Pressemitteilung | Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW)

Je wichtiger das Thema, desto anstrengender die Demokratie

(Köln) - Die Demokratie ist ein hohes Gut - trotzdem können die Deutschen auf übliche parlamentarische Prozesse verzichten. Das gilt vor allem dann, wenn ein Thema als besonders wichtig angesehen wird. Für AfD-Anhänger sind die eingeübten Verfahren zweitrangig, wenn es um Zuwanderung geht, für Grünen-Anhänger gilt das beim Thema Klimaschutz.

Verschiedene Meinungen kommen bei neutralen Diskursverfahren zur Sprache: Das gilt demokratietheoretisch als eines der wichtigsten Elemente. So ist gesichert, dass im öffentlichen Diskurs auch Minderheiten repräsentiert werden. Dennoch wäre mehr als jeder zweite Deutsche bereit, auf etablierte parlamentarische Prozesse zu verzichten, wenn es um ein Thema geht, das er als besonders wichtig erachtet. Für ein durch die Brost-Stiftung gefördertes Projekt hat das IW im Sommer 2020 über 1.000 Menschen zu ihren Einstellungen bei demokratischen Prozessen befragt.

Wichtiges Thema, unwichtige Prozesse

So sind beispielsweise 78 Prozent der AfD-Anhänger der Ansicht, die Regierung könnte parlamentarische Prozesse übergehen, um die Zuwanderung in den Griff zu bekommen. 65 Prozent der Grünen-Sympathisanten sind der Ansicht, Klimawandel-Maßnahmen könnten auch ohne das übliche Prozedere beschlossen werden. Andersherum gilt das nicht: So würden beim Thema Klimawandel gerade einmal 29 Prozent der AfD-Sympathisanten auf die üblichen parlamentarischen Prozesse verzichten, 27 Prozent der Grünen-Anhänger wären bei Zuwanderungsfragen dazu bereit.

Wenig Bildung, viel Autorität

Vor allem drei Faktoren begünstigen die stellenweise Demokratiemüdigkeit, zeigt die Studie. So akzeptieren Menschen mit geringem Bildungsniveau es eher, wenn parlamentarische Prozesse übergangen werden. Gleiches gilt für Menschen mit autoritären Einstellungen, die beispielsweise der Ansicht sind, gesellschaftliche Regeln sollten ohne Mitleid durchgesetzt werden. Der dritte Risikofaktor ist ein pessimistisches Weltbild: Wer etwa der Ansicht ist, sein Handlungsfeld würde sich kontinuierlich verschlechtern, zeigt besonders oft Verfahrensmüdigkeit. "Grundsätzlich genießt die Demokratie in Deutschland ein hohes Ansehen", sagt Studienautor Matthias Diermeier. "Schwierig wird es, wenn einzelne Bevölkerungsgruppen in spezifischen Themengebieten keinen Widerspruch mehr zulassen. Dann droht eine Zerfaserung, die demokratische Prozesse und letztlich die Demokratie selbst beschädigen kann."

Quelle und Kontaktadresse:
Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) Konrad-Adenauer-Ufer 21, 50668 Köln Telefon: 0221 4981-0, Fax: 0221 4981-533

(mj)

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