Verband & Tagung - VERBÄNDEREPORT 1 / 2019

Berlin-Neukölln: Vom Böhmischen Dorf zum Szene-Bezirk

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„Im Herzen ist jeder Neuköllner!” So lautet die bescheidene Philosophie eines der spannendsten und buntesten Bezirke der Hauptstadt. Mit mindestens 150 gemeldeten Nationalitäten ist Neukölln sogar Spitzenreiter in Berlin. Lange galt das Viertel als problematisch, inzwischen streift man das Schmuddel-Image nach und nach ab. Neukölln bietet aktuell einen interessanten Mix aus neu angesiedelter Gastronomie, Kulturinstitutionen, Tagungslocations, Grünflächen, Traditionsunternehmen sowie Zugezogenen und Altbewohnern. So wandelt sich der Bezirk immer stärker zum hippen Szeneviertel, in dem sich vor allem junge Leute wohlfühlen.


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„Der Trend begann vor ungefähr fünf bis sechs Jahren, als hier immer mehr Eigentumswohnungen gebaut und verkauft wurden“, erzählt Reinhold Steinle, der bereits seit 2008 mit viel Witz und Wissen Stadtführungen durch „das andere Neukölln“ organisiert. Inzwischen leben circa 330.000 Einwohner in Neukölln, Tendenz steigend. Insbesondere die Grenzlagen zu Kreuzberg sind vor allem bei Neuberlinern begehrte Wohnadressen. Neben Mietsteigerungen und einem verknappten Wohnungsangebot hat das auch positive Folgen für das Viertel. Auf unserem Rundgang wird schnell klar: Das heutige Neukölln hat viele verschiedene Gesichter.

Böhmische Traditionen

Ein besonders schöner Teil ist die Gegend um den Richardplatz. Hier wurde 1360 das ursprüngliche Dorf Neukölln gegründet. Der alte, pittoreske Dorfkern mit Schmiede, Kopfsteinpflaster und Gaslaternen liegt im historischen böhmischen Dorf, das im 18. Jahrhundert protestantischen Glaubensflüchtlingen aus Tschechien Zuflucht bot. Bereits 1737 trafen die ersten Exilanten ein und bewohnten eines der neun Doppelhäuser, die auf Anordnung von König Friedrich Wilhelm I. entstanden waren. Eine lange Tradition im Böhmischen Dorf ist, dass eines der Kinder das elterliche Haus übernimmt und darin wohnt. Eines der Häuser befindet sich bereits in der 11. Generation im Besitz einer Familie. Seit fast 300 Jahren ist die Herrenhuter Brüdergemeine die religiöse Gemeinschaft der hiesigen Bewohner. Die evangelische Freikirche, auch unter dem Namen Brüder-Unität oder Evangelische Brüdergemeine bekannt, hat weltweit über eine Million Mitglieder und ist in mehr als 40 Ländern vertreten. Noch heute zeugt der Hussitenkelch auf dem Neuköllner Wappen von dieser langen Verbindung. Andere Traditionen wurden teilweise wiederbelebt: Jedes Jahr im September lässt man beim Popráci, dem Rixdorfer Strohballenrollen, verschiedene Mannschaften gegeneinander antreten, um die 200 Kilogramm schweren Strohballen übers Ziel zu rollen. Einmal im Advent findet hier außerdem der traditionelle Alt-Rixdorfer Weihnachtsmarkt statt und erinnert in seiner Namensgebung an frühere Zeiten. „Erst 1912 wurde Rixdorf, das lange als Vergnügungsviertel galt, aufgrund seines schlechten Rufs in Neukölln umbenannt“, erzählt der gebürtige Schwabe Steinle. Bis 1920 blieb Neukölln eine eigenständige Arbeiterstadt, deren Bewohner zum größten Teil täglich nach Berlin pendelten. Viele Mietshäuser zeugen von dieser Zeit, die zahlreichen Gerüste an den alten Gründerzeitfassaden verdeutlichen die rege Sanierungstätigkeit.

Historisches Flair und junge Gastronomie

Im historischen Kern Neuköllns findet man in etlichen Höfen noch alte Remisen mit Handwerker- und Traditionsbetrieben, wie das Fuhrunternehmen Gustav Schöne, das bereits 1894 gegründet wurde und heute in sechster Generation geführt wird. Früher besaß die Familie über 100 Pferde, die bereits die Stadtreinigungswagen durch Neukölln zogen. „Heute haben wir noch sechs, von denen eines schon Rentner ist“, erzählt Martina Rosenthal-Schöne. Die meisten ihrer zehn Mitarbeiter sind im Bestattungsfuhrwesen tätig. Andere Standbeine sind Kremserfahrten, das Brautfuhrwesen sowie der Verleih von Kutschen für Film und Fernsehen. Der historische Fuhrpark kam schon bei vielen Produktionen zum Einsatz, darunter in Filmen wie „Indiana Jones“, „Otto – Der Katastrophenfilm“, Roland Emmerichs Film „Anonymous“, „Stalingrad – Bis zum letzten Mann“ von Josef Vilsmaier oder in der Verfilmung des Lebens von Katharina der Großen mit Catherine Zeta-Jones.

Doch auch Neues findet Platz und hilft beim Imagewandel. Vor allem junge, kreative Gastronomie hat sich in Neukölln angesiedelt. Wir streifen das Café Zuckerbaby, das von zwei deutsch-amerikanischen Schwestern betrieben wird und neben seinem Kuchenangebot vor allem durch den gemütlichen Wohnzimmer-Charakter überzeugt. Andere Akzente setzt das Restaurant Hallmann & Klee, dessen Köchin bei einem Sternekoch in die Lehre ging. Im Café Botanico gibt es Salat und Kräuter direkt aus dem dahinterliegenden Garten. Auf dem obersten Parkdeck des Einkaufszentrums Neukölln Arcaden in der Karl-Marx-Straße lockt seit 2013 der grüne Kulturdachgarten „Klunkerkranich“ mit der „panoramigsten Aussicht Berlins“. Innen werden Kultur, Lesungen, Poetry-Slams, Konzerte, Kino und Märkte angeboten. Die Karl-Marx-Straße – neben der Sonnenallee und der Hermannstraße eine der Neuköllner Lebensadern – galt lange als eine der besten Einkaufsstraßen Berlins.

Lebendiger Kulturort

Während Rixdorf noch mit seinem Ruf als Unterhaltungsbezirk kämpfte, in dem Musik, Tanz und Theater allgegenwärtig waren, sind genau diese Themen im heutigen Neukölln wieder im Kommen. Die Neuköllner Oper versteht sich als „Oper für alle“ und wirbt damit, „Europas produktivstes Musiktheater“ zu sein, in dem in 40 Jahren schon über 220 Erstaufführungen auf die Bühne gebracht wurden. „Wir sind tatsächlich ein Opernhaus. Allerdings anders, als man es gewohnt ist. Wir erfinden alle Stücke selbst oder schreiben sie radikal um“, erzählt Andreas Altenhof, Presse- und Marketing-Verantwortlicher vor Ort. „Die Geschichte muss sich nur gut erzählen lassen und für alle verständlich sein. Deshalb sind die Stücke fast immer in deutscher Sprache und oft mit einem Schuss Humor versehen“, so Altenhof weiter. Große Erfolge feierte man hier mit den Musicals „Stadtaffe“ von Peter Fox, „Wolfskinder“ oder mit „Stella“, das 2016 sogar als bestes Musical Deutschlands ausgezeichnet wurde. Die Inszenierungen kommen ohne großartige Effekte aus, sondern leben vor allem von der Qualität der Profisänger. Den Besuchern, die aus ganz Berlin kommen, gefällt‘s. Direkt nebenan bietet der „Heimathafen“ noch mehr Kultur. Poetry-Slam, Song-Slam, Konzerte und Theater ziehen vor allem junge Leute an. Im Café Rix mit Kronleuchtern und goldener Decke spiegelt sich der Charme des 19. Jahrhunderts.

Grüne Oasen im Süden Berlins

Neukölln hat ein grünes Herz und einen breiten grünen Rand. Die weitläufigen Friedhofsanlagen auf der Thomashöhe, ein Teil des Volksparks Hasenheide und des Tempelhofer Feldes, der Comenius-Garten, der 1995 zu Ehren des gleichnamigen Bischofs, Schriftstellers und Philosophen angelegt wurde, oder auch der Körnerpark. Stifter Franz Körner, zur damaligen Zeit der reichste Mann Rixdorfs, ließ auf seiner ehemaligen Kiesgrube eine schlossähnliche Anlage errichten. Der Park sollte laut Verfügung seinen Namen tragen und der Öffentlichkeit zugänglich sein. Im Sommer finden hier jeden Sonntag Konzerte statt. Das Kleinod ist zudem ein beliebter Drehort für Film- und Videoproduktionen. Eine der zahlreichen Galerien im Kiez zeigt seit über 30 Jahren verschiedene Ausstellungen, das Zitronencafé lädt zu Salonmusik.

Visionäre Gastgeber mit Verantwortung

Einen Besuch wert ist auch der Britzer Garten, der im Jahr 1985 im Rahmen der Bundesgartenschau entstand. In Britz startete das Estrel Berlin im Jahr 2009 in Kooperation mit dem Bezirksamt Neukölln eine außergewöhnliche Initiative. Das Restaurant & Hotel Schloss Britz wird eigenverantwortlich von den Auszubildenden des Estrel Berlin geführt. Den jungen Gastgebern wird so die Möglichkeit gegeben, sämtliche Tätigkeiten in den Bereichen Gastronomie, Hotellerie und Veranstaltung kennenzulernen und zu managen. Neben dem Schlossrestaurant bietet der historische Ochsenstall auf dem Gutshof eine authentische und zugleich moderne Eventlocation für maximal 120 Personen. Die verschiedenen Gesichter von Neukölln zeigen sich auch hier: In unmittelbarer Nähe zum Schloss Britz befindet sich die Hufeisensiedlung – eine Siedlung des sozialen Wohnungsbaus, die seit 2008 zum UNESCO-Welterbe gehört.

Das Estrel selbst liegt direkt am Neuköllner Schifffahrtskanal und möchte auch zukünftig die positive Entwicklung des Stadtbezirks vorantreiben. Dafür wird zum einen kräftig ausgebaut. Zu den bereits vorhandenen 25.000 Quadratmetern Veranstaltungskapazität mit eigenem Show-Theater wird der Veranstaltungsbereich nochmals um 3.500 Quadratmeter erweitert. Es entstehen 15 neue Räume auf zwei Etagen, Kernstück wird ein Auditorium für 800 Personen, das sowohl für Tagungen und Kongresse als auch als privates Kino oder für kleinere Konzerte gebucht werden kann. Durch die zusätzliche Veranstaltungsfläche möchte man vor allem Kunden entgegenkommen, die einen Bedarf an Extra-Flächen für Workshops, Seminare und Arbeitsgruppen haben. Zum anderen engagiert sich das Estrel seit drei Jahren durch seine Jobbörse für Geflüchtete und ausländische Arbeitssuchende. Im letzten Jahr nahmen allein 209 Aussteller und 3.800 Besucher an der Messe teil.

Als Austragungsort des diesjährigen verbaende.com-Infotag „Verband & Tagung“ ist es Heike Klein, Director Key Account im Estrel, ein besonderes Anliegen, auch den Teilnehmern aus Verbänden ihren Bezirk Neukölln näherzubringen. In einer Walking-Tour geht es am Sonntag, 2. Juni, dem Vortag des verbaende.com-Infotages, zu den Hotspots und Geheimtipps im Kiez. „Wir möchten einem exklusiven Teilnehmerkreis aus Verbandsmitarbeitern bei hoffentlich sommerlichen Temperaturen zeigen, was abseits vom gewohnten Hauptstadt-Mainstream in Neukölln alles möglich ist. Im Moment recherchieren wir dafür nicht nur coole Sightseeing-Points, sondern auch versteckte Locations, Start-ups und kulinarische Highlights“, verrät Klein. Für einen gelungenen Abschluss ist ebenfalls gesorgt. „Danach laden wir die Teilnehmer in unseren neuen Private Dining Room ‚Estrel Privèe‘ ein, um das Erlebte in gemütlicher Wohnzimmeratmosphäre und im Rahmen einer regionalen Kiez-Küche ‚zu verdauen.“ (KS)

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