Pressemitteilung | Arbeitgeberverband Gesamtmetall e.V.

Tarifpolitik: Das Thüringer Modell - Wege zu mehr Beschäftigung

(Berlin) - Das Management eines großen Zulieferbetriebes hatte die Qual der Wahl. Für die Gründung eines Tochterunternehmens boten sich weltweit 49 Standorte an. Nach umfangreichen Analysen und kritischen Bewertungen blieben vier übrig: zwei in Ungarn und zwei in Deutschland. Die Entscheidung fiel schließlich zugunsten Thüringens.

Was angesichts der jahrelangen kritischen Standortdebatte auf den ersten Blick verwundert, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als nachvollziehbare Entscheidung. Denn Thüringen kann nicht nur auf eine hervorragende industrielle Vergangenheit mit guter Infrastruktur und Verkehrsanbindung bauen. Mit dem Tarifvertrag zur Unternehmenssicherung von 2000 bietet Thüringen den Unternehmen der M+E-Industrie auch ein hohes Maß an Flexibilität.

„Der Tarifvertrag“, so Siegurd Dokter, Geschäftsführer Tarifwesen und Arbeitswissenschaften beim Verband der Metall- und Elektro-Industrie in Thüringen, „regelt den Rahmen, die konkrete Ausgestaltung erarbeiten die Betriebsparteien und legen ihn den Tarifparteien als Lösungsvorschlag vor.“

Bei dem neuen Zulieferbetrieb wurden auf dieser Grundlage eine Reihe von Regelungen getroffen, die dann sowohl der Arbeitgeberverband als auch die IG Metall bestätigten. So wurde die wöchentliche Regelarbeitszeit bis Ende 2006 auf 38 Stunden festgeschrieben. Bei der Verteilung der individuellen Arbeitszeit vereinbarten die Betriebsparteien ein großes Maß an Flexibilität, unter anderem durch Arbeitszeitkonten, auf denen sich bis zu 350 Minus- oder Plus-Stunden ansammeln können. Der Ausgleichszeitraum erstreckt sich bis Ende 2006. Je nach Auftragslage kann die wöchentliche Arbeitszeit zwischen 30 und 40 Stunden schwanken.

Urlaubs- und Weihnachtsgeld wurden durch eine leistungsabhängige Zahlung ersetzt. Während Urlaubs- und Weihnachtsgeld zusammen in Thüringen normalerweise 120 Prozent eines Monatsentgelts betragen, schwankt die leistungsabhängige Zahlung zwischen 110 und 130 Prozent, kann also auch höher ausfallen als bisher. Betriebsrat und Geschäftsleitung handeln Grundsätze und Bedingungen aus. „Mit der Ansiedlung des Unternehmens“, so Dokter, „wurden 260 Arbeitsplätze geschaffen, und etwa 500 indirekte kommen dazu.“

Die Unternehmensansiedlung bestätigt die positive Entwicklung der letzten Jahre. So hat sich die M+E-Industrie in Thüringen in den letzten fünf Jahren wesentlich besser entwickelt als der Bundesdurchschnitt – ähnlich erfolgreich ist das Nachbarland Sachsen. Allerdings hat die M+E-Beschäftigung in Thüringen von 1998 bis 2003 mit 32 Prozent besonders stark zugenommen.

Anders als zur DDR-Zeit bestimmen nicht mehr Großbetriebe die industrielle Landschaft. Hatten die Industriebetriebe kurz nach der Wende noch durchschnittlich 1.000 Beschäftigte, haben heute über 80 Prozent der Firmen weniger als 50 Mitarbeiter. Das sind vor allem hoch spezialisierte Zulieferer. Und es kommen ständig neue hinzu. Gab es 1998 insgesamt 631 M+E-Firmen im Land, waren es 2003 bereits 926.

Die kleinen Firmen sind oft schneller und flexibler in der Auftragsabwicklung als größere Betriebe. Darauf setzen die Automobilhersteller, weil die Automobilfertigung immer mehr zur individuellen Ausstattung tendiert.

Für Siegurd Dokter ist auch das Klima entscheidend, das durch die Tarifpolitik geschaffen wurde. Anders als bei den ansonsten geltenden Härtefallregelungen brauchen in Thüringen Unternehmen nicht erst kurz vor der Insolvenz stehen, bevor Abweichungen vom Flächentarifvertrag möglich sind. „Mit unseren Tarifregelungen“, so Dokter, „können Unternehmen bereits in einem viel früheren Stadium Abweichungen beantragen, die zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung ausgehandelt werden.“

Dabei können grundsätzlich alle Regelungen des Flächentarifvertrags angepackt werden. Und das hochflexible System der Arbeitszeitverteilung sucht weltweit seinesgleichen, bestätigen ausländische Investoren immer wieder. In den Betrieben hat das viel Kreativität freigesetzt. So gab es in den letzten Jahren in Thüringen rund 160 Sondervereinbarungen. „Und bis heute wurde kein einziges Mal die Schlichtungsstelle angerufen“, so Dokter.

Das Thüringer Modell hat aber noch mehr Vorteile. So haben Unternehmen, die anderorts unter die Härtefallregelung fallen, häufig Probleme, Geld von den Banken zu bekommen. Das hat sich in Thüringen grundlegend geändert, da die Banken das frühzeitige Gegensteuern der jeweiligen Betriebsparteien rundweg positiv beurteilen.

Quelle und Kontaktadresse:
Gesamtverband der metallindustriellen Arbeitgeberverbände e.V. (Gesamtmetall) Voßstr. 16, 10117 Berlin Telefon: 030/55150-0, Telefax: 030/55150-400

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