Pressemitteilung | Hans-Böckler-Stiftung

Mehr staatliche Investitionen als Wachstumsprogramm - IMK: Deutsche Konjunktur mit wenig Dynamik

(Düsseldorf) - Die deutsche Wirtschaft wird in diesem Jahr nur geringfügig um 0,4 Prozent im Jahresdurchschnitt wachsen. Im zweiten Halbjahr dürfte sie sich jedoch etwas aus der Stagnation gelöst haben, so dass 2014 das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) mit 1,2 Prozent im Jahresmittel höher ausfallen wird. Die zentrale Stütze der Konjunktur bleibt dank leicht positiver Beschäftigungsentwicklung und steigender Arbeitseinkommen der private Konsum. Das ergibt die neue Konjunkturprognose des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung (Details siehe unten in den Datenkapiteln).* Vom Außenhandel kommen dagegen vor allem in diesem Jahr keine positiven Impulse, weil die Nachfrage aus Übersee die fortdauernde Schwäche wichtiger Handelspartner in Europa nicht mehr kompensiert.

Ein echter Aufschwung in Deutschland setzt nach Analyse der Forscher voraus, dass die Wirtschaftskrise im Euroraum nachhaltig überwunden wird. Um das zu erreichen, empfiehlt das IMK drei Ansätze: Eine sehr moderate Lohnentwicklung in den Krisenländern, gleichzeitig stärkere Lohnzuwächse und eine kräftige Aufstockung der staatlichen Investitionen in Deutschland. Dieses Vorgehen sei nicht nur aus europäischer, sondern auch aus rein deutscher Perspektive sinnvoll: Investitionen, welche die manifesten Mängel in der Infrastruktur beheben, dienen "künftigen Wachstumschancen der deutschen Wirtschaft", schreiben die Wissenschaftler in ihrer Prognose. Sie wird heute auf einer Pressekonferenz in Berlin vorgestellt.

- 2014 Aufhellung, aber kein Aufschwung in Sicht -

"Deutschland ist relativ gut durch die Krisen der vergangenen Jahre gekommen, und die konjunkturellen Aussichten hellen sich etwas auf", sagt Prof. Dr. Gustav A. Horn, der wissenschaftliche Direktor des IMK. "Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die deutsche Wirtschaft nicht mehr so extrem fixiert darauf ist, permanent möglichst große Außenhandelsüberschüsse zu erzielen. Gegenwärtig profitieren wir sehr davon, dass die robuste Beschäftigungsentwicklung und stärkere Lohnsteigerungen die Binnennachfrage stabilisiert haben. Das ist ein wichtiger Fortschritt, aber er geht noch nicht weit genug. Unsere Analyse zeigt: Die neue Bundesregierung muss hier eine deutlich aktivere Wirtschaftspolitik verfolgen. Die größte Volkswirtschaft Europas kann nicht einfach nur darauf warten, dass eine Belebung der Weltkonjunktur sie mitzieht. Deshalb plädieren wir für ein Wachstumsprogramm, das sich auf längst überfällige Investitionen stützt."
Gegenüber seiner letzten Konjunkturprognose vom Juli hat das IMK seine Wachstumserwartung für 2013 marginal erhöht - um 0,1 Prozentpunkte. Für 2014 heben die Forscher ihre Prognose zur BIP-Entwicklung um 0,4 Prozentpunkte an. "Damit verlässt die deutsche Wirtschaft zwar im kommenden Jahr den stagnativen Pfad, was sich leicht positiv auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar machen wird. Das ist erfreulich, aber ein selbsttragender Aufschwung ist nicht in Sicht", erklärt Horn.

- Komplementäre Lohnentwicklung im Euroraum -

Das IMK geht in seiner Prognose von einem stabilen weltwirtschaftlichen Umfeld aus. Allerdings erreichen die großen Schwellenländer die hohen Wachstumsraten der Vorjahre nicht. Die amerikanische Wirtschaft erholt sich stetig, aber relativ langsam. Noch deutlich zögerlicher geht nach der IMK-Prognose die Stabilisierung im Euroraum voran. Zwar sei in vielen Ländern des Euroraums die wirtschaftliche "Talsohle erreicht", auch, weil der massive Sparkurs langsam gelockert werde. Angesichts von zum Teil drastischen BIP-Verlusten und hoher Arbeitslosigkeit bleibe die Situation aber fragil. So prognostizieren die Ökonomen für die Währungsunion insgesamt 2013 noch einmal eine Schrumpfung des BIP um -0,5 Prozent (ohne Deutschland -0,9 Prozent). Im kommenden Jahr soll die Wirtschaft im Euroraum dann wieder um durchschnittlich 0,7 Prozent (ohne Deutschland 0,5 Prozent) wachsen.

Um die Krise in Europa dauerhaft zu überwinden, halten es die Forscher für unerlässlich, symmetrische Ansätze in der Lohnpolitik zu verfolgen. Das heißt: Für Länder wie Griechenland, Spanien oder Italien, in denen noch realer Abwertungsdruck auf die Arbeitskosten besteht, empfiehlt das IMK längerfristige Vereinbarungen zwischen den Tarifparteien, um eine moderate Lohnentwicklung zu erreichen. Dabei sei jedoch unbedingt von nominalen Lohnkürzungen abzusehen, da sie die Gefahr einer Deflationsspirale hervorrufen würden.

Komplementär dazu halten es die Wissenschaftler für sinnvoll, dass in den wirtschaftlich stärkeren Euro-Ländern, insbesondere Deutschland, die Löhne stärker steigen. Längerfristig solle sich die gesamtwirtschaftliche Lohnentwicklung konsequent am Verteilungsspielraum orientieren, der sich aus der Summe von Zielinflation der Europäischen Zentralbank (EZB) und mittelfristiger Produktivitätsentwicklung ergibt. "Dies würde einen erheblichen Beitrag zur Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und damit für die binnenwirtschaftliche Entwicklung in Deutschland sowie die Wirtschaftsentwicklung im Euroraum leisten", schreiben die Forscher. Die Bundesregierung könne dazu durch "weit reichende Berichtigungen in den institutionellen Rahmenbedingungen des deutschen Arbeitsmarktes" beitragen. Darunter versteht das IMK etwa einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn sowie eine Reform und Vereinfachung des Verfahrens, mit dem Tarifverträge allgemeinverbindlich erklärt werden können.

- Gezielte Steuererhöhungen schaffen Freiraum für Investitionen -

Als weiteren notwendigen Schritt für eine erfolgreiche Wachstumspolitik in Deutschland und Europa empfiehlt das IMK, den erheblichen öffentlichen Investitionsstau bei Infrastruktur, Energie und Bildung in der Bundesrepublik aufzulösen. Die Wissenschaftler halten Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung für realistisch, nach denen in den vergangenen Jahren eine Investitionslücke im hohen dreistelligen Milliardenbereich entstanden ist. Dieser Bedarf lasse sich nicht aus den für die kommenden Jahre prognostizierten Steuer-Mehreinnahmen decken, betont das IMK. Eine Finanzierung auf Kredit scheide schon wegen der Schuldenbremse aus.

Daher bleibe nur die Möglichkeit, gezielt die Steuern auf hohe Einkommen und Vermögen zu erhöhen. "Steuererhöhungen sind auch deshalb unvermeidlich, weil die Schuldenbremse in Zeiten einer strukturellen Unterfinanzierung eingeführt wurde", schreiben die Forscher. Die Steuersenkungen seit Ende der 1990er Jahre, die vor allem wohlhabenderen Haushalten zugute kamen, haben nach IMK-Berechnungen in den Jahren 2000 bis 2013 insgesamt zu Mindereinnahmen von 484 Milliarden Euro geführt. Diese Ausfälle seien "eine Hauptursache für die Defizite der vergangenen Jahre" und hätten auch die Investitionstätigkeit stark beeinträchtigt.

Kerndaten der Prognose für Deutschland (siehe auch Tabelle 6 Gesamtwirtschaftliche Entwicklung im IMK Report und in der pdf-Version dieser PM; Link unten):

- Arbeitsmarkt -

Trotz des schwachen Wirtschaftswachstums entwickelt sich die Beschäftigung erneut positiv. Die Zahl der Erwerbstätigen im Inland nimmt 2013 um rund 230.000 Personen oder 0,6 Prozent im Jahresdurchschnitt zu. 2014 steigt sie um rund 145.000 Personen oder 0,3 Prozent. Da aber gleichzeitig das Arbeitskräfteangebot durch höhere Erwerbsneigung und Zuwanderung wächst, erhöht sich in diesem Jahr auch die Arbeitslosigkeit moderat. Die Zahl der Arbeitslosen nimmt im Jahresdurchschnitt 2013 um 40.000 auf knapp 2,94 Millionen Menschen zu. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von 6,8 Prozent. 2014 wird die Zahl der Menschen ohne Job dann um 25.000 sinken auf 2,91 Millionen im Jahresdurchschnitt. Die Quote liegt bei 6,7 Prozent.

- Außenhandel -

Da die Nachfrage aus den Euro-Ländern schwach bleibt und der Order-Boom aus den großen Schwellenländern abebbt, stagniert der deutsche Export in diesem Jahr: das Wachstum ist mit 0,1 Prozent minimal. 2014 legen die Ausfuhren wieder zu - um durchschnittlich 4,4 Prozent. Die Importe steigen 2013 im Jahresmittel um 1,0 Prozent. 2014 nehmen sie um 6,6 Prozent zu. Damit wird der deutsche Leistungsbilanzüberschuss etwas reduziert.

- Investitionen -

Die Ausrüstungsinvestitionen kommen im Verlauf des Jahres 2013 langsam aus der Flaute. Durch den hohen statistischen Unterhang aus dem Vorjahr bleiben sie im Jahresdurchschnitt aber negativ: -2,4 Prozent. 2014 legen sie dagegen um 5,8 Prozent zu.

- Einkommen und Konsum -

Die real verfügbaren Einkommen steigen 2013 um 0,9 Prozent, die realen privaten Konsumausgaben nehmen um 1,0 Prozent zu. 2014 werden die real verfügbaren Einkommen um 1,5 Prozent wachsen, die privaten Konsumausgaben ebenfalls um 1,5 Prozent.

- Inflation und öffentliche Finanzen -

Trotz Preiserhöhungen bei Lebensmitteln ist die allgemeine Preisentwicklung in Deutschland moderat, die Energiepreise sind im Mittel niedriger als 2012. Im Jahresdurchschnitt 2013 und 2014 liegt die Teuerungsrate laut IMK bei jeweils 1,5 Prozent - und damit deutlich unter dem Inflationsziel der EZB. Die schwache wirtschaftliche Entwicklung bremst die Entwicklung bei den Steuereinnahmen. Dadurch gerät das Staatsbudget wieder leicht ins Defizit: Für 2013 rechnet das IMK mit einem kleinen Fehlbetrag von -0,2 Prozent des BIP. 2014 sinkt das Defizit auf -0,1 Prozent.

*IMK Arbeitskreis Konjunktur: Krise überwunden? Konjunkturelle Lage im Herbst 2013. IMK-Report 86, Oktober 2013. Download: http://www.boeckler.de/pdf/p_imk_report_86_2013.pdf

Quelle und Kontaktadresse:
Hans-Böckler-Stiftung Rainer Jung, Leiter, Pressestelle Hans-Böckler-Str. 39, 40476 Düsseldorf Telefon: (0211) 77780, Fax: (0211) 7778120

(cl)

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