Pressemitteilung | Deutscher AnwaltVerein e.V. (DAV)

Grenzenloser Wiederaufnahmegrund: gefährliche Mogelpackung / Statement von Rechtsanwalt Stefan Conen, Mitglied des Ausschusses Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV)

(Berlin) - Am Donnerstag (bzw. Freitagfrüh) steht das "Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit" auf der Tagesordnung der letzten Sitzungswoche dieses Bundestags. Mit dem Gesetz soll ein neuer Wiederaufnahmegrund geschaffen werden, der es ermöglicht, freigesprochene, ehemals wegen Mordes angeklagte Personen in bestimmte Fällen erneut wegen derselben Tat vor Gericht zu stellen. Der DAV kritisiert derlei Vorhaben seit jeher als Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung ("ne bis in idem") aus Artikel 103 Absatz 3 GG. Der aktuelle Entwurf kommt nicht nur zur Unzeit - er geht inhaltlich auch weit über bisherige Vorstöße hinaus:

"Im Vorfeld des Gesetzesvorhabens hieß es auch in der Fachöffentlichkeit stets, dass sich der neue Wiederaufnahmegrund auf Beweismittel stützen solle, die erst durch 'technische Neuerungen' generiert werden, welche zur Zeit der Urteilsfällung nicht zur Verfügung standen. Oft war von DNA-Spuren die Rede. Ein solcher Gesetzentwurf war bereits 2009 gescheitert. Mit dem nun vorgelegten Gesetzentwurf geht die Koalition allerdings viel weiter: Plötzlich gibt es keinerlei Beschränkung mehr auf neue Technik. Stattdessen sollen nun alle neuen Tatsachen und Beweismittel, mithin auch Zeugen für eine Wiederaufnahme zulasten Freigesprochener in Mordverfahren tauglich sein.

Damit werden 1:1 die Regeln übertragen, die bisher nur zum Schutz von zu Unrecht Verurteilten geschaffen wurden. Eine Angleichung der Wiederaufnahmegründe wurde erstmals 1943 eingeführt und galt nur bis 1946. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes reagierten, indem sie dem Verbot der Doppelverfolgung 1949 Verfassungsrang verschafften. Mit dem jetzigen Entwurf hätten Freisprüche in den betroffenen Verfahren künftig nur noch den Charakter eines vorläufigen Ergebnisses unter dem Vorbehalt späterer anderslautender Erkenntnis.

Der geplante § 362 Nr. 5 StPO korrigiert verfassungsrechtliche Grenzen nicht - er sprengt sie und annektiert verbotenes Neuland, dem das Grundgesetz bei Inkrafttreten eine Absage erteilt hatte. Die Wertentscheidung der Mütter und Väter des Grundgesetzes in der letzten Sitzungswoche der Legislatur im Schnellverfahren in die Schranken zu weisen, wird ihr weder im Ergebnis noch im gewählten Hauruckverfahren gerecht."

Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher AnwaltVerein e.V. (DAV) Pressestelle Littenstr. 11, 10179 Berlin Telefon: (030) 7261520, Fax: (030) 726152190

(mj)

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