Verbändereport AUSGABE 9 / 2004

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften

Organisation, Klagearten und Verfahren

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Der Gerichtshof ist nicht nur zentrales Element des europäischen Rechtsschutzsystems, sondern er hat sich mit bahnbrechenden Entscheidungen auch in Stagnationsphasen der europäischen Entwicklung als „Integrationsmotor“ erwiesen. Der Beitrag erläutert Aufbau und Verfahrensweisen des Europäischen Gerichtshofes.

Organisation

Die Einzelheiten zum organisatorischen Aufbau des Europäischen Gerichtshofes und zu den Verfahren sind im EG-Vertrag, dem Statut des Gerichtshofes sowie in den Verfahrensordnungen enthalten.

Der Gerichtshof besteht aus fünfundzwanzig Richtern und acht Generalanwälten. Die Richter und Generalanwälte werden von den Regierungen der Mitgliedstaaten im gegenseitigen Einvernehmen auf sechs Jahre ernannt; ihre Wiederernennung ist zulässig. Die Richter des Gerichtshofes wählen aus ihrer Mitte für die Dauer von drei Jahren den Präsidenten des Gerichtshofes; auch deren Wiederwahl ist zulässig.

Der Präsident leitet die rechtsprechende Tätigkeit und die Verwaltung des Gerichtshofes; er führt in den größeren Spruchkörpern den Vorsitz in den Sitzungen und bei den Beratungen.

Die Generalanwälte unterstützen den Gerichtshof bei der Erfüllung seiner Aufgaben. Er ist in gewisser Weise dem „Vertreter des öffentlichen Interesses“ nach der Verwaltungsgerichtsordnung vergleichbar. Die Generalanwälte stellen in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit öffentliche Schlussanträge zu allen Rechtssachen, soweit der Gerichtshof nicht in einer Rechtssache, die keine neuen Rechtsfragen aufwirft, etwas anderes entscheidet.

Der Gerichtshof kann in unterschiedlicher Zusammensetzung Recht sprechen. Er kann als

  • Plenum (15 Richter)
  • Große Kammer (13 Richter) oder
  • Kammer (3 oder 5 Richter)

entscheiden.

Der Gerichtshof tagt als Große Kammer, wenn ein Mitgliedstaat oder ein Gemeinschaftsorgan als Partei des Verfahrens dies beantragt sowie in besonders komplexen oder bedeutsamen Rechtssachen. In den übrigen Rechtssachen entscheiden die Kammern mit drei oder fünf Richtern.

Die Präsidenten der Kammern mit fünf Richtern werden für drei Jahre gewählt, die Präsidenten der Kammern mit drei Richtern für ein Jahr.

In besonderen Fällen, die im EG-Vertrag abschließend aufgezählt sind, oder der Gerichtshof feststellt, dass eine Rechtssache von außergewöhnlicher Bedeutung ist, tagt er als Plenum. Das Quorum für das Plenum beträgt fünfzehn Richter. Die im Vertrag genannten Ausnahmefälle sind beispielsweise die Amtsenthebung des Europäischen Bürgerbeauftragten oder eines Mitglieds der Europäischen Kommission, das seine Amtpflichten verletzt hat.

Kanzleien und Verwaltung

Der Gerichtshof ernennt auf sechs Jahre einen Kanzler. Der Kanzler nimmt vergleichbare Aufgaben der Justizverwaltung wahr wie der leitende Urkundsbeamte der Geschäftsstelle eines nationalen Gerichts, ist aber zugleich Generalsekretär des Gerichtshofes. Der Gerichtshof verfügt neben der Kanzlei über einen eigenen umfangreichen Sprachendienst, da der Gerichtshof bei der Erfüllung seiner Aufgaben sämtliche Amtssprachen der Union benutzt.

Zuständigkeiten

Aufgabe des Gerichtshofes ist es, die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Gründungsverträge sowie des Sekundärrechts zu sichern. Der Gerichtshof ist unter anderem für die Entscheidung über Nichtigkeits- oder Untätigkeitsklagen eines Mitgliedstaats oder eines Organs, Vertragsverletzungsklagen gegen Mitgliedstaaten, Vorabentscheidungsersuchen und Rechtsmittel gegen die Entscheidungen des Gerichts erster Instanz zuständig.

Die einzelnen Klagearten:

Vertragsverletzungsklage

In diesem Verfahren prüft der Gerichtshof, ob die Mitgliedstaaten ihren gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen nachgekommen sind.

Der Anrufung des Gerichtshofes geht ein von der Kommission eingeleitetes Vorverfahren voraus, das dem Mitgliedstaat Gelegenheit gibt, sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern. Wenn dieses Verfahren nicht zur Abstellung der Vertragsverletzung durch den Mitgliedstaat führt, kann eine Vertragsverletzungsklage beim Gerichtshof erhoben werden. Diese Klage kann entweder von der Kommission — dies ist in der Praxis der häufigste Fall — oder von einem anderen Mitgliedstaat erhoben werden. Stellt der Gerichtshof die behauptete Vertragsverletzung fest, so ist der betreffende Staat verpflichtet, sie unverzüglich abzustellen. Stellt der Gerichtshof nach einer erneuten Anrufung durch die Kommission fest, dass der betreffende Mitgliedstaat seinem Urteil nicht nachgekommen ist, so kann er ihm auf Antrag der Kommission die Zahlung eines Pauschalbetrags oder Zwangsgelds auferlegen.

Nichtigkeitsklage (Art. 230 EGV)

Mit der Nichtigkeitsklage beantragen Kläger die Nichtigerklärung von Rechtshandlungen eines EG-Organs (Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen). Die Nichtigkeitsklage kann von den Mitgliedstaaten, den Gemeinschaftsorganen (Parlament, Rat, Kommission) und von Einzelpersonen (natürliche und juristische Personen) erhoben werden. Einzelpersonen müssen darlegen, dass die Rechtshandlung an sie gerichtet ist oder dass sie davon unmittelbar und individuell betroffen sind.

Untätigkeitsklage (Art. 232 EGV)

In diesem Verfahren prüfen der Gerichtshof und das Gericht die Rechtmäßigkeit der Untätigkeit eines Gemeinschaftsorgans. Die Klage kann jedoch erst erhoben werden, nachdem das Organ zum Tätigwerden aufgefordert wurde. Wird festgestellt, dass die Unterlassung rechtwidrig war, obliegt es dem betreffenden Organ, die Untätigkeit durch geeignete Maßnahmen zu beenden.

Schadensersatzklage (Art. 235, 288 EGV)

Bei dieser Klage, mit der die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft geltend gemacht wird (Art. 288), hat das Gericht darüber zu entscheiden, ob die Gemeinschaft für Schäden aufzukommen hat, die ihre Organe oder Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit Bürgern oder Unternehmen zugefügt haben.

Rechtsmittel

Schließlich können beim Gerichtshof auf Rechtsfragen beschränkte Rechtsmittel gegen Urteile des Gerichts erster Instanz eingelegt werden. Ist das Rechtsmittel zulässig und begründet, hebt der Gerichtshof die Entscheidung des Gerichts erster Instanz auf. Wenn die Rechtssache spruchreif ist, kann der Gerichtshof den Rechtsstreit entscheiden. Andernfalls muss er die Rechtssache an das Gericht zurückverweisen, das an die Rechtsmittelentscheidung gebunden ist.

Vorabentscheidungsersuchen

Dem Vorabentscheidungsverfahren kommt im Gemeinschaftsrecht besondere Bedeutung zu. Der Gerichtshof ist zwar seinem Wesen nach der oberste Hüter des Rechts in der Gemeinschaft, nicht aber das einzige Gericht, das das Gemeinschaftsrecht anwendet. Diese Aufgabe obliegt auch den nationalen Gerichten, als die Durchführung des Gemeinschaftsrechts, die im Wesentlichen Sache der mitgliedstaatlichen Verwaltungsorgane ist, ihrer Kontrolle unterworfen bleibt und viele Bestimmungen der Verträge und des abgeleiteten Rechts (Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen) den Bürgern der Mitgliedstaaten unmittelbar Rechte verleihen, die die nationalen Gerichte zu gewährleisten haben.

Somit sind die Gerichte der Mitgliedstaaten ihrem Wesen nach die ersten Garanten des Gemeinschaftsrechts. Um eine wirksame und einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen und divergierende Auslegungen zu verhindern, können (und müssen mitunter) nationale Gerichte sich an den Gerichtshof wenden und ihn um eine Auslegung des Gemeinschaftsrechts bitten, um etwa die Vereinbarkeit ihrer nationalen Rechtsvorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht prüfen zu können.

Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens kann auch die Prüfung der Gültigkeit eines Gemeinschaftsrechtsakts sein. Der Gerichtshof antwortet nicht mit einem einfachen Gutachten, sondern durch Urteil oder mit Gründen versehenen Beschluss. Das nationale Gericht, an das das Urteil oder der Beschluss gerichtet ist, ist an die Auslegung des Gerichthofes gebunden. In gleicher Weise bindet das Urteil des Gerichtshofes andere nationale Gerichte, die mit demselben Problem befasst werden.

Das Vorabentscheidungsersuchen bietet ferner jedem Unionsbürger die Möglichkeit, den genauen Inhalt der ihn betreffenden Normen des Gemeinschaftsrechts feststellen zu lassen. Zwar können nur nationale Gerichte den Gerichtshof mit einem solchen Ersuchen befassen, doch können im Verfahren vor dem Gerichtshof alle Beteiligten, wie zum Beispiel die Mitgliedstaaten und die Parteien des Ausgangsverfahrens vor dem nationalen Gericht und die Kommission, Erklärungen abgeben. Vorabentscheidungsverfahren haben sich in der Vergangenheit als wesentlicher Motor zur Weiterentwicklung des Gemeinschaftsrechts erwiesen.

Verfahren

Das Verfahren vor dem Gerichtshof ähnelt weitgehend den Verfahren vor den Gerichten der Mitgliedsstaaten. Es umfasst stets eine schriftliche und meist auch eine mündliche Phase mit öffentlicher Verhandlung.

Deutlich muss jedoch zwischen dem Verfahren in Klagesachen und dem Vorabentscheidungsverfahren unterschieden werden. Zunächst wird das Verfahren in Klagesachen dargestellt; ihm schließt sich eine Darstellung des Ablaufs des Vorabentscheidungsverfahrens an.

Das Verfahren in Klagesachen:

Klageerhebung

Die Anrufung des Gerichtshofes erfolgt durch eine an die Kanzlei zu richtende Klageschrift. Die Klage wird nach ihrem Eingang in das Register der Kanzlei eingetragen. Der Kanzler lässt eine Mitteilung über die Klage einschließlich der Klageanträge und -gründe im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichen. Es werden ein Berichterstatter und ein Generalanwalt zur weiteren Behandlung der Rechtssache bestimmt. Zugleich wird die Klageschrift dem Beklagten zugestellt, der innerhalb eines Monats eine Klagebeantwortung einzureichen hat.

Es können dann noch eine Erwiderung des Klägers (Replik) und eine Gegenerwiderung (Duplik) des Beklagten folgen, die jeweils innerhalb eines Monats einzureichen sind. Die Fristen sind einzuhalten, soweit sie nicht vom Präsidenten ausdrücklich verlängert werden.

Beweisaufnahme und Sitzungsbericht

Mit Ende des schriftlichen Verfahrens werden die Parteien aufgefordert, innerhalb eines Monat mitzuteilen, ob sie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragen. Der Gerichthof entscheidet aufgrund des Berichts des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts, ob für die Rechtssache eine Beweisaufnahme erforderlich ist und welchem Spruchkörper die Rechtssache zugewiesen wird.

Der Präsident bestimmt den Termin für die mündliche Verhandlung. Der Berichterstatter fasst in einem Sitzungsbericht das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Parteien und gegebenenfalls der Streithelfer zusammen. Dieser Bericht wird der Öffentlichkeit im Rahmen der mündlichen Verhandlung in der Verfahrenssprache zugänglich gemacht.

Mündliche Verhandlung und Schlussanträge des Generalanwalts

In der mündlichen Verhandlung tragen die Parteien in zusammenfassender Form ihre Ausführungen vor. Die Richter und der Generalanwalt können den Parteien die Fragen stellen, die sie für zweckdienlich erachten. In einer weiteren mündlichen Verhandlung — meist einige Wochen nach dem ersten Termin - hält der Generalanwalt seine Schlussanträge. Darin geht er vor allem auf die rechtlichen Fragen des Rechtsstreits ein und schlägt dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit eine Entscheidung vor. Damit endet die mündliche Verhandlung.

Beratung und Urteil

Anschließend berät das Gericht den vom Berichterstatter erstellten Urteilsentwurf. Jeder Richter kann Änderungen vorschlagen. Nach Fertigstellung wird das Urteil in öffentlicher Sitzung verkündet.

Vorabentscheidungsverfahren

Ein nationales Gericht legt dem Gerichtshof Fragen zur Auslegung oder zur Gültigkeit einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts vor, deren Beantwortung für das Ausgangsverfahren entscheidungserheblich ist. Das Vorabentscheidungsersuchen wird zunächst in alle anderen Amtssprachen der Gemeinschaft übersetzt und anschließend vom Kanzler den Parteien des Ausgangsverfahrens sowie den Mitgliedstaaten und den Organen zugestellt.

Der Kanzler lässt eine Mitteilung im Amtsblatt veröffentlichen, in der die Parteien des Ausgangsverfahrens und der Inhalt der Fragen angegeben werden. Die Parteien, die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaftsorgane können binnen zwei Monaten schriftliche Erklärungen beim Gerichtshof einreichen. Das weitere Verfahren stimmt mit dem in Klagesachen überein.

Sofern eine mündliche Verhandlung stattfindet, können alle zur Abgabe schriftlicher Erklärungen Berechtigten ihre Auffassung auch in der mündlichen Verhandlung darlegen. Nachdem Stellung der Schlussanträge durch den Generalanwalt und erfolgter Beratung durch das Gericht wird das Urteil in öffentlicher Sitzung verkündet und vom Kanzler dem vorlegenden Gericht, den Mitgliedstaaten und den betroffenen Organen übermittelt.

Besondere Verfahren:

Entscheidung durch mit Gründen versehenen Beschluss

Stimmt eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage mit einer Frage überein, zu der der Gerichtshof sich bereits geäußert hat oder lässt die Beantwortung der Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel oder kann sie aus der Rechtsprechung abgeleitet werden, so kann der Gerichtshof unter Verweis auf das zu dieser Frage bereits ergangene Urteil oder auf die fragliche Rechtsprechung durch einen mit Gründen versehenen Beschluss entscheiden. Zuvor unterrichtet er das vorlegende nationale Gericht und gibt den Beteiligten sowie dem Generalanwalt Gelegenheit zur Äußerung.

Einstweilige Anordnung

Die einstweilige Anordnung ist auf Aussetzung des Vollzugs von Maßnahmen eines Organs oder auf jede andere vorläufige Maßnahme gerichtet, die erforderlich ist, um den Eintritt eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens zu verhindern. Der Antrag auf einstweilige Anordnung ist akzessorisch zum Verfahren in der Hauptsache.

Beschleunigtes Verfahren

Das beschleunigte Verfahren ermöglicht es dem Gerichtshof, in ganz besonders dringlichen Fällen eine schnelle Entscheidung zu treffen. Es ist Sache des Präsidenten des Gerichtshofes, auf Antrag einer der Parteien und nach Anhörung der anderen Parteien zu entscheiden, ob eine besondere Dringlichkeit den Rückgriff auf das beschleunigte Verfahren rechtfertigt. Ein beschleunigtes Verfahren ist auch für Vorabentscheidungsersuchen vorgesehen. In diesem Fall stellt das vorlegende nationale Gericht den Antrag.

Urteile

Die Entscheidungen des Gerichtshofes werden mit Stimmenmehrheit gefasst. Abweichende Meinungen werden nicht bekannt gegeben. Die Urteile werden von allen Richtern unterzeichnet, die an der Beratung teilgenommen haben, und in öffentlicher Sitzung verkündet. Jeweils am Tag der Verkündung der Urteile und der Verlesung der Schlussanträge der Generalanwälte sind diese Dokumente auf der Website des Gerichtshofes in allen Amtssprachen der Union verfügbar. Sie werden außerdem in der Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes veröffentlicht.

Verfahrenssprache

Als Verfahrenssprache kann eine der zwanzig Amtssprachen der Union gewählt werden. Sie wird grundsätzlich vom Kläger gewählt. Ist die beklagte Partei ein Mitgliedstaat oder eine natürliche oder juristische Person, die einem Mitgliedstaat angehört, so ist die Amtssprache dieses Mitgliedstaats Verfahrenssprache. Bestehen in einem Mitgliedstaat mehrere Amtssprachen, so kann der Kläger zwischen ihnen wählen. In Vorabentscheidungsverfahren ist die Sprache des vorlegenden Gerichts Verfahrenssprache.

Prozesskostenhilfe

Ist eine Partei außerstande, die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise zu bestreiten, so kann ihr auf Antrag Prozesskostenhilfe gewährt werden. Mit dem Antrag sind Unterlagen einzureichen, aus denen sich die Bedürftigkeit ergibt. Die Kammer, der der Berichterstatter angehört, entscheidet über die Gewährung der Prozesskostenhilfe.

Schema eines Verfahrens vor dem Gerichtshof:

Das Gericht erster Instanz (EuG)

Das Gericht besteht aus fünfundzwanzig Richtern, wobei jeder Mitgliedsstaat mindestens einen Richter stellt. Die Richter werden von den Regierungen der Mitgliedstaaten im gegenseitigen Einvernehmen für eine sechsjährige Amtszeit gewählt, die verlängert werden kann. Die Mitglieder des Gerichts bestimmen aus ihrer Mitte ihren Präsidenten für einen Zeitraum von drei Jahren, der verlängert werden kann. Bei dem Gericht gibt es keine Generalanwälte.

Mit der (nachträglichen) Einrichtung des Gerichts 1. Instanz im Jahre 1989 wurden die Grundlagen für ein zweistufiges Gerichtssystem gelegt, da gegen alle im ersten Rechtszug vom Gericht entschiedenen Rechtssachen beim Gerichtshof ein Rechtsmittel eingelegt werden kann, das jedoch auf die Klärung von Rechtsfragen beschränkt (also im überkommenen deutschen Prozessrechtsverständnis keine Berufung) ist.

Voll- und Kammersitzungen

Das Gericht tagt in Kammern mit drei oder mit fünf Richtern oder in bestimmten Fällen als Einzelrichter. Es kann außerdem bei besonders bedeutsamen Rechtssachen als Große Kammer oder als Plenum tagen.

Kanzler und Verwaltung

Das Gericht erster Instanz ernennt seinen eigenen Kanzler. Der Kanzler wird von den Richtern des Gerichts für eine Amtszeit von sechs Jahren ernannt. Für seine Verwaltung nutzt das Gericht die Ressourcen des Gerichtshofes.

Zuständigkeiten

Wie der Gerichtshof hat das Gericht erster Instanz die Aufgabe, die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Gründungsverträge der Europäischen Gemeinschaften und der von den zuständigen Gemeinschaftsorganen erlassenen Vorschriften zu sichern.

Direkte Klagen

Hierbei handelt es sich um Klagen natürlicher oder juristischer Personen gegen die Gemeinschaftsorgane.

Gegenstand der Klagen

Sie können sich auf alle Politikfelder der Gemeinschaft beziehen. Beispielsweise:

  • Landwirtschaft
  • Staatliche Beihilfen
  • Wettbewerb
  • Handelspolitik
  • Regionalpolitik
  • Sozialpolitik
  • Institutionelles Recht
  • Markenrecht
  • Verkehr
  • Beamtenstatut

Nichtigkeitsklagen

(gegen Handlungen der Gemeinschaftsorgane)

Untätigkeitsklagen
(gegen Unterlassungen der Gemeinschaftsorgane)

Schadensersatzklagen
(auf Ersatz des durch eine Handlung oder rechtswidrige Unterlassung eines Gemeinschaftsorgans verursachten Schadens)

Klagen wegen vertraglicher Haftung

(Rechtsstreitigkeiten, die mit der Gemeinschaft geschlossene öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Verträge betreffen)

Klagen im Bereich des öffentlichen Dienstes

(Rechtsstreitigkeiten zwischen der Gemeinschaft und ihren Beamten und sonstigen Bediensteten)

Das Gericht entscheidet auch in Rechtsstreitigkeiten über von der Gemeinschaft geschlossene öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Verträge betreffen, wenn diese eine Schiedsklausel enthalten. Gegen seine Urteile kann beim Gerichtshof ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel eingelegt werden.

Seit seiner Gründung im Jahre 1989 bis zum 31. Dezember 2003 hat das Gericht 3.821 Rechtssachen entschieden.

Verfahren vor dem Gericht erster Instanz

Das Gericht verfügt über eine eigene Verfahrensordnung. Das Verfahren vor dem Gericht umfasst grundsätzlich ein schriftliches Verfahren und ein mündliches Verfahren. Das Verfahren läuft in der vom Kläger gewählten Sprache ab.

Zu Beginn bestimmt der Präsident einen Berichterstatter, der gewissermaßen der „Prozessmanager“ ist. Nach dem schriftlichen Verfahren und einer eventuellen Beweisaufnahme wird in öffentlicher Sitzung mündlich verhandelt. Die Erörterungen werden simultan in mehrere Amtssprachen der Europäischen Union übersetzt.

Die Tätigkeit eines Generalanwalts kann in einer beschränkten Zahl von Rechtssachen von einem zu diesem Zweck bestimmten Richter ausgeübt werden. Die Richter beraten den vom Berichterstatter ausgearbeiteten Entwurf; das Urteil wird öffentlich verkündet.

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Kurzfassung:

Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH / CJEU / CJCE)
Cour de Justice des Communautés Européennes; Court of Justice of the European Community

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ist zuständig für die Auslegung und Überwachung der Anwendung des Gemeinschaftsrechts; Streitigkeiten zwischen Gemeinschaftsorganen, zwischen Mitgliedstaaten und zwischen Gemeinschaftsorganen und Mitgliedstaaten; Vorabentscheidungsersuchen nationaler Gerichte, die Zweifel an der Gültigkeit eines Rechtakts der Gemeinschaft oder in Bezug auf die Auslegung von Rechtsakten der Gemeinschaft haben. Er besteht aus 15 Richtern und 8 Generalanwälten. Die Amtszeit beträgt 6 Jahre. Das dem Europäischen Gerichtshof beigeordnete Gericht erster Instanz ist zuständig für Klagen natürlicher und juristischer Personen gegen die Gemeinschaftsorgane; Streitigkeiten, die den öffentlichen Dienst der Gemeinschaft betreffen. Das Urteil wird in alle Amtssprachen übersetzt. Das Gemeinschaftsrecht hat Vorrang vor dem nationalen Recht und gilt in den Mitgliedstaaten unmittelbar. (Besucherorganisation Fax:+352 4303 2099 od. 3656)

Sitz:
Boulevard Konrad Adenauer / Kirchberg Plateau
L-2925 Luxemburg
Telefon+352 / 43 03-1 (Zentrale)
Telefax+352 / 43 03-2600, -2500
eMail: info@curia.eu.int
http://www.curia.eu.int/de/index.htm

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Autor/in

Helmut Martell

ist Rechtsanwalt. Helmut Martell war Gründungsvorsitzender der DGVM und zwanzig Jahre ihr Stellvertretender Vorsitzender. Von 1997 bis 2014 fungierte er als Herausgeber des Verbändereport.