Pressemitteilung | (vzbv) Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.

Urteil Bundesverfassungsgericht: Versicherungsrecht teilweise verfassungswidrig / Edda Müller: "Nun muss die Politik endlich wach werden"

(Berlin) - "Nun haben wir es schwarz auf weiß, dass Regelungen im Versicherungsrecht und die Praxis vieler Versicherungsunternehmen nicht nur verbraucherfeindlich sondern verfassungswidrig sind", so Prof. Dr. Edda Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbandes zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Durch den Appell des Gerichts zur Stärkung der Rechte von Versicherten ist die Politik nun nach jahrelanger Untätigkeit zum Handeln gezwungen.

Der vzbv fordert seit Jahren eine grundlegende Reform des Versicherungsrechts. "Der Abbau von Intransparenz, die Schaffung von Vergleichbarkeit und der Schutz der Verbraucher vor falschen und überteuerten Policen muss eine der ersten Aufgaben einer neuen Bundesregierung sein", so Edda Müller.

Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinen heutigen Grundsatzurteilen zu Teilbereichen der Überschussbeteiligung bei Kapitallebensversicherungen entschieden, dass Versicherte künftig "angemessen" an sogenannten stillen Reserven beteiligt werden müssen, um die Eigentumsrechte nach Artikel 14 Grundgesetz zu wahren. Zudem hatte das Gericht mehr Verbraucherschutz bei der Übertragung von Policen angemahnt. Der Gesetzgeber wurde aufgefordert, bis Ende 2007 Regelungen zu schaffen, die die Rechte der Versicherten besser schützen. Ein Wermutstropfen für die Versicherten: Bis zur Neuregelung bleibt es bei der gegenwärtigen Rechtslage, das heißt, laufende Verträge bleiben vorerst unberührt. Der vzbv fordert daher eine rasche Neuregelung, die auch laufende Verträge berücksichtigt.

Mit seinen Urteilen hat das Bundesverfassungsgericht auch die generelle Kritik des vzbv an den gegenwärtig vertriebenen kapitalbildenden Lebensversicherungen untermauert. "Viele Versicherungen werden heute nicht nach Bedarf, sondern nach den Provisionen der Vermittler abgeschlossen", so Edda Müller. Vor allem kapitalbildende Lebensversicherungen werden massiv beworben und sind durch mangelnde Transparenz gekennzeichnet. Bis zu 80 Prozent aller Kapitallebensversicherungen werden vor Vertragsablauf meist unter erheblichem Verlust gekündigt oder beitragsfrei gestellt. Häufig als zentraler Pfeiler der privaten Altersvorsorge geplant, wird die Versicherung hierdurch für einen großen Teil der Kunden zum Verlustgeschäft, nicht jedoch für die Versicherer und Vermittler. Diese kassieren bis zu sieben Prozent Provision auf die Summe aller für die gesamte Laufzeit vereinbarten Beiträge.

Eckpfeiler einer überfälligen Reform

Im Rahmen der Vorstellung seiner Wahlprüfsteine hat der Verbraucherzentrale Bundesverband Eckpfeiler für eine Reform des Versicherungsrechts vorgelegt. Die zentralen Elemente sind:

- Versicherungsvermittler müssen dazu verpflichtet werden, ihre Kunden auf die Wichtigkeit einer Analyse der versicherbaren Risiken ihres jeweiligen Haushalts hinzuweisen.

- Es ist sicherzustellen, dass alle Versicherungskunden bereits vor ihrer Unterschrift unter einen Versicherungsantrag alle wesentlichen Vertragsinformationen erhalten.

- Die anbieterunabhängige Versicherungsberatung muss gestärkt werden. Etwa 130 gerichtlich zugelassenen Versicherungsberatern, die frei von Provisionsinteressen arbeiten, stehen rund 500.000 Versicherungsvermittlern gegenüber, die allein von Provisionen leben. Daher sollte es Versicherungsmaklern künftig erlaubt werden, mit ihren Kunden ebenfalls Beratungsentgelte zu vereinbaren.

- Die Verbraucherzentralen leisten unverzichtbare anbieterunabhängige Verbraucherinformation und -beratung: Sie tragen somit dazu bei, individuell und volkswirtschaftlich teure Überversicherung oder gefährliche Unterversicherung zu vermeiden. Die Versicherungswirtschaft sollte daher zur Finanzierung anbieterunabhängiger Verbraucherinformation und -beratung beitragen.

- Im Schadensfall sollen nur gerichtlich zugelassene Versicherungsberater und Anwälte zu einer rechtlichen Beratung und Vertretung befugt sein. Honorarberater, Makler oder an ein bestimmtes Unternehmen gebundene Vermittler sollten den Umfang ihrer jeweiligen Befugnisse und ihre rechtliche Stellung den Kunden bei jedem Vertragsabschluss offenlegen müssen.

- Diejenigen Verbraucher, die in den ersten fünf Jahren ihren kapitalbildenden Versicherungsvertrag beitragsfrei stellen oder kündigen, sind durch eine gesetzliche Regelung so zu stellen, als seien die Abschlusskosten mindestens auf die ersten fünf Vertragsjahre gleichmäßig verteilt worden.

- Die Regelungen zur Überschussbeteiligung und die Informationspflichten der Versicherungsunternehmen müssen grundlegend geändert werden.

- Da auch Investmentfondsgesellschaften inzwischen ihre Vertriebe ähnlich entlohnen, sind auch hier gesetzliche Anpassungen erforderlich: Ausländische Anbieter von Fondssparplänen sollten - wie derzeit bereits inländische Anbieter - als Provision maximal ein Drittel des ersten Jahresbeitrages verlangen dürfen, der Rest sollte auf die gesamte Laufzeit zu verteilen sein.

Quelle und Kontaktadresse:
vzbv Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. Markgrafenstr. 66, 10969 Berlin Telefon: 030/258000, Telefax: 030/25800218

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