Pressemitteilung | Der Mittelstand. BVMW e.V. - Bundesverband mittelständische Wirtschaft Unternehmerverband Deutschlands - Bundeszentrale

„Qualitätsmäßig sind wir unschlagbar!“

(Berlin) - In lockerer Folge stellen wir beispielhafte Mitgliedsunternehmen vor – hier einen Mittelständler der besonderen Art: die Elbe-Behinderten-Werkstätten in Hamburg-Harburg.

Höflichkeit, Liebenswürdigkeit, Lebensfreude. Ein fröhliches „Guten Morgen“ und am Abend ein „Tschüss“, hinausgeschmettert mit der unversiegbaren Kraft einer Güttler’schen Bachtrompete. Wer an solch positiven Erlebnissen Mangel leidet, der sollte nach Hamburg-Harburg fahren. Und erst recht jener, der angesichts eigener Verzagtheits- oder gar Depressionsphasen Fragen nach dem Sinn des Lebens stellt. Und schließlich alle die Zeitgenossen, die den Hochmut eines scheinbar „normalen“ gegenüber dem behinderten Menschen pflegen.

In der Aufzählung fehlen die Unternehmer, die ganz einfache Arbeiten zu vergeben haben, von denen sie glauben, dass sich für ihre Verrichtung kaum jemand findet. Wenn Geschäftsführer Jürgen Lütjens von der Elbe-Werkstätten GmbH in der Hansestadt so etwas hört, regen sich in ihm seine beiden Seelen und zwei Talente: Einmal die des kühl kalkulierenden Betriebswirtes und zum anderen die des sozial engagierten Mitarbeiters einer Behinderteneinrichtung.

Obwohl Mitglied im Bundesverband mittelständische Wirtschaft, sind die Elbe-Werkstätten mit der Klassifizierung als „mittelständischer Betrieb“ so richtig wie falsch, zumindest aber ungenau umschrieben. Ein paar Zahlen: Acht Betriebsstandorte in verschiedenen Hamburger Stadtteilen, knapp 1000 Arbeitsplätze, davon im Produktionsbereich 800, der Rest im Berufsbildungsbereich, ausgefüllt zu mehr als 90 Prozent von geistig Behinderten unterschiedlichen Schweregrades. Hinzu kommen rund 250 Angestellte, viele von ihnen handwerkliche Fachkräfte mit überwiegend Meisterabschluß und sozialpädagogischer Zusatzqualifikation.

Lütjens, der nach dem Äußeren auch ein Bruder Hardy Krügers sein könnte, ein kräftiger, sportlicher 60jähriger, ist durch und durch ein „Mittelständler“, wenn er an das Wohl und Wehe seiner Betriebe denkt, an die Akquisition von Aufträgen, die termingerechte Erledigung, die Qualitätskontrolle, an seine Jahresbilanz. Als ehemaliger Bankmanager mit Schwerpunkt Immobilienwirtschaft kennt er die Unbarmherzigkeit des Marktes. Neu und eine gewaltige Herausforderung für ihn war vor zwanzig Jahren, als er seinem Leben einen tieferen, substantielleren Sinn geben wollte, der Umgang mit Behinderten. Plötzlich war gefragt, was ein Nichtbehinderter kaum noch hat und sich vielleicht auch kaum noch leisten kann: Geduld, Herzenswärme, Nachsicht, Ruhe, innere Balance.

Wir gehen in die „Werkstätten“. Was darf es denn sein in der Druckerei, Briefbögen, Broschüren, Visitenkarten? Der Maschinenpark ist modern, gleich am Eingang steht eine alte „Heidelberger“, die gelegentlich noch in Betrieb gesetzt wird. Der Unterschied zu irgend einer anderen der paar tausend Druckereien in Deutschland liegt in den Augen des Personals. Aufmerksame, heiter lachende oder tiefernste, verschlossene Augen, Blicke ohne Argwohn oder das genaue Gegenteil, langsame oder abrupte Bewegungen, kreischendes Plappern und melancholisches Schweigen. „Hallo, Süßer“, wird Jürgen Lütjens von einer jungen Frau mit schwerem Dow-Syndrom begrüßt, deren jäh aufflammendes Interesse ansonsten dem Krawattenmuster des Gastes gilt.

Geistig Behinderte sind manchmal hochintelligent. Nehmen wir Rebecca K., die an einem Autorenwettbewerb der Elbe-Werkstätten teilgenommen hat. 25 Jahre alt, viele Jahre weder durch Sprache, Blickkontakt, gezielte Handlungen noch durch Gestik, Mimik und Verhalten zu irgendeiner Kommunikation mit ihrer Umwelt fähig, gefangen in der Isolation einer schweren autistischen Behinderung. Eines Tages lichtet sich diese Dunkelheit einen Spalt breit, macht erkennbar, dass sie sich mit Hilfe einer überragenden Intelligenz das Schreiben autodidaktisch beigebracht hat und nun, trotz dieser Behinderung, mit ihren Eltern als gerne gesehene Lyrikerin und Journalistin die Welt bereist. Nie hat sie eine Schule besucht, jetzt ist sie Gasthörerin an einer Universität.

In den Nebenräumen der Druck- und Papierprofis werden Kunststoffschürzen für Arbeitskräfte in der chemischen Industrie gefertigt, unter Anleitung von Schneidermeisterin Christel Iding. Das Tempo ist gemächlich, die bedächtigen Handgriffe und die sorgfältige, fast wohlüberlegt scheinende Zuordnung von jeweils zwei Plastikösen für das Schürzenband am Hals und um den Leib verraten Gewissenhaftigkeit. „Nirgendwo finden Sie solch engagierte, von ihrer Arbeit so überzeugte und deshalb penibel auf ihre Tätigkeit konzentrierte Menschen wie in einer Behinderteneinrichtung“, weiß der Geschäftsführer. „Meckern und maulen sind für diese Menschen Fremdwörter. Sie klagen nicht, im Gegenteil, die Arbeit, mag sie auch noch so einfach sein, macht sie glücklich, und sie identifizieren sich hundertprozentig mit ihrem Produkt.“

Jene Mercedes-Fahrer, deren Verbandskästen in Hamburg-Harburg zusammengepackt wurden, durften sich, ohne es natürlich zu ahnen oder gar zu merken, über das kleine bisschen „mehr“ freuen, mehr an Freude und mehr am Sinn eingeschränkter Lebensbedürfnisse von geistig oder psychisch Behinderten, jene mit 87 Prozent in der Mehrzahl, diese mit sechs Prozent in der Minderheit, und Körperbehinderte sogar mit nur fünf Prozent vertreten. Aber was wissen wir schon, was in den Köpfen derer vor sich geht, die in der Großküche der Elbe-Werkstätten mit unendlicher Begeisterung Töpfe und Herdplatten schrubben, Geschirr einordnen, beim Zubereiten der Speisen helfen, so als wäre jeder und jede einzelne von ihnen Chefkoch und nicht Andreas Jungke, der 46jährige Sachse aus Pirna. Er muss gemeinsam mit drei weiteren Köchen jeden Tag an die tausend Mahlzeiten für den Harburger Hauptbetrieb, für die Außenbetriebe sowie als Caterer für Schulen und Kindertagesstätten in der Nachbarschaft herstellen.

Draußen, am „Schwarzen Brett“, gleich neben dem Aushang der Partnervermittlung mit Namen „Schatzkiste“ und dem anrührenden Bild eines behinderten, liebevoll blickenden Brautpaares, hängt die Zertifizierungsurkunde nach ISO 9001:2000, nicht nur für die Küche, sondern für den gesamten Betrieb, für Eigenproduktion, Dienstleistungen, Auftrags- und Lohnfertigung. Da die Elbe-Werkstätten eine gemeinnützige Einrichtung sind, kann der Auftraggeber einen reduzierten Umsatzsteuersatz von 7 Prozent geltend machen und bis zu 50 Prozent des Rechnungsbetrages auf seine eigene Schwerbehindertenabgabe anrechnen.

Trotz dieser Vorteile sind die Elbe-Werkstätten keine Konkurrenz für Handwerker oder Mittelständler: betriebswirtschaftliche Zwänge wie Umsatzplus und Gewinnsteigerung fehlen. Beispiele: Die PVC-Schürzen für Chemiearbeiter werden nur noch in Kleinstückzahlen benötigt, doch in den Elbe-Werkstätten „bosseln“ 36 Menschen an dem Produkt. Oder: Ein Discounter will eine Lieferung Deodorants folienverschweißt im Doppelpack haben, oder eine Boutique hat einen Restposten an BH gekauft und möchte den Inhalt einiger Kartons umetikettieren lassen, nun gut, sechs, sieben Männer und Frauen kommen dieser Aufgabe mit einer Gewissen- und Ernsthaftigkeit nach, als wären sie auf der wissenschaftlichen Suche nach einer neuen Weltformel.

„Wir arbeiten für die A-Klasse“ – in Hamburg-Harburg kann man diesen Satz, guttural geformt und mit mächtigem Stolz in der Stimme, hören. Gartenarbeiten, Hausreinigung, Fotokopieren, Tischlerprodukte, Lampenanfertigung, Keramikgeschirr – alles entsteht unter den gleichen sozial und pädagogisch wertvollen und gesellschaftlich nützlichen Bedingungen einer Behinderteneinrichtung, wie Töpfermeister Klaus-Peter Kunstmann beim Öffnen prall gefüllter Schränke mit Gebrauchskeramik beweisen kann: Geduldige Anleitung und verständnisvolle Betreuung sind unabdingbar, es entstehen soziale Kontakte der Behinderten untereinander, Regeln wie pünktlicher Arbeitsbeginn oder Pausen strukturieren den Tagesablauf, abends kehren die behinderten Menschen in Heime oder Elternhäuser zurück, voller Befriedigung über das Geleistete, das monatlich mit 150 bis 180 Euro entgolten wird. Dafür bezuschusst Hamburg die Einrichtung pro Behinderten täglich mit nur 47 Euro. „Wie sähe denn die Alternative aus“, fragt Geschäftsführer Lütjens. Und die Antwort? Stumpfsinnige Heimunterbringung, um ein Vielfaches teurer, Medikamentierung, Ruhigstellung, ein Leben ohne Arbeit und ohne Würde.

Arbeit – kein anderes Wort findet sich in unserem mehrstündigen Gespräch so oft wieder. Für den Chef der Elbe-Werkstätten ist Arbeit Dreh- und Angelpunkt jeder menschlichen Existenz, der Behinderten ebenso wie der Nichtbehinderten, unterschiedslos. Und Jürgen Lütjens kann sich mit dem zurückhaltenden Gestus eines echten Hanseaten nur wundern über die Ignoranz von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik, weil nicht alles, wirklich alles, zur Schaffung neuer Arbeitsplätze getan wird.

Hamburg ist dabei, seine Behinderteneinrichtungen zusammenzulegen. Welche rechtliche Konstruktion am Ende herauskommt, ist noch nicht sicher. In jedem Fall soll sie – präferiert wird eine Holding – Einsparungen in Höhe von einer halben Million Euro sowie Synergieeffekte ermöglichen. Wenn das Geld den Behinderten zugute kommt, ist das nur von Vorteil. Denn der Anteil der Menschen mit psy-chischen Defekten wird immer größer. 1986, im Gründungsjahr der Elbe-Werkstätten GmbH, war die Zahl der beschäftigten Behinderten und der Verwaltungsmitarbeiter mit zusammen 60 Personen überschaubar. Jeder kannte jeden.

Zum 20jährigen Jubiläum, in knapp zwei Jahren, wird man das Bild von der explosionsartigen Zunahme für nicht allzu übertrieben halten können. In Harburg geht man nämlich annähernd von einer Verzwanzigfachung aus. Da ist die Leitung gut beraten, in den Stadtteilen mit sozialen Brennpunkten und hochproblematischen Bevölkerungsstrukturen neue Behinderten-Werkstätten zu bauen. Das geschieht zur Zeit. Jürgen Lütjens, der durch seine Verpflichtung vor zwanzig Jahren gut und gerne ein Drittel seines Gehaltes bei der Bank eingebüßt hat, dafür aber Zufriedenheit, Glück, Dank und Anerkennung eintauschte, ist ein Mensch mit klaren Vorstellungen. Sein Unternehmen soll wachsen, noch mehr behinderten Menschen Arbeit geben. Er will neue Geschäftspartner suchen, weitere Tätigkeitsfelder finden, zum Beispiel die elektronische Archivierung von Millionen von Akten der Hamburgischen Behörden. Die Konvolute öffnen, sortieren, Heftklammern beseitigen, nach dem Einscannen schreddern – „bei diesen einfachen Arbeiten sind wir qualitätsmäßig unschlagbar“, betont der Geschäftsführer.

Und die 2005 in Kraft tretende neue Müllverordnung für Elektronikschrott kommt ihm ebenso gelegen. Die Demontage solcher Geräte, unter fachmännischer Anleitung sorgfältig praktiziert, hier Platinen, dort Schrauben, da Kabel und Plastikteile, wird die Elbe-Werkstätten vor keine nennenswerten Probleme stellen. Man hat Zeit, jeder Handgriff verträgt langes Verweilen in den gedanklichen Tiefen eines weit entrückten Geistes, von dessen Empfänglichkeit für Wärme, Lob und Anerkennung wir so gut wie keine Vorstellung haben.

„Manchmal, wenn mein Tag miserabel war, mache ich meinen Rundgang und dann geht es mir wieder gut“, sagt Jürgen Lütjens mit einem Lachen, das man in den Hamburger Elbe-Werkstätten häufiger zu sehen und zu hören bekommt.

Quelle und Kontaktadresse:
Bundesverband mittelständische Wirtschaft Unternehmerverband Deutschlands e.V. (BVMW) Heiner Giersberg, Presseabteilung Mosse Palais, Leipziger Platz 15, 10117 Berlin Telefon: 030/5332060, Telefax: 030/53320650

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