Verbändereport AUSGABE 2 / 2005

Verbände der öffentlichen Hand auf dem Prüfstand

Wettbewerb um übernommene Aufgaben? Vergaberecht kann dazu führen, dass Mitglieder die Verbandsleistungen öffentlich ausschreiben müssen.

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Bis vor kurzem spielte das Vergaberecht praktisch keine Rolle, wenn sich etwa benachbarte Städte und Gemeinden zusammengefunden hatten, um die Abfallbeseitigung, die Trinkwasserversorgung, den Personennahverkehr etc. von gemeinsamen Verbänden durchführen zu lassen. Den rechtlichen Rahmen bildeten die Landesgesetze über die interkommunale Gemeinschaftsarbeit. Warum sollte die Kooperation mittels Zweckverband also zusätzlich den allgemeinen, vergaberechtlichen Regeln über öffentliche Beschaffungsmaßnahmen unterliegen?

Auch wenn dies seitens der öffentlich-rechtlichen Verbände und deren Mitgliedern auf Befremden stößt, gibt es jedoch keine generelle Ausnahme vom Vergaberecht für die Kooperation der öffentlichen Hand in Verbänden. Weil mit der Zusammenarbeit die Beschaffung von Liefer- und Dienstleistungen verbunden ist, kann eine europaweite Ausschreibung erforderlich sein. Dies wurde jüngst vom Europäischen Gerichtshof bestätigt (EuGH, Urt. v. 13.01.2005 – Rs. C-84/03).

Vergaberechtsprechung zur öffentlich-rechtlichen Zusammenarbeit

Der EuGH stellte ohne weiteres die Rechtswidrigkeit einer Regelung im spanischen Vergaberecht fest, die Beschaffungsvorgänge zwischen öffentlichen Auftraggebern generell von der Ausschreibungspflicht ausnimmt. Auf der gleichen Linie lagen zuvor in Deutschland zwei Entscheidungen der Oberlandesgerichte Düsseldorf und Frankfurt (Beschl. v. 05.05.2004 – Verg 78/03 und Beschl. v. 07.09.2004 – 11 Verg 12/04). Daraufhin wurde von den Betroffenen gefordert, bei der kommenden Vergaberechtsreform eine Ausnahme zumindest für die interkommunale Zusammenarbeit vorzusehen. Das Reformvorhaben befindet sich derzeit in seiner entscheidenden Phase, weil geänderte europarechtliche Vorgaben bis 31.01.2006 in deutsches Recht umgesetzt sein müssen. Das EuGH-Urteil vom 13.01.2005 hat allerdings klar gemacht, dass eine Herausnahme öffentlicher Kooperationen aus dem Vergaberecht gegen vorrangiges Europarecht verstoßen würde. Darüber kann sich der deutsche Gesetzgeber nicht hinweg setzen. Auch für öffentlich-rechtliche Zweckverbände führt somit nichts an der Notwendigkeit vorbei, sich mit den Einschränkungen öffentlich-rechtlicher Kooperationen durch das Vergaberecht näher zu beschäftigen.

Ausschreibungspflichtige Leistungserbringung durch Verbände

Verbände erbringen Leistungen für ihre Mitglieder. Aus Perspektive der Verbandsmitglieder werden somit Leistungen der Abfallentsorgung, Trinkwasserversorgung etc. beschafft. Im Grundsatz muss dieser Beschaffungsvorgang immer dann öffentlich ausgeschrieben werden, wenn es sich bei der beschaffenden Person um einen öffentlichen Auftraggeber handelt, wie die Gebietskörperschaften. Die Beschaffung von Liefer- und Dienstleistung ist gemäß den Regeln der VOL/A vergaberechtspflichtig. Daran ändert die Verknüpfung mit einem ausschreibungsfreien Vorgang – wie etwa der Verbandsgründung – nichts. Auf einen öffentlich-rechtlichen Verband dürfen Aufgaben somit grundsätzlich nur aufgrund einer öffentlichen Ausschreibung übertragen werden, in der der Verband das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hat.

Ausnahmen: Ausschließlichkeitsrecht, In-house-Geschäft

Gemäß § 100 Abs. 2 g) des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) muss nicht europaweit ausgeschrieben werden, wenn dem Auftragnehmer durch Gesetz oder Verordnung ein Ausschließlichkeitsrecht zukommt. In Betracht kommt insbesondere kommunales Satzungsrecht mit der Bestimmung eines Anschlusszwangs. Hier muss im Einzelfall geprüft werden, ob tatsächlich ein Ausschließlichkeitsrecht etwa für den Zweckverband begründet wurde oder doch nur die einseitige Pflicht des Bürgers, die öffentliche Müllentsorgung zu nutzen.

Eine weitere Ausnahme von der Vergaberechtspflicht besteht für sog. In-house-Geschäfte. Voraussetzung ist, dass der öffentliche Auftraggeber über den Auftragnehmer die „Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausübt“. Bislang ist ungeklärt, inwieweit diese Voraussetzung durch die gemeinsame Kontrolle mehrerer öffentlicher Auftraggeber – hier: Kontrolle sämtlicher Verbandsmitglieder über den Verband – erfüllt wird. Jüngst hat wiederum der EuGH (Urt. v. 11.01.2005 – Rs. C-26/03) den Ausnahmebereich von In-house-Geschäften stark eingeschränkt, indem absolut jede Beteiligung eines Privatunternehmens die Ausschreibungspflicht bedingt. Daher muss damit gerechnet werden, dass auch dann kein vergaberechtsfreies In-house-Geschäft vorliegt, wenn nur eine geteilte Kontrolle durch den jeweiligen Auftraggeber vorliegt.

Ausnahmen: Vollständige Aufgabendelegation, Dienstleistungskonzession

Weiter kommt der Ausnahmetatbestand einer vollständigen Aufgabendelegation an den Verband in Betracht. Dabei handelt es sich um einen sog. innerstaatlichen Organisationsakt und nicht mehr um die Erteilung eines bloßen Liefer-/Dienstleistungsauftrages. Voraussetzung ist, dass sich das Verbandsmitglied von seiner Aufgabe komplett befreit und nicht mehr selbst Leistungsempfänger ist. Beispielsweise die Abwasserreinigung muss selbständige Aufgabe des Abwasserzweckverbands werden, ohne dass die Kommune noch ein Mitspracherecht bei der Reinigung des in ihrem Gebiet anfallenden Abwassers hat.

Ob eine derartige Zuständigkeitsverlagerung mit allen Rechten und Pflichten tatsächlich vorliegt, darf im konkreten Fall nicht vorschnell bejaht werden. Die Einschränkung, dass sich das Verbandsmitglied kein Mitspracherecht vorbehalten darf, ist sehr ernst zu nehmen. Durch Überwachungs- und Weisungsrechte zum Beispiel über das Einsammeln von Hausmüll im eigenen Gemeindegebiet kann die Gemeinde faktisch doch die letztverantwortliche Aufgabenträgerin bleiben. Die Abgrenzung gegenüber bloß passiven Informationsrechten ist schwierig. Die EU-Kommission hat die Bundesrepublik Deutschland etwa im Fall der Gemeinde Hinte vor dem EuGH verklagt, die den Oldenburgisch-Ostfriesischen Wasserverband unmittelbar beauftragte. Die EU-Kommission entnimmt der Verbandssatzung Kontrollrechte und Entscheidungsbefugnisse, die bei der Gemeinde Hinte eine Teilverantwortung belassen. Folglich soll es sich um keine vollständige Aufgabendelegation gehandelt haben.

Bei vielen Verbänden ist die Situation mit den von der EU-Kommission gerügten Verhältnissen der Gemeinde Hinte vergleichbar. Bevor der EuGH nicht Klarheit schafft, dürften in den meisten Verbandssatzungen Ansatzpunkte dafür vorhanden sein, dass doch nur eine eingeschränkte und keine vollständige Aufgabendelegation vorliegt.

Einen Sonderfall stellt dabei die Ausgestaltung als Dienstleistungskonzession dar, die von der EU-Kommission auch im Fall „Gemeinde Hinte“ angenommen wird. Die Vergabe einer Dienstleistungskonzession unterfällt zwar nicht spezifischem Vergaberecht. Doch unterliegt der öffentliche Auftraggeber stets den allgemeinen Geboten der Gleichbehandlung, Transparenz und des Wettbewerbs. Allerdings ist noch weitgehend ungeklärt, welche Einschränkungen damit im Einzelnen verbunden sind.

Konsequenzen für öffentlich-rechtliche Verbände

Um Unsicherheiten zu minimieren, sollte jeder öffentlich-rechtliche Verband seine Satzung kritisch auf Einschränkungen überprüfen, die gegen eine vergaberechtsfreie Aufgabendelegation sprechen; insbesondere auf Zustimmungsvorbehalte beim Erlass von Satzungen, die für die Verbandsmitglieder verbindlich sind. Gegebenenfalls sollte der Verband aktiv auf seine Mitglieder zugehen, um Möglichkeiten einer Satzungsänderung oder der Schaffung von Ausschließlichkeitsrechten gem. § 100 Abs. 2 g) GWB auszuloten.

Auch wenn langfristige Verträge abgeschlossen wurden, kann sich der Verband nicht beruhigt zurücklehnen. Der EuGH (Urt. v. 18.11.2004 – Rs. C-126/03) hat entschieden, dass vergaberechtswidrig abgeschlossene Verträge einen andauernden Vergaberechtsverstoß darstellen. Daraufhin hat die EU-Kommission in zwei Fällen Zwangsgelder mit Tagessätzen(!) in Höhe von 31.680,00 EUR bzw. 126.720,00 EUR eingeklagt. Die Erfolgsaussichten der EU-Kommission dürften zwar eher gering sein. Dennoch ist die rechtliche Schlussfolgerung klar: Vergaberechtswidrig zustande gekommene Verträge müssen aufgelöst werden. Dass dies ohne weitreichende Zahlungspflichten des Auftraggebers möglich ist, zeigt ein Beschluss des Kammergerichts in Berlin (v. 11.11.2004 – 2 Verg 16/04), in dem die vergaberechtswidrige Beauftragung durch eine öffentliche Wohnungsbaugesellschaft als nichtig angesehen wurde. Weil die Beteiligten die europaweite Ausschreibungspflicht hätten erkennen müssen, soll es sich um ein sog. kollusives Zusammenwirken gehandelt haben, das gem. § 138 BGB zur Vertragsnichtigkeit führt.

Alles in allem steckt in der Problematik der Vergaberechtspflicht also auch für öffentlich-rechtliche Verbände erhebliche Sprengkraft. Geboten ist eine sorgfältige Vergewisserung der eigenen Vergaberechtssituation.

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