Pressemitteilung | VhU - Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände e.V. - Hauptgeschäftsstelle

Neue VhU-Studie zu Fachkräften 4.0 und Neuorientierung im Bildungssystem / Fasbender: "Abitur und duale Ausbildung müssen gleichwertige Chancen in das Berufsleben eröffnen, um alle Potenziale für die digitale Zukunft zu heben."

(Wiesbaden) - "Mit dem stetigen Rückgang der dualen Berufsausbildung und dem weiteren Wachstum des akademischen Sektors verspielen wir in Hessen und Deutschland einen entscheidenden Standortvorteil. Der gut ausgebildete Facharbeiter ist für eine Industrie- und Exportnation gerade in der Entwicklung zur Industrie 4.0 unverzichtbar. Deshalb müssen Abitur und duale Ausbildung gleichwertige Chancen in das Berufsleben eröffnen, um alle Potenziale für die digitale Zukunft zu heben", sagte Volker Fasbender, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU) anlässlich der Vorstellung der neuen Studie "Fachkräfte für die Industrie 4.0 - Für eine Neuorientierung im Bildungssystem". Dominique Döttling, Director of Global Talent & Development, Europe Transformation Leader der Opel Group GmbH, ergänzte, dass die große Bedeutung und das außerordentlich hohe Niveau die duale Berufsausbildung auch künftig zum Erfolgsmodell für die Wirtschaft und junge Leute auf der Suche nach Karriere mache.

"Wir bilden immer mehr Akademiker aus, deren vorwiegend theoretische Kompetenz wir auf dem Arbeitsmarkt nicht in gleichem Umfang brauchen: Die Studienquote - 1950 noch bei 4 Prozent - liegt heute schon nahe 60 Prozent. Wir sind außerdem auf dem fatalen Weg, die duale Berufsausbildung auf ein System zu reduzieren, das nur noch diejenigen aufnimmt, die es auf keinem denkbaren Weg an die Hochschule geschafft haben: Schon mehr als ein Viertel der Ausbildungsplätze können nicht mehr besetzt werden. Und wir lotsen - noch viel verrückter - schließlich diejenigen, die in der dualen Berufsausbildung erfolgreich wären, auf einem schulischen Umweg ebenfalls in die Hochschulen, wo sie überdurchschnittlich oft scheitern: ca. 25.000 Personen befinden sich aktuell in Hessen auf dem Weg zur Hochschulberechtigung über Fachoberschulen oder ähnliches, statt eine duale Ausbildung aufzunehmen. Die Abbrecherquote liegt in technischen Studiengängen bei bis zu 50 Prozent", so Fasbender. Dennoch zeigte er sich zuversichtlich, dass mit Blick auf die großen Veränderungen, die eine branchenübergreifende Digitalisierung angeführt von der Industrie 4.0 mit sich bringen werden, dieses Bildungssystem sich bestens bewähren kann. Allerdings müsse sie die vorhandenen Berufswege besser verbinden. Alle Akteure des Bildungssystems - Politik, Schulen und Hochschulen, Wirtschaft und Gewerkschaften - müssten hier gegensteuern und darauf hinwirken, die berufliche und die akademische Ausbildung in ein Gesamtsystem zu integrieren.

Um das zu schaffen setzt die VhU auf einen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel, der anstelle des vielfach diagnostizierten Akademisierungswahns wieder eine realistische Abwägung der Bildungswege ermögliche. Flankiert werden müsste dieser Bewusstseinswandel jedoch durch vier Maßnahmen. Zwei politische Maßnahmen: die Öffnung der Hochschulen für Facharbeiter und den Rückbau von vollschulischen Alternativen zur betrieblichen Ausbildung. Und zwei Maßnahmen an den Hochschulen: ihre ergänzende Ausrichtung auf beruflich qualifizierte Fachkräfte, nicht nur Gymnasiasten, sowie mehr Praxislernen an den Hochschulen.

Denn in Zukunft würden viel mehr Qualifikationen gebraucht, die sich ergänzen. Also: Mischungen, die Elemente des Lernens in der Praxis und Elemente einer akademischen Theorie miteinander verbinden. Und dies während des gesamten Berufslebens. "Unsere im Ausland viel gelobte duale Berufsausbildung enthält eine solche Mischung und hat die Entwicklung zur Industrie 4.0 schon am weitesten integriert. Sie ist ein wesentlicher Faktor für die Stärke des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Wir dürfen diese Stärke nicht verspielen, indem wir einen weiteren Rückgang der dualen Berufsausbildung und einen weiteren Anstieg des akademischen Sektors einfach zulassen", so Fasbender. Die Öffnung der Hochschulen für Facharbeiter habe die Politik 2015 ins Hochschulgesetz übernommen. Die Hochschulen sind nun gefordert, dies aktiv umzusetzen. Dass die Umwege an der dualen Ausbildung vorbei an die Hochschulen zurückgebaut werden müssten, darüber seien sich ebenfalls alle Akteure des Bildungssystems seit Jahren einig und hätten die Stärkung der dualen Berufsausbildung im Abschlussbericht der Fachkräftekommission, im Ausbildungspakt, im Bündnis für Ausbildung und im Bildungsgipfel schriftlich festgehalten. Hier sei der hessische Kultusminister gefordert zu handeln.

Der von der VhU vorgeschlagene Weg erfordere keine Revolution im Bildungssystem, sondern nur die Anpassung an eine geänderte Realität. Alle Zukunfts-Komponenten hätten wir bereits: in einem leistungsfähigen Hochschulsystem, der dualen Berufsausbildung in Verbindung mit der Aufstiegsfortbildung im beruflichen System. "Wir haben viele Jahre geredet: Jetzt müssen wir zügig die Türen zwischen den Systemen weiter öffnen. Nirgendwo brauchen unsere Unternehmer die Hilfe der Landespolitik so dringend wie in der Bildungspolitik. Sie ist auch die entscheidende Weiche der Standortpolitik. Und sie wird noch wichtiger mit Blick auf die sich verändernde Lebens- und Arbeitswelt. Hessen kann hier gestalten, muss es aber auch", so Fasbender abschließend.

Aus der Sicht eines großen Automobilhersteller mit Stammsitz in Hessen ergänzte Dominique Döttling: "Die Adam Opel AG bildet seit über 150 Jahren aus und ist auch Pionier bei der erfolgreichen Verzahnung von dualer Ausbildung und akademischem Bildungssystem: Schon vor 20 Jahren haben wir die Kooperative Ingenieursausbildung in unser Angebot für junge Leute aufgenommen. Das Rüstzeug für die Anwendung von Industrie 4.0 erhalten unsere jungen Talente in der Ausbildung und werden damit bestens für die Herausforderungen des späteren Berufslebens vorbereitet. Das breite Spektrum von Ausbildungsberufen und Weiterbildungsmöglichkeiten sind neben der Qualität der Ausbildung der Grund für die hohen Bewerberzahlen bei Opel. Viele Führungskräfte bei Opel haben ihre Karriere mit einer dualen Ausbildung gestartet."


Hintergrund: Broschüre Fachkräfte für die Industrie 4.0

Die neue VhU-Studie zeigt auf 120 Seiten, vor welchen Herausforderungen die Wirtschaft im Umbruch zur Industrie 4.0 steht und welche Kompetenzen Fachkräfte in Zukunft brauchen werden. Sie analysiert die Fehlentwicklungen im Bildungssystem wie den ungebrochenen Trend zur Akademisierung und die drohende Marginalisierung der dualen Berufsausbildung. Sie begründet, weshalb die konsequente Umsetzung der Durchlässigkeit zwischen dem akademischen und dem beruflichen Bildungssystem dringend erforderlich ist. Sie entwickelt am Beispiel eines Berufsbilds, des "Elektromechanikers", der in über 60 Jahren zum "Elektroniker für Geräte und Systeme" weiterentwickelt wurde, dass und wie die berufliche Ausbildung hier Industrie 4.0 vorwegnimmt. Sie belegt, dass viele duale Ausbildungsberufe im Anforderungsniveau einem Abitur gleichwertig sind. Und sie zeigt, dass die Generation Y Arbeitsgeber mit geänderten Erwartungen an das Berufsleben konfrontiert.

Die komplette Broschüre steht zum Download bereit unter www.vhu.de

Quelle und Kontaktadresse:
Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände e.V. (VhU) Dr. Ulrich Kirsch, Leitung, Presse und Kommunikation Emil-von-Behring-Str. 4, 60439 Frankfurt am Main Telefon: (069) 95808-0, Fax: (069) 95808-126

(cl)

NEWS TEILEN: