103. Deutscher Ärztetag in Köln eröffnet / Hoppe: Gesundheitsreform hat Rationierung verschärft
(Köln) Für einen Kurswechsel in der Gesundheitspolitik und eine "neue Diskussionskultur" im Gesundheitswesen hat sich Bundesärztekammer-Präsident Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe ausgesprochen. "Mehr als zwei Jahrzehnte kurzsichtiger Kostendämpfungspolitik haben das deutsche Gesundheitssystem in die Rationierung geführt", sagte Hoppe bei der Eröffnung des 103. Deutschen Ärztetages in Köln. Auch die am 1. Januar 2000 in Kraft getretene Gesundheitsreform habe die Tendenz zur Rationierung und Risikoselektion weiter verschärft. "Chronisch kranke und schwerstkranke Menschen sind die Verlierer dieser Reform", unterstrich Hoppe. Denn die rigide begrenzten Budgets für die einzelnen Versorgungsbereiche seien willkürlich, das heißt unabhängig vom Bedarf der Patienten festgelegt worden. "Die Budgetierung setzt uns Ärzte dermaßen unter Druck, dass wir immer häufiger in Situationen geraten, in denen das medizinisch Notwendige nicht mehr garantiert werden kann. Das halten wir für unverantwortlich", sagte der BÄK-Präsident.
Oberstes Gebot ärztlichen Handelns sei die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit der Patienten. Das werde auch weiterhin die Maxime ärztlichen Handelns sein. "Vor allem deshalb streiten wir so vehement für das Recht, in unseren ärztlichen Entscheidungen frei und unabhängig zu sein. Und deshalb stehen Ärztinnen und Ärzte in der Pflicht, sich in die Politik einzumischen, wenn die Grundlagen einer verantwortungsvollen Patientenversorgung zerstört werden", betonte Hoppe.
Viele Bürger wüssten gar nicht, so Hoppe, dass der einzelne Arzt mit seinem eigenen Einkommen die ambulante medizinische Versorgung sicherstellen soll. Ein erheblicher Teil der Leistungen niedergelassener Ärzte werde einfach nicht mehr vergütet, wenn die Budgets aufgebraucht seien. "Politiker wie Krankenkassenfunktionäre lassen die Menschen sogar in dem Glauben, der Arzt verdiene an den Verordnungen. Das ist einfach unredlich und offensichtlich Teil einer Strategie, die notwendige Diskussion über die Folgen der Rationierung mit Polemiken über Arzteinkommen zu ersticken", kritisierte Hoppe. Die Ärzte seien es leid, immer wieder als Abzocker hingestellt zu werden.
Besonders schlimm stelle sich die Situation in den Krankenhäusern dar, wo die angestellten Ärztinnen und Ärzte zur Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung über 50 Millionen Überstunden ohne Bezahlung oder Freizeitausgleich leisteten. "Frau Ministerin, machen wir uns nichts vor, das geht auf die Knochen und selbstverständlich auch auf Qualität und Sicherheit der Versorgung", sagte Hoppe in Gegenwart der Bundesgesundheitsministerin Fischer. Es sei auch unerträglich, dass eine politische Debatte über Qualitätssicherung geführt werde, als ob die Ärzteschaft nicht Vorreiterin dieses Gedankens wäre. Dabei lasse es der Staat zu, dass die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes in den Krankenhäusern im großen Stil ignoriert werden.
An die Politik gerichtet, forderte Hoppe eine ehrliche Analyse der derzeitigen Situation und eine offene Diskussion über die daraus resultierenden Konsequenzen. Deshalb begrüße er auch Überlegungen von Frau Ministerin Fischer zur Verbesserung der Einnahmen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Denn damit werde erstmals vom Bundesgesundheitsministerium anerkannt, dass die Probleme im Gesundheitswesen sich vor allem aus der sinkenden Lohnquote infolge anhaltender Arbeitslosigkeit sowie aus dem medizinischen Fortschritt und der Bevölkerungsentwicklung ergeben.
Als ermutigendes Signal wertete der Ärztepräsident auch jüngste Äußerungen von Bundeskanzler Schröder, der sich ausdrücklich zur finanziellen Selbstbeteiligung der Versicherten bekannt habe. Hoppe stellte allerdings klar, dass es nicht bei kleinen Gesetzeskorrekturen bleiben dürfe, sondern eine grundlegende Reform notwendig sei: "Jede künftige Gesundheitsreform, die die Fragen nach dem Leistungsumfang und den Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht wirklich anpackt, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt!"
Eigenverantwortung und Solidarität, so Hoppe, müssten wieder in ein vernünftiges Verhältnis zueinander gebracht werden. Das bedeute aber auch, dass Solidarität sich wieder nach der tatsächlichen Leistungsfähigkeit des Einzelnen bemessen müsse. Dazu schlug Hoppe vor, die Einnahmebasis der gesetzlichen Krankenkassen über die Arbeitseinkommen hinaus um andere Einkunftsarten zu erweitern. Zugleich müsse der Leistungskatalog der Kassen auf das medizinisch Notwendige reduziert und versicherungsfremde Leistungen wie z.B. das Mutterschaftsgeld als Aufgabe des Staates betrachtet werden. "Komfort-Angebote auf Krankenschein überfordern die Leistungskraft der Solidargemeinschaft und sollten individuell über Wahlleistungen nachgefragt werden können", forderte Hoppe.
Quelle und Kontaktadresse:
Bundesärztekammer, Herbert-Lewin-Str. 1, 50931 Köln, Tel.: (0221) 4004-0, Fax: (0221) 4004-380
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