Pressemitteilung | Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI)

Nie wieder "Boy in the Bubble"!

(Berlin) - Menschen mit Immundefekterkrankungen sind auf die stetige Versorgung mit Antikörpern (Immunglobulinen) angewiesen, die jedoch nur aus menschlichem Blutplasma hergestellt werden können. Ohne diese Immunglobuline kann auch ein banaler Infekt schon lebensbedrohlich sein, denn das Immunsystem der Patientinnen und Patienten ist sehr schwach oder gar nicht vorhanden. Ohne immunglobulinhaltige Arzneimittel müssten diese Menschen isoliert leben, wie in den 70er Jahren David Vetter. Der an einem schweren Immundefekt leidende Junge lebte sein nur 13 Jahre kurzes Leben völlig isoliert in einer Plastikblase. Dank Immunglobulinen ist das heutzutage nicht mehr nötig, aber seit Monaten gibt es hier eine prekäre Versorgungslage, es gibt viel zu wenig Arzneimittel mit Immunglobulinen.

Und auch künftig wird die Versorgungssituation schon vor dem Hintergrund der unsicheren Versorgungslage einerseits und dem steigenden Bedarf an diesen lebensrettenden Medikamenten andererseits angespannt bleiben. Um darauf aufmerksam zu machen, und um die Politik aufzufordern, diesem Versorgungsengpass effektiv und nachhaltig entgegenzutreten, zeigt nun die Boy-in-the-Bubble-Initiative in einem Live-Event auf der Reichstagswiese, wie ein Leben ohne Immunglobuline isoliert in einer Plastikbubble aussehen würde. Begründer der Initiative ist Prof. Volker Wahn, ehemals Leiter der Sektion Infektionsimmunologie der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie und Immunologie an der Charité in Berlin, in Zusammenarbeit mit der Patientenorganisation dsai, FIND-ID, immundefekt.de, BPI und CSL.

"Die Zeiten der Isolation vieler Menschen mit Immundefekten sind Gott sei Dank vorbei", so Prof. Volker Wahn, "denn aus menschlichem Blutplasma lassen sich mittlerweile die dringend benötigten Immunglobuline isolieren und zu Arzneimitteln weiterverarbeiten. So können viele Patientinnen und Patienten ein weitgehend normales Leben führen". Er schränkt ein: Die mangelnde Verfügbarkeit von Arzneimitteln mit Immunglobulinen sei nicht erst in der COVID-Pandemie für die versorgenden Ärzte eher Mangelverwaltung, als Therapie entsprechend State-of-the-Art. Dosisintervalle werden gestreckt, Dosierungen runtergefahren, um überhaupt für alle etwas anbieten zu können. "Seit langem machen gerade Patientenorganisation, medizinische Fachgesellschaften und das Ärztenetzwerk FIND-ID auf die schwierige Versorgungslage aufmerksam - ohne Erfolg! Es ist daher notwendig, neue Wege zu gehen und Ärzten, Patientinnen und Patienten endlich Gehör zu verschaffen, wie dramatisch deren Versorgungssituation ist - die Politik muss handeln!" so Wahn.

Immunglobuline lassen sich ausschließlich aus menschlichem Plasma herstellen - sie sind zu komplex, um sie künstlich nachzubauen. Der Rohstoff Blutplasma ist aber knapp, die COVID-19-Pandemie macht diesen Mangel bis heute spürbar, und eine dauerhafte Lösung der Knappheit ist schon aufgrund der begrenzten Rohstoffe nicht in Sicht. "Die Aufbereitung von Immunglobulinen aus Plasma zu einem anwendungsfertigen Arzneimittel ist anspruchsvoll und dauert bis zu einem Jahr", so Simone Naruhn von CSL Plasma. "Zudem zeigt eine aktuelle forsa-Umfrage, dass in Deutschland das Wissen um die Möglichkeit der Plasmaspende viel zu gering ist, somit fehlen Spender und damit auch der Rohstoff Plasma."

Für die Patientinnen und Patienten bedeutet dies seit Monaten ein stetes Bangen um ihre überlebenswichtige Therapie. Wie bei keinem anderen Arzneimittel wird bei Immunglobulinen aus einem Rohstoffengpass ein Lieferengpass, der zu Versorgungsengpässen führt. Deshalb muss der Besonderheit von Immunglobulinen Rechnung getragen werden. Gabriele Gründl von der dsai (Patientenorganisation für angeborene Immundefekte) berichtet über das vergebliche Bemühen, Aufmerksamkeit der Politik für die immer wiederkehrenden Versorgungsengpässe zu erreichen: "Für die Menschen mit Immundefekten gibt es keinen Plan B - sie sind auf lebensnotwendige Immunglobuline alternativlos angewiesen. Im Gegensatz zu Insulin für Diabetiker beispielweise, können Immunglobuline nicht künstlich hergestellt werden. Die Gesundheitspolitik steht in der Pflicht, dauerhaft für ausreichend verfügbares Plasma zu sorgen. Wir hören nicht auf, dafür zu kämpfen. Der gemeinsame Einsatz aller beteiligten Institutionen auf nationaler und auf europäischer Ebene muss mit voller Kraft weitergehen und die Politik muss nachhaltig handeln!"

Christian Wieszner, Geschäftsführer von CSL Behring Deutschland, weist auch auf die zukünftige Versorgungslage hin: "Wenn der Rohstoff Plasma nicht ausreichend vorhanden ist, können wir auch nicht ausreichend Arzneimittel herstellen. Und die Schere zwischen Bedarf und Angebot wird sich weiter öffnen, denn der Bedarf an Arzneimitteln, die Immunglobuline enthalten, steigt jährlich um acht Prozent an, wie das Paul-Ehrlich-Institut festgestellt hat." Dies läge nicht nur an den deutlich eher gestellten Diagnosen bei Menschen mit Immundefekten, sondern auch daran, dass Behandlungsmöglichkeiten mit Immunglobulinen für andere, bislang nicht behandelbare Erkrankungen erforscht würden, bei denen diese dann zum Einsatz kämen. "Auch vor diesem Hintergrund", so Wieszner, "bedarf es einer gesicherten Sonderstellung für Immunglobuline in unserem Gesundheitssystem!"

Dr. Christian Rybak, Experte im Life Sciences-, Gesundheits- und Sozialrecht und seit Langem mit der Thematik befasst, ergänzt: "Mal abgesehen davon, dass es wesentlich stärkerer Anstrengungen als bisher bedarf, um die Menschen zu einer Plasmaspende zu motivieren, leiden die knappen immunglobulinhaltigen Arzneimittel auch noch unter erheblichen und in der Sache nicht gerechtfertigten regulatorischen Zwängen, die zur Folge haben, dass die ohnehin bestehende Knappheit noch verstärkt wird." Vorschläge, wie die Verfügbarkeit von Immunglobulin-Präparaten verbessert werden kann, lägen seit langem auf dem Tisch, so Rybak. Dazu gehörten unter anderem die Abschaffung von Rabattverträgen für Immunglobuline sowie der Importförderung, aber auch der Ausschluss der nicht auf medizinischen Gründen beruhenden Pflicht zur Substitution dieser Präparate in der Apotheke. Zwar habe der Gesetzgeber die besondere Rolle und Bedeutung der Immunglobuline anerkannt, indem er bestimmte Immunglobuline in Teilen vom erweiterten Preismoratorium ausgenommen habe. Konsequent sei diese Regelung jedoch nicht. Nicht zuletzt bliebe auch unklar, warum diese nur für bestimmte, neu beziehungsweise nach dem 31. Dezember 2018 zugelassene Immunglobuline gelten soll. Rybaks Fazit: "Den aktuellen Liefer- und Versorgungsengpässen wird diese Lösung nicht gerecht." Viele dieser Maßnahmen ließen sich sofort im Rahmen des Arzneimittellieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes (ALBVVG) umsetzen. Es gebe vielfältige Möglichkeiten, die Rahmenbedingungen zu verändern, um die aktuelle Immunglobulin-Situation zu entschärfen, und die Versorgung mit Immunglobulinen zukunftsfest und krisensicher zu machen, so Rybak weiter.

Zu Immundefekterkrankungen:

Immundefekterkrankungen gehören zwar zu den seltenen Erkrankungen, von denen aber gibt es viele - so benötigen am Ende eine große Anzahl von Patienten und Patientinnen überlebenswichtige Medikamente. In Deutschland leben rund 5.000 Menschen mit einem solchen, in der Regel, angeborenen Immundefekt. Ihr Immunsystem ist sehr schwach oder gar nicht vorhanden, denn sie können selbst keine oder viel zu wenige Antikörper (Immunglobuline) herstellen, die sie gegen Infektionen schützen könnten - Infektionen, die für gesunde Menschen kein Problem darstellen. So kann bei schweren Immundefekten schon eine banale Erkältung lebensbedrohlich sein.

Viele Betroffene werden mittlerweile bereits im Säuglingsalter durch entsprechende Screening-Programme entdeckt, dennoch leiden immer noch zu viele Erkrankte Jahre und Jahrzehnte, bis ihre Diagnose gestellt wird.

Immundefekte können als sogenannte sekundäre Immundefekte erworben werden, zum Beispiel im Rahmen einer Krebserkrankung. Auch diese Patienten sind auf die Versorgung mit immunglobulinhaltigen Arzneimitteln angewiesen.

Quelle und Kontaktadresse:
Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI) Andreas Aumann, Leitung Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit Friedrichstr. 148, 10117 Berlin Telefon: (030) 27909-0, Fax: (030) 2790361

(mw)

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