu entschieden, dem Recht auf gewaltfreie Erziehung Gesetzesrang zuzuerkennen.

Auch aus juristischer Sicht ist die Argumentation, religiöse Traditionen begründen einen Rechtfertigungstatbestand für Körperverletzungen, wenig nachvollziehbar. Konsequent weitergedacht könnte dies auch die Diskriminierung von Minderheiten begründen. Die Bestimmungen des Art 2 Grundgesetz, der die körperliche Unversehrtheit der Kinder gewährleistet sowie Art. 6, der dem Staat das Wächteramt über die elterliche Erziehung zubilligt, haben bei Eingriffen wie der Beschneidung Vorrang gegenüber einem Elternrecht auf Religionsausübung.

Deutschland hat zudem die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert. Artikel 24 lautet: "Die Vertragsstaaten treffen alle wirksamen und geeigneten Maßnahmen, um überlieferte Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen".

In diesem Sinne kann das Urteil nur der Anfang einer Entwicklung sein, denn ausschließlich über das Strafrecht lässt sich die millionenfache Kindesmisshandlung aus religiösen Gründen nicht abschaffen. Es gilt zu vermeiden, dass Eltern nun zu Laien getrieben werden und dadurch die Risiken von Nebenwirkungen erheblich steigern. "Die Vertreter des Zentralrats der Juden, der muslimischen Verbände sowie der beiden Kirchen haben nun eine besondere Verantwortung, in einen Dialog mit Medizinern und Fachleuten aus Jugendhilfe und Kinderschutz zu treten. Die körperliche Unversehrtheit von Kindern ist ein so wichtiges und über allen Religionszugehörigkeiten stehendes Gut, dass es nun besonnener Worte und der gemeinsamen Entwicklung von Strategien bedarf, um einen Mentalitätswandel einzuleiten", so Georg Ehrmann in Berlin.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutsche Kinderhilfe e.V. Julia Hofmann, Sprecherin des Vorstandes Schiffbauer Damm 40, 10117 Berlin Telefon: (030) 24342940, Telefax: (030) 24342949

(cl)

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