Verbändereport AUSGABE 2 / 2008

Entwarnung aus Karlsruhe: Keine Mitgliederhaftung bei Vereinen

Auswirkungen des BGH-Urteils für die Verbandspraxis

Logo Verbaendereport

Das Oberlandesgericht Dresden hatte in seinem Urteil vom 09.08.2005 (Az.: 2 U 897/04) für eine ganz erhebliche Verunsicherung bei den Entscheidungsträgern von Verbänden in der Rechtsform des eingetragenen Vereins gesorgt, weil hier eine persönliche Haftung von Vereinsmitgliedern bei einem überschaubaren Mitgliederkreis angenommen wurde, wenn diese erkannten größeren wirtschaftlichen Aktivitäten außerhalb des sogenannten Nebenzweckprivilegs des § 21 BGB nicht entgegengetreten sind, sondern diese im Grunde geduldet haben. Für eine solche rechtsfortbildende Haftung sieht der Bundesgerichtshof kein Bedürfnis und im geltenden Recht auch keine Grundlage. Vielmehr reichen nach Meinung des BGH die schon bisher gesetzlich vorgesehenen Amtslöschungstatbestände aus, um eingetragenen Vereinen, die sich außerhalb des zulässigen Umfangs im Nebenzweckprivileg wirtschaftlich betätigen, rechtlich zu begegnen.

„Einer solchen – ex tunc wirkenden – Durchgriffshaftung der Mitglieder eines Idealvereins für den Fall eines Vereinsklassenwechsels durch bewusste Überschreitung des Nebenzweckprivilegs steht entgegen, dass von Gesetzes wegen als Sanktion für eine derartige zweckwidrige unternehmerische Betätigung des eingetragenen Vereins allein das Amtslöschungsverfahren gemäß §§ 159, 142 FGG oder die behördliche Entziehung der Rechtsfähigkeit nach § 43 Absatz 2 BGB in Betracht kommt.“

Nach den genannten Normen kann vonseiten der Gerichte oder der staatlichen Aufsichtsbehörden eingeschritten werden, wenn eingetragene Vereine ihre wirtschaftlichen Aktivitäten in einem Ausmaß führen, welches durch das sogenannte Nebenzweckprivileg nicht mehr gedeckt ist. Dies wird vom Bundesgerichtshof als ausreichende Sanktion angesehen. Insoweit kann also für die Kernfrage des Rechtsstreits „Kolping“ Entwarnung gegeben werden:

Das Haftungsrisiko wegen unzulässiger wirtschaftlicher Aktivität wird nicht auf die Mitglieder des eingetragenen Vereins übertragen!

Kein obiter dictum

Leider hat der Bundesgerichtshof sich nicht mehr – auch nicht in einem sogenannten Obiter Dictum – zu der für die Praxis relevanten Frage geäußert, wie das Nebenzweckprivileg im Sinne des § 21 BGB eigentlich zu bestimmen ist. In der Praxis gibt es keine Messschnur dafür, in welchem Verhältnis wirtschaftliche Aktivitäten zu den ideellen Aktivitäten des Vereins stehen. Klar ist nur, dass diese -wirtschaftlichen Aktivitäten den ideellen Aktivitäten untergeordnet sein müssen. Nach welchen Maßstäben diese zu bestimmen sind oder wie ein solcher Umfang etwa prozentual anzunehmen ist, bleibt ungeklärt. Im Gegenteil hält auch der Bundesgerichtshof die Frage der Bestimmung des Nebenzweckprivilegs für schwierig.

„Dies gilt umso mehr, als die rechtliche Einordnung, ob eine bestimmte wirtschaftliche Betätigung sich noch im Rahmen des Nebenzweckprivilegs hält oder dieses bereits überschreitet, im Einzelfall schwierig und dem einzelnen Mitglied kaum zuverlässig möglich ist. Das Vereinsmitglied darf sich dann aber grundsätzlich darauf verlassen, dass die Klärung einer evtl. Überschreitung des Nebenzweckprivilegs – sei es von Amts wegen oder auf Anregung eines Gläubigers – in dem dafür vorgesehenen Verfahren nach §§ 43 Absatz 2, 44 BGB stattfindet und es nicht nachträglich und rückwirkend einer persönlichen Haftung für Zeiträume ausgesetzt sieht, auf die es keinen Einfluss mehr nehmen kann.“

Der Bundesgerichtshof konnte im vorliegenden Streitfall die Öffentlichkeit mit dieser Feststellung zurücklassen, da es für den Streitfall überhaupt nicht darauf ankam, ob das Nebenzweckprivileg überschritten war oder nicht. Schon die Grundlage der Haftung war abzulehnen. Für die Vereins-praxis bleibt damit weiter ungeklärt, wie eigentlich wirksam und gesetzeskonform wirtschaftliche Aktivitäten eines Vereins gestaltet werden können.

Beteiligung an einer Service-GmbH

Auch eine weitere, für die Praxis in größeren Verbänden geradezu typische Fragestellung bleibt in dem Urteil offen. Begründet das Halten einer Beteiligung etwa an einer Service-GmbH bei dem Verein selbst eine unzulässige wirtschaftliche Aktivität?

Genau in dieser Fragestellung liegt ganz erheblich praktische Brisanz, da in vielen größeren Verbänden – sei es bei gemeinnützigen Verbänden oder bei Berufs- und Wirtschaftsverbänden – zumeist aus steuerlichen oder betriebswirtschaftlichen Gründen erkannte wirtschaftliche Aktivitäten in sogenannte Service-Gesellschaften ausgegliedert werden. Dies führt dazu, dass die eingetragenen Idealvereine selbst keine wirtschaftlichen Aktivitäten mehr ausführen, sondern dies eben in einer dafür vorgesehenen Kapitalgesellschaft zumeist in der Rechtsform der GmbH geschieht, die rein gesellschaftsrechtlich betrachtet keinerlei Restriktionen in der Ausübung wirtschaftlicher Aktivitäten hat. Der Bundesgerichtshof hatte am 29.09.1982 in der sogenannten ADAC-Entscheidung geurteilt, dass das Halten einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft bei dem Verein selbst nicht zu einer wirtschaftlichen Aktivität führt. Im Kern kann also die wirtschaftliche Betätigung durch die Kapitalgesellschaft dem Verein nicht zugerechnet werden. Damit hat der Bundesgerichtshof die das gesamte Gesellschaftsrecht prägende sogenannte Trennungstheorie herangezogen und festgestellt, dass die Aktivität in einer juristischen Person (Servicegesellschaft) grundsätzlich einer anderen juristischen Person (Trägerverein) nicht zugerechnet werden kann. Dieses Urteil ist aber gerade in der jüngeren vereinsrechtlichen Literatur ganz und gar nicht unumstritten (vgl. etwa Reuter, Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage 2006, § 21 BGB, Rn. 50).

Keine rechtsfortbildende Mitgliederhaftung

Damit ist jedenfalls nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs die besondere, durch das Oberlandesgericht Dresden entwickelte Rechtsfigur einer rechtsfortbildenden Mitgliederhaftung vom Tisch. Zu diskutieren sind dann auch bei Vereinen letztlich die allgemeinen Haftungsgrundsätze. Der Bundesgerichtshof weist jedoch darauf hin, dass die sogenannte Existenzvernichtungshaftung von Gesellschaftern etwa bei der GmbH bei eingetragenen Idealvereinen auf der Basis des neuen Haftungskonzepts im Urteil „Trihotel“ vom 16. Juli 2007 (Az.: II ZR 3/04) aufgrund der grundlegenden strukturellen Unterschiede zwischen der GmbH und dem Idealverein nicht in Betracht kommt. Sittenwidrige Schädigungen kommen dabei bei Idealvereinen nach dem jetzigen Urteil etwa in Betracht, wenn Mitglieder in das zweckgebundene Vereinsvermögen eingreifen und sich rechtsmissbräuchlich „selbst bedienen“.

Was heißt dies nun für die Verbandspraxis

Zunächst kann sicherlich aufgeatmet werden, da der Bundesgerichtshof das Modell der Mitgliederhaftung des OLG Dresden verworfen hat. Dieses Mitgliederhaftungskonzept hat doch in der Verbands-praxis – sicherlich auch angeheizt durch eine in Einzelfällen zu verallgemeinernde Darstellung in der Literatur und Presse – einige Aufregung bei Verbandsmitgliedern verursacht. Mitglieder von rechtsfähigen (eingetragenen) Vereinen waren verunsichert, da der Eindruck entstanden war, eine persönliche Haftung für die Vereinsschulden käme in Betracht, wenn dieser sich – im Ergebnis wirtschaftlich erfolglos – mit wirtschaftlichen Aktivitäten beschäftigt. Dieses Risiko einer Mitgliederhaftung besteht in dieser Form nicht!

Zu der weiteren, für die Verbandspraxis ganz erheblichen Frage, wie das Nebenzweckprivileg, also das erlaubte Maß einer wirtschaftlichen Nebenbetätigung, zu bestimmen ist, schweigt das Urteil.

Gerade hierin liegt aber in der Praxis der wohl größte „Sprengstoff“ des Falles „Kolping“, da der Bundesgerichtshof und das Oberlandesgericht Dresden übereinstimmend darauf hingewiesen haben, dass für den Idealverein im Sinne des § 21 BGB nur in eingeschränktem Umfang wirtschaftliche Betätigungen erlaubt sind. Über das erlaubte Maß hinausgehende wirtschaftliche Betätigungen sind verboten und führen auch nach Meinung des Bundesgerichtshofs zu einem gesetzwidrigen Zustand, der in letzter Konsequenz ein Löschungsverfahren nach sich ziehen kann. Damit hängt das Damoklesschwert des Löschungsverfahrens über den Verbandsverantwortlichen, falls sie den „gesetzwidrigen“ Zustand erheblicher wirtschaftlicher Betätigung in einem Idealverein dulden oder zumeist gar initiieren. Dass sich hieraus unter Umständen für die Organe und Verbandsverantwortlichen die Gefahr einer persönlichen Haftung ergibt, hilft bei der Problemlösung nicht weiter.

Schlüsse für die Verbandspraxis

Insoweit soll der kurze Versuch unternommen werden, einige Schlüsse für die Verbandspraxis aus der „Kolping-Entscheidung“ des Bundesgerichtshofes zu ziehen: These 1: Wirtschaftliche Aktivitäten außerhalb des sogenannten Nebenzweckprivilegs des § 21 BGB sind unzulässig und rufen ggf. Gerichte und Behörden im Sinne eines Löschungsverfahrens auf den Plan. Auch wenn bislang in der behördlichen und gerichtlichen Praxis die Löschungsverfahren in ganz seltenen Fällen zur Anwendung gelangt sind, muss nach der BGH-Entscheidung die Behördenpraxis beobachtet werden.

Derzeit gibt es in der Verbandspraxis im Grundsatz drei Grundtypen wirtschaftlich tätiger Idealvereine: Typus 1: Der Verein betätigt sich unternehmerisch – wie ein Kaufmann – an einem sogenannten äußeren Markt, das heißt einem Markt, dessen Teilnehmer über die Vereinsmitglieder hinausgehen. Es geht hier um das planmäßige Anbieten von wirtschaftlichen Leistungen durch den Verein. Entscheidend ist die Absicht, Umsätze zu erzielen; Gewinnerzielungsabsicht ist nicht Voraussetzung. Dies liegt etwa vor, wenn in einem größeren Umfang planmäßig Publikationen über den Mitgliederbereich hinaus vertrieben werden.

Typus 2: Der Verein erbringt planmäßig üblicherweise entgeltpflichtige Tätigkeiten auf einem inneren Markt, das heißt gegenüber seinen Mitgliedern. In diesen Fällen ist die Leistung des Vereins gegenüber den Mitgliedern für Letztere zumeist die entscheidende, wenn nicht einzige Motivation für den Beitritt zum Verein.

Typus 3: Der Verein ist eine Genossenschaft „im Vereinskleid“, das heißt, er erfüllt im quasigenossenschaftlichen Verbund wirtschaftliche Teilaufgaben seiner Mitglieder.

Dass Idealvereine mindestens dem Bild eines der genannten Typen entsprechen, dürfte – vorsichtig formuliert – sicher nicht die Ausnahme sein.

Ein häufig anzutreffender Irrtum ist in diesem Zusammenhang, dass bei den Vereinsverantwortlichen die Ansicht vertreten wird, aus der steuerrechtlichen Zulässigkeit solcher Aktivitäten – etwa vor dem Hintergrund der gemeinnützigkeitsrechtlichen Geprägetheorie – auf die zivilrechtliche Zulässigkeit zu schließen. Dies verkennt aber den unterschiedlichen Ansatz von Steuerrecht und Zivilrecht. Das Steuerrecht verbindet mit der Aussage über die Zulässigkeit solcher Aktivitäten lediglich die Erwartung, dass die wirtschaftlichen Ergebnisse solcher wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe der Besteuerung unterworfen werden. Das Zivilrecht will demgegenüber sicherstellen, dass wirtschaftliche Betätigungen in den dafür vorgesehenen vollkaufmännischen Gesellschaftsformen (GmbH, Genossenschaft, AG) durchgeführt werden.

Mit anderen Worten kann das, was steuerrechtlich erlaubt ist, zivilrechtlich verboten sein!

These 2: Das neue Urteil des Bundesgerichtshofs in Sachen Kolping bietet keinen Anlass dafür, von der bisherigen Praxis in Verbänden abzuweichen, eigene, als unzulässig empfundene wirtschaftliche Aktivitäten in sogenannte Service-GmbHs auszugliedern.

Der Bundesgerichtshof hat sich in dem Urteil überhaupt nicht mit der Frage befasst, ob das Halten einer Beteiligung beim Verein selbst schädlich ist. Von daher kann man sich nach wie vor auf die ADAC-Rechtsprechung des BGH berufen. Die hier diskutierte Frage liegt darin, ob das Halten einer GmbH-Beteiligung durch den Verein bei diesem selbst eine wirtschaftliche Aktivität darstellt oder lediglich der vereinsrechtlich unproblematischen Vermögensverwaltung zuzuordnen ist.

Erst wenn hier in der Spruchpraxis der Gerichte ein Paradigmenwechsel stattfindet, stehen die hergebrachten Organisationsmodelle der Verbände mit ausgegliederten wirtschaftlichen Aktivitäten in Service GmbHs auf dem Prüfstand. Dann ist allerdings „guter Rat teuer“!

Artikel teilen:
Autor/in

Ralf Wickert

ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuer- und Arbeitsrecht. Er ist Gesellschafter der Dornbach GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft mit den Tätigkeitsschwerpunkten gesellschaftsrechtliche, arbeits- und steuerrechtliche Beratung von Unternehmen und Verbänden. Autor mehrerer Fachbücher, u. a. des Praxishandbuches Verbandsrecht und des Praxishandbuches Datenschutz in Verbänden.

http://www.dornbach.de