Pressemitteilung | Deutsche Aktuarvereinigung e.V. (DAV)

Neustrukturierung der Finanzaufsicht: Fachlicher Austausch zwischen Aktuaren und Aufsichtsbehörde muss gewährleistet bleiben

(Köln) - Insbesondere seit der Liberalisierung des europäischen Versicherungsmarktes im Jahr 1994 tragen Aktuare gemeinsam mit der Versicherungsaufsicht in Deutschland besondere Verantwortung für die Sicherstellung der dauerhaften Erfüllbarkeit aller Verpflichtungen gegenüber dem Versicherungskunden und somit auch für die langfristige Stabilität des gesamten Versicherungs- und Finanzsektors. In dieser Funktion haben sich die deutschen Aktuare seitdem als Sicherheitsingenieure im Interesse der Verbraucher verstanden und bewährt. Sie haben mit ihrer Arbeit auch dazu beigetragen, dass sich die deutschen Versicherer in der Finanzkrise stabil gezeigt haben.

Bei der geplanten Neustrukturierung der Finanzaufsicht in Deutschland sollen offenbar Bankenaufsicht und Versicherungsaufsicht unter dem Dach der Deutschen Bundesbank angesiedelt werden. Dabei muss aus Sicht der DAV aufgrund der besonderen Aufgaben von Aktuaren in den Unternehmen und der gesetzlich herausgehobenen Funktion des Verantwortlichen Aktuars ein fachlich fundierter Austausch zwischen diesen Experten und der Aufsichtsbehörde möglich bleiben, um eine effektive und vorausschauende Versicherungsaufsicht zu gewährleisten. Hierzu wird in der Aufsichtsbehörde ein spezieller aktuarieller Sachverstand benötigt. Dieser muss Tarifkenntnisse sowie Modellierungs- und Bewertungskenntnisse beider Bilanzseiten umfassen. Nur so kann eine kompetente Auswertung der eingehenden Unterlagen im Rahmen der Berichtspflicht erfolgen.

Deshalb muss es auch künftig in der Versicherungsaufsicht Mitarbeiter geben, die die in Artikel 48 der Rahmenrichtlinie zu Solvency II ausgesprochenen Standards ("actuarial and other professional standards") für die "Aktuarielle Funktion" in den großen Versicherungsgruppen erfüllen. Die durch Solvency II folgende stärkere Verzahnung beider Bilanzseiten erfordert eine integrierte Sicht der Aufsichtsbehörde auf die Kapitalanlagen sowie die Versicherungstechniken.

Produkt- und Solvabilitätsaufsicht, Rechts- und Finanzaufsicht in einer Hand waren bisher der Garant für Stabilität in der Versicherungswirtschaft und müssen in einer Hand bleiben.

Solvency II in der entscheidenden Phase

Die beschlossene Solvency II-Richtlinie legt den Rahmen fest, in dem sich das neue risikobasierte Aufsichtssystem Solvency II bewegt. Derzeit befinden sich die Gespräche und Beratungen in Brüssel in der entscheidenden Konkretisierungsphase: Durch Interpretation der Richtlinie werden Durchführungsmaßnahmen bzw. Aufsichtsleitlinien festgelegt. Zu den Durchführungsbestimmungen hat CEIOPS bereits einen endgültigen Beschluss vorgelegt. Dieser fließt in die derzeitigen Beratungen der bei der EU-Kommission angesiedelten "Solvency-Expert-Group" ein.

Die Aktuare begleiten den Beratungs- und Entscheidungsprozess zu den Ebene 2-Durchführungsmaßnahmen und den Ebene 3-Aufsichtsleitlinien in Brüssel kritisch und konstruktiv. Dabei geht es darum, dass die zugrunde liegenden Risiken adäquat berücksichtigt werden, die Methoden und Modelle angemessen sind und ob insgesamt dem Geschäftsmodell der Versicherung ausreichend Rechnung getragen wird. Insbesondere in der Lebens- und Krankenversicherung müssen dabei nationale Besonderheiten der Geschäftsmodelle beachtet werden.

Eine risikoadäquate Aufsicht muss aus aktuarieller Sicht in erster Linie an den vom Unternehmen getragenen Risiken ansetzen. Dabei muss ein Standardmodell zu konservativeren Solvenzkapitalanforderungen führen, sonst bestände für Unternehmen kaum Anreiz für ein Internes Modell. Mit Hilfe der Prinzipien der Materialität und der Proportionalität muss in der Praxis nun erreicht werden, dass es zu einer der Risikokomplexität des Unternehmens angemessenen Regulierung kommt.

Entscheidende Bedeutung der aktuariellen Funktion

Solvency II beinhaltet umfassende Regelungen zu quantitativen und qualitativen Aspekten des Risikomanagements und misst diesen eine hohe Bedeutung bei. Entsprechend stellt die Richtlinie strenge Anforderungen: Gemäß Artikel 42 müssen alle Personen, die das Unternehmen tatsächlich leiten und andere Schlüsselaufgaben innehaben, eine fachliche Qualifikation erfüllen und zuverlässig und integer sein ("fit & proper"). Zu den Schlüsselfunktionen gehört die aktuarielle Funktion.

Die aktuarielle Funktion leistet einen wichtigen Beitrag zum Risikomanagement. Artikel 48 der Rahmenrichtlinie enthält einen Aufgabenkatalog, der einen Mindeststandard darstellt. Demnach soll die aktuarielle Funktion unter anderem zu einer wirksamen Umsetzung des Risikomanagements beitragen, insbesondere im Hinblick auf die Schaffung von Risikomodellen. Gerade hier zeigt sich die hohe Verantwortung von Aktuaren, denn ein Modell ist zwingend auf Experteneinschätzung angewiesen. Dies umfasst die Angemessenheit der Parameter und die umfassende Würdigung aller relevanten Risiken, aber auch die Handlungsoptionen der Versicherungsunternehmen.
Hier kommt die hohe fachliche Expertise der Aktuare zum Tragen: Aufgrund ihrer Ausbildung verfügen Aktuare über spezifisches Know-how im Bereich der Methoden und Modelle, aber auch zunehmend im Bereich des qualitativen Risikomanagements. Die DAV trägt dem derzeit durch eine entsprechende Erweiterung der Aktuarausbildung Rechnung. Die in Deutschland gesetzlich verankerten Aufgaben des Verantwortlichen Aktuars beinhalten schon jetzt die Anforderung, die Finanzlage und die Solvenzsituation des Unternehmens zu bewerten und zu prüfen.

Der voraussichtliche Zeitplan

- Vorlage der Vorschläge für die Durchführungsbestimmungen durch die Kommission im Herbst 2010

- Durchführung von QIS 5 bei den Unternehmen zwischen August und November 2010. Die DAV sieht es hierbei als notwendig an, dass Konsequenzen aus QIS 5 noch in die Durchführungsbestimmungen einfließen können.

- Im Laufe des Jahres 2011 Diskussion und formale Verabschiedung der Durchführungsbestimmungen durch die Kommission. Die Umsetzung der Solvency II-Richtlinien soll bis spätestens 31. Oktober 2012 erfolgen. In der Kommission wird jedoch darauf hingewiesen, dass wegen der Bedeutung von Solvency II "Gründlichkeit vor Schnelligkeit" gehe.

Kranken- und Pflegeversicherung: Aktuare erarbeiten Lösungsvorschläge

Die Sozialversicherungssysteme in Deutschland befinden sich im Umbruch. Das gilt insbesondere für die Kranken- und Pflegeversicherung, für die grundlegende Reformen nach wie vor ausstehen. Es geht darum, die Systeme finanzierbar zu halten und auf die Herausforderungen vorzubereiten, die sich durch medizinischen Fortschritt und insbesondere durch die Alterung unserer Bevölkerung ergeben.

Pflegeversicherung: Aktuare schlagen Mischfinanzierung vor

Um die Pflegeversicherung auf Dauer sicher zu gestalten, muss es gelingen, ihre Finanzierung trotz des demografischen Wandels sicherzustellen und die aus der Pflegeversicherung bezogenen Leistungen den im Zeitverlauf steigenden Kosten für die Pflege anzupassen.

Während eine solche nachhaltige Finanzierung für die kapitalgedeckte private Pflegeversicherung (PPV) kein Problem ist, kommen auf die umlagefinanzierte soziale Pflegeversicherung (SPV) aufgrund der demografischen Veränderungen etwa ab dem Jahr 2025 existentielle Probleme zu.

Der mittel- und langfristige vollständige Umbau der SPV auf Kapitaldeckung scheint politisch nicht realisierbar, da die Beitragsbelastung entweder der jungen Generation und der Geringverdiener zu hoch würde oder massiv Steuermittel eingesetzt werden müssten. Auch die Idee, nur die Dynamisierung der Leistungen in der SPV durch Kapitaldeckung zu ermöglichen, ist problematisch: Kapitaldeckung ist vor allem geeignet, demographische Veränderungsprozesse aufzufangen und weniger, einen Inflationsausgleich abzusichern. Im Übrigen verbessert sich dadurch die finanzielle Perspektive der SPV mit ihrem jetzigen Leistungsumfang überhaupt nicht. Sinnvoller erscheint es, bestimmte Leistungspositionen der SPV aus der Umlagefinanzierung herauszunehmen und kapitalgedeckt abzusichern, evtl. ergänzt um eine Dynamikkomponente.

Die in der Koalitionsvereinbarung der neuen Bundesregierung beschriebene kapitalgedeckte Zusatzversicherung wird daher von der DAV sehr begrüßt. In jedem Fall müssten aber die bei einer solchen Zusatzversicherung entstehenden beträchtlichen Alterungsrückstellungen dem Zugriff der Politik und damit der Verwendung für sachfremde Zwecke entzogen werden. Daher warnen die Aktuare davor, die gesetzlichen Krankenversicherungen mit dieser Zusatzversicherung zu betrauen.

Reform der Krankenversicherung: DAV arbeitet an Lösungen

Besonders wichtig bei der Weiterentwicklung der privaten Krankenversicherung ist die Verbesserung der Portabilität der Alterungsrückstellungen bei einem Wechsel des Versicherungsunternehmens. Die derzeitige gesetzliche Regelung, die einen pauschalen Übertragungswert auf dem Niveau des Basistarifs vorsieht, ist vor allem in drei Punkten unzureichend:

- Nach wie vor können nur Gesunde ohne Erschwernis wechseln

- Der Übertragungswert ist bei einem Wechsel aus einem Tarif mit niedrigem Leistungsumfang zu hoch, so dass die Mitgabe zur Antiselektion und zur Belastung des verbleibenden Bestandes führt

- Der Übertragungswert ist bei einem Wechsel aus einem Komforttarif oft zu niedrig, um einem unzufriedenen Kunden einen wirklichen Wechselanreiz zu bieten.

Hier arbeitet die DAV auf Grundlage einer breiten Diskussion mit der wissenschaftlichen Forschung an Modellen, die diese Mängel weitestgehend beseitigen sollen.

Hinsichtlich der Beitragsentwicklung bei älteren PKV-Versicherten stellen die Aktuare den zum 01.01.2000 eingeführten gesetzlichen Maßnahmen ein positives Zeugnis aus: 10 Jahre nach Einführung der verstärkten Überzinsverwendung für die älteren Versicherten sei in sehr vielen Beständen bereits erkennbar, dass die Beitragsentwicklung bei den über 65jährigen nicht mehr überproportional stark verlaufe; häufig zahlten die über 80jährigen schon deutlich niedrigere Beiträge als die Versicherten zwischen 60 und 65. Mit zunehmender Wirkung der Effekte aus dem gesetzlichen Beitragszuschlag werde sich die Beitragsbelastung privat versicherter Rentner weiter entspannen.

Grundsätzlich ist es jedoch nicht vertretbar, der gesamten Kostenentwicklung in der PKV vorrangig mit versicherungsmathematischen Methoden, mit Zinseszins und Überzins begegnen zu wollen. Hier ist vor allem die Politik gefordert, den Versicherern Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Preis- und Mengenentwicklung zu geben.

Auch für die PKV ist das neue Aufsichtssystem Solvency II von substantieller Bedeutung. Die Aktuare sind gefordert, das versicherungstechnische Modell der PKV in diesem neuen System angemessen abzubilden, das heißt insbesondere, die Integration der gesetzlichen Rahmenbedingungen (VVG, VAG und KalV) für die private Krankenversicherung in Deutschland zu gewährleisten.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutsche Aktuarvereinigung e.V. (DAV) Michael Steinmetz, Geschäftsführer Hohenstaufenring 47-51, 50674 Köln Telefon: (0221) 9125540, Telefax: (0221) 91255444

(mk)

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