Verbändereport AUSGABE 6 / 2008

Gestiegene Haftungsrisiken aus Kartellverstößen

Jüngere Fallpraxis der Kartellbehörden und Gerichte

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Das deutsche und das europäische Kartellrecht verbieten Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Verbänden und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Verstöße gegen dieses Kartellverbot sanktionieren das deutsche Bundeskartellamt (BKartA) und die Europäische Kommission (Kommission) mit zunehmend drakonischeren Geldbußen. Die von der Kommission im Jahr 2007 wegen Kartellverstößen verhängten Geldbußen belaufen sich auf insgesamt circa 3,3 Milliarden Euro. Auch die durch das Bundeskartellamt bei Kartellverstößen verhängten Geldbußen erreichen immer häufiger dreistellige Millionenbeträge, so etwa in den Ende 2007 sanktionierten Fällen aus der Flüssiggasindustrie und aus der TV-Werbezeitenvermarktung.

Dass nicht nur Verbände Wert darauf legen müssen, bei ihrer Tätigkeit einen „Sicherheitsabstand“ zum Kartellrecht zu wahren, sondern auch Mitgliedsunternehmen am Rande von Tagungen ihrer Verbände in kartellrechtliche Grauzonen und selbst unabhängige Beratungsunternehmen durch Übernahme organisatorischer Tätigkeiten in den Fokus der Kartellbehörden geraten können, verdeutlichen folgende Fälle:

Fall 1: Veranstaltungsreihe OTC Arzneimittel

Am 8. Januar 2008 gab das BKartA in einer Pressemitteilung bekannt, dass es Geldbußen in Höhe von insgesamt 465.000 Euro gegen neun Landesapothekerverbände (LAV), den Bundesverband der Arzneimittelhersteller e.V. (BAH) und fünf Pharmahersteller verhängt hat. Ende 2003 hatten neun LAV und der BAH die Initiative ergriffen, durch Vortragsveranstaltungen in 24 deutschen Städten für die den LAV angeschlossenen Apotheker über die Auswirkungen des Anfang 2004 in Kraft getretenen Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherungen (GMG) auf die Bildung der Endkunden-Verkaufspreise bei nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln (sog. OTC-Arzneimittel) zu informieren.

Das GMG gab die Preisbildung bei OTC-Arzneimitteln für die Apotheken frei. Zu den Inhalten dieser Vortragsveranstaltungen, an denen mehrere Tausend Apotheker teilnahmen und auf denen Redner der Apothekerverbände, von Beratungsunternehmen und von pharmazeutischen Herstellern auftraten, stellte das Bundeskartellamt durch unangekündigte Durchsuchungen bei Verbänden und Unternehmen umfangreiches Beweismaterial sicher. Nach Würdigung der Beweise gelangte das Bundeskartellamt zu dem Schluss, dass den teilnehmenden Apothekern auf den Vortragsveranstaltungen nahe gelegt wurde, vom – durch Einführung des GMG gesetzlich gewünschten – Preiswettbewerb bei OTC-Arzneimitteln Abstand zu nehmen und sich statt dessen weiterhin an den sog. GKV-Erstattungspreis bzw. die unverbindlichen Preisempfehlungen der Hersteller zu halten.

Dies ging nach Meinung des BKartA über legitime Verbandstätigkeit in Gestalt der Mitgliederinformation über Gesetzesänderungen und deren zu erwartende Auswirkungen hinaus. Die Einflussnahme auf die Preisbildungsfreiheit der Apotheken durch Aussprechen von Empfehlungen wertete das Bundeskartellamt als Beschränkung des Wettbewerbs, die auf Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen – der LAV – im Sinne des Kartellverbots beruhten. Dass im Fall keine förmlichen Beschlüsse der jeweiligen Vorstände oder sonstigen Organe der bebußten LAV nachgewiesen werden konnten, war letztlich unerheblich. Ausreichend war es insoweit, dass die LAV unmissverständlich ihren Willen zum Ausdruck gebracht hatten, die Veranstaltungsreihe mit den wettbewerblich problematischen Inhalten durchzuführen. Ebenso irrelevant war, ob die abgegebenen Empfehlungen sich tatsächlich auf das Preisverhalten der Apotheken ausgewirkt haben.

Der Fall belegt, dass Verbände stets dann, wenn ihr Verhalten ihren Mitgliedern ein bestimmtes unternehmerisches Verhalten am Markt faktisch nahelegt, die Grenzen des Kartellrechts im Auge haben müssen.

Fall2: Marktinformationsaustausch Drogerieartikel

Am 20. Februar 2008 gab das BKartA in einer Pressemitteilung bekannt, dass es gegen vier Markenhersteller von Drogerieartikeln sowie deren Vertriebsleiter Bußgelder in Höhe von insgesamt rund 37 Millionen Euro verhängt hatte. In Höhe von 18 Millionen Euro wurden diese Bußen mit Blick auf einen gegenseitigen Informationsaustausch der Unternehmen über den Stand ihrer jährlich stattfindenden Verhandlungen mit Einzelhändlern über die Warenbelieferung (sog. Jahresgespräche) verhängt.

Dieser Verstoß wurde dem BKartA durch den sogenannten Kronzeugenantrag eines der betroffenen Unternehmen aufgedeckt, woraufhin das BKartA im März 2007 weitere Beweismittel bei unangekündigten Durchsuchungen einer Reihe von Unternehmen sicherstellte. Die Auswertung der Beweismittel belegt nach Meinung des BKartA einen seit Jahren durchgeführten regelmäßigen Austausch der Unternehmen über ihre Jahresgespräche mit bestimmten Einzelhändlern. Diese Informationen wurden auf Sitzungen eines Fachausschusses des Industrieverbandes der Unternehmen ausgetauscht. Es handelt sich hierbei nach den Feststellungen des BKartA um Rabattforderungen des Einzelhandels sowie konkrete Vertragsabschlüsse im Rahmen der Jahresgespräche.

Dieses Verhalten wertete das BKartA als verbotene Vereinbarung zwischen Wettbewerbern, die eine Beschränkung des „Geheimwettbewerbs“ der Unternehmen in Bezug auf Veränderungen der mit bestimmten Einzelhändlern vereinbarten Rabatte bezweckt und bewirkt. Ziel der Vereinbarung sei es gewesen, das Marktverhalten der Unternehmen zu beeinflussen bzw. von vorneherein die Ungewissheit über das zukünftige Marktverhalten der Unternehmen auszuräumen.

Dieser Fall verdeutlicht, dass stets dann, wenn Unternehmen, die miteinander im Wettbewerb stehen, sog. identifizierende Informationen austauschen, d. h. sensible Einzelheiten konkreter Geschäftsbeziehungen offen legen, kartellrechtliche Vorsicht geboten ist. Die Kommission hat in der Vergangenheit in einem gegen einen Industrieverband geführten Bußgeldverfahren allein das „Forumbieten“ für einen Kartellrechtsverstoß der Mitgliedsunternehmen problematisiert. Daher sind in einem solchen Sachverhalt auch kartellrechtliche Haftungsrisiken eines Verbandes denkbar, dessen Veranstaltungen von den Mitgliedsunternehmen für ihren problematischen Informationsaustausch genutzt werden.

Fall 3: Beratungsunternehmen AC-Treuhand

Das Europäische Gericht erster Instanz in Luxemburg (EuG) bestätigte mit Urteil vom 8. Juli 2008 in der Rechtssache AC-Treuhand AG die zuvor von der Kommission wegen eines Kartellverstoßes gegen das Beratungsunternehmen AC-Treuhand verhängte Geldbuße. Der Fall betraf ein Kartell dreier Hersteller für organische Peroxide, das zum Ziel hatte, die Marktanteile dieser Unternehmen zu erhalten und ihre Preiserhöhungen zu koordinieren. Hierfür verhängte die Europäische Kommission Bußgelder gegen diese Unternehmen in Höhe von etwa 70 Millionen Euro. Das Unternehmen AC-Treuhand ist kein Hersteller organischer Peroxide, sondern ein Beratungsunternehmen. Es hatte mit den fraglichen Herstellern bilaterale Dienstverträge geschlossen, die es u. a. damit betrauten, in ihren Geschäftsräumen bestimmte geheime Dokumente über das Kartell aufzubewahren, bestimmte Daten über die Geschäftstätigkeit der Herstellerunternehmen zu sammeln und zu verarbeiten und diesen die so verarbeiteten Zahlen mitzuteilen und bestimmte logistische und Sekretariatsaufgaben im Zusammenhang mit der Organisation von Zusammenkünften zwischen den genannten Herstellern auszuführen, etwa die Reservierung von Räumen und die Erstattung der Reisekosten der Unternehmensvertreter.

Mit Blick auf diese organisatorischen Tätigkeiten verhängte die Kommission auch ein Bußgeld gegen AC-Treuhand. Freilich konzedierte die Europäische Kommission in ihrer Entscheidung, dass sie insoweit „Neuland“ betrat, als AC-Treuhand – im Unterschied zu den anderen bebußten Unternehmen – kein Hersteller organischer Peroxide war, sondern (nur) die Rolle eines Organisators hatte. Das EuG bestätigte letztlich die gegen AC-Treuhand verhängte Geldbuße und stellte klar, dass Kartellrechtsverstöße Mittätern oder bloßen Gehilfen (Organisatoren) eines Kartells gleichermaßen zur Last gelegt werden können. Die eigene unternehmerische Tätigkeit auf dem fraglichen Markt ist danach keine Voraussetzung eines Kartellverstoßes.

Diese Entscheidung verdeutlicht, dass insbesondere Beratungsunternehmen, die eine Vielzahl von miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen betreuen oder in der Verbandsbetreuung aktiv sind, kartellrechtliche Vorsicht walten lassen müssen. Die Entscheidung ist auch kein Einzelfall: Dem Vernehmen nach hat das BKartA in einer am 10. Juli 2008 bekannt gewordenen Bußgeldentscheidung gegen Hersteller von Luxus-Kosmetika auch eine Geldbuße gegen den als selbstständigen Berater handelnden Organisator des von den Unternehmen durchgeführten regelmäßigen Informationsaustausches (ähnlich dem oben erwähnten Drogerieartikel-Fall) verhängt. In einem von der englischen Kartellbehörde (OFT) verfolgten Fall, dem Marine-Schlauch-Kartell, wurde am 11. Juni 2008 bekannt, dass ein selbstständiger Berater, der die Aktivitäten der Kartellmitglieder weltweit koordinierte, zu einer 30-monatigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Diese jüngste Entwicklung hat sich bereits die niederländische Kartellbehörde (NMa) zunutze gemacht: Mit Pressemitteilung vom 29. Juli 2008 riet die NMa Beratungsunternehmen, die Kartellaktivitäten organisieren, dazu, Kronzeugenanträge zu stellen, um ihrer kartellrechtlichen Haftung zu entgehen. Hierbei wies die NMa auch darauf hin, dass in Zukunft bei solchen Sachverhalten nicht notwendigerweise weiterhin „symbolische“ Geldbußen gegen Berater verhängt werden; der gesetzlich vorgesehene Bußgeldrahmen beläuft sich auf bis zu 10 Prozent des weltweiten Unternehmensumsatzes.

Fazit

Keiner der genannten Fälle ist bislang rechtskräftig entschieden, da die betroffenen Personen und Unternehmen die Geldbußenentscheidungen gerichtlich anfechten. Dennoch verdeutlichen diese Fälle, dass es für Verbände, Mitgliedsunternehmen und selbstständige Berater wichtig ist, die kartellrechtlichen Regeln zu kennen, um eigene Haftungsrisiken zu vermeiden.

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