Pressemitteilung | Hans-Böckler-Stiftung

Neue IMK-Studie / Arbeitskosten: Weiter Platz im europĂ€ischen Mittelfeld - Deutschland rĂŒckt von Position sieben auf acht in der EU

(DĂŒsseldorf) - Deutschland liegt bei den Arbeitskosten fĂŒr die Privatwirtschaft weiterhin im westeuropĂ€ischen Mittelfeld - 2012 mit 31 Euro pro Arbeitsstunde an achter Stelle unter den EU-LĂ€ndern. GegenĂŒber 2011 ist die Bundesrepublik um einen Rang nach hinten gerutscht und hat mit Finnland die Position getauscht. Höhere Arbeitskosten weisen unter anderem wichtige Handelspartner wie die Niederlande, Frankreich, Belgien und Schweden auf. Schweden hatte im vergangenen Jahr mit 42,20 Euro pro Stunde die höchsten Arbeitskosten in Europa. GeringfĂŒgig niedriger als in Deutschland sind die Arbeitskosten in Österreich. In den KrisenlĂ€ndern Italien, Irland, Spanien, Griechenland und Portugal reichen sie von 27,40 bis 11,70 Euro pro Stunde (siehe Tabelle 1 in der pdf-Version dieser PM; Link unten). Zu diesen Ergebnissen kommt das Institut fĂŒr Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung auf Basis der neuesten verfĂŒgbaren europĂ€ischen Daten. Nachdem sich die Arbeitskosten in Deutschland bis zur globalen Wirtschaftskrise weitaus schwĂ€cher entwickelt hatten als in den anderen EU-LĂ€ndern, sind sie 2012 und im ersten Halbjahr 2013 wieder etwas ĂŒberdurchschnittlich gestiegen. Die Wissenschaftler werten das als "Normalisierung". Derzeit sei der Nachholprozess aber noch zu schwach, um einen relevanten Beitrag gegen die wirtschaftlichen Ungleichgewichte in der EU zu leisten. Die IMK-Arbeitskostenuntersuchung erscheint heute als IMK-Report Nr. 88 und wird auf einer Pressekonferenz in Berlin vorgestellt.*

"Die enormen ÜberschĂŒsse in der deutschen Leistungsbilanz sorgen fĂŒr breite internationale Kritik. Es ist im deutschen Interesse, diese Kritik ernst zu nehmen. Erfolg im Außenhandel ist sehr wichtig. Aber er wird nicht dadurch erreicht, dass ein Land seine ÜberschĂŒsse immer weiter maximiert", sagt Prof. Dr. Gustav A. Horn, der Wissenschaftliche Direktor des IMK. "Viele Ökonomen und Politiker in Deutschland waren extrem fixiert auf möglichst niedrige Arbeitskosten. Die Kehrseite bildete eine schwache Entwicklung bei Löhnen, Binnennachfrage, Importen und Investitionen. All das hat unserer wirtschaftlichen Basis nicht gut getan. Und es hat zur Krise im Euroraum mit beigetragen. Die aktuellen Arbeitskosten-Daten signalisieren den vorsichtigen Einstieg in eine Korrektur dieser Fehlentwicklung. Wir erleben derzeit die positiven Auswirkungen: Höhere Löhne bei stabiler BeschĂ€ftigungsentwicklung schaffen die Voraussetzungen fĂŒr einen relativ krĂ€ftigen privaten Konsum. Das stĂŒtzt unsere Wirtschaft."

Die Arbeitskosten in der deutschen Privatwirtschaft stiegen nach Analyse der IMK-Experten Dr. Alexander Herzog-Stein, Dr. Ulrike Stein und Dr. Rudolf Zwiener sowie ihrer Ko-Autorin Prof. Dr. Heike Joebges 2012 und im ersten Halbjahr 2013 um jeweils 2,8 Prozent und damit etwas stĂ€rker an als im Durchschnitt von Euroraum und EU (je 2,2 Prozent). Doch dem steht eine langjĂ€hrige gegenlĂ€ufige Entwicklung gegenĂŒber, zeigt die Untersuchung: Von 2000 bis zum Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 wuchsen die Arbeitskosten in Deutschland im Jahresdurchschnitt um lediglich 1,8 Prozent, wĂ€hrend es im Mittel der WĂ€hrungsunion 3 und im Durchschnitt der EU 3,6 Prozent waren (siehe Tabelle 2 in der pdf-Version). Selbst im Mittel der Jahre 2008 bis 2012 lag der Anstieg in Deutschland mit 2,2 Prozent geringfĂŒgig unter der Entwicklung in Eurozone und EU (je 2,3 Prozent) - trotz zum Teil drastischer RĂŒckgĂ€nge in den Euro-Krisenstaaten, die die Durchschnittswerte nach unten ziehen. So sanken allein 2012 die Arbeitskosten in Griechenland und Portugal um 5,8 beziehungsweise 4,9 Prozent, in Spanien stiegen sie um lediglich 1,1 Prozent. Im gesamten Zeitraum zwischen 2000 und 2012 nahmen die Arbeitskosten der deutschen Privatwirtschaft um durchschnittlich 1,9 Prozent pro Jahr zu. Im Euroraum waren es hingegen 2,8 Prozent und in der gesamten EU 3,2 Prozent. Der gleiche Trend einer lediglich langsamen AnnĂ€herung zeigt sich bei den LohnstĂŒckkosten, welche die Arbeitskosten ins VerhĂ€ltnis zur ProduktivitĂ€t setzen (Einzelheiten siehe unten).

- StĂ€rkeres Wachstum der Löhne wĂŒrde bei Krisenlösung helfen - "Nach einem Jahrzehnt von ReallohnrĂŒckgĂ€ngen beziehungsweise Reallohnstagnation in Deutschland" seien Zuwachsraten von knapp drei Prozent bei Löhnen und Arbeitskosten "ein Schritt in die richtige Richtung" , schreiben die Forscher ĂŒber die aktuelle Entwicklung. Er gehe aber noch nicht weit genug, um die Krisenlösung im Euroraum spĂŒrbar zu beschleunigen.
Die zu Beginn der Krise sehr großen Unterschiede bei der preislichen WettbewerbsfĂ€higkeit verkleinern sich nach der IMK-Analyse derzeit vor allem dadurch, dass die Arbeitskosten in Griechenland, Portugal, Irland oder Spanien nur sehr schwach steigen oder zum Teil sogar rapide sinken. Das geschehe stark durch Entlassungen und LohnkĂŒrzungen. Dadurch geht die EuropĂ€ische WĂ€hrungsunion jedoch "enorme deflationĂ€re Risiken" ein, warnen Herzog-Stein, Joebges, Stein und Zwiener. Zudem schade die wirtschaftliche Schrumpfung in den KrisenlĂ€ndern auch der deutschen Konjunktur und steigere die NervositĂ€t an den FinanzmĂ€rkten. Daher sei es "gesamtwirtschaftlich deutlich besser, wenn die Löhne in Deutschland fĂŒr eine absehbare Zeit jĂ€hrlich um deutlich mehr als drei Prozent zulegten." Damit wĂŒrde die Lohnpolitik deflationĂ€ren Risiken entgegenwirken, ohne Inflations-Impulse zu setzen. Und: "In den europĂ€ischen NachbarlĂ€ndern wĂŒrde der restriktive und teilweise sogar gefĂ€hrliche Anpassungsdruck nach unten, der eine AbwĂ€rtsspirale der Gesamtwirtschaft ausgelöst hat, gemildert." Um die Lohnentwicklung in Deutschland zu stĂ€rken, empfiehlt das IMK einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn und eine gesetzliche Stabilisierung des Tarifsystems.

- Arbeitskosten 2012: 31 Euro pro Stunde - Zu den Arbeitskosten zĂ€hlen neben dem Bruttolohn die Arbeitgeberanteile an den SozialbeitrĂ€gen, Aufwendungen fĂŒr Aus- und Weiterbildung sowie als Arbeitskosten geltende Steuern. Die IMK-Forscher nutzen fĂŒr ihre Studie die neuesten verfĂŒgbaren Zahlen der europĂ€ischen Statistikbehörde Eurostat. Deren Arbeitskostenstatistik erlaubt einen Vergleich auf breiterer Basis als Datenquellen, auf die sich beispielsweise das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) bislang stĂŒtzt.
2012 mussten deutsche Arbeitgeber in der Privatwirtschaft (Industrie und privater Dienstleistungsbereich) 31,0 Euro pro geleistete Arbeitsstunde aufwenden. Höher liegen die Arbeitskosten in sieben LĂ€ndern: In Schweden, Belgien, DĂ€nemark, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden und Finnland mĂŒssen zwischen 42,20 und 31,10 Euro pro Stunde ausgegeben werden. Etwas niedriger als in Deutschland sind die Arbeitskosten in Österreich (30,20 Euro). Der Durchschnitt des Euroraums liegt bei 28,20 Euro. Etwas darunter folgt Italien, das 2012 Arbeitskosten von 27,40 Euro auswies. In den ĂŒbrigen sĂŒdeuropĂ€ischen EU-Staaten betragen sie zwischen 20,80 Euro (Spanien) und 11,70 Euro (Portugal). Die portugiesischen Arbeitskosten liegen damit unter denen im EU-Beitrittsland Slowenien, wo 14,50 Euro aufgewendet werden mĂŒssen. In der Tschechischen Republik, Ungarn und Polen liegen die Stundenwerte zwischen 10,70 und 7,20 Euro. Schlusslichter sind RumĂ€nien und Bulgarien mit Arbeitskosten von 4,50 und 3,60 Euro pro Stunde.

- Knapp 20 Prozent Abstand zwischen Industrie und Dienstleistungen - Im Verarbeitenden Gewerbe betrugen 2012 die Arbeitskosten in Deutschland 35,10 Euro pro geleisteter Arbeitsstunde. Im EU-Vergleich steht die Bundesrepublik damit wie in den Vorjahren an fĂŒnfter Stelle als Teil einer grĂ¶ĂŸeren Gruppe von IndustrielĂ€ndern, die mit 32 bis knapp 44 Euro pro Stunde ĂŒber dem Euroraum-Durchschnitt liegen. Dazu zĂ€hlen auch Schweden mit industriellen Arbeitskosten von 44 Euro, Belgien (42 Euro), DĂ€nemark (38 Euro) und Frankreich (36,40 Euro) sowie Finnland, die Niederlande, und Österreich (33,80 bis 32 Euro). Dabei ist nicht berĂŒcksichtigt, dass das Verarbeitende Gewerbe in der Bundesrepublik stĂ€rker als in jedem anderen EU-Land von gĂŒnstigeren Vorleistungen aus dem Dienstleistungsbereich profitiert (mehr im folgenden Abschnitt). 2012 stiegen die industriellen Arbeitskosten in Deutschland um 2,4 Prozent. Das ist geringfĂŒgig weniger als der Durchschnitt in EU (2,6 Prozent) und Euroraum (2,5 Prozent). Im ersten Halbjahr 2012 wuchsen die Arbeitskosten der deutschen Industrie etwas stĂ€rker - um 3,3 Prozent. Der Anstieg ist damit etwas höher als im Mittel von Euroraum und EU (je 2,5 Prozent).

Im privaten Dienstleistungssektor lagen die deutschen Arbeitskosten 2012 mit 28,40 Euro weiterhin an neunter Stelle nach den Benelux-LĂ€ndern, den nordischen EU-Staaten, Frankreich und Österreich. Den höchsten Wert wies auch hier Schweden mit 41,90 Euro aus, der Durchschnitt im Euroraum betrĂ€gt 27,70 Euro. 2012 stiegen die Arbeitskosten im deutschen Dienstleistungssektor um 3,1 Prozent. Damit lag der Zuwachs erstmals seit Beginn der WĂ€hrungsunion ĂŒber dem Euroraum-Durchschnitt (2,1 Prozent). In der ersten HĂ€lfte 2013 verlangsamte sich der Anstieg in Deutschland auf 2,6 Prozent. Da der Zuwachs in einigen NachbarlĂ€ndern aber einbrach und in Griechenland und Spanien die Arbeitskosten im Dienstleistungsbereich sogar rĂŒcklĂ€ufig waren, liegt die durchschnittliche Steigerungsrate im Euroraum (1,2 Prozent) und der EU (1,5 Prozent) derzeit niedriger.

- Industrie kann Vorleistungen gĂŒnstiger einkaufen - Der RĂŒckstand der Arbeitskosten im Dienstleistungssektor hinter denen im Verarbeitenden Gewerbe ist in Deutschland nach wie vor grĂ¶ĂŸer als in jedem anderen EU-Land. Er betrĂ€gt knapp 20 Prozent. Vom vergleichsweise niedrigen Arbeitskostenniveau in den deutschen Dienstleistungsbranchen profitiert auch die Industrie, die dort Vorleistungen nachfragt. Eine neue Studie im Auftrag des IMK hat diesen Effekt durch eine umfassende Input-Output-Analyse erforscht. Danach entsteht eine Kosteneinsparung fĂŒr die Industrie von acht bis zehn Prozent oder rund drei Euro je Arbeitsstunde. WĂ€hrend der Dienstleistungssektor die Industrie hierzulande bei den Arbeitskosten entlaste, sei es insbesondere in den mittel- und osteuropĂ€ischen EU-LĂ€ndern umgekehrt, betonen die Forscher.

- Öffentliche Dienstleistungen: Anstieg besonders niedrig - Bei den öffentlichen Dienstleistungen in Deutschland stiegen die Arbeitskosten lange Zeit noch weitaus langsamer als im privaten Sektor. Zwischen 2000 und 2008 lag der durchschnittliche jĂ€hrliche Zuwachs lediglich bei 0,9 Prozent. Im Zeitraum von 2008 bis 2012 beschleunigte sich die Entwicklung zwar auf durchschnittlich 2,3 Prozent. Im Gesamtzeitraum von 2000 bis 2012 legten die Arbeitskosten im öffentlichen Dienst aber nur um durchschnittlich 1,4 Prozent pro Jahr zu. Das ist unter den 14 EU-Staaten, die dazu Daten liefern, der drittniedrigste Wert. Lediglich in Griechenland und Portugal war die Rate noch geringer - als Folge massiver RĂŒckgĂ€nge in den vergangenen Jahren.

- LohnstĂŒckkosten: JĂ€hrlich 0,7 Prozent Zunahme von 2000 bis 2012 - Die LohnstĂŒckkosten, welche die Arbeitskosten in Relation zur ProduktivitĂ€tsentwicklung setzen, sind in Deutschland zwischen 2000 und 2012 um lediglich 0,7 Prozent im Jahresmittel gestiegen - und damit deutlich langsamer als im Euroraum insgesamt (+1,7 Prozent). Zwischen 2000 und 2008 stagnierten sie sogar. Im Zuge der Wirtschaftskrise stiegen die deutschen LohnstĂŒckkosten dann deutlich stĂ€rker als im Euroraum-Durchschnitt. Mit dem Ende der Krise im Jahr 2010 hat sich der Zuwachs wieder verlangsamt.

FĂŒr 2012 beobachten die Forscher bei den LohnstĂŒckkosten dasselbe Muster wie bei den Arbeitskosten. Der Zuwachs in Deutschland betrug 2,9 Prozent, im Euroraum-Durchschnitt 1,9 Prozent. Im ersten Halbjahr 2013 sind die LohnstĂŒckkosten in Deutschland gegenĂŒber dem Vorjahreszeitraum um 2,6 Prozent gestiegen, im Mittel des Euroraums um 1,5 Prozent. Auch wenn sich der ĂŒber Jahre aufgelaufene Abstand zwischen Deutschland und seinen Euro-Partnern verringere, "hat Deutschland gegenĂŒber dem Rest Europas weiterhin einen extrem hohen preislichen Wettbewerbsvorteil", schreiben die Forscher. Deutschlands hoher LeistungsbilanzĂŒberschuss von mehr als 185 Milliarden Euro 2012 werde dieses Jahr wahrscheinlich nicht zurĂŒckgehen, "obwohl die KrisenlĂ€nder Europas ihre Importe zurĂŒckfahren mĂŒssen".

Griechenland, Irland, Spanien und Portugal hĂ€tten durch eine sehr schwache LohnstĂŒckkostenentwicklung in den vergangenen Jahren zwar wieder Anschluss an den Durchschnitt des Euroraums gefunden, konstatiert das IMK. Das sei auch an deutlich wachsenden Exporten ablesbar. Die Position der deutschen Wirtschaft erreichten sie aber lĂ€ngst noch nicht.

*Alexander Herzog-Stein, Heike Joebges, Ulrike Stein, Rudolf Zwiener: Arbeitskostenentwicklung und internationale WettbewerbsfĂ€higkeit in Europa. Arbeits- und LohnstĂŒckkosten in Europa in 2012 und im 1. Halbjahr 2013. IMK Report Nr. 88, Dezember 2013. Download: http://www.boeckler.de/pdf/p_imk_report_88_2013.pdf

Die PM mit Tabellen (pdf): http://www.boeckler.de/pdf/pm_imk_2013_12_02.pdf

Quelle und Kontaktadresse:
Hans-Böckler-Stiftung Rainer Jung, Leiter, Pressestelle Hans-Böckler-Str. 39, 40476 DĂŒsseldorf Telefon: (0211) 77780, Fax: (0211) 7778120

(cl)

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