Pressemitteilung | Deutscher Städtetag - Hauptgeschäftsstelle Berlin

Sofortmaßnahmen und Kommission zur Finanzreform verlangt

(Berlin) - Die Städte befinden sich in einer Finanznot wie seit Jahren nicht mehr. Dramatische Rückgänge bei den Steuereinnahmen, eine Talfahrt der Investitionen und steigende Haushaltsdefizite prägen das Bild. Der Handlungsspielraum vieler Städte sei angesichts sinkender Einnahmen und wachsender Aufgaben gleich null. Der Absturz der Gewerbesteuer habe in diesem Jahr die Lage noch verschärft, sagte im Anschluss an Sitzungen von Präsidium und Hauptausschuss des Deutschen Städtetages in Berlin am 7. November die Vizepräsidentin und Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth. Zur Tagung der beiden Gremien waren rund 120 Stadtoberhäupter aus dem gesamten Bundesgebiet gekommen.

Der größte kommunale Spitzenverband forderte wegen der kritischen Finanzlage die Bundesregierung zu Sofortmaßnahmen und zu einer grundlegenden Gemeindefinanzreform auf. „Es ist nicht fünf Minuten vor, sondern nach zwölf. Viele Städte mit hohen Defiziten müssen ihre Angestellten oder die Sozialhilfe mit geliehenem Geld bezahlen. Sie stehen vor dem Bankrott und wissen keinen Ausweg mehr“, so Frau Roth. „Wir erwarten deshalb, dass die Bundesregierung durch rasche Korrekturen an der Steuerreform die Gewerbesteuer-Verluste der Städte mildert. Außerdem muss die Regierung unverzüglich eine Kommission einsetzen, um eine Gemeindefinanzreform vorzubereiten. Die kommunalen Spitzenverbände müssen darin mitwirken.“

Die Zukunft der Gewerbesteuer dürfe in einer Kommission nicht isoliert, sondern nur im Rahmen einer Gemeindefinanzreform diskutiert werden. Angesichts der erheblichen Belastung der Städte – etwa durch Sozialhilfeausgaben - müssten alle Einnahmen, Aufgaben und Ausgaben der Kommunen diskutiert werden. „Immer mehr Aufgaben mit immer weniger Geld bewältigen – diese Rechnung kann nicht aufgehen. Wir brauchen ein neues Gleichgewicht von Einnahmen, Aufgaben und Ausgaben der Städte“, sagte Frau Roth: „Bund und Länder dürfen den Menschen nicht vorgaukeln, dass sie immer mehr Leistungen erhalten können und dass die Städte dafür als Ausfallbürgen bereitstehen. Wir müssen auch Aufgaben überprüfen und ihre Finanzierung neu regeln.“

Die Städtetags-Vizepräsidentin verwies auf die Belastungen der Städte mit Aufgaben und Ausgaben. Die Kommunen müssen heute trotz der Entlastungen durch die Pflegeversicherung Sozialleistungen - vor allem Sozialhilfe und Jugendhilfe – in Höhe von jährlich mehr als 53 Milliarden Mark bezahlen. Zudem müssen die Städte und Gemeinden das Kindergeld mit fast sieben Milliarden Mark mitfinanzieren, obwohl es sich um eine staatliche Aufgabe handelt. Kosten von mindestens einer Milliarde Mark, die nur zum Teil ausgeglichen werden, verursacht die Grundsicherung für Ältere und Erwerbsunfähige. Die steuerliche Förderung der Altersvorsorge wird in Zukunft bei den Kommunen Ausfälle an Steuern und Zuweisungen von bis zu 3,8 Milliarden Mark mit sich bringen. Durch die steuerliche Absetzbarkeit der UMTS-Mobilfunklizenzen gehen den Kommunen insgesamt rund 14 Milliarden Mark verloren.

Falls keine Veränderungen im System der Sozialleistungen erfolgten, drohe in diesem Bereich in den kommenden Jahren eine massive Kostenexplosion, prognostizierte Frau Roth. Absehbar sei dies vor allem aufgrund der hohen Langzeitarbeitslosigkeit sowie der demographischen Entwicklung, die die Versorgung einer wachsenden Zahl von Pflegebedürftigen, Behinderten und Kranken nötig machen werde. Um hier umzusteuern schlage der Städtetag vor, außerhalb der Sozialhilfe ein eigenständiges Leistungsrecht für Behinderte zu schaffen sowie im Rahmen des Familienleistungsausgleichs Kinder von der Sozialhilfe unabhängig zu machen. Vor allem aber sei nach Auffassung der Städte in Zukunft ein vom Bund finanzierter eigenständiger Leistungsbereich für Langzeitarbeitslose erforderlich. Nur so lasse sich die Sozialhilfe von einem Massengeschäft wieder auf ihren eigentlichen Sinn der gezielten Hilfe im Einzelfall zurückführen.

Dr. Herbert Schmalstieg, einer der stellvertretenden Städtetags-Präsidenten und Oberbürgermeister von Hannover, nannte Fakten zur städtischen Finanzlage: Durch die Steuerreform verlieren die Kommunen in diesem Jahr Einnahmen von mehr als 8,3 Milliarden Mark. Die Einbrüche bei der Gewerbesteuer verschärfen die Probleme: 16 Prozent weniger Gewerbesteuer in den ersten drei Quartalen - das hat es noch nie gegeben. In diesem Jahr wird das Gewerbesteuer-Aufkommen gegenüber dem Vorjahr voraussichtlich um fünf Milliarden Mark sinken – von 53 auf 48 Milliarden Mark.

Weil die Städte ihre Haushalte längst hart konsolidiert haben, bleibe ihnen nun trotz negativer Auswirkungen für die Baukonjunktur und den Wirtschaftsstandort keine Wahl, als weiter bei den Investitionen zu kürzen. Und das, obwohl die Investitionen bereits um ein Drittel - über 20 Milliarden Mark - unter denen von 1992 liegen. Der bisher für 2001 für die Kommunen in West und Ost prognostizierte Rückgang der Investitionen um 5,6 Prozent werde nun noch höher ausfallen, so Schmalstieg. In den Kommunalhaushalten der neuen Länder sei bei den Investitionen ein Minus von über 10 Prozent zu erwarten, so dass sie dort erstmals die Marke von 10 Milliarden Mark unterschreiten. Zudem werden aufgrund der negativen Entwicklung in 2001 die Defizite in den Verwaltungshaushalten der Städte sprunghaft steigen, obwohl sie bisher schon fast sieben Milliarden Mark betragen.

Als Sofortmaßnahmen insbesondere gegen die massiven Einbrüche der Gewerbesteuer nannte Schmalstieg für den Städtetag folgende Forderungen:

- Der von 2001 bis 2004 von bisher rund 20 auf fast 30 Prozent steigende Anteil von Bund und Ländern an der Gewerbesteuer (die Gewerbesteuerumlage) muss unverzüglich gesenkt werden.
- Die ab 2002 geltende Gewerbesteuerfreiheit von Dividenden aus Beteiligungen darf nicht in Kraft treten. Die Gewerbesteuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen ist rückgängig zu machen.
- Es darf Unternehmen nicht noch mehr erleichtert werden, durch konzerninterne Umstrukturierungen die Zahlung von Gewerbesteuer zu vermeiden (gewerbesteuerliche Organschaft). Solche Möglichkeiten müssen im Gegenteil eingeschränkt werden.

„Das aktuelle Gesetzgebungsverfahren zu den Unternehmenssteuern bietet die Chance, diese Veränderungen jetzt zu verwirklichen. Es macht keinen Sinn, Unternehmen neue Steuergeschenke zu machen, wenn dadurch den Städten noch stärker das Geld für die Sanierung von Schulen fehlt, städtische Angebote für Familien mit Kindern in Gefahr geraten und kommunale Investitionen unterbleiben“, sagte der stellvertretende Städtetagspräsident: „Wenn es keine Umsteuerung durch den Staat gibt, werden wir in wenigen Jahren unsere Städte nicht wieder erkennen. Der Erfolg unseres Staates beruht vor allem auf einem funktionsfähigen Gemeinwesen. Ohne Städte ist kein Staat zu machen. Wer die Städte in ihrer Entwicklung gefährdet, gefährdet den Staat.“

Deutliche Kritik übte Schmalstieg an den Plänen von Ländern und Bund zur Beteiligung der westdeutschen Kommunen an der Finanzierung des Solidarpaktes. Die Städte hielten es für richtig, dass der Solidarpakt für die neuen Länder und ihre Kommunen nach 2004 langfristig auf hohem Niveau fortgeführt wird: „Die Städte empfinden es jedoch als reine Willkür, dass die Länder mit Duldung des Bundes den Kommunen auch in Zukunft Sonderopfer zur Finanzierung angeblicher Belastungen der alten durch die neuen Länder abverlangen wollen. Insbesondere ist nicht zu begründen, warum eine vor Jahren beschlossene Erhöhung der Gewerbesteuerumlage bis zum Jahr 2019 beibehalten werden soll.“

Eine Senkung der Gewerbesteuerumlage sei schon seit Jahren überfällig, da die Belastungen der westdeutschen Länder durch die Einbeziehung der neuen Länder in den Bund-Länder-Finanzausgleich ab 1995 deutlich geringer ausgefallen seien als ursprünglich erwartet. Zudem müssten die Städte und Gemeinden am Rückgang der Belastungen der alten Länder teilhaben, den die Regierungschefs bei ihrer Einigung auf den Solidarpakt für die beiden kommenden Jahrzehnte selbst angenommen haben.

Quelle und Kontaktadresse:
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