Pressemitteilung | Institut Arbeit und Technik

Tarifparteien der Metallindustrie: Mitglieder- und Einflussverlust? / Institut Arbeit und Technik untersuchte Tarifbindung, Organisationsentwicklung und Strategien der Arbeitgeberverbände

(Gelsenkirchen) - Kann das deutsche System der industriellen Beziehungen noch funktionieren, wenn die Tarifpartner – Gewerkschaften wie Arbeitgeberverbände – stetig Mitglieder verlieren, Unternehmen aus der Tarifbindung aussteigen und Flächentarifverträge immer weiter geöffnet werden? Dieser Frage ging das Institut Arbeit und Technik im Auftrag der IG Metall nach und untersuchte in einer soeben erschienenen Studie die Entwicklung von Tarifbindung, Organisation und Strategiebildung vier ausgewählter Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie.

Der Organisationsgrad der Metall-Arbeitgeberverbände in Deutschland liegt aktuell nur noch bei 22,5 Prozent (25,5 Prozent West, 7,6 Prozent Ost), während in den 70er Jahren über die Hälfte der westdeutschen Metallunternehmen (57 Prozent) in einem Arbeitgeberverband organisiert waren. Bezogen auf die Beschäftigten ist der Organisationsgrad von 76,4 Prozent im Jahr 1980 auf 58,5 Prozent 2003 gesunken, in Ostdeutschland von über 65 Prozent 1991 auf nur noch 21,5 Prozent im Jahr 2003 förmlich eingebrochen. Gründe für diese Entwicklung sehen die IAT-Wissenschaftler zum einen in der wachsenden Interessendifferenz zwischen Klein- und Großunternehmen. Die Verbände haben offensichtlich Schwierigkeiten, die Interessen der kleinen und mittelständischen Unternehmen noch hinreichend zu vertreten und diese damit an das System der Flächentarifverträge zu binden. Zum anderen hat auch die IG Metall einen wachsenden Mitgliederverlust zu beklagen, so dass sie in Tarifauseinandersetzungen immer weniger betriebspolitische Gegenmacht aufbieten können.

Die Arbeitgeberverbände reagierten auf die rückläufige Mitgliederentwicklung erstens mit der organisationspolitischen Strategie der Gründung von Arbeitgeberverbänden ohne Tarifbindung (OT-Verbände), sodass unterschiedliche Verbände für unterschiedliche Interessengruppen entstehen konnten. Zweitens wurde die tarifpolitische Strategie der Dezentralisierung der kollektivvertraglichen Regulierung der Arbeitsbedingungen und der Öffnung der Flächentarifverträge eingeschlagen.

In der Folge könnte dies insgesamt zur Schwächung des Systems der industriellen Beziehungen in Deutschland führen. Insbesondere die Arbeitgeberverbände in der Metall- und Elektroindustrie nehmen nicht zuletzt aufgrund der oft praktizierten Tarifführerschaft dieser Branche eine exponierte Rolle ein. Einerseits wird eine weitreichende Öffnung der Flächentarifverträge zugunsten betrieblicher Regelungen als notwendiger "Reformschritt" für "concession bargaining" im globalen Wettbewerb gefordert. Andererseits kommen die Arbeitgeberverbände ihrer organisations- und ordnungspolitischen Funktion immer weniger nach. Deutlichster Ausdruck dafür ist der Rückgang der Flächentarifvertragsbindung der Unternehmen und die Gründung von OT-Verbänden ("ohne Tarif") in allen regionalen Gliederungen der Metallarbeitgeberverbände.

Trotz der bisherigen und noch anstehenden gravierenden Veränderungen halten die IAT-Wissenschaftler die vollständige Dezentralisierung der industriellen Beziehungen und eine gänzliche Erosion des Flächentarifvertrags für wenig wahrscheinlich. Zu erwarten sei vielmehr eine „spannungsreiche Koexistenz“ der beiden „Welten“ tarifgebundener und ohne Tarif organisierter Unternehmen. Solange Gewerkschaften in wichtigen und großen Betrieben über die Betriebsräte betriebspolitischen Einfluss haben, wird es keine Flucht der Großunternehmen aus der Fläche geben. Den Gewerkschaften ist anzuraten ihre Mitgliederbasis und damit ihre Position in den Betrieben zu stärken. Dann könnten die Unternehmen vielleicht auch ein neues Interesse an den Arbeitgeberverbänden als Tarifparteien entdecken, weil sie dann die befriedende und ordnende Funktion zentraler Regulierungen auf neue Weise schätzen lernen würden.

Quelle und Kontaktadresse:
Institut Arbeit und Technik Pressestelle Munscheidstr. 14, 45886 Gelsenkirchen Telefon: (0209) 17070, Telefax: (0209) 1707110

(sk)

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