Pressemitteilung | Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) - Bundesvorstand

Erklärung zur aktuellen Lage nach USA-Terroranschlägen und zum Afghanistan-Konflikt

(Berlin) - Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bekräftigt seine Solidarität mit den Opfern der Terroranschläge in den Vereinigten Staaten und dem ganzen amerikanischen Volk.

1. Der DGB ist nach wie vor der Auffassung, dass der globale Terrorismus und seine Infrastruktur unverändert entschlossen und nachhaltig bekämpft werden müssen. So ist es konsequent, die logistischen Operationsbasen der mutmaßlichen Anstifter der Anschläge vom 11. September in Afghanistan auch mit militärischen Mitteln zu bekämpfen und die dort herrschende Diktatur des Taliban-Regimes international zu isolieren.

Die erforderlichen Maßnahmen stehen im Einklang mit Artikel 51 der UNO-Charta und den entsprechenden Resolutionen von Generalversammlungen und Sicherheitsrat zum Kampf gegen den Terrorismus.

2. Die Bundesrepublik als Teil des Nato-Bündnisses hat den USA im Kampf gegen den weltweit operierenden Terrorismus Unterstützung zugesagt. Diese Zusage fordert jetzt praktische Konsequenzen. In eingeschränkten Kontingenten ist eine deutsche Beteiligung an Militäroperationen der USA vorgesehen.

Die Abgeordneten des Bundestages stehen deshalb vor einer weitreichenden Entscheidung, die sorgfältig geprüft und deren langfristige Folgen bedacht werden müssen. Für alle Ziele des Militäreinsatzes muss es deshalb beim Parlamentsvorbehalt bleiben. Das Parlament hat ein Recht darauf, über die weiteren konkreten militärischen Absichten informiert zu werden und gegebenenfalls zu entscheiden.

3. Doch mit Fortdauer der militärischen Aktionen wird ihre begrenzte Reichweite immer deutlicher. Deshalb fragen sich viele Menschen, ob militärische Aktionen noch in einem angemessenen Verhältnis zu den unbeabsichtigten Schäden zu Lasten der Zivilbevölkerung stehen, wenn auch Lebensmittellager zerstört, zivile Einrichtungen getroffen und Zivilpersonen verletzt und getötet werden, ohne dass dadurch bisher erkennbar Zentren des Terrorismus vernichtet oder seine Drahtzieher getroffen werden. Es wächst die Skepsis, dass sich allein auf diesem Weg die praktisch ausgeübte terroristische Gewalt nicht eingrenzen lässt, sondern ihr eher neue Unterstützung zugeführt wird.

Dass diese Skepsis sich öffentlich artikulieren und ihre Begründungen vorbringen kann, ist ein unverzichtbares Element demokratischer Kultur. Gerade in so schwerwiegenden und folgenreichen Fragen muss sich die Meinungsfreiheit bewähren und der Respekt vor der anderen Meinung zeigen.
4. Vor allem muss der notleidenden Zivilbevölkerung und den Flüchtlingen in Afghanistan und in den angrenzenden Ländern schnell geholfen und die humanitäre Hilfe ausgeweitet werden. Die Anrainerstaaten müssen von der internationalen Politik dabei unterstützt werden, afghanische Flüchtlinge aufzunehmen und zu versorgen.

Humanitäre Hilfe in Afghanistan aber lässt sich erst dann wirkungsvoll organisieren, wenn das herrschende Regime der Taliban seine bedingungslose Bereitschaft zur Kooperation mit den internationalen Hilfsorganisationen erklärt und die inhaftierten Mitarbeiter der Shelter Now Organisation freilässt. Eine solche Erklärung steht bis heute aus. Stattdessen wächst die Not auch durch die wachsende Unterdrückung der Zivilbevölkerung durch die Taliban. Zudem gibt es bisher keine Bereitschaft der Taliban, mit der internationalen Rechtsgemeinschaft zu kooperieren, den mutmaßlichen Urheber der terroristischen Attacken vom 11. September bin Laden auszuliefern, das Netz der Terroristen zu zerschlagen und weitere terroristische Anschläge zu verhindern.

5. Darüber hinaus muss die Diskussion über eine umfassende und wirkungsvolle Bekämpfung des internationalen Terrorismus fortgesetzt werden. Der Terrorismus entzieht sich den bisherigen Begriffen und Regeln des Völkerrechts und den Regeln, die zwischen den Staaten vereinbart wurden, um Krieg und Gewalt einzudämmen. Auch diejenigen, die sich wie die Friedensbewegung um nichtmilitärische Formen der Konfliktlösung bemühen, müssen neu nachdenken. In diesem Sinne ist es weder zielführend, allein auf die Intensivierung der militärischen Aktionen zu vertrauen, noch ihr sofortiges Ende oder ein befristetes Aussetzen zu verlangen. Sie müssen vielmehr eingebettet werden in ein neues politisches Konzept.

6. In der internationalen wie in der nationalen Politik hat deshalb eine Debatte über die umfassenden Dimensionen des Kampfes gegen den Terrorismus eingesetzt. Dabei geht es um die Verbesserung der nationalen Sicherheitslagen, ohne die Freiheitsrechte der Menschen einzuschränken. Und zum anderen wird immer deutlicher, dass sich der Kampf gegen den Terrorismus der klassischen militärischen Logik entzieht. Es muss deshalb verstärkt über ein umfassendes System der Sicherung gegen den internationalen Terrorismus nachgedacht werden. Dazu gehört auch die Forderung nach einem Internationalen Gerichtshof und nach einer internationalen Strafverfolgungsbehörde unter dem Dach der Vereinten Nationen, die dann auch das Recht hat, militärische Operationen einzelner Staaten oder Staatenbünde zur Strafvereitelung oder Strafverfolgung des internationalen Terrors einzuleiten.

7. Der DGB sieht zudem zur gerechten Gestaltung der Globalisierung keine Alternative, auch um der Verarmung von Ländern der Dritten Welt nachhaltig entgegen zu wirken. Die Verstärkung der internationalen Zusammenarbeit und eine gerechte Weltwirtschaftsordnung bleiben unverzichtbar, um dem Terrorismus eine der entscheidenden Grundlagen zu entziehen. Es kommt jetzt darauf an, den Zusammenhang zwischen militärischen Aktionen in Afghanistan und dem weltweiten Kampf gegen die Ursachen des Terrorismus herauszustellen. Die internationale Staatengemeinschaft muss zudem alles tun, um die Eskalation der Gewalt zwischen Israel und den Palästinensern zu stoppen und beide Seiten in eine Nahost-Friedens-Lösung einzubinden.

8. Der DGB setzt sich in dieser zugespitzten Lage dafür ein, den Dialog mit der arabischen Welt und dem Islam intensiv weiter zu führen. Ganze Völker, Regionen und kulturelle Lebensformen dürfen für die Terrorangriffe gegen die USA nicht verantwortlich gemacht werden. Der Austausch zwischen den Kulturen ist die einzige Möglichkeit, Feindbilder und Bedrohungsgefühle abzubauen. Dies gilt auch für das Zusammenleben der Menschen unterschiedlicher Kultur und Herkunft in Deutschland.

9. Gerade im Angesicht terroristischer Gewalt gilt es, die Prinzipien einer offenen und freiheitlichen Gesellschaft zu bewahren. Das gilt im zwischenstaatlichen genauso wie im innerstaatlichen Bereich. Darum muss die Balance zwischen den erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Terrorismus und der Wahrung der Freiheits- und Bürgerrechte beibehalten werden. Zudem muss Deutschland nach wie vor - ebenso wie alle anderen Länder der Europäischen Union - Weltoffenheit bewahren und Zuwanderung ermöglichen. Die von der Regierungskoalition verabredeten Gesetzespakete zur inneren Sicherheit wie zur Zuwanderung werden daher vom Deutschen Gewerkschaftsbund sehr sorgfältig darauf hin überprüft, ob sie diesen Kriterien entsprechen. Jede Maßnahme muss geeignet sein, dem vorgesehenen Zweck, der Abwehr des Terrorismus zu dienen. Eingriffe in Rechte der Bürger und die Ausweitung der Befugnisse der Sicherheitsbehörden müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel entsprechen. Die Kontrolle durch Justiz und Parlament ist zu wahren und gegebenenfalls auszubauen, Maßnahmen sind auch, falls erforderlich zeitlich zu befristen. Den Ansprüchen an eine moderne Zuwanderungsgesetzgebung und den Ansprüchen der Genfer Flüchtlingskonvention muss genügt werden. Zur Prüfung der Maßnahmen im einzelnen greift der DGB das Angebot des Bundeskanzlers auf, umgehend gemeinsam mit den zuständigen Gewerkschaften diese Prüfungen vorzunehmen und mit der Bundesregierung über erforderliche Korrekturen zu sprechen.

10. Die notwendige Debatte über die Ursachen, die Möglichkeiten aber auch die Grenzen der Bekämpfung des Terrorismus muss innerhalb der Gewerkschaften und in der Gesellschaft fortgesetzt werden. Zweifel und Mahnungen sind ebenso Zeichen einer zivilen Bürgergesellschaft wie die Solidarität mit dem amerikanischen Volk. Notwendig ist eine umfassende Information und Aufklärung. Der DGB wird sich daran beteiligen und mit seinen Möglichkeiten die Meinungsbildung seiner Mitglieder fördern. Der DGB begrüßt die Zusage der Bundesregierung, umfassend zu informieren und auch geeignete Materialien für die Schulen und die politische Bildung zu erstellen. Der DGB sucht weiterhin den Dialog und die Diskussion mit der Politik, mit den Kirchen, mit Friedens- und Konfliktforschern und mit Vertretern von Friedensgruppen und Nichtregierungsorganisationen.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) Henriette-Herz-Platz 2 10178 Berlin Telefon: 030/24060-0 Telefax: 030/24060-324

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