Pressemitteilung | Deutscher Journalisten-Verband e.V. (DJV) - Bundesgeschäftsstelle

Bin Laden – eine Legende?

(Bonn/Montepulciano) - Sind wir seit dem 13. September hilflos, ratlos, sprachlos? Sind wir überrascht von dem, was wir gesehen haben? Mit diesen Fragen hat Dr. Michel Friedman, Journalist, Politiker und Rechtsanwalt, am 15. September Nachmittag seinen Eröffnungsvortrag auf dem internationalen Symposium des DJV in Montepulciano/Italien begonnen.

Friedman sagte, ihn erstaune viel mehr, dass so viele wirklich überrascht seien. „Überraschend für mich ist allenfalls die Inszenierung im Stil eines Hollywood-Katastrophendramas und der Ort der Anschläge“, so Friedman. Er kritisierte die audiovisuellen Medien, die mit zu wenig Reflektion berichtet hätten: „Wie ist das mit ununterbrochenen Nachrichtensendungen? Worauf soll der Zuschauer sich konzentrieren? Was ist, wenn Meldungen sich widersprechen oder der Moderator selbst nicht merkt, wenn er von seinem eigenen Nachrichtenlaufband überholt wird.“ Den Moderatoren warf Friedman vor, sie meldeten und kommentierten oftmals Nachrichten, die dem Zuschauer gegenüber nicht ausreichend reflektierten. Sekundiert würden sie von sogenannten Experten, die eher Kompetenz suggerierten als wirkliche Informationen zu vermitteln.

Friedman vermisste mangelnde journalistische Neugier und Misstrauen. „Die Journalisten sind in diesem Extremfall offenbar nicht in der Lage zu fragen, ob Osama bin Laden einfach die bequemste und am leichtesten zu choreografierende Antwort auf die Frage nach den Drahtziehern der Anschläge ist“, sagte Friedman. Welche unbestechlichen Beweise liegen hierfür vor? Sei nicht bekannt, dass in Extremfällen der Geschichte Legenden am leichtesten zu schlucken seien? Friedman appellierte an die Journalisten, nicht einfach die Stellungnahmen der Politiker „nachzuplappern“. „Journalisten müssen zu Störenfrieden werden und den Staatsmännern Fragen stellen, die sie sich nicht zu stellen wagen“, sagte Friedman.

Die Extremsituation in der die Journalisten sich zurzeit befänden bezeichnete Friedman als entlarvend für den Journalismus. Die schon im „Normalfall“ vorliegenden Defizite und Deformationen würden hier besonders deutlich hervortreten. Er kritisierte die zunehmende Kompensation von Qualität durch Masse. Der schnelle Effekt stünde zu oft im Vordergrund der Medienberichterstattung und verdränge seriöse Recherche, so Friedman. Mit den Ereignissen der letzen Woche sei nicht nur eine neue Dimension der weltpolitischen Auseinandersetzungen erreicht worden, sondern es stellten sich auch neue Herausforderungen an den Journalismus der westlichen Demokratie.

Der Vortrag von Friedman führte anschließend zu einer hitzigen Diskussion. Im Rahmen der Diskussion betonte Klaus Bresser, ZDF, dass der Moderator als zentrale Identifikationsfigur eine wichtige Rolle im Nachrichtenjournalismus spiele. Der Kongress setzte sich im Anschluss an Friedmans Vortrag mit einer Diskussion zum Thema „Grenzen und Qualität des Journalismus“ fort.

Es diskutierten: Angelo Agostini (Universität Bologna), Hans Leyendecker (Süddeutsche Zeitung), Elena Esposito (Universität Bologna), Rolf Dieter Krause (ARD), Paolo Mancini (Universität Perugia), Enrico Menduni (Universität Siena), Carlo Sorrentino (Universität Florenz), Vittorio Roidi (Journalist und ehemaliger FNSI-Vorsitzender). Irene Neverla moderierte die Diskussion.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher Journalisten-Verband e.V. (djv) Bennauerstr. 60 53115 Bonn Telefon: 0228/201720 Telefax: 0228/2017233

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