Pressemitteilung | Hans-Böckler-Stiftung

Neue Studie von Dr. Rudolf Speth / Steuerzahlerbund: Drei Viertel der Mitglieder Unternehmer oder Freiberufler

(Düsseldorf) - Der Bund der Steuerzahler erreicht durch medienwirksame, oft symbolisch inszenierte Kritik am Steuersystem, am staatlichen Ausgabenverhalten und an der Finanzierung von Parteien und Parlamenten erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit. Der "Steuerzahler-Gedenktag", die "Schuldenuhr" und die Vorstellung des "Schwarzbuches" finden Resonanz. In den vergangenen Jahren hat die Wirkung des Verbandes aber trotz konsequenter Ausrichtung an den Bedürfnissen reichweitenstarker Medien nachgelassen. Das sind zentrale Ergebnisse einer neuen Untersuchung des Politikwissenschaftlers Dr. Rudolf Speth. Für die Politik sei der Steuerzahlerbund nur bedingt Ansprechpartner, in der Wissenschaft spiele das verbandseigene Karl Bräuer Institut kaum eine Rolle, konstatiert der Privatdozent an der Freien Universität Berlin in einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie. Zudem seien Strukturen und manche Arbeitsweisen des Verbandes wenig transparent. Die Konzentration auf medial leicht vermittelbare "Aufregerthemen" gehe auf Kosten der Reputation unter Experten. So habe der Verbandsvorsitzende Dr. Karl-Heinz Däke vom Steuerzahlerbund veröffentlichte plakative und scheinbar exakte Zahlen über eine angebliche "Steuerverschwendung" in Höhe von 30 Milliarden Euro pro Jahr wiederholt relativieren müssen. Mittlerweile erkläre der Steuerzahlerbund, den Umfang von "Steuerverschwendung" nicht beziffern zu können.

Der Lobbyismus-Forscher Speth führte für seine Untersuchung 25 Interviews mit Experten innerhalb und außerhalb des Steuerzahlerbundes, unter anderem aus der Verbandsführung auf Bundes- und Länderebene. Außerdem wertete er die Publikationen und Stellungnahmen des Verbandes aus.

"Die Idee einer zivilgesellschaftlichen Kontrolle der staatlichen Ausgabenpolitik und der Politikfinanzierung ist sehr wertvoll. Aber der Steuerzahlerbund setzt diese Idee verkürzt und oft einseitig um", resümiert der Wissenschaftler. So setze sich die Organisation beispielsweise kaum mit dem Wert öffentlicher Güter und öffentlicher Aufgaben oder mit den Gründen für Steuerflucht auseinander. "Die Grundsatzbotschaft lautet schlicht: Der Staat soll schlank sein. Die Politik muss sparen", so Speth. Dafür würden weitere Privatisierungen, auch bei der sozialen Sicherung, Stellenabbau im öffentlichen Dienst und vor allem Steuersenkungen gefordert: "Niedrige Steuersätze gelten als Allheilmittel: Sie würden die Leistungsbereitschaft fördern und auch helfen, das Problem der Steuerflucht zu lösen", beschreibt der Forscher die Argumentation des Steuerzahlerbundes.

Als weiteres Beispiel für die Tendenz zu "plakativen Vereinfachungen" nennt der Forscher die Inszenierung des "Steuerzahler-Gedenktages". Bei der Terminierung beziehe der Verband etwa neben Steuern auch Sozialversicherungsbeiträge ein - "auch wenn die nicht an das Finanzamt gehen und es dafür auch unmittelbaren Schutz gibt, etwa im Falle der Krankenversicherung." Zudem werde zwar meist in den Pressemitteilungen "weit unten darauf hingewiesen, dass es für die Steuern auch Gegenleistungen des Staates gibt." Insgesamt suggeriere die Anlage des "Gedenktages" aber, "dass man einfach für einen anonymen Akteur Zahlungen geleistet habe."

Ziele und Strukturen des Verbandes seien in wichtigen Bereichen wenig transparent, so der Wissenschaftler. Beispielsweise nehme der Bund der Steuerzahler für sich in Anspruch, für alle Steuerzahler zu sprechen. Seine Mitgliedschaft bestehe aber zu etwa 60 Prozent aus Unternehmern und Unternehmen, die meist aus dem gewerblichen Mittelstand stammen. Weitere 15 Prozent der Mitglieder seien Freiberufler. "Diesen Gruppen gilt auch das Hauptaugenmerk der politischen Forderungen", analysiert der Forscher. Arbeitnehmer machten lediglich etwa zehn Prozent der Mitglieder aus, wobei leitende Angestellte dominierten.

Die Bedeutung der Kernklientel und der Charakter als "Verband der kleinen Gewerbetreibenden und der Selbständigen" habe sich durch den Mitgliederschwund in den vergangenen Jahren tendenziell noch verstärkt, schätzt Speth. Seit dem Jahr 2001 sei die Mitgliederzahl um rund 100 000 auf etwa 330 000 gesunken. Auch eine intensive Zusammenarbeit mit der Hamburg-Mannheimer Versicherung bei der Mitgliederwerbung habe in den vergangenen Jahren nicht verhindern können, dass der Steuerzahlerbund per Saldo rund 10 000 Mitglieder im Jahr verliere.

Die Kooperation mit der Assekuranz, in deren Beirat Verbandspräsident Däke Mitglied ist, besteht laut Speth seit rund 40 Jahren. Es gebe Beauftragte der Hamburg-Mannheimer Versicherung, deren ausschließliche Aufgabe es ist, Mitglieder für den Steuerzahlerbund zu werben. "Die Angestellten der Versicherung nutzen den guten Namen des Steuerzahlerbundes und bekommen dadurch Kontakt mit potentiellen Kunden der Versicherung", so der Forscher. Erst nach der Werbung für den Steuerzahlerbund komme es zu einem Gespräch zwischen Hamburg-Mannheimer Versicherung und dem Kunden.

Bei der Kooperation zwischen der Versicherung und dem Bund der Steuerzahler fließe auch Geld, schreibt der Forscher. Der Steuerzahlerbund zahle an die Versicherung eine Provision in der Höhe eines Jahresbeitrags für die Vermittlung eines neuen Mitgliedes. Im Gegenzug habe sich die Versicherung verpflichtet, bei Nichterreichen einer vereinbarten Zahl von Neu-Mitgliedern für jedes nicht geworbene Mitglied die Hälfte eines Jahresmitgliedsbeitrags an den Verband zu zahlen. Das komme in letzter Zeit häufiger vor, denn anders als früher laufe die Zusammenarbeit aus Sicht des Steuerzahlerbundes unbefriedigend. Die Versicherungsvertreter könnten nur noch rund ein Drittel der zugesagten Mitglieder werben, schreibt Speth. So habe der Landesverband Baden-Württemberg beispielsweise in den letzten Jahren jeweils rund 45 000 Euro für nicht geworbene Mitglieder von der Hamburg-Mannheimer Versicherung erhalten.

Schwierigkeiten bereite dem Steuerzahlerbund auch das verbandseigene Karl Bräuer Institut, das Grundlagenarbeit und -forschung für den Verband leisten soll. Es könne seine Aufgabe nur noch bedingt erfüllen, analysiert Speth. Das Institut habe weder Anschluss an die akademische Welt, noch könne es mit dem Publikationstempo der wissenschaftlichen Wirtschaftsforschungsinstitute mithalten. Die personelle Fluktuation sei hoch. Zudem leide die öffentliche Wahrnehmung des Instituts an der sehr stark auf den Verbandspräsidenten und die Zusammenarbeit mit Boulevardmedien zugeschnittene Öffentlichkeitsstrategie des Steuerzahlerbundes.

Die starke Medienorientierung konterkarierten zudem die lobbyistischen Anstrengungen des Verbandes, analysiert Speth. Einzelne Landesverbände versuchten sich zwar verstärkt in Politikberatung, auf Bundesebene stehe der Steuerzahlerbund aber in einem "schwierigen Spagat": "Auf der einen Seite versteht er sich als Kontrollorgan der Politik und arbeitet hier auch gerne mit den Boulevard-Medien zusammen. Auf der anderen Seite möchte er Gesprächspartner der Politik sein und versucht einen inhaltlichen Dialog zu einzelnen gesetzgeberischen Vorhaben. Der Steuerzahlerbund wird nach wie vor von der Politik gefürchtet, weil niemand von ihm skandalisiert werden möchte. In einer solchen Atmosphäre wird das Gespräch mit der Politik und den Politikern schwierig."

Die komplette Studie als pdf-Dokument: www.boeckler.de/pdf/p_arbp_161.pdf.

Quelle und Kontaktadresse:
Hans-Böckler-Stiftung Rainer Jung, Leiter, Pressestelle Hans-Böckler-Str. 39, 40476 Düsseldorf Telefon: (0211) 77780, Telefax: (0211) 7778120

(el)

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