Pressemitteilung | Außenhandelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels e.V. (AVE)

Stellungnahme zum "Entwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten" der Bundesregierung

(Berlin) - Im Kern der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht steht ein risikobasierter Ansatz, der es Unternehmen ermöglichen soll, ihre relevanten Wertschöpfungsstufen zu identifizieren, zentrale menschenrechtliche Risiken zu kennen, ihnen effektiv vorzubeugen sowie im Bedarfsfall den Zugang zu Abhilfe ermöglichen. Dieser Ansatz einer menschenrechtlichen Sorgfaltsprüfung ist in unserem Interesse, denn er unterstützt Unternehmen bei der Durchsetzung verantwortungsvoller Produktionsbedingungen bei Zulieferern, seit jeher ein wichtiges Anliegen für AVE-Mitgliedsunternehmen.

Ausgangslage

Am 3. März 2021 hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurfverabschiedet, der die unternehmerische Sorgfaltspflicht in Lieferketten regulieren soll.

Dieser Gesetzentwurf sieht vor, dass deutsche Unternehmen den Schutz der Menschenrechte und der Umwelt entlang ihrer gesamten globalen Wertschöpfungsketten sicherstellen müssen. Der deutsche importierende Einzelhandel ist hiervon in besonderem Maße betroffen. Der Entwurf richtet sich analle Unternehmen mit Hauptsitz in Deutschland, die mehr als 3.000 Mitarbeiter beschäftigen (ab 20241.000 Mitarbeiter). Sie sollen den Schutz der Menschenrechte und der Umwelt in der Lieferkette sicherstellen. Die Lieferkette ist dabei sehr weit definiert und umfasst alle Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens, sowie alle Schritte,im In-und Ausland, die zu Herstellung der Produkte erforderlich sind, anfangen von der Gewinnung der Rohstoffe bis zurLieferung an den Endkunden.

Erfasst werden soll dabei der eigene Geschäftsbereich, unmittelbare Zulieferer, aber auch mittelbare (indirekte) Zulieferer.Die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten für Unternehmen sollen folgende Aspekte enthalten:

1.Einrichtung eines Risikomanagements
2.Festlegung einer betriebsinternen Zuständigkeit
3.Durchführung regelmäßiger Risikoanalysen
4.Verabschiedung einer Grundsatzerklärung
5.Verankerung von Präventionsmaßnahmen
6.Ergreifen von Abhilfemaßnahmen
7.Die Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens
8.Dokumentation und Berichterstattung zu den Aktivitäten

Das Gesetz definiert einen umfangreichen Bußgeldkatalog für Ordnungswidrigkeiten. Esdrohen Bußgeldervonbis zu EUR 8Mio.bzw. 2 Prozent des weltweiten durchschnittlichen Jahresumsatzes bei Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr alsEUR 400 Mio.Zusätzlich sollen Unternehmen von öffentlichen Auftragsvergaben ausgeschlossen werden. Eine besondere Prozessstandschaft soll es deutschen Gewerkschaftenund Nichtregierungsorganisation ermöglichen die Prozessführung für Betroffene zur Geltendmachung Ihrer Rechte zu übernehmen.

Mit der behördlichen Kontrolle und Durchsetzung des Gesetzes soll das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) beauftragt werden, das umfangreiche Ermittlungsbefugnisse erhalten soll. Per Rechtsverordnung soll das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) zudem Verfahren der behördlichen Berichtsprüfung und der risikobasierten Kontrolle durch dasBAFA näher regelndürfen. Darüber hinaus sollen auch Sorgfaltspflichten für mittelbare Zulieferer ergänzt werden.

AVE Position

Nachhaltigkeit ist eines unserer Kernthemen - für die AVE, aber auch für unsere Mitgliedsunternehmen. Sie sind sich ihrer Verantwortung gegenüber Mensch und Umwelt in hohem Maße bewusst und engagieren sich seit über 20 Jahren für die Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards -sowohl in ihren eigenen Unternehmen, als auch entlang der gesamten globalen Lieferkette. Bereits im August letzten Jahreshatte die AVE ein Positionspapier veröffentlicht, in dem sie zusammen mit den Mitgliedern Anforderungen an eine gesetzliche Regulierung aufgezeigt und ihre Bereitschaft zum proaktiven Dialog über die konkreten Inhalte einesSorgfaltspflichten-gesetzes zum Ausdruck gebrachthat.Einegesetzliche Regulierung derunternehmerischen Sorgfaltspflicht kann, wie in dem Positionspapier dargelegt, durchaus sinnvoll sein, jedoch weist der aktuelle Gesetzesentwurf an zentralen Stellen erhebliche Unklarheiten und Regelungen auf, die zu Rechtsunsicherheit und massiven Wettbewerbsnachteilen für deutsche Unternehmen führen.

1.Anwendungsbereich

Wir setzen uns für die Schaffung eines "Level-Playing-Fields" in Europa und Wettbewerbsgleichheit auf internationalen Märkten ein. Für eine umfassende und systemische Wirkung braucht es die Beteiligung aller Akteure. Eine gesamteuropäische oder gar globale Lösung sehen wir als Königsweg an, nur so kann systemische Wirkung auf umwelt-und menschenrechtliche Aspekte in zunehmend globalen Lieferketten erreicht werden. Eine nationale Regulierung ist nur dann nachvollziehbar, wenn diese Regulierung für alleMarktteilnehmer, die auf dem deutschen Markt tätig sind, anwendbar ist. Wenn es zu einer europäischen Regulierung kommt, sollte eine alleinige nationale Vorgabe entfallen. Das Gesetz definiert einen sehr weiten Anwendungsbereich, über den Bereich der Menschenrechte hinaus bis zu Umweltthemen. Eine so weit gehende Festlegung über verschiedene Aspekte ist von den Unternehmen kaum zu leisten. Zudem ist die Abdeckung des eigenenGeschäftsbereichs in Deutschland mit unverhältnismäßigem Mehraufwand verbunden und unnötig, da in DeutschlandArbeits-und Umweltstandardsdurch den Staat geregeltund kontrolliert werden.

2.Sorgfaltspflicht

Die primäre Schutzpflicht für die Einhaltung der Menschenrechte liegt beim Staat. Diese Verantwortung kann und darf nicht an Unternehmen übertragen werden. Die Anforderungen an Unternehmen müssen daher verhältnismäßig, klar abgegrenztund zumutbar sein. Dasjeweilige Einflussvermögen der Unternehmen ist hierbei besonders zu beachten. So dürfen Unternehmen nicht für Verstöße belangt werden, die außerhalb ihres direkten Einflussbereichs liegen. Im Rahmen der UNGP sind Unternehmen dazu angehalten Risiken entlang ihrer gesamten Lieferkette zu identifizierenund diese gemäß ihres direkten Einflussbereiches mit Präventionsmaßnahmen zu begleiten. Aus Gründen der Praktikabilität und notwendigen Rechtssicherheit muss die gesetzliche Regulierung die Sorgfaltspflicht auf den unmittelbaren Zulieferer und die direkten Einflussmöglichkeiten beschränken.Als sehr problematisch sind derart unbestimmte Rechtsbegriffe wie eine "substantiierte Kenntnis" von möglichen Pflichtverletzungen, insbesondere bei mittelbaren Zulieferern, die in einem geringen Einflussbereich der deutschen Unternehmen stehen, als zu unbestimmt abzulehnen. Die Wirkung der gesetzlichen Sorgfaltspflicht geht weit über Tier 1 hinaus und wird die gesamte Lieferkette mittelbar erfassen. Die geschützten Rechte, die in diesem Gesetzentwurf abgedeckt werden,gehen über die Menschenrechte hinaus und umfassen auch Arbeits-, Sozial-und Umweltstandards.

3.Prozessstandschaft

Dieses neue prozessuale Instrument, durch das inländische Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen die Rechte Dritter vor deutschen Gerichten geltend machen können, ist bisher in der deutschen Prozesslandschaft nicht vorgesehen und öffnet Missbrauch Tür und Tor. Mit diesem bisher nicht bekannten Instrument verlieren Betroffene ihreeigenen Rechte mit der Abtretung an einen Dritten, der dann in eigener Verantwortung ohne Rückkoppelung zu dem möglicherweise Geschädigten selbst Entscheidungen treffen kann. Die Missbrauchsgefahr muss daher eingeschränkt werden, insbesondere um die Durchsetzung politisch motivierter Interessen zu vermeiden.Das Versprechen, keine zivilrechtliche Haftung durch das Sorgfaltspflichtengesetz zu begründen, muss durch eine entsprechend klarstellende Formulierung im Gesetz selbst erfüllt werden.

4.Unklare Begrifflichkeiten

Wie bereits angeführt, bedürfen zahlreiche unklare Begrifflichkeiten der weiteren Konkretisierung um Rechtssicherheitzu gewährleisten.Beispiele hierfür wären: "substantiierteKenntnis", "Verletzungen minimieren", "angemessen", "wirksam", oder "widerrechtlicher Entzug von Land", uvm.

5.Handreichungen

Die Handreichungen, die das BAFA veröffentlichen soll, müssen neben den fachlich betroffenen Behörden mit den entsprechenden Brancheninitiativen abgestimmt werden, um Praktikabilität und Anwendbarkeit sicherzustellen.Die im Gesetz aufgeführten Handreichungen sind zu konkretisieren. Bestehende Systeme und Multi-Stakeholder-Initiativen mit bereits bestehenden Standards in der Lieferkette, wie z.B. das Textilbündnis, sind in ihrer Wirkung und Verbindlichkeit, z.B. bei der Risikoanalyse, zu berücksichtigen (Safe-harbour-Regelung). Zudem ist eine intelligente Mischung (SMART-Mix) von Maßnahmen, die verschiedene regulatorische und freiwillige Instrumente kombiniert essentiell, um Wirkung zuerreichen. Freiwillige Initiativen und Selbst-verpflichtungen müssen weiterhin von der Politik gefördert und belohnt werden, da sie mitunter schneller Wirkung entfalten als Gesetze. Dieser Aspekt muss im Gesetzentwurf ergänzt werden.

6.Sanktionen

Die in dem Gesetz vorgesehen Sanktionsmöglichkeiten gehen weit über das bisherige Maß hinaus. Sanktions-bzw. Strafandrohungen sind nicht ausreichend bestimmt. Bereits eine einfache Fahrlässigkeit wird als ausreichend angesehen. Bei der Umsetzung der Sorgfaltspflicht in derLieferkette werden auch kleine und mittelständische Unternehmen herangezogen, mit allen Konsequenzen, insbesondere auch bei entsprechenden Sanktionsmöglichkeiten, so dass hier schnell eine Überforderung erfolgen kann. Eine Begrenzung der Sanktionen auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz wäre hier zwingend.

7.Rechtsverordnungen

Die begleitenden, beziehungsweise konkretisierenden Rechtsverordnungen dürfen zu keinen zusätzlichen Anforderungen führen. Der Rahmen der Rechtsverordnungenbzw. die Eckpunkte solltenim Gesetzaufgeführt werden. Vor Erlass der Rechtsverordnungsollte mit den Branchenverbänden und Unternehmens-initiativen die Umsetzbarkeit geprüft werden.8.Staatliches EngagementBei einer gesetzlichen Regulierung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht von Unternehmen ist ein verstärktes (staatliches) Engagement in den Produktionsländern unabdingbar, um Vereinbarungen zur Einhaltung internationaler Menschenrechts-und Umweltstandards zu fordern und zu fördern. Gelder der bilateralen Zusammenarbeit müssen an konkrete Verbesserungen geknüpft, beziehungsweise konditioniert werden. Bei Aspekten der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht, für die es derzeit noch keine angemessene "Lösung" gibt (z.B. Beschwerdemechanismus), muss die Politik verstärkt unterstützen. Dieser Aspekt muss im Gesetzentwurf ergänzt werden.

Fazit

Die AVE und ihre Mitglieder unterstützen die grundsätzlichenZiele und Intentionen einer Sorgfaltspflicht in den Lieferketten. Der vorliegende Gesetzentwurfbirgt jedoch hoherechtliche Risikenund zahlreiche Unklarheitenfür Unternehmen. Erführt zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen auf internationalen Märkten, aber auch in Deutschland. Insbesondere für europäisch und global agierende Unternehmen ist eine deutscheGesetzgebung, die sich ausschließlich an deutsche Unternehmen richtet, ungeeignet. Die Aspekte: Wettbewerbsgleichheit, Angemessenheit, Klarheit, tatsächliche Wirkung in den Produktionsländern und staatliches Engagementsowie die bereits mit großem Engagement eingeführten Standardsysteme und Multi-Stakeholder-Initiativenbilden für uns die Grundlage für eine Diskussion zur Ausgestaltung einer gesetzlichen Regulierung. In diesem Sinne sollten wir gemeinsame Anstrengungen der Wirtschaft mit der Bundesregierung zur Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit in kritischen Ländern verfolgen. Die Wirtschaft ist bereit, sich konstruktiv einzubringen und an der praxistauglichen Ausgestaltung einer solchen Regelung mitzuwirken.Über die AVEDer Einzelhandel ist ein Konjunkturmotor. Mit seinen drei Millionen Beschäftigten und seinen 50 Millionen täglichen Kundenkontakten trägt er wesentlich zur Steigerung von Wohlstand und Lebensqualität in Deutschland bei.

Quelle und Kontaktadresse:
Außenhandelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels e.V. (AVE) Andrea Breyer, Leiterin Außenhandel und Nachhaltigkeit/Pressestelle Am Weidendamm 1a, 10117 Berlin Telefon: (030) 59 00 99-432, Fax: (030) 59 00 99-429

(sf)

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