Pressemitteilung | FIAN Deutschland e.V.

Ermittlung des Existenzminimums erfordert Anerkennung des Menschenrechts auf Nahrung

(Köln/Karlsruhe) - FIAN begrüßt die heutige (9. Februar 2010) Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass der Gesetzgeber bis Ende des Jahres seiner menschenrechtlichen Gewährleistungspflicht nachkommen muss indem er die Grundlagen für einen individuellen, das menschenwürdige Existenzminimum absichernden Leistungsanspruch festlegt. FIAN mahnt in diesem Zusammenhang eine Debatte über die Absicherung des Menschenrechts auf Nahrung für alle in Deutschland lebenden Menschen an.

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Vorschriften des SGB II, die die Regelleistungen für Erwachsene und Kinder betreffen, nicht den verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot erfüllen. Dabei sieht sich das Bundesverfassungsgericht nicht befugt, selbst einen bestimmten Leistungsbetrag festzusetzen und fordert statt dessen den Gesetzgeber auf, das Verfahren zur Ermittlung der Leistungen an die verfassungsrechtlichen Erfordernissen anzupassen. Um verfassungskonform zu sein, müssen die Leistungsansprüche von Hartz IV Empfängern in Zukunft den individuellen Bedarf zur physischen Existenzsicherung und zur Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben decken.

"Die Regelsätze müssen in Zukunft genug Spielraum für Eltern bieten, Ausgaben für Bildung und Ernährung der Kinder in Einklang zu bringen. Beides wird vom Bundesverfassungsgericht dem Kern der staatlichen Gewährleistungspflicht zugeordnet. Bisher haben notwendige Ausgaben für Bildung oftmals Einschränkungen bei der Ernährung nach sich gezogen.", so Ute Hausmann, Geschäftsführerin von FIAN Deutschland. Während das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich das Statistikmodell zur Ermittlung des Bedarfs als nicht zu beanstanden sieht, mahnt FIAN an, bei der zukünftigen Ermittlung des Bedarfs den individuellen Anspruchs eines jeden Menschen auf eine Sicherung seiner Ernährungsbedürfnisse zu berücksichtigen.

"Insbesondere qualitative Aspekte der Ernährung können nicht durch rein statistische Modelle erfasst werden. Auch sollte nicht als selbstverständlich gelten, dass Hartz IV Empfänger ausschließlich beim Discouter einkaufen und somit zum Beispiel auf Produkte aus regionalem Anbau verzichten müssen.", so Ute Hausmann. " Besonders positiv ist in diesem Zusammenhang zu werten, dass durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil eine unmittelbar geltende Regelung für Härtefälle angeordnet wird, die auch besondere Ernährungsbedürfnisse berücksichtigt."

FIAN hofft, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht einen Anstoß für eine umfassende Debatte über die Absicherung des Menschenrechts auf Nahrung aller in Deutschland lebenden Menschen liefert. "Wir erwarten, dass das eine solche Debatte unter Einbeziehungder konkreten Erfahrungen der Betroffenen und ihrer Interessenvertretungen sowie der hierzu tätigen Menschenrechtsorganisationen erfolgt. Es geht um nichts Geringeres als die im Grundgesetz verankerte Menschenwürde.", erklärte Tim Engel, Vorstandsmitglied und Sprecher des Arbeitskreises Kinderarmut bei FIAN Deutschland.

Quelle und Kontaktadresse:
FIAN e.V. Internationale Menschenrechtsorganisation für das Recht auf Nahrung Pressestelle Briedeler Str. 13, 50969 Köln Telefon: (0221) 7020072, Telefax: (0221) 7020032

(el)

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