Pressemitteilung | Genoverband e.V. - Verwaltungssitz Neu-Isenburg

Standort Deutschland: Reformieren statt resignieren

(Frankfurt/Main) - „Wir haben einen ebenso anregenden wie aufrüttelnden, vor allem aber auch Mut machenden Gedankenaustausch über unsere Zukunft miterleben können.“ Mit dieser Bilanz vom Präsidenten des Genossenschaftsverbandes Frankfurt, Klaus Lambert, ging der Wirtschaftstag der Volksbanken und Raiffeisenbanken am 29. Oktober in Frankfurt zu Ende.

Einleitend hatte Lambert ein Steuersystem gefordert, das eine Gleichbehandlung sicherstelle, um vor allem in mittelständischen Unternehmen eine Eigenkapitalthesaurierung zu ermöglichen. Damit würden auch die Voraussetzungen für eine Kreditfinanzierung der Unternehmen verbessert.

Auf dem ersten größeren Treffen mittelständischer Unternehmer nach der Bundestagswahl hatten Manager, Politiker, Wissenschaftler sowie führende Vertreter von Spitzenbehörden und Verbänden über das Thema „Neue Werte, neues Wachstum, neue Arbeitsplätze: Mittelstand zwischen Innovation und Stagnation“ diskutiert.

In einem Grußwort bezeichnete der hessische Ministerpräsident Roland Koch die am selben Tag abgegebene Regierungserklärung von Bundeskanzler Schröder als „trostlos“. Der CDU-Politiker verwies in seiner Rede auf die stark gestiegenen Spareinlagen der Deutschen. Dies sei ein Zeichen für ein hohes Maß an Verunsicherung bei den Verbrauchern. Koch betonte, die Union werde sich den Vorstellungen der Hartz-Kommission nicht grundsätzlich widersetzen. Notwendig sei es aber, den Schwerpunkt auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze und selbständiger Existenzen zu legen. Als hessischer Ministerpräsident werde er Steuererhöhungen in einer Wirtschaftskrise nicht zustimmen.

Der Vorstandsvorsitzende der Bundesanstalt für Arbeit, Florian Gerster, zeigte sich skeptisch, ob es gelingt, die Arbeitslosigkeit in den nächsten drei Jahren zu halbieren. Hierzu müsse mehr geschehen als nur die Umsetzung der Hartz-Vorschläge. Gerster sprach sich für mehr Zeitarbeit und flexiblere Arbeitsverhält-nisse aus. Deren Zahl könnte von derzeit rund 300.000 auf etwa eine Million erhöht werden. Der Chef der Bundesanstalt kritisierte die hohen Sozialabgaben als „Strafsteuer auf Arbeit“.

Wenig optimistisch schätzte die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Dr. Ursula Engelen-Kefer, die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland ein: „Wir haben Glück, wenn wir im nächsten Jahr ein Wachstum von 1,4 Prozent erreichen“. Auch längerfristig seien keine hohen Wachstumsraten zu erwarten. Von dieser Seite werde der Arbeitsmarkt kaum nachhaltig entlastet, sagte Engelen-Kefer. Sie forderte unter anderem höhere Investitionen durch die öffentliche Hand. Die DGB-Vizechefin sprach sich für eine flexiblere Arbeitszeitgestaltung aus und appellierte an die Arbeitgeber, offene Stellen zu melden.

Mit Steuerreform Verkrustungen lösen

„Wir haben in Deutschland keinen Arbeitsmarkt mehr“. Diese These vertrat Professor Dr. Meinhard Miegel, Geschäftsführender Vorstand und wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft. Um wieder Marktverhältnisse herzustellen, müssten Kartelle aufgebrochen werden - nicht zuletzt das gegenwärtige System der Lohnfindung.

Ähnlich argumentierte auch Max Schön, Präsident der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer (ASU): „Gehaltsverhandlungen sollten dort geführt werden, wo Arbeitsplätze entstehen, nämlich in den Betrieben“. Schön sprach sich für eine grundlegende Steuerreform aus, um Verkrustungen aufzulösen. Um hierfür die nötigen finanziellen Spielräume zu schaffen, sollten sämtliche steuerlichen Subventionen gestrichen werden.

„Sehnsucht nach Verlusten“

Das derzeitige deutsche Steuerrecht fördere die „Sehnsucht nach Verlusten“. Diese Meinung vertrat der ehemalige Bundesverfassungsrichter Professor Dr. Paul Kirchhof. Das Problem bestehe darin, dass die Steuern eine Lenkungsfunktion ausübten. Dadurch werde das Geld in unsinnige Projekte investiert, um die Steuerlast zu reduzieren. Der Direktor des Instituts für Finanz- und Steuerrecht der Universität sprach sich für eine drastische Vereinfachung des Steuersystems aus: „Die macht Steuerberater nicht überflüssig. Aber dieser Berufsstand soll sein Honorar künftig etwas einfacher verdienen“.


Chaos durch Globalisierung?

Die Globalisierung als weltweite Ausdehnung der Arbeitsteilung führt nicht dazu, dass die Reichen reicher und die Armen ärmer werden. In letzter Konsequenz würden sogar alle reicher. Diese Auffassung vertrat der Vorsitzende der Ludwig-Erhard-Stiftung, Dr. Hans Barbier, auf dem Wirtschaftstag der Volksbanken und Raiffeisenbanken in einem Streitgespräch mit dem ehemaligen Bundesminister Dr. Heiner Geißler. Wenn bestimmte Staaten oder Regionen von der Globalisierung nicht profitierten, dann lägen die Ursachen in mangelnden Freiheiten, zum Beispiel an Zollschranken.

Geißler betonte, er sei kein Gegner der Globalisierung, doch bedürfe diese eines geordneten Wettbewerbs, sonst überlebten am Ende nur Oligopole und Monopole. Derzeit herrsche Chaos in der Weltwirtschaft. In der Folge nehme die Armut und gleichzeitig in den betreffenden Ländern die Bereitschaft zu, auf fundamentalistische Heilsversprechen einzugehen: „Osama bin Laden lebt in den Köpfen von Millionen von Menschen“, betonte der CDU-Politiker.

Auf die Suche nach unternehmerischen Perspektiven für mehr Wachstum begaben sich in der anschließenden Gesprächsrunde erfolgreiche Unternehmer, die sich bereits als Trend-Setter profiliert haben. Marc Girardelli, geschäftsführender Gesellschafter der Veltins alpincenter.com AG, initiierte die längste Hallen-Skipiste der Welt in Bottrop. Auf die Kapitalbeschaffung für sein Projekt angesprochen, meinte Girardelli augenzwinkernd: „Ich bin froh, dass es damals Basel II noch nicht gab“.

Professor Dr. August-Wilhelm Scheer, Gründer und Aufsichtsratsvorsitzender der IDS Scheer AG, plädierte für eine intakte Wertschöpfungskette von der Grundlagenforschung über die Prototypenentwicklung und Produktentstehung bis zur Vermarktung. Nur dann könne Deutschland ein bedeutender Innovationsstandort bleiben. Der Erfolg innovativer junger Unternehmen werde auch zum Erfolg der entsprechenden Börsensegmente führen, betonte Scheer. Erfolgsentscheidend sei überdies die Bereitschaft zum „lebenslangen Lernen“. Dies unterstrich auch Verbandsdirektor Walter Weinkauf, der bei dieser Gelegenheit das E-Learning-Programm der Volksbanken und Raiffeisenbanken „VR-Bildung“ vorstellte.

Heinrich Baumgartner begann seine Laufbahn als KfZ-Meister in einer kleinen Werkstatt mit drei Mitarbeitern. Heute ist er Vorstandschef der BBS Kraftfahrzeugtechnik AG, einem der weltweit führenden Hersteller von Felgen für Rennwagen. Einer seiner bekanntesten Kunden: Ferrari samt Michael Schumacher. Als Erfolgsfaktor nannte Baumgartner die starke Wettbewerbsorientierung seines Unternehmens, erreicht durch eine gezielte Ausrichtung an Spitzenleistungen.

„Weltraum auf der Erde“

Auf prominente Kunden kann auch der Bleistiftproduzent Faber-Castell AG verweisen. Die Liste reicht von van Gogh bis hin zum Modedesigner Lagerfeld. Vorstandsvorsitzender Anton Wolfgang Graf von Faber-Castell bezeichnete als Erfolgsfaktoren seines Unternehmens unter anderem die flache Organisation, verbunden mit Entwicklungsmöglichkeiten der einzelnen Mitarbeiter. Trotz der internationalen Ausrichtung seines Unternehmens glaubt Graf von Faber-Castell an den Standort Deutschland „mit seinen exzellenten Arbeitskräften“ und der Bedeutung des Labels „Made in Germany“.

„Wir schaffen das Weltall auf die Erde“. So beschrieb Wolfgang Dondorf, Vorstandsvorsitzender der Pfeiffer Vacuum Technology AG, die Kernkompetenz seines Unternehmens: die Herstellung von Vacuum-Verhältnissen, wie sie bei der Produktion von Mikroprozessoren oder bei der Verpackung von Kartoffelchips gebraucht werden. Erfolgreich ist das Unternehmen nicht nur in Deutschland, sondern auch an der US-Börse. Dondorf lobte die Partnerschaft in mittelständischen Unternehmen. Deren Mitarbeiter seien daher auch weniger empfänglich für die Vorstellungen der Gewerkschaften.

Aus der Not geboren wurde das Erfolgskonzept des Haushaltsgeräteherstellers Vorwerk & Co. Dr. Jörg Mittelsten Scheid, persönlich haftender Gesellschafter des Unternehmens, berichtete von den anfänglichen Schwierigkeiten, die Vorwerk-Staubsauger über den Handel zu vertreiben. Dies war der Beginn des bis heute erfolgreichen Direktvertriebs. Mittelsten Scheid betonte darüber hinaus die Bedeutung von Familienunternehmen, in denen Skandale wie in einigen amerikanischen Aktiengesellschaften kaum vorkommen könnten.

Zum Ende des Wirtschaftstages berichteten Matthias Berger, Bürgermeister der Stadt Grimma, und Dr. Fred Urban, Geschäftsführer des Hotels Kloster Nimb-schen in Grimma, in sehr persönlichen Worten über die Flutkatastrophe im vergangenen August. Berger empfahl, die Katastrophe auch als Chance für Veränderungen zu sehen: „Wir haben selbst reagiert und unkonventionell gehandelt. Vielleicht sollten wir dies ein Stück weit in den Alltag übertragen“.

Quelle und Kontaktadresse:
Genossenschaftsverband Frankfurt e.V. Wilhelm-Haas-Platz 63263 Neu-Isenburg Telefon: 069/6978-191 Telefax: 069/6978-427

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