Verbändereport AUSGABE 5 / 2006

Zur Sozialversicherungspflicht der Bezüge von Verbandsvorständen

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Viele Verbände zahlen ihren Vorstandsmitgliedern regelmäßig bestimmte Beträge, die meist als „Aufwandsentschädigung“ bezeichnet werden, bisweilen aber auch als „Vergütung“ bezahlt werden. Solche Beträge können im Einzelfall erhebliche Höhen erreichen. Dass solche Bezüge der Sozialversicherungspflicht unterliegen könnten, wurde bisher häufig übersehen. Bei Prüfungen durch die Träger der Sozialversicherung drohen möglicherweise böse Überraschungen.

Die Vorstände von Verbänden und Vereinen sind häufig gemäß der Satzung rein ehrenamtlich tätig. Ehrenamtlichkeit bedeutet, dass für die Ausübung der ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit keine Vergütung in jedweder Form, sei es als Lohn- oder Gehaltszahlungen, sei es durch Sachleistungen oder sonstige geldwerte Vorteile, gezahlt werden. Alle Leistungen des Verbandes an Vorstandsmitglieder, die über einen reinen Aufwendungsersatz hinausgehen, sind sozialversicherungsrechtlich problematisch, wie sich aus der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ergibt.

Der entschiedene Fall

Das BSG hatte sich in einem im Jahr 2001 entschiedenen Fall (Urteil vom 19.6.2001, Aktenzeichen: B 12 KR 44/00 R, im vollen Wortlaut veröffentlicht unter www.recht-in.de/urteile/urteilzeigen.php?u_id="102532)" zunächst mit einer für Verbandsverhältnisse eher ungewöhnlichen Gestaltung zu beschäftigen. Ein Vorstandsmitglied eines eingetragenen Vereins, der etwa 3.500 Beschäftigte hatte, führte aufgrund eines besonderen Dienstleistungsvertrags die Geschäfte des Vereins und erhielt hierfür eine feste Jahresvergütung von 250.000 DM, darüber hinaus noch weitere Beträge, die der Arbeitgeber im Falle eines sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses hätte zahlen müssen, ein Dienstfahrzeug sowie eine Direktversicherung und betriebliche Altersversorgung. Der Vorstand hatte sich im Dienstvertrag verpflichtet, seine gesamte Arbeitskraft dem Verein zur Verfügung zu stellen und über seine Geschäftsführung dem Aufsichtsrat regelmäßig zu berichten. Der Verwaltungsrat hatte das Recht, den Vorstand zu bestellen und abzuberufen sowie die Anstellungsbedingungen für die Vorstandsmitglieder zu bestimmen. Die zuständigen Träger der Sozialversicherung bewerteten die Bezüge als sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt. Das Sozialgericht schloss sich dieser Auffassung an und das BSG bestätigte dieses Urteil.

Die Entscheidung des BSG im konkreten Einzelfall

Das BSG sah den Vorstand in dem entschiedenen Fall als abhängig Beschäf-tig-ten an. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist jeweils das Gesamtbild der Arbeitsleistung.

In dem entschiedenen Fall sah das BSG den Vorstand als Arbeitnehmer an, der in den Betrieb des Vereins eingegliedert war und für diesen „fremdbezogene“ Arbeit leiste. Diesen Schluss zog das Gericht insbesondere aus der Tatsache, dass der Vorstand aufgrund der besonderen vereinsinternen Kompetenzregelung einer umfassenden Beaufsichtigung durch den Verwaltungsrat des Vereins unterlag.

Dieses Ergebnis erscheint wegen der besonderen Verhältnisse im entschiedenen Fall plausibel, aber aus der Sicht des unbefangenen Bürgers auf den im Verbandsleben vorherrschenden Normalfall nicht ohne weiteres übertragbar. Das BSG wartet aber auch für diesen „Normalfall“ mit einer unliebsamen Überraschung auf: Vorstandsmitglieder werden sozialversicherungsrechtlich grundsätzlich als abhängig Beschäftigte betrachtet mit der Folge, dass ihre Vergütungen als Arbeitsentgelte angesehen werden.

BSG: Vorstandsmitglieder juristischer Personen grundsätzlich versicherungspflichtig

Unabhängig von den Besonderheiten des entschiedenen Einzelfalles ist das BSG der Auffassung, dass Vorstandsmitglieder juristischer Personen allgemein in der Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung versicherungspflichtig sind. Das Gesetz gehe davon aus, dass Vorstandsmitglieder juristischer Personen grundsätzlich in diesen Zweigen der Sozialversicherung als abhängig Beschäftigte gelten. Die Versicherungsfreiheit für Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften sei eine Ausnahme von dem allgemeinen Grundsatz. Diese Ausnahmeregelung könne nicht auf Vorstandsmitglieder anderer juristischer Personen, wie zum Beispiel eingetragene Genossenschaften oder eingetragene Vereine, analog angewandt werden.

Die unterschiedliche Behandlung von Vorständen bei der AG einerseits und dem e.V. andererseits beruhe auf einer diesbezüglichen Regelung durch den Gesetzgeber. Diese sei auch sachlich gerechtfertigt, weil sich die Aktiengesellschaften in Größe und wirtschaftlicher Bedeutung von anderen Unternehmen unterschieden und sich dieses auch bei den Vorstandsmitgliedern auswirke. Der Gesetzgeber habe nicht zu berücksichtigen brauchen, dass es auch Vereine gebe, die sich im großen Umfang wirtschaftlich betätigen, oder dass es auch kleine Aktien-gesellschaften mit geringer wirtschaftlicher Bedeutung gebe. Der Gesetzgeber habe die Rechtsfrage typisierend geregelt, und das sei nicht zu beanstanden.

Schlussfolgerungen

1. Handlungsbedarf besteht in allen Verbänden, deren Vorstände die Geschäfte des Verbandes haupt- oder nebenamtlich führen und für diese Tätigkeit eine Vergütung in Geld und/oder Sachleistungen erhalten, soweit diese Personen bisher nicht als beitragspflichtig in der Renten- und Arbeitslosenversicherung behandelt wurden. Solche Vergütungen unterliegen laut BSG der Sozialversicherungspflicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung.

2. Zu unterscheiden hiervon sind die Fälle, in denen die Geschäftsführung des Verbandes von angestellten Geschäftsführern ausgeübt wird. Diese sind selbstverständlich abhängig beschäftigt und daher versicherungspflichtig.

3. Aber auch wenn die Geschäftsführung in den Händen eines angestellten Geschäftsführers liegt, kann es Fälle geben, in denen Zahlungen an Vorstände versicherungspflichtig sind. Zu denken ist insbesondere an die Zahlung einer „pauschalen Aufwandentschädigung“. Klarstellend ist zu sagen, dass Zahlungen, mit denen ein konkreter, nachweisbarer Aufwand des Vorstandes erstattet wird, kein Entgelt darstellen und daher auch keine Sozialversicherungspflicht nach sich ziehen. Bei Zahlung „pauschaler“ Aufwandsentschädigungen liegt jedoch die Annahme nahe, dass zumindest ein Teil der Zahlung in Wirklichkeit eine finanzielle Anerkennung der Tätigkeit des Vorstandsmitglieds darstellt. Dann dürfte insoweit der Entgeltcharakter der Zahlung – und damit die Sozialversicherungspflicht – kaum zu bezweifeln sein.

4. Das besprochene BSG-Urteil bezieht sich wohl nur auf Vorstände, die Organe des Vereins sind, mit anderen Worten: Vorstände im Sinne des § 26 BGB. Das bedeutet aber nicht, dass Vorstandsmitglieder, die keine Organstellung nach § 26 BGB haben, sozialversicherungsrechtlich günstiger gestellt sind. Wenn das BSG schon die Entgeltzahlungen an organschaftliche Vorstände für sozialversicherungspflichtig erachtet, so wird dies auf Entgeltzahlungen für Nicht-Organe erst recht gelten.

5. Dass das BSG für die Sozialversicherungspflicht bei Organen juristischer Personen auf die Rechtsform – und nicht wie sonst auf die näheren Umstände der Tätigkeit – abstellt, erscheint im Ergebnis wenig plausibel. Dem BSG blieb die Fragwürdigkeit dieser Unterscheidung nicht verborgen. Es rechtfertigt sie jedoch mit der Freiheit des Gesetzgebers, bestimmte Rechtsfragen „typisierend“ zu regeln. Verfassungsrechtlich interessant ist unter dem Aspekt des Willkürverbots (Art. 3 GG) die Frage, wie weit der Gesetzgeber bei der Typisierung gehen darf. Es ist schwer einzusehen, dass der Vorstand einer wirtschaftlich unbedeutenden kleinen AG versicherungsfrei ist, der Vorstand eines eingetragenen Vereins mit zum Beispiel zehntausenden von Arbeitnehmern (wie zum Beispiel bei großen Sozialverbänden) und entsprechendem wirtschaftlichen Gewicht dagegen sozial-versicherungsrechtlich wie ein kleiner Angestellter behandelt wird. Das BSG hatte offenbar keine verfassungsrechtlichen Bedenken. (WE)

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Autor/in

Winfried Eggers

erlernte das „Steuerhandwerk” als Regierungsrat in der Verwaltung in NRW. Er war danach neun Jahre Finanzrichter beim Finanzgericht Köln. Bis Mitte 1998 war er in der Steuerabteilung des BDI tätig. Seither ist Dr. Eggers niedergelassener Anwalt mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Steuerrecht für Verbände und Organisationen in Köln.